Neues Gesangbuch im Praxistest: „Wir brauchen Rückmeldung“
Kord Michaelis und Lukas Bauer zum Start der Erprobungsphase
Aktuell testen fast 600 Gemeinden in ganz Deutschland die Lieder, Texte und Strukturen des neuen Evangelischen Gesangbuchs. Dafür wurden rund 32.000 Erprobungsbände verteilt. Bis März 2026 fließen die Erfahrungen aus den Gemeinden in die Weiterentwicklung des Buches und seines digitalen Pendants ein. Warum das Feedback der Gemeinden so wichtig ist, welche Formate in der Erprobung vorgesehen sind und welche Chancen das gemeinsame Testen bietet, erläutern Kord Michaelis und Lukas Bauer im Interview. Michaelis ist Vorsitzender der Landeskirchenmusikdirektorenkonferenz, Bauer ist studierter Kirchenmusiker und arbeitet als Referent im Projektbüro „Evangelisches Gesangbuch“ des Kirchenamtes.
Kord Michaelis, Vorsitzender der Landeskirchenmusikdirektorenkonferenz (l.), und Lukas Bauer vom Projektbüro „Gesangbuch“ des Kirchenamtes.
Welches Ziel verfolgt die EKD mit der nun beginnenden Erprobungsphase?
Kord Michaelis: Der Gesangbuchprozess ist ein unglaublich spannender Prozess, in dem jetzt bereits seit mehreren Jahren viele Menschen intensiv arbeiten: Wenn wir alle Beteiligten zusammenzählen, sind es rund 80 Personen, die – meist ehrenamtlich – sortieren, diskutieren, konzipieren und voller Engagement die Vision eines neuen Gesangbuchs entwickeln, das sowohl als Buch als auch als digitales Produkt erscheinen soll. Aber nun wird es dringend Zeit, dass diejenigen, die das Gesangbuch wirklich betrifft, nämlich die Gemeinden und die, die dort haupt- und ehrenamtlich arbeiten, draufschauen können und ihre Rückmeldung geben. Ein Gesangbuch braucht eben nicht bloß eine Kommission, die gute Arbeit macht, sondern es ist darauf angewiesen, dass diejenigen, die es benutzen werden, sich damit identifizieren und richtig Lust auf die Nutzung haben.
Soll es eher um praktische Erprobung im Gottesdienstalltag gehen oder auch um theologische/ästhetische Rückmeldungen?
Michaelis: Um alles, weil das nämlich eng zusammenhängt. Ein Gesangbuch, das theologisch nicht befriedigt, wird in der gottesdienstlichen Nutzung schnell unbefriedigend sein. Die Ästhetik der Gestaltung ist kein Selbstzweck, sondern Design transportiert Metabotschaften, und zwar auch theologische. Das wird man bereits am Logo des neuen Gesangbuchs sehen können. Und eine noch so gute theologische oder ästhetische Qualität nützt nichts, wenn die Nutzendenorientierung des Produkts nicht gelungen ist. Wir brauchen also Rückmeldung zur Gesamtqualität: Überzeugt euch die Konzeption, überzeugt das Layout, passt der Inhalt im Detail zu euren Bedürfnissen, transportiert das Erprobungsgesangbuch die richtigen (und wichtigen) Botschaften und Metabotschaften? Und wie hat sich eure Gemeinde damit gefühlt?
Wer darf daran teilnehmen?
Lukas Bauer: Im Frühjahr des Jahres wurden ca. 600 Erprobungsgemeinden über ihre Gliedkirchen ausgewählt, um intensiv an der Erprobungsphase in klassischer Form teilzunehmen. Diese Gemeinden erhalten die ca. 30.000 gedruckten Erprobungsbände und sind herzlich eingeladen, die Bücher so viel wie möglich in den unterschiedlichsten Möglichkeiten im Gemeindealltag zu nutzen und am Ende der Erprobungsphase ausführlich Rückmeldung zu geben. Jedes interessierte Gemeindeglied der Erprobungsgemeinden hat die Möglichkeit, hierfür einen eigenen Fragebogen auszufüllen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit für alle Gemeinden, sich für das digitale Gesangbuch zu registrieren und damit Beamer-Präsentationen oder Liedzettel für einzelne Gottesdienste mit den Inhalten des Erprobungsbands zu gestalten.
Wie wird die Erprobungsphase ablaufen? In welchen Formaten (Gottesdienste, Workshops, digitale Plattformen)?
