Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit

Wort des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, 1997

6. Aufgaben der Kirchen

  1. Es genügt nicht, wenn die Kirchen die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen und die Verhaltensweisen der darin tätigen Menschen thematisieren. Sie müssen auch ihr eigenes Handeln in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht bedenken. Das kirchliche Engagement für Änderungen in der Gesellschaft wirkt um so überzeugender, wenn es innerkirchlich seine Entsprechung findet.

6.1 Das eigene wirtschaftliche Handeln der Kirchen

  1. Die Kirchen sind als Arbeitgeber, Eigentümer von Geld- und Grundvermögen, Bauherr oder Betreiber von Einrichtungen und Häusern auch wirtschaftlich Handelnde. Sie können nicht Maßstäbe des wirtschaftlichen Handelns formulieren und öffentlich vertreten, ohne sie auch an sich selbst und das eigene wirtschaftliche Handeln anzulegen. Mit Recht wird dies als eine Frage der Glaubwürdigkeit angesehen. Die Glaubwürdigkeitsforderung erledigt allerdings nicht die Auseinandersetzung mit den Einsichten und Forderungen, die eine Person oder Institution vertritt. Solche Einsichten und Forderungen behalten, wenn sie wohlbegründet sind, ihre Gültigkeit, auch wenn die, die sie vertreten, selbst an ihnen scheitern.
  2. Die Kirchen sind mit ihrer Diakonie und Caritas große Arbeitgeber. In dieser Rolle sind sie - nicht weniger und nicht mehr als andere Arbeitgeber - gefordert, Arbeitsverhältnisse familiengerecht zu gestalten (z. B. flexible Arbeitszeiten), für einen fairen Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einzutreten, den Grundsatz der Gleichstellung von Frauen und Männern zu beachten und für eine konsequente Umsetzung der Ordnungen für die Vertretung und Mitwirkung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihren Mitsprache- und Mitbestimmungsmöglichkeiten zu sorgen. In jüngster Zeit sind die Kirchen durch Rückgänge bei den Einnahmen erstmals nach einer langen Phase der Expansion in die Lage geraten, die Zahl der Arbeitsplätze vermindern zu müssen. In dieser angespannten Situation sind alle gefordert, mit sozialem Verantwortungsbewußtsein, sozialer Phantasie und Flexibilität soziale Härten abzuwenden. Besondere Beachtung verdienen Vorschläge, die auf maßvolle Einschränkungen beim Gehalt von kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den mittleren und oberen Gehaltsgruppen zielen. Wo einschneidende Sparmaßnahmen unausweichlich sind, muß dem Teilen von Arbeit der Vorrang vor dem Abbau von Stellen und vor Entlassungen zukommen. Gehaltseinschränkungen und Stellenteilungen müssen allerdings in vernünftigem Rahmen und mit Augenmaß erfolgen. Eine gute und aufopferungsvolle Arbeit verlangt auch ihren gerechten Lohn.
  3. Die Kirchen verfügen, bei großen Unterschieden im einzelnen, über Geld- und Grundvermögen. Es dient insgesamt religiösen, sozialen und kulturellen Zwecken. Teile des Vermögens sind nicht oder kaum veräußerbar.

    Bei der Entscheidung für Investitionen, der Auswahl von Geldanlageformen und der Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern haben die Kirchen noch strengere Maßstäbe anzulegen als wirtschaftliche Unternehmen. Auch unterliegen die Kirchen einer besonderen Verpflichtung, in der Orientierung am Gemeinwohl Grundstücke für öffentliche und soziale Zwecke, vornehmlich für den sozialen Wohnungsbau gegebenenfalls in Erbpacht, zur Verfügung zu stellen, wie es vielerorts seit langem praktiziert wird.
  4. In ihrer Bautätigkeit, die heute vorrangig in Maßnahmen der Substanzerhaltung, der Renovierung und Sanierung besteht, müssen sich die Kirchen der Verantwortung für die investierten Mittel, aber auch für die Kulturlandschaft, die sie durch ihre Bauten mitprägt, bewußt sein. Bei kircheneigenen Zweckbauten, etwa Pfarrhäusern, ist auf Einfachheit der Ausstattung zu achten.

