Gottes Gabe und persönliche Verantwortung

Zusammenleben in Ehe und Familie

II. Ehe

1. Historische und soziologische Entwicklungen

1.1 Rechtsgeschichte(2)

In der Diskussion um die Bedeutung der Ehe als rechtlich geordneter Lebensgemeinschaft, die verschieden gesehen wird, z.B. "Ehe als Institution", "Keimzelle des Staates" und "Grundpfeiler der gesellschaftlichen Ordnung", wird immer wieder auf die christlich-abendländische Tradition und insbesondere die protestantischen Ehelehren verwiesen. Dabei wird nicht bedacht, daß sowohl das Modell der bürgerlichen Kleinfamilie als auch die spezifische Rechtsform der Ehe als Vertrag und zugleich staatlich geschützte Institution erst ein Produkt des 19. Jahrhunderts sind.

Die neuzeitlichen Naturrechts- und Staatslehren (z.B. John Locke, 1690) waren noch explizit davon ausgegangen, daß der die staatliche Souveränität begründende Gesellschaftsvertrag nur unter mündigen und selbständigen Personen männlichen Geschlechts, die "Eigentümer ihrer Fähigkeiten" oder "frei vom Willen anderer" sind, geschlossen sei. Für die Einbeziehung der Frauen und ihre Unterordnung unter diesen Vertrag war daher ausdrücklich ein anderer Vertrag vorgesehen, der auf freiwilliger "Unterwerfung" beruhende private Ehevertrag. Obwohl dieser Ehevertrag sich als eine "gleiche Gesellschaft" verstand, rechtfertigte er doch gleichzeitig die Unterwerfung der Frau. (3)

Im aufgeklärten Absolutismus hatte das Preußische Allgemeine Landrecht noch eine Art Zwischenstellung zwischen ständischer Ordnung und bürgerlicher Rechtsordnung entwickelt. Es enthielt eine Liberalisierung der Scheidung und selbst für die heutige Zeit erstaunlich frauenfreundliche Regelungen für die nichteheliche Mutter und ihre Kinder. (4)

Die Postulate der Französischen Revolution eröffneten die Denkmöglichkeit der prinzipiellen Gleichheit auch der Frauen. Jedoch führten die revolutionären "Auswüchse", insbesondere in der Liberalisierung des Familienrechts, (5) zu restriktiven Reaktionen, die ihren Niederschlag im streng patriarchalischen Familienrecht des Code Civil 1804 fanden.

Wegweisend und grundlegend für die moderne bürgerliche Eherechtslehre in Deutschland, die der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch bis in die 60er Jahre dieses Jahrhunderts als Interpretationsrahmen galt, wurden Fichtes "Deduktionen über die Ehe" in seinen "Grundlagen des Naturrechts" (1796). Einflußreich wurde Fichte vor allem deshalb, weil es ihm gelang, die Widersprüche des neuen bürgerlichen Zeitalters im Hinblick auf das Geschlechterverhältnis deutlich zum Ausdruck zu bringen. Die besondere, spezifisch bürgerliche Pointe lag darin, daß die Unterwerfung der Frau in der Ehe in diesem Verständnis durchaus mit ehelicher Liebe vereinbar war. (6)

Die juristische Umsetzung und damit die Verfestigung dieser bürgerlich-patriarchalischen Konzeption der Ehe zur 'Institution'(7) als einer "natürlichen" oder "objektiv sittlichen Ordnung", die nicht mehr der vertraglichen Disposition der Ehepartner unterliegt, erfolgte zunächst in Preußen. In einer Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche setzte der Gesetzgebungsminister v. Savigny gemeinsam mit einflußreichen konservativ-protestantischen Kreisen gegen den Protest einer sich liberalisierenden Öffentlichkeit eine rückwärts gewandte Eherechtsreform durch. Damit wurde in der juristischen Praxis und in der Rechtslehre eine Wende vollzogen, die zusammen mit der gravierenden Revision der Rechte unverheirateter Mütter im Jahre 1854 die Weichenstellung für ein unter dem Vorzeichen bürgerlicher Freiheit und Gleichheit neu befestigtes patriarchalisches Eherecht auch im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) bedeutete.

Die institutionelle Ehelehre diente - unter Geltung des am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen BGB - vor allen Dingen zur Begründung für die Unauflösbarkeit der Ehe, also zur Einschränkung der Scheidungsfreiheit. Aber sie beinhaltete auch in der spezifisch historischen Ausprägung bürgerlichen Rechts eine bestimmte Eheordnung, die auf einer ökonomisch und ideologisch fundierten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und auf selbstverständlichen Annahmen über den Zweck der Ehe beruhte. Da nach geltenden moralischen Wertvorstellungen nur die Ehe einen legitimen Rahmen für Sexualität und die Fortpflanzung der Gattung bot (bekundet durch die Strafbarkeit des Ehebruchs oder die Benachteiligung der nichtehelichen Kinder), war die Ehe notwendig die Voraussetzung für die Familiengründung. Sie war insofern "Vorform der Familie" und hatte an Schutz und institutioneller Absicherung der Familie teil.

Die 1949 im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung von Frauen und Männern wurde in dem in den 50er Jahren vertretenen institutionellen Ehemodell nicht umgesetzt. Rechtlich war in der Ehe damals Gleichberechtigung nicht gegeben. So hatte der Ehemann noch bis 1953 das Recht, gegen den Willen der Frau ihr Arbeitsverhältnis zu kündigen, wenn auch nur mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichts. Selbst das auf Druck des Bundesverfassungsgerichts 1957 verabschiedete Gleichberechtigungsgesetz blieb in einem wesentlichen Bereich unvollkommen: Bei fehlender Einigung der Ehepartner in wichtigen Erziehungsfragen sollte dem Mann als dem "natürlichen Haupt der Familie" die letzte Entscheidung zustehen ("Stichentscheid"). Das Bundesverfassungsgericht hat 1959 dieses patriarchalische Relikt beseitigt.

Das Bundesverfassungsgericht betont in wichtigen Entscheidungen neben der institutionellen Garantie nun den "starken personalen Bezug" und "die Anerkennung des Freiraums zur privaten Lebensgestaltung" (BVerfG 21,353). Diese "objektive Wertentscheidung" für die Gleichberechtigung der Geschlechter stellt eine Herausforderung für die Gesellschaft dar. Sie wird die Annahme angeblich natürlicher oder durch das "Sittengesetz vorgegebener" Ordnungsvorstellungen der bürgerlichen Ehe grundlegend modifizieren müssen. Bisher ist im Alltagshandeln, in der Praxis und im allgemeinen Bewußtsein die traditionelle "Ordnung" von Ehe und Familie, die für Frauen nicht nur Schutz und Versorgung, sondern grundsätzlich auch Unterordnung, Ungleichheit, Bevormundung und nicht zuletzt private Gewalt bedeuten kann, keineswegs überwunden. Vielmehr erfahren Frauen, ob sie in der Ehe, als Alleinstehende, Geschiedene, Alleinerziehende oder Partnerinnen in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben, diese "Ordnung" nicht selten als alltägliche Zumutung, als Vorurteil und als soziale Benachteiligung.

