Pink und glitzernd: Den eigenen Sarg bauen

Hannover (epd). Mimi Hartig baut gerade ihren eigenen Sarg. Sie beugt sich mit einem Zollstock über eine große Platte aus nordischer Fichte und misst damit die Länge eines Seitenstücks aus. Hinter Hartig bummeln Menschen durch Hannovers Fußgängerzone im Stadtzentrum, gut sichtbar durch die große Fensterfront des Workshopraums. Draußen zieht das alltägliche Leben vorbei, drinnen nimmt sein Ende gerade Form an. Hartig hat von einer Freundin erfahren, dass der evangelisch-lutherische Kirchenkreis mit dem Tischler Mikel Hogan den Sargbauworkshop anbietet. „Ich dachte mir, hey, das ist ja toll“, sagt die Sozialarbeiterin aus Berlin.

Erst Möbelstück, dann Sarg

Erst sägen Hogan und Hartig alle langen Teile des späteren Sargs zurecht. Dann schraubt Hartig mit einem Akkuschrauber kleine Leisten an einem Seitenstück fest. Damit ihr Sarg schon jetzt einen Platz bekommt, muss sie sich nicht auch noch ihr eigenes Grab schaufeln. Stattdessen soll jeder bei dem Workshop gezimmerte Sarg zu Lebzeiten der Teilnehmenden als Möbelstück dienen - zum Beispiel als Schrank, Garderobe oder Truhe.

Mimi Hartig möchte sich die hölzerne Erinnerung an ihre Endlichkeit als Bücherregal in die Wohnung stellen. Die Wände möchte sie mit pinker Farbe und Glitzer verzieren. Darauf sollen sich ihre künstlerisch begabten Freundinnen und Freunde verewigen. „Ich rechne damit, dass ich noch 50 Jahre habe. Das soll ein Gesamtkunstwerk sein, das mitwächst und sich verändert“, sagt die 37-Jährige.

Probeliegen

Laut einer YouGov-Umfrage aus dem Mai dieses Jahres haben sich rund sechs von zehn Deutschen nicht genug oder noch gar nicht mit der eigenen Bestattung beschäftigt - von den über 55-Jährigen sagen lediglich 15 Prozent, sie hätten alles dafür geregelt. „Wir reden über alles“, sagt Hannovers Stadtsuperintendent Rainer Müller-Brandes: „Nur nicht über den Tod.“ Das wolle die Kirche mit Angeboten wie dem Workshop ändern. Pastorin Claudia Maier, die das Projekt organisiert hat, sagt: „Mir gefällt, dass die Freude, Liebe und Gemeinschaft aus dem Workshop mit in das Möbelstück gehen und etwas ganz Persönliches daraus wird.“

Mimi Hartig und Mikel Hogan heben einen Teil von Hartigs Sarg an. „Hoppa“, ruft Hartig, dann drehen sie ihn auf die Seite. Ein Seitenstück ist schon mit dem Boden verschraubt, Hartig soll jetzt das zweite anbringen. „Ich habe keine Angst vorm Tod“, sagt sie, „aber vorm Sterben.“ Um die richtigen Maße für den Sarg zu ermitteln, musste sie am Tag vorher schon Probe liegen. „Ich dachte, das wird ein bisschen creepy. Aber eigentlich war es ganz schön“, sagt sie: „Fast wie eine Umarmung oder Camping. Und es riecht voll gut nach Holz.“

Mimi Hartig will Tod nicht über sich ergehen lassen

Hartig hat sich auch mit ihrem Umfeld über den Workshop ausgetauscht. „Mein Vater hat mir geschrieben, ob ich jetzt ein Grufti geworden bin“, sagt sie. Viele ihrer Freunde könnten sich dagegen auch vorstellen, den eigenen Sarg zu bauen. „Das Bauen fühlt sich gut an“, sagt Hartig. Der Workshop gebe ihr das Gefühl, sich dem eigenen Tod stellen zu können, nicht mehr ausgeliefert zu sein.

Als Menschen in ihrem nahen Umfeld starben, beschloss Hartig, sich positiv mit dem Tod zu beschäftigen. Sie wolle Angehörigen die Last vieler Entscheidungen nehmen und den Tod nicht über sich ergehen lassen. Dazu gehört für sie auch, ihren Humor im Sarg zu zeigen: „Ich überlege noch, ob ich mir in den Deckel Radieschen stelle, damit ich die Radieschen wirklich von unten angucken kann.“