    Die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen in kirchlichem Besitz sollte nach umweltgerechten und naturschonenden Kriterien erfolgen. Die Verantwortung für die Schöpfung soll darüber hinaus auch in der kirchlichen Bautätigkeit, in der Bewirtschaftung kirchlicher Einrichtungen und Häuser, bei der Durchführung kirchlicher Veranstaltungen und bei der Regelung von dienstlichen Reisen und ihrer Kosten wirksam werden. Die kirchlichen Umweltbeauftragten haben dafür zahlreiche konkrete Vorschläge unterbreitet.

6.2 Weltgestaltung und Verkündigung

  1. Der Konsultationsprozeß hat die Möglichkeit und die Notwendigkeit der kirchlichen Beteiligung am gesellschaftlichen Dialog über die wirtschaftliche Situation und die sozialen Spannungslagen der Gegenwart deutlich gemacht. Als Glaubensgemeinschaften verkündigen die Kirchen die biblische Botschaft von Gottes Zuwendung zu allen Menschen und Gottes Treue zu seiner Schöpfung. Als gottesdienstliche Gemeinschaften feiern sie Gottes gnädiges Erbarmen, das den Menschen immer wieder einen neuen Anfang schenkt. Als diakonische Gemeinschaften bemühen sie sich unmittelbar um Notleidende und Benachteiligte und setzen sich für die Verwirklichung einer solidarischen und gerechten Gesellschaft ein.

    Die Kirchen leben und wirken mitten in der Gesellschaft und nehmen deshalb an ihren Umbrüchen und Entwicklungen teil. Sie werden dabei von ihrer Berufung zur Solidarität mit den Armen geleitet und folgen der Bewegung Gottes, der sich vorrangig den Armen, Schwachen und Benachteiligten zugewandt hat, damit alle "Leben in Fülle haben" (Joh 10,10).
  2. Die Kirchen stehen in der biblischen und christlichen Tradition von Recht und Erbarmen. Gott fordert die Menschen nachdrücklich dazu auf, aus Erbarmen zu handeln und sich für Recht und Gerechtigkeit einzusetzen. Deshalb bemühen sich Christen um Arme, aber auch um gerechtere Strukturen in der Gesellschaft, die geeignet sind, Armut zu verhindern.
  3. Der diakonische und caritative Dienst an Menschen in Not gehört seit den Anfängen der Kirche zu ihren unveräußerlichen Kennzeichen und ist auch für die Zukunft verpflichtend.

    Heute vollzieht sich der diakonische und caritative Dienst der Kirchen auf mehreren Ebenen. Im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen die großen Werke, auf evangelischer Seite das Diakonische Werk, auf katholischer Seite die Caritas. Mit ihrer Arbeit und ihren Initiativen sind sie in hohem Maße in den Dienst an der Gesellschaft einbezogen. Sie leisten mit ihren sozialen Einrichtungen, Kindergärten, Beratungsstellen, Sozialstationen, Rehabilitationseinrichtungen und vielem anderem mehr eine wirksame und unverzichtbare Hilfe für das Gemeinwesen. Für die Wahrnehmung dieser Aufgaben benötigen und erhalten die Kirchen staatliche Hilfen. In vielfältiger Gestalt gibt es kirchlich getragene soziale Betriebe, Werkstätten, Einrichtungen der Jugendarbeit, Baugruppen zur Renovierung von Sozialwohnungen oder Jugendheimen, Projekte "Neue Arbeit", Gruppen, die den Strukturwandel in einer Region begleiten, oder Treffpunkte für Angehörige verschiedener Generationen. Jüngste Änderungen der Sozialgesetzgebung, die die Erfüllung der sozialen Aufgaben und Dienstleistungen nach dem Marktprinzip umzugestalten versuchen, stellen Diakonie und Caritas vor erhebliche Probleme. Noch ist die weitere Entwicklung nicht zu übersehen. Alles diakonische Tun aber den Gesetzen des Marktes zu unterwerfen, ist weder der Sache noch den Menschen dienlich.

    Um so wichtiger sind die Initiativen, die auf neue Herausforderungen reagieren und innovative Antworten geben. Die diakonische und caritative Arbeit der Kirchen hat sich über die Jahrhunderte immer wieder aus solchen Impulsen erneuert.