Es wäre freilich ein Mißverständnis, solche Kritik an einem traditionellen Ehemodell als Kritik an Ehe und Familie überhaupt zu interpretieren. Vielmehr geht es um ein christliches Eheverständnis, das von der Anerkennung der Würde des Mannes wie der Frau und seiner und ihrer Gottesebenbildlichkeit ausgeht und Frauen wie Männer zu gegenseitiger Liebe und Verantwortung befähigt. Dennoch wird dieses Mißverständnis von den Gegnern der Frauenemanzipation immer wieder verbreitet.

1.2 Frauenbewegung und sozialer Wandel

Das 19. Jahrhundert war dadurch gekennzeichnet, daß das Jahrhunderte alte Rechtsinstitut der Geschlechtsvormundschaft, das alle Frauen unter eine männliche Vormundschaft stellte, durch verschiedene Einzelgesetze oder auch rechtspraktisch ausdrücklich aufgehoben wurde. Einerseits erlangten damit unverheiratete Frauen zunehmend gleiche rechtliche Handlungsfähigkeit wie Männer, andererseits wurde als Antwort auf die Emanzipationsbewegungen der Frauen die "eheherrliche Vormundschaft" mit größerem Nachdruck als zuvor propagiert. Die Frauenbewegung, die sich 1865 wieder organisiert hatte, nahm die seit 1871 geplante Schaffung eines reichseinheitlichen Bürgerlichen Gesetzbuches zum Anlaß, sich mit einer Vielzahl von Petitionen, Massendemonstrationen und Denkschriften in den Gesetzgebungsprozeß einzumischen, um für eine würdige und gleichberechtigte Stellung der Frau in der Familie zu streiten. Die ganz ungewöhnliche Mobilisierung der Frauen um die Jahrhundertwende erzielte zwar öffentliche Aufmerksamkeit, hatte aber keinen Erfolg.

Der Durchbruch in der Reform des Ehe- und Familienrechts zu mehr Gleichberechtigung gelang erst nach 1949 auf der Basis des Artikels 3 Absatz II Grundgesetz und der Übergangsbestimmung des Artikels 117 Grundgesetz.

Die Positionen, die die bürgerlich gemäßigte Richtung der Frauenbewegung bereits in den 20er Jahren vertreten hatte, wurden erst mit der Reform des Familienrechts erreicht. Eine tatsächliche Gleichberechtigung im Eherecht erfolgte dann erst im Rahmen der Familienrechtsreform 1977.

In der DDR gab es gegenüber der Entwicklung in der alten Bundesrepublik gesetzlich eine völlig andere Entwicklung, die formal mehr Gleichberechtigung garantierte. Trotzdem blieb eine Diskrepanz zwischen der formal-gesetzlichen und der tatsächlichen Situation in den Familien.

Der Einfluß der Frauenbewegung der 70er Jahre auf die sozialen Beziehungen und das Geschlechterverhältnis steht außer Frage. Mit der neuen Frauenbewegung wurden nicht nur geschlechtsspezifische Erfahrungen, Unrechtserfahrungen und unterschiedliche Orientierungen zur Sprache gebracht, sondern auch selbstverständliche Verhaltensweisen in Frage gestellt. Ohne Zweifel sind damit Verhaltensunsicherheiten und Konflikte entstanden, die nicht mehr in herkömmlicher Weise zu lösen sind. Verhaltensänderungen und neue Verständigungsmöglichkeiten sind im Bereich von Ehe und Familie, aber auch in neuen Lebensformen nötig. Es bedarf neuer Antworten und einer anderen gesellschaftlichen Praxis - nicht zuletzt von seiten der männlichen Partner.

1.3 Soziologische Entwicklungen

Einige soziologische Befunde über die neuen Lebensformen sind gerade aus der Geschlechterperspektive bemerkenswert, ohne die Empirie der gegenwärtigen Familienverhältnisse und die zunehmende Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften zum Maßstab der Bewertung zu machen. Bei allen Untersuchungen wird unterschieden zwischen den nichtehelichen Lebensgemeinschaften vorwiegend jüngerer Paare gegenüber solchen älterer Paare. Viele jüngere verstehen ihr Zusammenleben als Vorphase zur Ehe, als "moderne Variante" des Verlöbnisses bzw. als eine Art Probeehe. Die Eheschließung wird in diesen Fällen in der Regel durch den Kinderwunsch oder die Geburt eines Kindes motiviert. Nur weniger als ein Drittel der nicht verheirateten Lebensgemeinschaften - und hierbei handelt es sich mehrheitlich um Personen höheren Alters - lehnen die Eheschließung ab und betrachten die nichteheliche Lebensgemeinschaft als Alternative zur Ehe.

Erst seit in den industrialisierten Ländern die formalrechtliche Gleichstellung von Frauen weitgehend erreicht ist und seit Frauen Zugang zu Bildung, Ausbildung und Studium haben, können sie versuchen, einen eigenen Lebensentwurf umzusetzen. Die Entscheidung für eine Ehe wird deshalb heute seltener aus ökonomischen Zwängen im Blick auf eine Versorgungsehe getroffen. Frauen haben zum überwiegenden Teil eine Berufsausbildung; sofern sie eigenes Erwerbseinkommen haben, sind sie in ihrer Lebensplanung unabhängiger als die Frauengenerationen vor ihnen. Für Frauen im Osten Deutschlands gilt dies aufgrund ihrer ehemals hohen Erwerbsbeteiligung von über 90% noch ausgeprägter. Inzwischen verlieren die "Hausfrauenehe" und das "Drei-Phasen-Modell" (Ausbildung/Erwerbstätigkeit - Familienphase - Wiedereinstieg in den Beruf) an Bedeutung. Jedoch zwingt mittlerweile die verfestigte Massenarbeitslosigkeit in ganz Deutschland Frauen möglicherweise solche Lebensmodelle ungewollt wieder auf.

