Kirche und Macht im Dialog: Strukturen reflektieren, Vertrauen stärken

Ehren- und Hauptamtliche diskutieren Schwerpunktthema der 6. Tagung der 13. Synode der EKD

Wie entsteht Macht in kirchlichen Strukturen – und wie kann sie verantwortungsvoll gestaltet werden? Diesen Fragen widmete sich der gemeinsame Themennachmittag der Union Evangelischer Kirchen in der EKD (UEK), der 13. Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) und der 13. Synode der EKD. Haupt- und Ehrenamtliche diskutierten über Impulse aus Wissenschaft und Theologie. Zu Wort kamen auch Betroffene sexualisierter Gewalt. Ein Panel mit internationalen Perspektiven weitete den Blick auf unterschiedliche kirchliche Erfahrungen im Umgang mit Macht. Moderiert wurde der Nachmittag von Prof. Dr. Lorenz Narku Laing von der Evangelischen Hochschule in Bochum.

Themennachmittag Kirche und Macht

Worum geht es?
Beim Themennachmittag „Kirche und Macht“ diskutierten Expert*innen aus Soziologie, Theologie und internationalen Kirchen, wie Macht in kirchlichen Strukturen entsteht, wirkt und verantwortungsvoll gelebt werden kann. Dabei ging es um organisationale, theologische und intersektionale Perspektiven – also auch um Fragen von Geschlecht, Herkunft und Teilhabe. 

Warum ist das Thema „Kirche und Macht“ wichtig?
Macht prägt kirchliches Handeln auf allen Ebenen – von Leitungsentscheidungen bis zu spirituellen Beziehungen. Wer über Macht spricht, kann Strukturen transparenter machen, Missbrauch vorbeugen und Wege zu mehr Teilhabe und Glaubwürdigkeit eröffnen.

Was sagen die Teilnehmenden?
Die Diskussionen zeigten, wie vielschichtig das Thema Macht in der Kirche ist – von Strukturen und Leitung bis zu persönlicher Verantwortung. Eindrücklich waren die Stimmen betroffener sexualisierter Gewalt zu Erfahrungen von Ohnmacht. Viele Teilnehmende fragten, wie eine machtsensible Kirche konkret aussehen kann. Deutlich wurde: Macht verpflichtet – zu Transparenz, Verantwortung und einem glaubwürdigen Umgang mit Menschen, die der Kirche ihr Vertrauen schenken.

Wie geht es jetzt weiter?
Die Impulse und Diskussionen des Themennachmittags fließen in die weiteren Beratungen der Synode ein und sollen Grundlage für konkrete Handlungsschritte werden. Ziel ist, Macht in der Kirche bewusster, gerechter und verantwortlicher zu gestalten – im Dialog zwischen Leitung, Gemeinden und Gliedkirchen.

Wie kann Macht verantwortungsvoll eingesetzt werden?

Macht wird dann zum Problem, wenn sie nicht als transparent, kontrollierbar und begrenzt erlebt wird. Über ihre unterschiedlichen Erfahrungen dazu tauschten sich die  Synodalen während des Themennachmittages in Dresden aus. Die Moderation übernahm Prof. Dr. Lorenz Narku Laing von der Evangelischen Hochschule in Bochum.

„Warum sollte sich die Kirche kritisch mit dem Thema Macht auseinandersetzen?“, fragte Prof. Dr. Kristin Merle zum Auftakt in die Runde der Haupt- und Ehrenamtlichen. Ihre Antwort:  „Weil wir eine Kirche sein wollen, der die Menschen vertrauen.“

Vertrauen entstehe aber nur dort, wo Macht bewusst und verantwortungsvoll eingesetzt werde, führte die Theologin von der Universität Hamburg weiter aus. „Macht ist kein Selbstzweck, sondern entscheidet darüber, wie glaubwürdig wir als Kirche wahrgenommen werden.“

Merle forderte, Macht nicht nur in offiziellen Strukturen und Ämtern zu betrachten, sondern auch in informellen Prozessen: in ungeschriebenen Regeln, Routinen und Machtmechanismen, die das kirchliche Leben prägen. Nur wer auch diese verdeckten Ebenen wahrnehme, könne die Dynamiken kirchlicher Macht wirklich verstehen und verändern.