    Von bleibender Bedeutung ist die Ebene der Kirchen- und Pfarrgemeinden. Diakonische und caritative Arbeit darf sich nicht auf die professionalisierten Dienste beschränken und darf nicht einfach an sie abgegeben werden. Kirchengemeinden, kirchliche Gruppen und Verbände haben besondere Möglichkeiten, mit ihrer sozialen, diakonischen oder caritativen Arbeit Impulse in die gesellschaftliche Öffentlichkeit hinein zu vermitteln. Den Initiativen mit Arbeitslosen, arbeitslosen Jugendlichen, Armen und sozial Schwachen kommt gegenwärtig besondere Bedeutung zu. Sie begleiten diese Personenkreise und bieten Hilfen zur Wiedereingliederung an. Besuchsdienstkreise und Treffpunkte für Arbeitslose sind Ansatzpunkte dafür, die soziale Verantwortung der Gemeinden zu erhöhen. Es ist wichtig, daß Kirchengemeinden und Verbände mit Hilfe solcher Aktivitäten die sie umgebende soziale Wirklichkeit wahrnehmen und den sozial Benachteiligten in ihrer eigenen Mitte Aufmerksamkeit schenken. Entscheidend wird sein, daß Christen und Gemeinden nicht bei einzelnen diakonischen Aktivitäten und Maßnahmen stehen bleiben. Es geht um eine "neue Bekehrung zur Diakonie", in der die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der Menschen, die Hilfe nötig haben, zur Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Christen werden.
  4. Der Horizont des Dienstes an Menschen in Not hat sich in den letzten Jahrhunderten fortschreitend erweitert. Nächstenliebe ist auch Fernstenliebe geworden. Das hat in kirchlichen Hilfswerken weltweiter Solidarität und entwicklungspolitischen Aktivitäten seinen Niederschlag gefunden. Die Kirche ist ihrem Wesen nach weltweit, grenzüberschreitend. Sie verfügt über besondere Möglichkeiten, den Blick der Menschen für die Eine Welt zu öffnen und das Bewußtsein der Verantwortung über das eigene Land und Volk hinaus zu schärfen. Die ökumenische Zusammenarbeit mit Kirchen aus der ganzen Welt und die intensiven Partnerschaften mit Gemeinden und Ortskirchen erweitern den Gesichtskreis über den eigenen Kulturraum hinaus. Solche Kontakte erinnern zugleich an die Not des Südens und die wechselseitigen weltwirtschaftlichen Abhängigkeiten. Die Beteiligung der Kirchen am "konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" bedeutet eine umfassende Orientierung kirchlichen Handelns an den drängenden Aufgaben gesellschaftlicher Veränderung. In ökumenischer Zusammenarbeit stellen sich die Christen den großen Überlebensfragen der Menschheit. Das Engagement für die Länder des Südens führt zu neuen Anstößen auch im eigenen Bereich.

    Direkte Hilfe wird insbesondere von den großen Werken wie "Adveniat", "Brot für die Welt", "Hoffnung für Osteuropa", "Misereor", "Missio" und "Renovabis" geleistet. Sie dienen aber nicht nur der Einwerbung von Spenden und ihrem fachkundigen Einsatz bei der Katastrophenhilfe oder längerfristigen Entwicklungsmaßnahmen, sondern ebenso der entwicklungs- und wirtschaftspolitischen Bewußtseinsbildung. Aufgrund ihrer direkten Kontakte in die betroffenen Länder und der in langjährigem Engagement erworbenen Erfahrungen sind die Kirchen zu einem wichtigen und geachteten Träger entwicklungspolitischer Projekte geworden. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang auch die Bemühungen der Kirchen in ihrer "Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung", den Dialog im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedensinitiativen zu verbessern.