Bauer: In den Gemeinden wird es sehr unterschiedliche Formate geben. Neben den naheliegenden Formaten wie dem klassischen Sonntagsgottesdienst oder Andachten zu den Themen der veröffentlichen Rubriken (z.B. Abend oder Advent) wurden uns aus den Erprobungsgemeinden bereits viele weitere spannende und kreative Ideen für die Erprobung vor Ort mitgeteilt. Neben den Erprobungsveranstaltungen auf Gemeindeebene wird es landeskirchlich organisierte (Fach-)Tagungen zur Erprobungsphase des neuen Evangelischen Gesangbuchs geben. In Kürze werden all diese Tagungen auf unserer Website auffindbar sein, einige findet man bei den jeweiligen Landeskirchen schon jetzt auf den Websites der landeskirchlichen Kirchenmusik.
Auf welchen Kanälen können Rückmeldungen gegeben werden?
Bauer: Die ca. 600 Erprobungsgemeinden werden inhaltlich detaillierte Fragebögen erhalten. Diese können und sollen von allen an der Erprobung beteiligten Gemeindegliedern ausgefüllt werden. Die Gemeinden, welche keine Erprobungsbände erhalten haben und ausschließlich mit gesangbuch.de gearbeitet haben, erhalten separate Fragebögen. Bei den landeskirchlich organisierten Tagungen zur Erprobung wird es unmittelbare Möglichkeiten zum qualitativen Feedback geben.
Welche Lieder, Texte oder liturgischen Elemente werden in der Erprobungsphase besonders in den Blick genommen?
Michaelis: Das Erprobungsgesangbuch enthält nur ausgewählte Rubriken, nämlich Abend – Nacht – Advent – Weihnachten – Taufe – Konfirmation – Loben, danken feiern. Und daneben einen erheblichen Anteil der Psalmen-Rubrik, die übrigens besonders interessant sein könnte, weil sie völlig anders ist als bisher. Das ist natürlich ein sehr unvollständiges Buch, aber es sind Rubriken, die sich im Winterhalbjahr gut nutzen lassen.
Noch während dieses Schuljahres wird dann die vorläufige Gesamtliederliste vorliegen, die auf einer großen Reihe von Tagungen ausführlich diskutiert werden soll. Wer also tiefer und ganz vollständig einsteigen möchte, kann (und muss) sich Zeit für eine solche Tagung nehmen. Und alle anderen können mit ihren Rückmeldungen zum Auszug des Erprobungsgesangbuchs dennoch viel beitragen.
Wird auch das neue thematische Konzept mit den sechs Rubriken („TagesZeit“, „JahresZeit“ usw.) auf den Prüfstand gestellt?
Bauer: Über die Fragebögen wird Rückmeldung zu vielen verschiedenen Elementen des neuen Evangelischen Gesangbuchs ermöglicht. Hier wird es u.a. neben der Rückmeldung zu der Liedauswahl, dem Design, der Nutzendenführung auch um den Aufbau und die Struktur des Buches gehen. Wir freuen uns auch in diesem Punkt sehr über möglichst viele Rückmeldungen aus den Gemeinden und den landeskirchlichen Tagungen.
Spielen auch digitale Ergänzungen in der Erprobung eine Rolle?
Bauer: Insbesondere zu unserem Digitalprodukt des Erprobungsbands gesangbuch.de wird es für die Nutzenden des Tools einen Fragebogen geben. Zusätzlich zu unserem Digitalprodukt gibt es den Erprobungsband auch über die App „Gesangbuch online“ als E-Paper zu kaufen. Jede*r Käufer*in des E-Papers wird zum Ende der Erprobungsphase einen Fragebogen erhalten.
Welche Chancen sehen Sie darin, das Gesangbuch vorab im Alltag der Gemeinden zu testen?
Michaelis: Information, Identifikation, gemeinsames Engagement für ein Gesangbuch, das nicht nur gut werden soll, sondern hervorragend. Wenn wir eine wirklich gute Qualität wollen, dann müssen wir uns Zeit nehmen, auf der Zielgeraden alle Vorschläge und Bedenken wirklich zu bearbeiten. Und dafür braucht es nicht wenige kluge Köpfe, sondern die Schwarmintelligenz der Evangelischen Kirche.