Kristin Merle

„Kirche ist nicht um ihrer selbst willen da, sondern um den Menschen zu dienen, machtsensibel und aufrichtig.“

Prof. Dr. Kristin Merle Professorin für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Poimenik und Homiletik an der Universität Hamburg

Im Vortrag des Bielefelder Soziologen Prof. Dr. Stefan Kühl wurde deutlich, dass Macht in allen sozialen Beziehungen existiert – auch dort, wo sie auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, etwa bei Freundschafts- und Liebesbeziehungen. „Das ist das Gemeine bei der Macht – dass man sie nicht immer sofort erkennen kann“, so Kühl. Macht sei dennoch  ein notwendiger Mechanismus, um Konflikte zu lösen und gemeinsames Handeln zu ermöglichen.

Machtverhältnisse in der Kirche entstünden vor allem dort, wo Hierarchie und persönliche Nähe zusammenträfen. So gebe es zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitenden oder zwischen Seelsorger*innen und Ratsuchenden ein besonderes Risiko asymmetrischer Beziehungen.

Kühl kritisierte, dass die Kirche in der Vergangenheit nicht genau genug auf solche Graubereiche geschaut habe, in denen Macht und Nähe ineinandergreifen. Machtmissbrauch zeige sich nicht nur in eindeutigen Fällen sexualisierter Gewalt oder physischer Übergriffe. Auch subtile Formen – etwa finanzielle Abhängigkeiten, emotionale Ausnutzung oder persönliche Gefälligkeiten – gehörten in den Blick. Gerade diese „Grauzonen“ seien aus soziologischer Sicht besonders interessant, weil sie Machtverhältnisse sichtbar machen.

Prof. Stefan Kühl
Prof. Stefan Kühl

„Machtbeziehungen sind immer asymmetrisch, doch beide Seiten verfügen über Machtquellen. Auch vermeintlich ohnmächtige Personen haben Einflussmöglichkeiten – ihre Perspektiven muss die Kirche in den Blick nehmen.“

Prof. Dr. Stefan Kühl Professor für Organisationssoziologie an der Universität Bielefeld

Impuls von Prof. Dr. Stefan Kühl

Prof. Dr. Stefan Kühl erläuterte in seinem Vortag das Thema Macht aus organisationssoziologischer Sicht: Er zeigte auf, wie Macht in Kirche entsteht und welche Rolle Transparenz und professionelle Distanz spielen.

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Dr. Alena Höfer Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen verankerte ihren Blick auf Macht in der Realität einer superdiversen Gesellschaft, in der Menschen unterschiedliche Hintergründe, Lebensformen und Zugehörigkeiten mitbringen. Sie betonte: Machtfragen in der Kirche müssen nicht abstrakt oder theoretisch, sondern konkret und erfahrungsbezogen verhandelt werden. 

Ein zentrales Konzept ihres Vortrags war die Intersektionalität – also das Zusammenwirken mehrerer Diskriminierungsmerkmale (z. B. Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft, sexuelle Orientierung, Behinderung).
Menschen mit mehr Privilegien hätten automatisch mehr Handlungsspielräume. Gleichzeitig könnten Menschen Privilegien und Diskriminierung zugleich erleben – etwa, wenn eine schwarze Transfrau anders behandelt wird als eine weiße Transfrau. Diese Mehrdimensionalität müsse auch in der Kirche stärker reflektiert werden.

Eine glaubwürdige Kirche, so Höfer, müsse Macht teilen, Vielfalt fördern und zeigen, dass Machtkritik und Antidiskriminierung mehr sind als Lippenbekenntnisse.

Dr. Alena Höfer

„Der wichtigste Schritt hin zu einer machtsensiblen Kirche ist die Reflexion darüber, wer noch nicht mit am Tisch der Entscheider sitzt.“

Dr. Alena Höfer Referentin für Frauenpolitik und intersektionalen Feminismus am Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen

Impuls von Dr. Alena Höfer

Die Theologin Dr. Alena Höfer stellte heraus, warum Macht immer auch Verantwortung bedeutet und wie intersektionale Perspektiven helfen, Privilegien zu erkennen und Teilhabe zu fördern. Ihr Appell: Machtkritik darf kein Trend sein, sondern muss zum Kern kirchlichen Handelns gehören.

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Dr. Georg Kalinna von der Universität Hildesheim erläuterte, dass Macht in der Theologie eng mit dem Göttlichen zusammenhänge. Eine neutrale Betrachtung von Macht sei daher kaum möglich: Sie sei  immer bewertend und normativ. Aus der Dialektik von Macht und Ohnmacht im Christentum folge das Bestreben, ein Ideal von „guter Macht“ zu entwickeln.

Doch darin liege auch eine Gefahr: Wenn Ohnmacht nur als Etappe auf dem Weg zur Stärke verstanden werde, bestehe das Risiko, Ohnmachtserfahrungen zu verharmlosen oder religiös zu verklären.

Dr. Georg Kalinna
Dr. Georg Kalinna

„In der Theologie steht ein positiver Machtbegriff im Mittelpunkt – der Glaube zielt auf des Mächtigwerden des Ohnmächtigen ab. Das birgt die Gefahr, dass Ohnmachtserfahrungen bagatellisiert werden.“

Dr. Georg Kalinna Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Universität Hildesheim

Impuls von Dr. Georg Kalinna

Dr. Georg Kalinna zeigte, dass sich aus der christlichen Dialektik von Macht und Ohnmacht kein neutraler, sondern ein normativer Machtbegriff ergibt: Macht als schöpferische, dienende und positiv umgedeutete Kraft. Doch dieser positive Machtbegriff berge Risiken und dürfe nicht dazu führen, reale Machtverhältnisse zu vernebeln.

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Betroffene schildern Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt

Mit großer Eindringlichkeit schilderten zwei Betroffene, wie tiefgreifend sexualisierte Gewalt in kirchlichen Kontexten ihr Leben geprägt hat. 

Beide machten deutlich: Sexualisierte Gewalt hinterlässt Spuren, die ein Leben lang nachwirken. Die Betroffenen riefen die Kirche dazu auf, hinzusehen statt wegzuschauen, Opfern zu glauben und Schuld nicht zu relativieren.
Es brauche Mut, Begegnung und Engagement – damit Kirche ein Raum werde, in dem Gewalt nicht verschwiegen, sondern verhindert wird. Einer der Betroffenen schloss mit einem Appell: „Seien Sie mutig. Begegnen Sie Betroffenen. Tun Sie alles, damit so etwas nie wieder geschieht.“

Panel
V.l.: Dr. Leita Ngoy, Paulina Hlawiczka-Trotman, Rita Famos und Astrid Kleist

Internationale Perspektiven auf Kirche und Macht

Moderatorin Astrid Kleist eröffnete das Panel mit dem Hinweis, dass über Jahrhunderte Frauen von kirchlichen Leitungsämtern ausgeschlossen waren – und dass allein die Zusammensetzung dieses Podiums zeigt, wie sehr sich die Kirche verändert hat: Frauen gestalten heute Macht in der Kirche aktiv mit.

Die Schweizer Kirchenpräsidentin Rita Famos, seit 2021 erste Frau an der Spitze der Evangelisch-reformierten Kirche der Schweiz, beschrieb Macht als etwas zutiefst theologisch Verankertes.
In der reformierten Tradition sei Macht „bei den Argumenten zu verorten“ – sie liege nicht in Ämtern oder Symbolen, sondern im gemeinsamen Ringen um Wahrheit.

Bischöfin Paulina Hlawiczka-Trotman brachte die Perspektive der Lutheran Church in Great Britain ein – einer kleinen, aber international geprägten Kirche, in der viele Mitglieder aus Migrationskontexten stammen.
Sie beschrieb die lutherische Kirche in Großbritannien als „klein, arm, aber frei“: Minderheitenstatus bedeute nicht Machtlosigkeit, sondern eröffne neue Freiheitsräume.

Dr. Leita Ngoy, Pastorin in der Evangelischen Kirche von Westfalen mit Wurzeln in Tansania und dem Kongo, sprach über Macht aus der Perspektive einer afrikanischen Theologin und Migrantin.
Sie betonte, dass wahre Macht nicht in Kontrolle, sondern im Mut zur Wahrheit liege: „Die echte Macht der Kirche ist die prophetische Stimme – die Kraft, Liebe und Wahrheit auszusprechen.“ In afrikanischen Kirchen, so Ngoy, sei diese prophetische Macht spürbar lebendig; in Deutschland hingegen drohe sie, durch institutionelle Strukturen stillgelegt zu werden.