    Neben kirchlichen Finanzmitteln stehen für diese Aufgaben auch staatliche Gelder zur Verfügung. Die in den letzten Jahren bei den Kirchen spürbar werdenden finanziellen Engpässe machen es zunehmend schwierig, das bisherige Niveau der für die kirchlichen Entwicklungsdienste zur Verfügung gestellten Mittel aus Kirchensteuern zu halten. Die Kirchen erfahren hier im eigenen Bereich, welche Konflikte und Schmerzen mit Prioritätendebatten verbunden sind.
  5. Einige weitere Bereiche, in denen die Kirchen ihren Auftrag zur Weltgestaltung konkret wahrnehmen und weiterhin wahrnehmen müssen, seien nur kurz genannt:
    • Gemeinden und Kirchenkreise, Diözesen und Landeskirchen haben "Runde Tische sozialer Verantwortung" ins Leben gerufen. Dabei wird versucht, das Gespräch zwischen Vertretern und Vertreterinnen aus Politik und Verwaltung, insbesondere aus Sozialbehörden und Arbeitsverwaltungen, aus Kammern und Betrieben, Gewerkschaften und Unternehmervereinigungen, der Medien und nicht zuletzt der betroffenen Bevölkerungsgruppen über die sozialen Probleme vor Ort anzustoßen. Runde Tische bewähren sich in solchen Fällen, weil sie das Bewußtsein stärken, daß regionale Probleme wirtschaftlicher und sozialer Art nur gemeinsam bewältigt werden können.
    • Diese Mittlerrolle können die Kirchen um so leichter übernehmen, wenn sie einen kontinuierlichen und intensiven Kontakt mit der Arbeitswelt pflegen. Die Sorge gilt dabei den arbeitenden Menschen, einschließlich derer, die unternehmerische Verantwortung tragen, aber auch den Wandlungen der Arbeitswelt selbst. Die Kontakte dürfen nicht erst im Konfliktfall, etwa bei drohenden Betriebsschließungen, aufgenommen werden. Regelmäßige Besuche in Betrieben und regelmäßige Gespräche mit den Arbeitgeberorganisationen, dem Handwerk und den Gewerkschaften schaffen eine Basis des Vertrauens, auf der dann auch im Konfliktfall aufgebaut werden kann.
    • Die Kirchen engagieren sich gegen Ausländerfeindlichkeit und bemühen sich, zum Aufbau einer positiven Einstellung gegenüber Fremden in der Gesellschaft beizutragen. Dies geschieht, indem Begegnungen vor Ort initiiert und gemeinsame Veranstaltungen angeboten werden. Die Kirchen setzen sich, auch durch praktische Hilfe und Unterstützung, für eine bessere soziale Integration ein. Vor allem beteiligen sie sich an der Sorge um ausländische Kinder und Jugendliche. Sie treten ein für eine menschenwürdige und gerechte Asylpraxis.
    • Der Einsatz für den Umweltschutz im kirchlichen Raum hilft mit, das gesellschaftliche Bewußtsein für die Notwendigkeit eines nachhaltigen Wirtschaftens zu stärken. Das Engagement vieler Christen für die Erhaltung der natürlichen Grundlagen des Lebens hat aber nicht allein in der Gründung gesonderter kirchlicher Umweltinitiativen, sondern vor allem auch in der Mitarbeit in den allgemeinen Umweltverbänden seinen Ausdruck gefunden.
  6. Die Verkündigung des Wortes Gottes, seine Zuwendung zu allen Menschen, steht im Mittelpunkt kirchlichen Handelns. Die Kirche bezeugt Gottes Zuspruch und seinen Anspruch auf das ganze Leben. Ein Leben aus der Gnade Gottes nimmt die Angst, zu kurz zu kommen, und schenkt zugleich Mut und Zuversicht zum Handeln. Deshalb ist diese Verkündigung nicht nur auf den einzelnen in seiner unvertretbaren Freiheit, sondern ebenso auf die strukturellen - sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen - Bedingungen seiner Existenz gerichtet. Die Kirchen dürfen sich nicht in einer Nische der pluralistischen Gesellschaft mehr oder weniger bequem einrichten. Ihre Verkündigung muß sich auch darin bewähren, daß sie Ferment einer gerechten und solidarischen Gesellschaftsordnung wird.
  7. Die Verkündigung der Kirchen ist angewiesen auf eine sensible und nüchterne Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsbereitschaft. So leben z. B. Menschen, die unter Arbeitslosigkeit oder Armut leiden, oft auch mitten in der kirchlichen Gemeinschaft und doch an der Peripherie sozialer Wahrnehmung. Nur wenn die nicht unmittelbar Betroffenen eine entsprechende Wahrnehmungsbereitschaft entwickeln, setzt ein Prozeß des Verstehens ein. Wahrnehmungsbereitschaft und Wahrnehmungsfähigkeit setzen Einfühlungsvermögen voraus. Sie wachsen mit der Kenntnis von wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhängen, von ethischen Normen und Wertmaßstäben und vom christlichen Menschen- und Gesellschaftsbild. Die Predigt muß noch mehr die Lebenswirklichkeit der Menschen aufgreifen und im Lichte des Evangeliums und der an ihm orientierten christlichen Sozialethik deuten.
  8. Zu den in der Wirkung bedeutsamsten kirchlichen Handlungsmöglichkeiten gehören Bildung und Erziehung. Auch hier versuchen die Kirchen, Menschen zu einem wertbezogenen Handeln im persönlichen, sozialen und politischen Bereich zu befähigen. Dies geschieht in den Gemeinden und Verbänden, in der Erwachsenenbildung, in der Arbeit der kirchlichen Akademien und Sozialinstitute sowie in den vielfältigen Formen kirchlicher Präsenz im staatlichen Bildungsbereich. Mit ihren öffentlichen Stellungnahmen, Denkschriften und Diskussionsbeiträgen tragen die Kirchen zur ethischen Urteilsbildung und zur gesellschaftlichen Konsensbildung bei. Von besonderer Bedeutung sind der Religionsunterricht in der Schule, auch und vor allem in der berufsbildenden Schule, das kirchliche Bildungs- und Erziehungsangebot durch eigene Schulen, Internate und Kindergärten, aber auch die Präsenz der Kirchen an den Hochschulen und Universitäten. Hier ereignet sich die Vermittlung von Werten, die für das Zusammenleben der Gesellschaft grundlegend sind.
  9. Das kirchliche Leben hat im Gottesdienst sein Zentrum. Im Gottesdienst empfängt die Kirche Gottes Gabe und antwortet mit Gebet, Bekenntnis und Lob. Diese Antwort ist vor allem Dank. Wer aus dem Dank lebt, kann die ganze Wirklichkeit als verdankt verstehen und darum mit größerer Zuversicht an die Aufgaben herangehen, die sich dem wirtschaftlichen und sozialen Handeln stellen. Gesellschaftliches Handeln der Christen verliert an Kraft, wenn es nicht mehr an das Beten und Feiern zurückgebunden ist. Im Gottesdienst werden die Christen zum Weltdienst befreit und beauftragt. Wenn Christen Gottesdienst feiern, treten sie dem radikal Anderen und doch Nahen gegenüber, dem persönlichen Gott, der zum Dienst sendet.