Empirische Untersuchungen belegen, daß das Lebenskonzept von Mädchen und jungen Frauen heute in hohem Maße beides beinhaltet: Beruf und Familie (wiederum im Osten eindeutiger als im Westen). Die Entscheidung für Kinder bringt traditionellerweise das Problem der Vereinbarkeit von Beruf und Familie für die Frau, vereinzelt auch für Männer, mit sich. Diese Vereinbarkeit scheint zunächst das direkte, lebenspraktische Problem der Betroffenen zu sein, ist aber tatsächlich ein Kernproblem politischer Ordnung und gesellschaftlicher Solidarität. Beispiele dafür sind der Familienlastenausgleich, die Alterssicherung von "Familienfrauen", flexible Arbeitszeitregelungen, öffentliche Kinderbetreuung oder Wiedereinstieg in das Erwerbsleben nach einer Familienphase.

Das Lebenskonzept der Männer beinhaltet zunehmend ebenfalls beides: Beruf und Familie. Allerdings sind Männer überwiegend auf eine lebenslange, nicht unterbrochene Vollzeit-Erwerbstätigkeit eingestellt. Anders als Frauen leben sie weniger in der gespaltenen Loyalität zwischen Beruf und Familie; das Vereinbarkeitsproblem stellt sich bei ihnen weniger. Veränderungen zeichnen sich erst in der jüngeren Generation ab - Männer müssen sich von bestimmten traditionellen Vorstellungen von der Ehe verabschieden, etwa von der Auffassung, sie seien allein zuständig für die Sicherung des Lebensunterhalts der Familie und die Frauen zuallererst für die häusliche Versorgung des Mannes und der Kinder.

Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen und Einstellungen sowie die nachlassende Prägung durch tradierte Rollenmuster und Rollenerwartungen von Frauen und Männern schaffen einen neuen Freiraum an Gestaltungsmöglichkeiten und -aufgaben. Sie schaffen aber auch Verunsicherung. Die entscheidende Frage wird sein, ob Männer lernen, mit der Selbständigkeit der Frauen umzugehen und die Umverteilung der Aufgaben als Gewinn an Freiheit und Lebensmöglichkeiten für beide zu sehen. Die gewonnene Freiheit verlangt eine kontinuierliche Verständigung des Paares darüber, wie eine dauerhafte Lebensgemeinschaft bei bejahter Selbständigkeit beider zu gestalten ist, einschließlich der Entscheidung, ob und wann der Wunsch nach Kindern erfüllt wird.

Diese veränderte Ausgangslage ist konfliktreicher und unbequemer als in den Verhältnissen, in denen einer "das Sagen" hatte. Sie nötigt immer wieder zu Kompromissen und zu Aufrichtigkeit sich selbst und der/dem anderen gegenüber. Auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaften sind "störanfälliger" geworden. Die Erfahrung, wie "zerbrechlich" sie sein können, kann aber auch ein Bewußtsein dafür wecken, wie kostbar und pflegebedürftig sie sind. Gelingt es dem Paar, immer wieder einen Grundkonsens herzustellen, so gewinnen beide: Die Gemeinschaft kann mit mehr Lust und Lebensbejahung gelebt werden.

Was viele Paare als individuelle Herausforderung erleben, hat gleichwohl auch strukturelle Gründe; es kann mitunter entlastend sein, diese zu erkennen. Dazu zählen deutlich veränderte Lebenszyklen und die gestiegene Lebenserwartung. Noch um die Jahrhundertwende waren Familienphase mit versorgungsbedürftigen Kindern und Ehe- bzw. Lebenszeit weitgehend identisch. Frauen bekamen bis zur Menopause Kinder. Wenn das jüngste Kind erwachsen wurde, war das Paar - gemessen an der damaligen Lebenserwartung - alt und hatte in der Regel nur eine kurze nachfamiliale Ehephase. Gegenwärtig beginnt die Familienphase später und konzentriert sich auf einen kürzeren Zeitabschnitt. Nach dem Erwachsenwerden des jüngsten Kindes haben Paare nicht selten noch ein Drittel ihrer Lebenszeit in Zweisamkeit vor sich, die zu gestalten eine neue partnerschaftliche Aufgabe bedeutet. Manche scheitern daran, was an den steigenden Scheidungszahlen der Ehen von relativ langer Dauer abzulesen ist.

2. Ehe im geltenden Recht

Das Eherecht begründet einen gesetzlichen, also allgemein geregelten Interessenausgleich. Mit der Heirat erkennen die Eheleute die darin festgelegten Rechte und Pflichten an. Das enthebt sie zugleich des meist mühsamen Prozesses einer individuellen Aushandlung grundlegender Rechte und Pflichten. Rechtlich betrachtet kann die Ehe als ein Modell für einen fairen Interessenausgleich durch Institutionalisierung bezeichnet werden, als ein Angebot von Möglichkeiten, nicht von Zwängen.

Die Entscheidung für oder gegen eine Heirat treffen Paare sicherlich nur ausnahmsweise in Abwägung rechtlicher Detailfragen. Gleichwohl geht es bei dieser Entscheidung auch darum, ob mit der Ehe verbundene Rechtsfolgen herbeigeführt oder vermieden werden sollen.

Die Ehe im geltenden Recht hat ihre aktuelle rechtliche Ausgestaltung durch das Erste Eherechtsreformgesetz vom 14.6.1976 erhalten, das am 1.7.1977 in Kraft trat. Sie ist damit auch ein Produkt der großen gesellschaftspolitischen Umwälzungen jener Epoche, die ihren Niederschlag in zahlreichen Reformgesetzen fanden.

Das geltende Eherecht hat das Modell der patriarchalisch gelebten Ehe, ebenso wie das der klassischen Hausfrauenehe beendet. Es wird den Eheleuten allein überlassen, wie sie ihre Ehe führen wollen. In voller Gleichberechtigung entscheiden sie eigenverantwortlich ohne Einmischung des Staates, wie die Funktionen in ihrer ehelichen Gemeinschaft verteilt sein sollen. Außer dem Gleichheitssatz ist die einzige Vorgabe des Staates, daß die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau auf Lebenszeit geschlossen wird und die Ehegatten einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet sind. Dies bedeutet aber nicht, daß man stets auch zusammenwohnen muß, denn die Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft unterliegt der Entscheidungsfreiheit der Partner. Zwar hält es der Gesetzgeber für wünschenswert, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft äußerlich Ausdruck findet durch einen gemeinsamen Ehenamen, verpflichtet aber die Ehepartner nicht dazu. Er läßt ihnen die Möglichkeit, auch nach der Heirat jeweils den Geburtsnamen weiterzuführen.

Beide Ehepartner haben das Recht, erwerbstätig zu sein, wobei das Gesetz jedem und jeder von ihnen aufgibt, bei der Wahl und Ausübung der Erwerbstätigkeit auf den anderen/die andere und gegebenenfalls die Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen. Dem entspricht es, daß der Gesetzgeber die Haushaltsführung keinem der Partner von Gesetzes wegen auferlegt, sondern den Eheleuten die Regelung zuweist.

Gleichen Rechten entsprechen gleiche Pflichten; das gilt auch für den Familienunterhalt, zu dem beide Partner durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen ihren angemessenen Beitrag zu leisten haben. Der Gleichwertigkeit von Erwerbs- und Hausarbeit trägt das Gesetz dadurch Rechnung, daß durch die alleinige Haushaltsführung der Frau (oder des Mannes) die Unterhaltsverpflichtung in der Regel voll erfüllt ist.

Beide Elternteile haben gleichermaßen das Recht und die Pflicht, für ihre Kinder zu sorgen, sie zu betreuen und zu erziehen und im Rechtsverkehr gesetzlich zu vertreten. Einen bestimmten Erziehungsstil schreibt das Gesetz nicht verbindlich vor, doch macht es deutlich, daß eine partnerschaftliche Erziehung unter Einbezug des Kindes als Partner seinem zunehmenden Entwicklungsstand entsprechend wünschenswert ist.

Unter bestimmten Voraussetzungen begründet die Ehe zwischen den Eheleuten Rechtsansprüche (und die ihnen entsprechenden rechtlichen Verpflichtungen). Das Gesetz will wirtschaftliches Ungleichgewicht der Ehegatten ausgleichen, damit in der Ehe keinen sozialen Abstieg erleidet, wer auf Kosten des beruflichen Fortkommens unentgeltliche Leistungen erbracht hat (wie noch zumeist die Frau durch Haushaltsführung sowie Betreuung und Erziehung von Kindern). Ehebedingte Nachteile werden durch Unterhalt kompensiert. Im Falle der Scheidung findet zwischen Eheleuten ein sogenannter Versorgungsausgleich statt, bei dem die Anwartschaften auf Altersversorgung aufgeteilt werden. Das Gesetz trifft auch Vorkehrungen für einen Ausgleich, wenn ein Ehegatte in der Ehe mehr Vermögen erwirbt als der andere (sog. Zugewinnausgleich). Schließlich besteht zwischen Ehegatten ein gesetzliches Erbrecht und ein Pflichtteilsrecht.

Demgegenüber läßt unverheiratetes Zusammenleben zwischen den Partnern keinerlei Rechte und Rechtspflichten von Gesetzes wegen entstehen.

Ehegatten können die für sie geltenden gesetzlichen Regelungen jederzeit (auch schon vor der Ehe) durch Vertrag weitgehend ihren individuellen Bedürfnissen anpassen. Eine Reihe gesetzlicher Regelungen gilt zwingend nur für Verheiratete (etwa im Bereich der sozial- oder beamtenrechtlichen Hinterbliebenenversorgung oder im Steuerrecht). Paare, die nicht verheiratet sind und auch nicht heiraten wollen, können jedoch durch Vertrag Regelungen von der Art treffen, wie das Gesetz sie für Eheleute vorsieht. Beispielsweise können sie Unterhaltspflichten begründen, sich durch Erbvertrag (d.h. bindend) zu Erben einsetzen, ihre vermögensrechtlichen Beziehungen ordnen oder sich gegenseitig durch Vollmachten eine Art Schlüsselgewalt verschaffen. Von solchen Möglichkeiten wird bisher kaum Gebrauch gemacht, was in der Regel zu Lasten der wirtschaftlich schwächeren Person geht.

Die Frage, ob im Hinblick auf die Rechtsfolgen die Ehe oder die nichteheliche Lebensgemeinschaft vorteilhafter ist, kann nach alledem nur gesondert für jeden der beiden Partner beantwortet werden. Für den schwächeren Teil, der von einem Ausgleich des wirtschaftlichen Ungleichgewichts profitiert, bietet die Ehe die größeren Vorteile. Für den stärkeren Teil, der bei einem Ausgleich abgeben muß, ist die nichteheliche Lebensgemeinschaft vorteilhafter.

Für eine von wechselseitiger Verantwortung getragene Beziehung wird dieses Abwägen kein Kriterium sein können. Aber es wird deutlich, welche Frage bei der Wahl zwischen den Lebensformen der Ehe und der nichtehelichen Lebensgemeinschaft eine wesentliche Rolle spielen muß: Werden in der Gemeinschaft Pflichten und Rechte, Lasten und Freiheiten, Geben und Nehmen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht, das jeden der Partner zu seinem/ihrem Recht kommen läßt? Je mehr dies geschieht, desto weniger wichtig wird - rechtlich gesehen - die von ihnen gewählte Lebensform. Die gesetzliche Regelung sieht die Ehe im Zeichen dieser Verantwortung.

3. Ehe nach christlichem Verständnis

3.1 Aspekte aus der Geschichte des Christentums(8)

Die Ehe ist die einzige Lebensform, zu der sich Jesus geäußert hat - und zwar sehr dezidiert. Die zwei sind "nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden" (Matthäus 19,6). Deshalb verbietet Jesus auch die Wiederverheiratung Geschiedener (Matthäus 5,32). Er nimmt damit Stellung zu einer geltenden Praxis, in der es für den Mann relativ leicht war, der Frau einen Scheidebrief zu geben (Matthäus 5,31f.). Jesu Eintreten für die unscheidbare Ehe und seine Verneinung jeder Scheidung ist mithin auch ein Einsatz zugunsten der Frau. In seiner Reich-Gottes-Botschaft setzt er auf eine untrennbare (unscheidbare) Zusammengehörigkeit der Menschen, aus der niemand ausgeschlossen, ausgestoßen sein soll und in die sich alle Ausgegrenzten ("Verlorenen") wieder einfinden mögen (Lukas 15: die Gleichnisse vom "Verlorenen").

Bereits die spätantike Kirche hat mit großem Nachdruck und zäher Geduld begonnen, die monogame, unscheidbare Ehe durchzusetzen. (Sie richtete sich damit auch gegen die Homosexualität als in der Antike nicht unübliche Praxis.) Im Mittelalter hat die Kirche diese Tradition fortgesetzt und sich besonders gegen alle Konkubinate und Nebenehen gewendet. Sie hat damit die "Versittlichung" eines nach römischem Recht zuvor nur rechtlichen Verhältnisses betrieben, in dem der pater familias wohl den Ehevertrag einzuhalten hatte, aber dabei mehr der anderen Sippe (gens) verpflichtet war als seiner Frau. Mit Rücksicht auf die Sippe konnte der Mann rein privat und nach seinem Belieben der Frau die Ehe aufkündigen. Insofern gab es kein Eherecht im spezifischen, die Ehe selbst betreffenden Sinn.

Die Kirche konstituierte mit ihrer Vorstellung von der Ehe (Monogamie, Ächtung aller außerehelichen Sexualbeziehungen) ein eigenes Eherecht als kirchliches Recht. Ihr gelang damit eine das Abendland bestimmende Kulturleistung. Mit der zunehmenden Verrechtlichung der Ehe durch das kanonische Kirchenrecht schuf sie daneben eine Unzahl von Ehehindernissen, die zugleich als Gründe für eine eventuelle Ungültigkeitserklärung einer Ehe herangezogen werden konnten.

In den Beschlüssen des Konzils zu Trient wird 1563 kodifiziert, was sich als Ehe-Lehre ausgebildet hatte und was heute noch Grundlage des römisch-katholischen Eheverständnisses ist:

Die Ehe ist ein Sakrament (nach Epheser 5,32) und also eine über den beteiligten Eheleuten stehende göttliche Stiftung. Die römisch-katholischen Eheleute spenden dieses Sakrament einander vor dem Priester. Nur eine in kirchlicher Form geschlossene Ehe ist danach eine gültige Ehe. Sie ist als göttliche Stiftung der Verfügung der Eheleute und überhaupt aller Menschen entzogen. Daraus folgt die Unscheidbarkeit jeder rechtsgültig vollzogenen Ehe. In der Ehe als Ehestand gilt die Unterordnung der Frau unter den Mann nach Epheser 5,23f.

Die gegenwärtige römisch-katholische Theologie (vor und nach dem II. Vaticanum) betont nachdrücklich, daß die Ehe die Erscheinungsform vorbehaltloser menschlicher Liebe und als solche sichtbares Zeichen der unverbrüchlichen Zuwendung Gottes zum Menschen ist. So ist die Ehe verstanden als Schöpfungsgeheimnis und als Zeichen des Bundes, den Gott in Christus mit den Menschen geschlossen hat. "Die Ehe ist sakramental, wenn sie im Glauben gelebt wird".(9)

Die evangelische Ehelehre behielt bis in die Gegenwart die Vorstellung von der Ehe als Stand und damit als Gottes Stiftung, Ordnung und Anordnung bei.

Martin Luther hatte zweierlei einschneidend geändert: Mit dem Ende eines göttlich gesetzten Kirchenrechts erklärte er die Ehe zum "weltlichen Ding" - und mit dem Ende des hierarchischen Vorzugs eines "geistlichen" Standes der Priester, Mönche und Nonnen erklärte er die Ehe zu dem geistlich-christlichen Stand aller (mit Ausnahme einer Sonderberufung). Diese Formulierung gibt die Ehe frei, sie nach weltlichem Recht zu ordnen. Dadurch wird ihr Verständnis als von Gott gebotenem Stand nicht berührt. Vielmehr wirkt Gott in beidem: im Weltlichen wie im Geistlichen. Als Stand war für Luther die Ehe Gottes Ordnung, Gottes Stiftung und pflichtmäßige Anordnung. In der Ehe vollzieht sich in der sexuellen Vereinigung von Mann und Frau und somit in der Fortpflanzung des Menschengeschlechts Gottes welterhaltender Wille.

Die Machtverhältnisse betreffend galt für Luther im Blick auf die Ehe als "weltlich Ding" ganz unproblematisch die rechtliche Alleinverantwortung des Mannes nach außen. Die Frau war zum Gehorsam gegen die Anweisungen des Mannes verpflichtet. Im internen Sinne als geistlich-christlicher Stand aller kann Luther die Ehe über Epheser 5,23 f.3 hinaus (10) als gegenseitiges "Dienen", gegenseitiges Lieben und Vergeben (sogar eines Ehebruchs) beschreiben.

Die weitere Entwicklung in evangelischen Territorien war bis ins 19. Jahrhundert hinein von einer doppelten Tendenz bestimmt:

- von der zunehmenden Ausbildung eines staatlichen (also "weltlichen") Eherechts - das immer auch Ehescheidungsrecht ist -, in das aber sehr wohl auch reformatorische Grundsätze eingingen, und das vor allem den Sachverhalt (mehr oder weniger zureichend) wahrte, daß Ehe und Familie primär vor-staatliche, eben ethische oder sittliche Lebensformen sind, und
- von der zunehmenden nicht-rechtlichen und insofern "privaten" Verinnerlichung oder ethischen Durchdringung der Ehe: Ehe verstanden als Gottes Ordnung für die Liebe.

Die Französische Revolution brachte einen grundlegenden Wandel in der Geschichte des Eherechts. Die Ehe wird völlig verweltlicht und dem absoluten Vertragsprinzip unterworfen. Nach dem Code civil (1804) durfte die Ehe nur vor staatlichen Stellen geschlossen werden. Die Privatisierung der Ehe - wonach Ehe (wie Religion) Privatsache der Beteiligten ist - setzt mit der Romantik des frühen 19. Jahrhunderts ein. Literaten proklamieren die Ehe als freie Liebesgemeinschaft, die keinem Rechtszwang unterliege.

Die "obligatorische Zivilehe" wurde (wie schon in der Frankfurter Reichsverfassung 1849 vorgesehen) 1875 Reichsrecht. Das Zustandekommen einer rechtlich und also öffentlich gültigen Ehe ist danach eine rein staatliche Angelegenheit. Nach staatlichem Recht ist die kirchliche Trauung eine kirchliche Feier, die aber "an den Nachweis des vorangegangenen standesamtlichen Aktes gebunden ist" (Reichsgesetz vom 6. Februar 1875 § 67; Einführungsgesetz zum BGB Art. 46). Für "Notfälle" wird eine "religiöse Trauung" vom staatlichen Recht als nichtstaatliche Eheschließung straffrei gestellt und anerkannt.

Bis heute geht die evangelische Ehe-Ethik davon aus, daß die Ehe eine dem Willen der Ehepartner vorgegebene Institution ist. Dies gilt selbst für so unterschiedliche theologische Ansätze wie die von Dietrich Bonhoeffer und Karl Barth. Für Bonhoeffer ist die Ehe als Gottes Stiftung und Mandat vorgegeben. Für Barth ist sie dies als ein Gleichnis des von Gott geschlossenen Bundes mit den Menschen, das in freier Gemeinsamkeit der Partner verwirklicht wird.

In der Neuzeit bis in die Gegenwart hinein schreibt das staatlich-gesetzliche Recht immer weniger vor, wie moralisch recht zu leben ist. Das Recht beschränkt sich zunehmend auf die äußere Ermöglichung freien Zusammenlebens. Mit dieser Formalisierung des Rechts geht die Privatisierung der Moral einher.

Die Geschichte des staatlichen Ehe- und Ehescheidungsrechts und damit die Geschichte der öffentlichen Moral muß nicht nur als Zerfall der Moral, als Anwachsen des Egoismus interpretiert werden; sie ist auch Ausdruck der zunehmenden (protestantischen) Verinnerlichung der Moral und damit der Unterscheidung von Recht und Moral. Auch die statistisch zunehmende Scheidungsrate ist nicht eindeutig nur als Auflösung der Moral zu beurteilen. Trennung und Ehescheidung zu erwägen, kann auch verstanden werden als Ausdruck von Wahrhaftigkeit und des respektablen Wunsches, trotz des Scheiterns noch eine Chance guten, erfreulichen Lebens für beide zu haben.

Auch unter der modernen rechtlichen Bedingung, daß jeder Person innerhalb der Grenzen des für alle geltenden Rechts ein freies Selbstbestimmungsrecht zusteht, sollten die evangelische Ethik und die evangelischen Kirchen klar und öffentlich vertreten, was Ehe nach evangelischem Verständnis ist: Sie ist eine vorbehaltlose Lebensgemeinschaft in der Gegenseitigkeit von Frau und Mann, die in der nie versiegenden, jeder und jedem jederzeit offenstehenden Liebe Gottes gründet und die darum unverbrüchlich ist. Sie kann scheitern. Ihr Gelingen ist angewiesen auf Glauben, Hoffen und das Bemühen der Partner.

Dieser Gedanke ist in einem gegenwärtigen Eheverständnis weiterzuführen: Zu zeigen ist, wie in der Liebe zweier Menschen die Verpflichtung zur Verläßlichkeit liegt. Ihre Verbundenheit selbst verpflichtet sie. Die Liebe verpflichtet nicht nur den einen Partner dem anderen, sondern beide dazu, je für sich die Liebe selbst nicht aufzugeben. In der Gegenseitigkeit von gelebter Achtung, Rücksichtnahme und Loyalität realisiert sich die Verbundenheit in Liebe. Darin besteht die Verbindlichkeit, die zwei Menschen eingegangen sind. Ihre ausdrückliche und öffentliche Form erhält diese Verbindlichkeit in der rechtlichen Institution als staatlich anerkannte Ehe.

3.2 Biblisch-theologische Aspekte(11)

Heiraten oder nicht heiraten? Es ist nicht selbstverständlich, sondern eine eigene Aufgabe, die Ehe vom nichtehelichen Leben unterscheiden zu lernen. Welche Orientierung können dabei Kirche und Theologie geben?

1. Das evangelische Eheverständnis ist an das menschenfreundliche Wort Gottes gebunden, das der Ganzheit und Unbedingtheit des frei eingegangenen Verhältnisses einer Ehe dienen will. Die Antwort der evangelischen Kirche auf die Frage "Warum heiraten?" ergibt sich verbindlich aus den gepredigten und geglaubten biblischen Texten zur Ehe, vor allem aus dem Wort Jesu Christi, des Herrn der Kirche, mit dem dieser sich auf die Schöpfungserzählung der biblischen Urgeschichte (1. Mose 1 und 2, des näheren auf 1. Mose 1,27 und 2,24) bezieht. "Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden" (Markus 10,9) legt die Schöpfungserzählung so aus, daß der ursprüngliche Schöpferwille Gottes endgültig zur Geltung kommt; Jesus legt damit die Bedeutung des göttlichen Urwortes "Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei!" (1. Mose 2,18) fest.

Mit diesem Schöpferwort hat Gott die Klage menschlicher Einsamkeit erhört, ist er ihr schon zuvorgekommen. Mit ihm wehrt er der Einsamkeit, indem er Mann und Frau zusammengibt zu einer Mitmenschlichkeit, in der einer den anderen als sein willkommenes Gegenüber erkennt und anerkennt. Sie besteht in einer völligen Wechselseitigkeit, in einer alle Dimensionen des Lebens umfassenden Gemeinschaft, die jeder Individualisierung zugrunde liegt, ihr überhaupt erst Ort und Zeit gibt. "... und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nun nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch ..." (Markus 10,6-9); staunend spricht das Neue Testament von dieser Einheit als von einem "großen Geheimnis" (lateinisch: sacramentum): Epheser 5,32. Diese unumkehrbare, nicht wieder rückgängig zu machende Zusammenfügung zu einem "Fleisch", zu einem Leib, ist gewichtiger und schöner als eine isolierte Selbstbestimmung. Sie besteht in der Einheit gegenseitiger Anerkennung und einander zuvorkommender Liebe. Von dieser Einheit gilt: "Die Frau ist ihres eigenen Leibes nicht mächtig, sondern der Mann; ebenso ist auch der Mann seines eigenen Leibes nicht mächtig, sondern die Frau" (1. Korinther 7,4). Die einseitige Unterordnung der Frau unter den Mann - "Er soll dein Herr sein!" (1. Mose 3,16) - dagegen ist ein Zeichen der Sünde, der gefallenen Welt. Die Herrschaftsstellung des Mannes und einseitige Unterordnung der Frau, wie sie im patriarchalisch-institutionellen Eherecht des 19. Jahrhunderts mit Hilfe kirchlicher Kräfte neu befestigt wurde und wie sie noch heute nachwirkt, ist im Machtbereich Jesu Christi, der herrscht, indem er Knecht wird (Philipper 2,5-11), überwunden (Epheser 5,21-33): Die Gemeinschaftsgerechtigkeit wird statt durch Herrschaft nun durch Demut bestimmt, durch den Mut und die Kraft, zuerst vom andern her und auf ihn hin zu leben und zu denken. (12) Dieser geistliche Anspruch geht über das hinaus, was an Gleichstellung rechtlich zu verwirklichen ist.

2. Die durch das Wort Jesu Christi geschaffene unscheidbare Lebensgemeinschaft von Mann und Frau ist als göttliche Institution - als Gottes Einsetzung, Wille und Gabe - zu unterscheiden von ihrer weltlichen Organisation in der Rechtsform der Ehe, wie sie im Sinne des Familienrechts unseres Staates besteht. Diese Unterscheidung erweist sich als notwendig, weil einerseits zu glauben und festzuhalten ist, daß im Weltlichen, also in der Profanität auch des Ehe- und Familienrechts verborgen, Gott wirkt, andererseits aber empirische, faktische Rechtsformen, die sich wandeln, nicht mit der göttlichen Institution identifiziert werden können und dürfen; sie sind nicht sakrosankt. Mit dieser Unterscheidung ist einer Überhöhung des Rechtlichen ebenso gewehrt wie seiner Geringschätzung.

Eine Eheschließung und mit ihr die Unterscheidung von Ehe und nichtehelichem Leben hat nach dem Verständnis der evangelischen Kirche sowohl eine "weltliche" wie eine "geistliche" Dimension. In beiden Dimensionen wirkt Gott durch sein Wort - freilich in je verschiedener Weise. Zur Zeit Luthers wurde diese Verschiedenheit von Gottes Wirken so wahrgenommen, daß zwischen der Eheschließung vor der Kirchentür und dem Gottesdienst in der Kirche unterschieden wurde; dem entspricht heute die Unterscheidung von standesamtlicher Eheschließung und kirchlichem Traugottesdienst.

2.1 Der Traugottesdienst geht über die standesamtliche Eheschließung nicht hinaus. Er geht sozusagen in sie hinein und wendet das nach außen und in die Gemeinde, was so wichtig ist, daß es auch ausdrücklich gemacht werden muß und von Mann und Frau im Traubekenntnis öffentlich bekannt wird: daß die gefundene Gemeinsamkeit geschenkte und verdankte Gemeinsamkeit ist und Gott auch den freien Willensentschluß, zueinander zu gehören und beieinander zu bleiben, gewirkt hat.

"Was hast du, das du nicht empfangen hast?" (1. Korinther 4,7). Dem trägt der Gang zur kirchlichen Trauung dort Rechnung, wo die beiden öffentlich bekennen, daß sie ihre Gemeinschaft sich nicht selbst zuschreiben, sich nicht selbst verdanken und nicht selbst garantieren können. (13)

Die im Traugottesdienst zur Sprache kommende und erfahrbare "geistliche" Dimension betrifft die Art und Weise, in der Mann und Frau in ihrer Ehe vor Gott leben; sie betrifft ihren Glauben oder Unglauben. In diese Dimension gehört das Tiefste, das der christliche Glaube von der Ehe weiß und zu sagen hat: daß sie ein Gleichnis des Verhältnisses Gottes zum Menschen ist. Kein beliebiges Gleichnis. Denn in seiner Zuwendung zum Menschen gibt sich Gott so dahin, demütigt und erniedrigt er sich so sehr, daß er die Ehe eines Hosea zur Symbolhandlung(14) , zum Gleichnis von Israels Mißverhältnis zu ihm und zugleich zum Gleichnis seines Treueverhältnisses zu seinem Volk macht (Hosea 1-3). In dieser Asymmetrie und Gebrochenheit ist die Ehe als dauerhafte und verläßliche Beziehung durch den Widerspruch menschlicher Treulosigkeit hindurch ein Gleichnis der Treue Gottes zum Menschen. Das Hoseabuch ist denn auch die Voraussetzung dafür, daß das "Hohelied", eine Sammlung durch und durch weltlicher Liebeslieder, Teil der Heiligen Schrift geworden ist. Wenn sich evangelische mit römisch-katholischen Christen, die die Ehe als "Sakrament" verstehen, verständigen wollen, ist im Gespräch miteinander nach der Bedeutung des Ehegleichnisses für das Gottesverhältnis zu fragen.

2.2 Was die "weltliche" Dimension der Eheschließung und mit ihr die Unterscheidung von Ehe und nichtehelichem Leben betrifft, so ist in der Kirche die Bejahung einer wie auch immer gearteten rechtsförmigen Gestaltung des Verhältnisses von Mann und Frau nie strittig gewesen. Diese Gestaltung hat sich im Laufe der Geschichte verändert und wird sich weiter verändern. Für ein evangelisches Eheverständnis unverzichtbar ist aufgrund des Wortes Jesu Christi zur Unscheidbarkeit ein Eherecht, das der Ganzheit und Unbedingtheit des frei eingegangenen Verhältnisses und einem fairen Interessenausgleich am besten Rechnung trägt, ein Eherecht, nach dem die beidseitigen Zustimmungserklärungen, "die Ehe miteinander eingehen zu wollen", "nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben werden können"(15) , also vorbehaltlos und zeitlich unbefristet gelten.

Es ist denkbar, daß die Gesetzgebung unseres Staates sich ändert; so ließe sich vorstellen, daß nur noch eine vertragsrechtliche Regelung einer Gemeinschaft auf Zeit angeboten würde. Ein entsprechendes Verständnis von "Ehe" aber, falls man dann überhaupt noch bei diesem Wort bleibt, könnte die Gemeinde Jesu Christi nie bejahen. Wer ihr zugehört, müßte eine entsprechende Ziviltrauung im Sinne einer "Ehe" auf Zeit ablehnen oder durch den öffentlichen Traugottesdienst hintergehen. Der Traugottesdienst würde dann zu einer klaren Protesthandlung.

Im Vergleich und Kontrast zu diesem Gedankenexperiment wird deutlich, daß die Kirche sich im Gottesdienst und in anderen Bereichen der Seelsorge gegenwärtig auf einen grundgesetzlich(16) garantierten "besonderen Schutz" der Ehe beziehen kann, vor allem aber auf ein Rechtsverständnis der auf "Lebenszeit geschlossenen Ehe".(17) Dies bedeutet viel weniger eine Behinderung ihres Dienstes als eine Chance, die bewußt und theologisch verantwortet wahrzunehmen ist.

Theologisch-ethische Urteilsbildung muß sich auf die bestehenden Rechtsauffassungen beziehen - nicht, um sich von ihnen her zu legitimieren, wohl aber, um sie zu prüfen und gegebenenfalls zu bejahen. Das gilt in besonderem Maße dort, wo Theologie und Kirche ihrer eigenen Sache in säkular gewordenen Formen begegnen, wie dies unverkennbar bei einem Rechtsverständnis der Ehe der Fall ist, nach dem die Ehe auf Lebenszeit geschlossen ist.

3. Das Wort "Ehe" ist mit "Ewigkeit" verwandt und bedeutet "lange Dauer". Es macht auf die Zeitperspektive aufmerksam, in die Mann und Frau mit der Ehe eintreten, um im Raum einer verläßlichen Beziehung zu leben. Sie entlastet von einer zermürbenden Dauerreflexion über den jeweiligen Zustand der Beziehung. Dies ermöglicht eine Gelassenheit, die in einem Verhältnis fehlt, das aus dem Augenblick der Empfindung lebt oder in der ewigen Suche nach dem idealen Partner nicht zur Ruhe kommt.

Bei der Frage, ob und wie vor-, außer- und nacheheliche Verhältnisse sich verantwortlich gestalten lassen, wird in der Regel der Gesichtspunkt der Zeit vernachlässigt. Es bleibt in der Schwebe, welche Zeitperspektive damit verbunden ist. Eine christliche Sicht betont dagegen die Verantwortlichkeit auch für die Zukunft des andern, weil zu ihm nicht nur seine Vergangenheit, sondern auch seine Zukunft gehört.

4. Die Antwort der evangelischen Kirche auf die Frage "Warum heiraten?" ergibt sich aus dem Wort Jesu Christi. Das Wort ist das Band, das alle Augenblicke des bewegten Lebens in seiner Schönheit und Freude, seinen Krisen und Konflikten zusammenhält, indem es die vorbehaltlose und unbefristete Gemeinschaft eines bestimmten Mannes und einer bestimmten Frau schafft.

Die evangelische Kirche versteht dieses Wort als verbindliche und menschenfreundliche Konkretion des Doppelgebots der Liebe im Bezug auf die elementare Bedürftigkeit des Menschen, der als Mann und Frau geschaffen ist - so, daß es die beiden zu einander drängt: zu gegenseitiger Hilfe, Korrektur, Ergänzung und zu gemeinsamer Freude sowie zu weiterer größerer Gemeinschaft - wenn Kinder versagt sind, auf andere Weise. Dem entspricht auf der Handlungsebene der Kirche das Angebot von Traugottesdienst, Unterweisung, Beratung und Seelsorge.

3.3 Praktisch-theologische Aspekte

Paare brauchen und setzen Zeichen, um sich ihrer Liebe zu vergewissern. Es sind Zeichen für den Erhalt, die Fortsetzung des Glücks, gegen die Vergänglichkeit: Zeichen der Wertschätzung und Zuneigung, der Verläßlichkeit und Gegenseitigkeit, der Wiedergutmachung, Versöhnung, der Erinnerung und Hoffnung. Paare entwickeln ihre persönliche Sprache der Liebe, gleichzeitig bilden sie ihren je eigenen Lebensstil aus: wie sie sich ihre Wohnung einrichten, ihren Alltag, ihren Sonntag, ihre Freizeit. Damit bezeichnen sie für sich selbst und über das Private hinaus für ihre Umgebung, was ihnen wichtig ist - worauf sie setzen in der Gestaltung ihres gemeinsamen Lebens, aber auch, wodurch sie sich von anderen unterscheiden. Sie suchen und finden ihren eigenen Standort im sozioökonomischen und kulturellen Kontext der Gesellschaft, der ihrem Alltag Freiheiten und Zwänge, Möglichkeiten und Entscheidungen vorgibt, und bringen zum Ausdruck, wie sie selbst sich darin verstehen.

Zum Leben gehören die Feste als Gegengewicht zur Last des Alltags. Sie unterbrechen die Macht des Gewöhnlichen, schaffen Abstand und Freiräume zum Ausspannen, Kräftesammeln, Erinnern und Begehen des Wesentlichen, des Heils. In kritischen Lebenssituationen sind Rituale gegen drohendes Unheil besonders gefragt. Wie läßt es sich abwenden, wie läßt sich die Krise bewältigen und mit welchen Hilfen? Die Zerbrechlichkeit des Lebens, präsent in den alltäglichen Verlusterfahrungen, wird in allen Kulturen thematisiert an den großen Übergängen und Wendepunkten des Lebenslaufs: in den Ritualen und Festen zu Geburt und Tod, zum Eintritt in das Erwachsenenalter und zur Heirat. So können sich einzelne, wenn es notwendig ist, stützen auf durch Generationen hindurch gemeinschaftlich entwickelte und geübte Deutungs- und Verhaltensmuster, die ihnen Sprache, Orientierung und Beistand geben.

Das Hochzeitsfest ist das besondere Zeichen der Liebe, das Paare sich geben. Die unterschiedlichen Familien- und Freundeskreise werden zusammengeführt in der Hoffnung, daß sie neue Beziehungsmöglichkeiten erschließen. In vielen Fällen wird Exklusivität und Aufwand getrieben, um die besondere Bedeutung dieser Lebensentscheidung hervorzuheben, aber auch, um sich die Einzigartigkeit des eigenen Weges angesichts der Vielfalt von Lebensmöglichkeiten vor Augen zu stellen. Das Fest ist gleichzeitig Kontrapunkt zu den Schwierigkeiten des Alltags. Dieser Zusammenhang von Anfang und Ende, Sehnsucht und Sorge, Ursprung und Ziel wird im religiösen Zeremoniell thematisiert. Hier wird die Komplexität des Lebens angeschaut, wird nach Sinn- und Ordnungsstrukturen gefragt, wird eine eigene Position eingenommen und um Beistand und Segen gebeten.

In der kirchlichen Trauung wird das individuelle Verständnis der Eheschließung in den überindividuellen Horizont Gottes gerückt. Das geschieht auf vielfältige Weise mit den einzelnen Schritten des Traurituals: dem Einzug unter Glockengeläut und Orgelspiel, bis das Paar sich aus dem Familienzusammenhang des Brautzugs gelöst und allein vor dem Altar Platz genommen hat; im gemeinsamen Singen, Hören, Beten; den Lesungen aus der Bibel, der Predigt; dem Trauversprechen des Paares, Ringwechsel, gegenseitigem Handschlag und Bestätigung durch den Pfarrer oder die Pfarrerin; dem Trausegen mit Vater Unser und Fürbitte über dem knieenden oder stehenden Paar; der Fürbitte der Gemeinde, der Entlassung und dem Auszug zurück in die Welt.

Predigt und Textlesung orientieren über den Sinn der Ehe, ihre Aufgaben, Gefährdungen und Chancen, bestätigen das Paar in seinem Entschluß, sprechen ihm Mut zu, das Wagnis einzugehen. Im Trauversprechen wird das Nebeneinander von guten und bösen Tagen thematisiert. Mit einem spezifischen Realismus kann in die Zukunft geblickt und ohne Vorbehalt bekannt werden, füreinander dasein zu wollen, bis der Tod scheidet. Dieser christliche Realismus ist in der Überzeugung begründet, daß man nicht selbst sich und sein Leben leistet, sondern von der Gabe des Lebens und der christlichen Freiheit lebt. Dieses Wissen schließt die Erkenntnis ein, daß es nicht möglich ist, schuldlos zu bleiben, sondern daß man auf Vergebung bleibend angewiesen ist. Das Paar bringt dies zum Ausdruck, wenn es vor den Altar tritt, mit den Worten des Vaterunsers (vergib uns unsere Schuld) um Gottes Beistand bittet und den Trausegen empfängt.

Nächstes Kapitel