Welche Herausforderungen erwarten Sie – beispielsweise im Blick auf sehr unterschiedliche musikalische Traditionen in den Landeskirchen?
Michaelis: Weiß ich nicht. Ich bin einfach gespannt. Und ich würde vermeintliche Unterschiede zwischen den Landeskirchen nicht überbewerten. Mein Eindruck, wenn ich in meinen vielen Gespräch quer durch Landeskirchen komme, ist eher: Wir sitzen viel mehr in demselben Boot, als wir manchmal meinen.
Wie gehen Sie mit möglicherweise kritischen Rückmeldungen um?
Bauer: Wir haben das Jahr 2026, inklusiver einer Kommissionstagung im Oktober, für die Sichtung, Analyse und Einarbeitung sämtlicher Rückmeldungen vorgesehen. Wir erwarten natürlich, dass es neben vielen positiven auch zahlreiche kritische Rückfragen gibt – die ersten haben wir in den letzten Monaten und Jahren schon erhalten und intensiv besprochen. Es gibt wohl keine pauschale Antwort auf die Frage, da jede kritische Rückmeldung individuell betrachtet und diskutiert werden muss. Wir hoffen aber, dass nach der Analyse der Rückmeldungen im finalen Gesangbuch erkennbar ist, dass wir die vielfältigen Rückmeldungen ernst und wahrgenommen haben. Die zahlreichen Rückmeldungen zum neuen Evangelischen Gesangbuch zeigen uns, wie relevant und wichtig sowohl die kirchenmusikalische Arbeit in den Gemeinden als auch die Arbeit an einem neuen Evangelischen Gesangbuch ist.
Was passiert mit den Ergebnissen der Erprobungsphase? Wie fließen sie konkret in die Endfassung des Gesangbuchs ein?
Michaelis: Mit hoher Aufmerksamkeit, hoffe ich. Der Arbeitsplan für den Abschnitt zwischen der Erprobungs- und Rückmeldephase in diesem Schuljahr und der Zielgeraden unseres Prozesses wird derzeit entworfen. Aber wir werden ihn, wenn wir das Ausmaß der Rückmeldungen und der darin enthaltenden Korrekturvorschläge absehen können, gegebenenfalls angemessen anpassen müssen. Noch einmal: Nichts steigert die Qualität eines Produkts so sehr, wie eine sehr genauer Blick aufs Detail in der Schlussphase des Entwicklungsprozesses. Und in jeder Rückmeldung könnte ein solches Detail stecken, das bislang vielleicht noch nicht ausreichend im Blick war.
Woran messen Sie den Erfolg der Erprobungsphase?
Bauer: Ein messbarer Punkt wird natürlich die Quote des Rücklaufs und die reine Quantität der Rückmeldungen sein. Außerdem wird es um die Qualität und statistische Auswertbarkeit der inhaltlichen Rückmeldungen gehen. Hier war es ein entscheidender Schritt, die Fragebögen für die Erprobungsgemeinden mit der notwendigen Sorgfalt und kompetenter wissenschaftlichen Beratung zu erarbeiten. Zusätzlich wollen wir mit der Erprobungsphase und den Liedern des Erprobungsbands einen Impuls für das gemeinsame Singen in der evangelischen Kirche setzen. Jede einzelne Erprobungsveranstaltung, die Menschen zum Singen und durch das Singen zusammenführt, ist daher ein wertvoller Erfolg, auf den wir später mit dem neuen Evangelischen Gesangbuch aufbauen wollen.
Wenn wir ein Stück in die Zukunft schauen: Was erhoffen Sie sich, wie das neue Gesangbuch 2028 am Ende unseres Jahrzehnts in der kirchlichen Praxis aufgenommen wird?
Michaelis: Das Gesangbuch hat immer die Identität der Evangelischen Kirche geprägt. Daher ist sonnenklar, dass wir es in die mediale Welt des 21. Jahrhunderts holen müssen. Ich hoffe, dass das neue Gesangbuch ein wirklich spannendes Buch sein wird, das große Lust macht, damit Gottesdienst zu feiern. Und dass sein digitales Pendant ebenfalls bald aus unserer gemeindlichen Praxis nicht mehr wegzudenken sein wird. Damit in unserer Kirche gut zu spüren ist, dass das gemeinsame Singen nicht nur die Wurzel und Tradition des Evangelisch-Seins ist, sondern wirklich unser Schatz, mit dem wir uns auf den Weg in die Zukunft machen.