6.3 Der Dienst der Kirchen für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit

  1. Die Kirchen sollen erfahrbar werden als
    • Orte der Orientierung, an denen aus dem christlichen Glauben heraus das Fragen nach Sinn und Ziel des menschlichen Lebens und des Lebens der Gesellschaft wachgehalten wird;
    • Orte der Wahrheit und der realistischen Sicht des Menschen, wo Ängste, Versagen und Schuld nicht vertuscht werden müssen, weil um Christi willen immer wieder Vergebung und Neuanfang geschehen;
    • Orte der Umkehr und Erneuerung, an denen Menschen sich verändern, auf ihre Mitmenschen und ihre Nöte aufmerksam werden und alte Verhaltensweisen ablegen;
    • Orte der Solidarität und Nächstenliebe, an denen untereinander und für andere die je eigene Verantwortung bejaht und praktiziert wird;
    • Orte der Freiheit, an denen erfahren werden kann, daß Freiheit und Bindung, Selbstentfaltung und Verbindlichkeit nicht Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bedingen und genau dieser wechselseitige Bezug für ein gelingendes Leben wichtig ist;
    • Orte der Hoffnung, an denen Perspektiven gesucht werden für eine sinnvolle Gestaltung gesellschaftlichen Zusammenlebens und an denen bei dieser Suche der Blick über das Heute hinaus geöffnet wird.
  2. Wenn der Konsultationsprozeß ein so großes Echo in der Öffentlichkeit und bei den gesellschaftlich relevanten Gruppen gefunden hat, dann nicht zuletzt deshalb, weil von vielen Seiten damit die Hoffnung verbunden wird, die Kirchen könnten mit dazu beitragen, daß überfällige Reformen in Wirtschaft und Gesellschaft in Gang kommen. Gesellschaft und Staat sind darauf angewiesen, daß an die ethischen Voraussetzungen einer freiheitlichen und sozialen Rechtsordnung erinnert wird und daß an dem Dialog zwischen den gesellschaftlichen Gruppen auch Kräfte teilnehmedie nicht partei- und interessengebunden sind. Im Rahmen einer solchen Mitverantwortung tun die Christen und die Kirchen ihren Dienst an der Gesellschaft für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit.