„Wenn wir keine Hoffnung hätten, wären wir nicht hier“

Wie kann die Syrische Demokratische Allianz den Neuanfang in Syrien unterstützen? Fragen an Marwan Khoury

Marwan Khoury, Mitgründer der Syrischen Demokratischen Allianz, bei einem Vortrag in der Evangelischen Akademie in Berlin
Marwan Khoury, Mitgründer der Syrischen Demokratischen Allianz, bei einer Veranstaltung in der Evangelischen Akademie in Berlin.

Die Syrische Demokratische Allianz ist ein Zusammenschluss von rund 50 demokratisch orientierten syrischen Gruppen. 2023 kamen sie – damals noch unter großen Sicherheitsvorkehrungen – in der evangelischen Akademie Loccum zusammen, um die Opposition gegen das Regime von Bashar al-Assad zu organisieren. Jetzt veranstaltete die Allianz zusammen mit der Evangelischen Akademie in Berlin ein drittes großes Treffen, um zu diskutieren, wie sie den Neuanfang in Syrien unterstützen können. Marwan Khoury, einer der Gründer der Syrischen Demokratischen Allianz, erklärt im Interview, woran sie derzeit arbeiten. Der 69-jährige Arzt ist 1980 nach Deutschland gekommen, als das Regime mit einer Verhaftungswelle gegen die Opposition vorging. Seitdem lebt er in Deutschland und engagiert sich für die demokratische Opposition in Syrien.  

Marwan Khoury, Sie gehören zu denen, die 2023 die Syrische Demokratische Allianz gegründet haben. Immer wieder haben sich seitdem syrische Oppositionelle gegen das Regime von Bashar al-Assad auf Einladung der Evangelischen Akademie Loccum getroffen. Gerade gab es wieder ein Treffen hier in Berlin. Bitte erzählen Sie uns zunächst: Wer sind Sie und was ist die Syrische Demokratische Allianz? 

Marwan Khoury: Anfang 2023 haben wir begonnen, die demokratischen Kräfte Syriens zu einer Allianz zusammenzubringen. Wir haben uns mehrfach getroffen und Vorarbeiten dafür geleistet. Nach neun Monaten war es dann so weit: Mit etwa 50 Parteien haben wir im Oktober 2023 die Allianz gegründet. Dabei haben wir unsere Prinzipien und Forderungen im „Berliner Dokument“ zusammengefasst. Das war die erste der Konferenzen in Loccum. 

Ich erinnere mich, es war unter großen Sicherheitsvorkehrungen und mit Geheimhaltung der Teilnehmendenliste. 

Khoury: Ja, wir hatten Sicherheitsleute geholt, denn zu den Treffen der syrischen Opposition kamen oft Assad-Leute und haben Parolen skandiert oder gestört. Damals hat das Assad-Regime noch geherrscht und wir waren unter großem Druck: durch die Islamisten von einer Seite und das Regime von der anderen Seite. Auch waren die demokratischen Kräfte zerstritten. Trotz allem haben wir es geschafft, wir haben die demokratischen Kräfte zusammengebracht und stärker gemacht, indem sie ihre Kräfte vereinten. Was die Spaltung der demokratischen Kräfte angeht, sind wir gerade wieder an einem ähnlichen Punkt. Auch jetzt gibt es viele Diskussionen und sehr konträre Positionen. 

Und sind es heute noch die gleichen Personen und Parteien, die sich zur Allianz zählen?

Khoury: Ja, im Großen und Ganzen sind es die gleichen Leute. Einige haben die Allianz verlassen, andere kamen neu dazu, aber insgesamt können wir zufrieden sein. Es gibt uns schon seit zwei Jahren und das ist keine Selbstverständlichkeit. Das spricht für die Allianz und dafür, dass wir aus Überzeugung zusammenarbeiten. Mittlerweile haben wir viele Aktivitäten und arbeiten auch mit anderen Oppositionsgruppen zusammen. Nicht alle wollen bei uns gleich Mitglied werden, aber wir arbeiten zusammen und dokumentieren diese Zusammenarbeit. Das ist auch ein weiterer Schritt in Richtung Vereinigung der Kräfte der Demokraten. 

Es ist ungewöhnlich, dass diese Syrische Demokratische Allianz im Rahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland entstanden ist, oder? Eigentlich gibt es doch oft Skepsis bei syrischen demokratischen Kräften gegen Zusammenarbeit mit religiösen Institutionen. Warum arbeiten Sie mit der Evangelischen Akademie? 

Khoury: Es ist aus meiner persönlichen Bekanntschaft mit Thomas Müller-Färber von der Evangelischen Akademie Loccum entstanden. Später kam die Evangelische Akademie in Berlin dazu. Für uns ist das ein guter Rahmen. Und wir sind dankbar für die Unterstützung. Ich denke, wir werden es so weitermachen, bis die Demokratie in Syrien vollendet ist. 

Sie haben erwähnt, dass es 2023 Streit gab und heute wieder gestritten wird. Woran liegt es, dass die syrische Opposition so uneinig ist? 

Khoury: Es gibt mehrere Hundert, vielleicht tausend Parteien. Davon ist nur ein Bruchteil in der Allianz. Wir versuchen, möglichst viele zusammenzubringen, dass wir zumindest zusammenarbeiten. Es ist doch klar: Wenn wir nicht zusammenarbeiten, dann werden wir unser Land nicht in Richtung Rechtsstaat, Demokratie, Menschenrechte und Gleichstellung aller Menschen, ohne Ansehen von Konfession, Farbe oder Geschlecht, bringen. 
Wir müssen uns zusammentun, sonst scheitern wir auch bei Wahlen, wenn es Wahlen geben sollte. Wenn alle Parteien eigene Kandidaten aufstellen, wird keiner gewinnen. Aber wenn wir gemeinsam zu Wahlen gehen, dann bin ich sicher, dass wir große Chancen haben.

Thema der diesjährigen Konferenz der Syrischen Demokratischen Allianz war das Thema Parteien und es ging darum, wie deutsche politische Parteien die Parteien in Syrien unterstützen können. Was erhoffen Sie sich?

Khoury: Uns geht es darum, von den Erfahrungen der deutschen Parteien zu profitieren. Dabei sind wir nicht ideologisch festgelegt. Manche in der Allianz stehen der CDU näher, andere der SPD oder den Grünen. Recht oder links und religiös oder ungläubig - was uns eint ist der Kampf für Demokratie.   Wir möchten, dass die deutschen Parteien uns auf diesem Weg begleiten. Dass wir von ihnen lernen können, wenn es dann ein Parteiengesetz gibt. Wir wollen uns von einer Allianz zu einer Partei weiterentwickeln. Wir setzen Hoffnung in die deutschen politischen Stiftungen. Da geht es auch darum, die Bevölkerung in Syrien auf Wahlen vorzubereiten. Es geht darum, eine politische Kultur zu entwickeln. 

Apropos Wahlen. Nun wurde ja gerade in Syrien gewählt. Die Reaktionen sind gemischt: Manche sagen, es war reine Show, weil es eine indirekte Wahl war, bei der die meisten Abgeordneten direkt vom Präsidenten bestimmt wurden und auch die Rolle des Parlamentes eingeschränkt ist. Andere sehen in den Wahlen einen Schritt in die richtige Richtung, weil so Institutionen geschaffen und Diskussionen geführt werden. Was sagen Sie?

Khoury: Ich würde sagen, es war in erster Linie ein Schauspiel, weil ja ein Drittel der Mitglieder benannt wurden. Der Präsident hätte auch gleich alle Abgeordneten benennen können. Präsident Ahmed al-Scharaa hat ein Drittel direkt benannt und zwei Drittel von einem Komitee wählen lassen, das aber wiederum zum großen Teil von ihm benannt wurde. 
Trotzdem ist es gut, dass es das Parlament gibt. Wir brauchen das Parlament. Wir hoffen nur, dass das Parlament auch gut arbeitet. Ich habe da leider Zweifel, denn ich habe Interviews mit mehreren Abgeordneten gesehen, die erklärten, wie sie den Präsidenten unterstützen wollen. Offenbar wissen sie nicht, was eigentlich die Rolle eines Parlaments sein sollte. Wir hoffen trotzdem, dass ein paar Leute ihre Rolle gut ausfüllen. Sie sollten ja die Gesetzgebung in die Hand nehmen und die Arbeit des Präsidenten und der Minister überwachen. 

Wenn Sie insgesamt den Prozess in Syrien angucken, haben Sie Hoffnung? Oder sind Sie eher skeptisch? 

Khoury: Natürlich habe ich Hoffnung. Wenn wir keine Hoffnung hätten, wären wir nicht hier, um die Oppositionsarbeit zu organisieren. Also, wir haben Hoffnung. Wir wollen zusammenarbeiten, etwas verändern. Wir haben da noch einen weiten Weg vor uns. Wir haben uns massiv gefreut und gefeiert, als das Regime gestürzt wurde. Es gibt aber viele Leute, die die Entwicklung in Syrien skeptisch sehen. Gerade an der Küste und in Suwaida haben viele Bedenken. Das gilt zunehmend auch für Menschen in Damaskus, wo die Leute dem bekannten gemäßigten Islam von Damaskus anhängen und die Regierung unter Ahmed al-Scharaa skeptisch gegenüberstehen. 

Noch eine persönliche Frage: Wie sind Sie in die Politik gekommen, Herr Khoury?

Khoury: Oh, das ist lange her. 45 Jahre mindestens. Ich war in Syrien in der Opposition aktiv und habe dann das Land verlassen, als das Regime von Hafez al-Assad anfing, sehr viele von uns zu verhaften. Ich kam nach Deutschland und habe mich dann erstmal aus der Politik zurückgezogen. Ich dachte damals, dass die Demokratie für uns erstmal unerreichbar ist, und konzentrierte mich auf meine Arbeit als Arzt. Mit dem Anfang der Revolution in Syrien kam die Hoffnung zurück und seitdem bin ich wieder dabei. Wir haben damals gesehen, dass Demokratie und Freiheit ein menschliches Verlangen sind. Das gilt nicht nur für einige Länder, sondern für alle. Jetzt ist unsere Chance und wir hoffen, dass es diesmal klappt.

 Das Interview führte Julia Gerlach, Gründerin und Projektleiterin von Amal