Zu Gast: Annette Kurschus

‚Ein Gast. Eine Stunde‘ beim sonntäglichen Bühnentalk mit Norbert Lammert

Annette Kurschus

Annette Kurschus, Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen

Bochum. Es ist ein besonderes Talk-Format im Schauspielhaus Bochum, wenn Norbert Lammert zu ‚Ein Gast. Eine Stunde‘ einlädt. Sonntagsvormittags bietet das Theater dann die Bühne zum Gespräch, zu dem der ehemalige Bundestagspräsident interessante Persönlichkeiten aus Kultur, Wirtschaft und Politik bittet. Prominente wie Wolf Biermann, Igor Levit oder Ex-Ministerpräsident Wolfgang Clement waren schon zu Gast, auch das Bochumer Fußball-Urgestein Hermann Gerland stand auf der Talk-Bühne Rede und Antwort. Jetzt hatte Norbert Lammert die Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Annette Kurschus eingeladen.

Eine Stunde lang standen Person und Persönlichkeit, Werdegang und Selbstverständnis, vor allem aber auch Haltung und Einschätzungen der westfälischen Theologin im Mittelpunkt des Interesses. Sensibel und kenntnisreich widmete sich der Gastgeber seinem Gast, forschte nach Glaubensinhalten und Beweggründen, die Annette Kurschus in ihren Aufgaben treiben und begleiten, und öffnete die Bühne zum offenen, tiefgründigen Gespräch.

Dabei riss der Gastgeber auch zahlreiche Themen von gesellschaftlicher Brisanz an. Unvermeidlich die Diskussion um die differenzierte Haltung der Ratsvorsitzenden zu Fragestellungen rund um den Krieg in der Ukraine. Die Präses forderte erneut, den Fokus der Diskussion zu verändern. Es gelte, nicht primär über Waffen zu sprechen, sondern vielmehr über die Menschen, die von dem Krieg betroffen seien.

Die Situation der Kirchen angesichts rückläufiger Mitgliedszahlen war ein weiteres Thema des Vormittags, mögliche Ursachen und Erklärungsansätze, aber auch Unterschiede bei der Betrachtung von evangelischer und katholischer Kirche. Besonders schmerzlich nannte Annette Kurschus die Erkenntnis, dass, Untersuchungen zufolge, die Kirchen von vielen Menschen nicht mehr als glaubwürdig wahrgenommen würden.

Auch die Frage nach der Entwicklung der Ökumene, des Miteinanders beider großer christlicher Kirchen kam kritisch zur Sprache. Annette Kurschus machte keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung darüber, dass der Prozess der Ökumene an der einen oder anderen Stelle Behinderungen erfahre, nachdem doch im Vorfeld des Reformationsjubiläums vielerorts eine deutliche Annäherung postuliert und auch beobachtet worden war. So gebe es nach wie vor unterschiedliche Sichtweisen über eine mögliche gemeinsame Feier des Abendmahls. Aber auch Differenzen bei der Betrachtung des Umgangs mit dem Problem sexualisierter Gewalt würden gelegentlich deutlich, dessen strukturelle Ursachen im Übrigen in den beiden Kirchen unterschiedlich seien.

Auf die Frage, ob – wie von manchen Gruppen gefordert – der Gottesbegriff gegendert werden müsse, antwortete die westfälische Präses sehr persönlich. In Ihrem eigenen Glauben verspüre sie kein Bedürfnis, zwischen einer männlichen oder weiblichen Vorstellung von Gott zu unterscheiden, so Kurschus. Auf frühere Zitate angesprochen, bekannte sich die Theologin offen zu eigenen Glaubenszweifeln. Manchmal sei es auch für sie nicht leicht zu glauben, sagte Annette Kurschus. Angesichts von Not, Krieg und Katastrophen drohe gelegentlich die Verzweiflung an der Frage nach Gott. Und dennoch könne es gelingen, an der Verheißung der Rettung festzuhalten.

Eine Stunde Sonntags-Talk im gut besuchten Bochumer Schauspielhaus war für die interessierten Besucherinnen und Besucher prall gefüllt mit persönlichen Aspekten und Aussagen zu aktuellen Themen. Das Auditorium nutzte die Gelegenheit, die westfälische Präses und Ratsvorsitzende ein wenig näher kennenzulernen und dankte das am Ende des Gesprächs mit anhaltendem Beifall.