Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive

Eine Denkschrift des Rates der EKD, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2008, ISBN 978-3-579-05905-1

6. Unternehmerisches Handeln und Kapitalmarkt

Die Veränderungen auf den Kapitalmärkten tragen zur berechtigten Beunruhigung bei. Gut regulierte Kapitalmärkte können jedoch zu erheblichen Wohlfahrtsgewinnen durch Transparenz, Effizienz und eine bessere Risikoverteilung beitragen.

6.1 Neue Eigentümer und Finanzinstrumente

Die veränderten Bedingungen der Kapitalbeschaffung beeinflussen die Möglichkeiten unternehmerischen Handelns beträchtlich. Der Wettbewerb auf den Finanzmärkten muss transparent gestaltet und durch eine verbesserte Aufsicht und Selbstverpflichtung der Marktteilnehmer flankiert werden. Christliche Werte eines ehrbaren Kaufmanns spielen dabei eine große Rolle.

  1. Die Globalisierung hat die Finanzierung und Kontrolle von Unternehmen verändert. Im traditionellen deutschen Finanzsystem wurden Ersparnisse größtenteils in sicheren Bankeinlagen gehalten, die von den Banken in der Form von Krediten an Unternehmen weitergegeben wurden. Die überwiegende Mehrzahl der kleinen und mittelständischen Unternehmen war nicht am Kapitalmarkt notiert und finanzierte sich über eigene Mittel oder langfristige Kredite ihrer Hausbank. Die kleine Anzahl großer börsennotierter Kapitalgesellschaften wurde durch ein Netzwerk gegenseitiger Beteiligungen kontrolliert. Dabei beteiligten sich auch Banken am Eigenkapital der Unternehmen. Durch die Ausübung von Stimmrechten und Aufsichtsratsmandaten übernahmen sie unternehmerische Verantwortung. Dieses System hat in Deutschland eine leistungsfähige Unternehmenskontrolle gewährleistet. Stabilität und Sicherheit gingen jedoch zulasten von Transparenz und teilweise auch des Wachstums.
  2. Globalisierung und Weiterentwicklung der Finanzmärkte haben diese >Deutschland AG< inzwischen aufgebrochen und zu einem immer stärker von den Kapitalmärkten beherrschten Finanzsystem geführt. Deutsche Unternehmen greifen verstärkt auf die Finanzierung durch Aktien, Anleihen und andere Kapitalmarktinstrumente zurück, die privaten Haushalte sind kapitalmarkt- und renditeorientierter geworden. Anstelle von Bankeinlagen legen sie ihre Ersparnisse zunehmend in höher verzinslichen Investmentzertifikaten an. Deren Anteil am gesamten Geldvermögen ist von 1991 bis 2006 von vier Prozent auf zwölf Prozent gestiegen (das direkte Engagement am Aktienmarkt ist mit acht Prozent nach wie vor gering), während der Anteil der Bankeinlagen von 46 Prozent auf 34 Prozent abgebaut wurde. Banken werden dabei immer mehr durch institutionelle Investoren (Investmentfonds und Versicherungen) ersetzt. Diese legen die eingesammelten Mittel nicht nur am Kapitalmarkt an, sondern geben sie an Beteiligungsunternehmen (Private-Equity-Firmen) weiter, um eine höhere Rendite zu erzielen. Letztere nehmen zusätzlich Fremdkapital auf, um ganze Unternehmen außerhalb der Börse aufzukaufen (>Leveraged Buyouts<) und nach wenigen Jahren gewinnbringend an den Markt zu bringen. Der Einsatz von Fremdkapital dient dabei als Hebel, um die Rendite des eingesetzten Eigenkapitals zu steigern. Da der Substanz- und Ertragswert des Unternehmens als Sicherheit dient, interessieren sich diese Finanzinvestoren in der Regel nur für gesunde Unternehmen, die ausreichende Wertsteigerungen versprechen.
  3. In Einzelfällen kann das beschriebene Vorgehen der Beteiligungsunternehmen ("Buy – fix – sell!") dem Prinzip nachhaltigen unternehmerischen Handelns widersprechen und destruktive Konsequenzen haben. Die Sorge aber, dass sich die neuen Investoren generell so verhalten und damit Unternehmenswerte vernichten, ist überzogen. Zum einen begrenzt die durch den Einfluss der Kapitalmärkte steigende Transparenz den früher oft beklagten "Klüngel". Zum anderen wollen auch internationale Investoren ihr Kapital vermehren, müssen also langfristig den Unternehmenswert steigern. Die Veränderungen des Wirtschaftsstils durch die Orientierung an den globalen Finanzmärkten ­ weg von einer Stakeholder- und hin zu einer Shareholderorientierung ­ sollten nicht zulasten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen gehen. Jedoch fördern häufig selbst Beschäftigung abbauende Umstrukturierungen den langfristigen Unternehmenserfolg und damit die Möglichkeit, mittelfristig wieder neue Stellen zu schaff en. Private-Equity-Firmen engagieren sich oft über mehrere Jahre in einem Unternehmen, beteiligen sich an Chancen und Risiken und sind so als Unternehmer tätig.
  4. Beteiligungsfirmen können durchaus auch zur Lösung mittelständischer Finanzierungsprobleme beitragen. Viele kleine und mittelständische Unternehmen sind heute in ihrer Existenz bedroht, da sie eine zu geringe Eigenkapitalbasis haben und keine Nachfolgeregelungen finden. Durch die Beteiligungsfinanzierung wird dem Unternehmen Eigenkapital zugeführt, was wiederum die Erschließung weiterer Finanzierungsquellen erleichtert. Eine höhere Eigenkapitalquote führt zu einer besseren Bonitätseinschätzung seitens der Banken und damit zu einer höheren Verfügbarkeit von Bankkrediten zu niedrigeren Zinsen (verstärkt durch Basel II, die neue Eigenkapital-Übereinkunft des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht). Beteiligungsgesellschaften können auch bei der Gestaltung der Nachfolgeregelung helfen und damit das Fortbestehen des Unternehmens ermöglichen. An dem starken Wachstum des Private-Equity-Marktes seit Mitte der 90er-Jahre waren aber die kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland bisher wenig beteiligt. Dies liegt unter anderem an dem Misstrauen und der ablehnenden Haltung der mittelständischen Unternehmer gegenüber Private-Equity-Gebern. Vereinzelt befürchten Unternehmer, in Einzelfällen auch zu Recht, dass ihre auf langfristiges Denken beruhende Unternehmenskultur durch das an finanzwirtschaftlichen Kennzahlen ausgerichtete schnelle Verhalten der Finanzinvestoren beeinträchtigt werden könnte. Die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit wird zudem leicht als persönliches Scheitern empfunden.

    Eine Abhängigkeit von Beteiligungsgesellschaften könnte durch Nutzung alternativer Finanzierungsinstrumente wie einer Mischung aus Eigen- und Fremdkapital (Mezzanine-Finanzierung), der Anmietung beweglicher Gegenstände (Leasing), des Abtretens von Forderungen (Factoring) oder durch Verbesserung der Kreditwürdigkeit bei den Banken vermieden werden. Dazu müssen die Unternehmer mehr als bisher bereit sein, alle für die Bonitätseinschätzung (das Rating) des Kreditnehmers notwendigen Informationen offenzulegen, während umgekehrt die Banken mehr als bisher bereit sein müssen, sie über das Ergebnis der Bonitätseinschätzung zu informieren.
  5. Zunehmende Schnelligkeit und steigende Renditeziele führen aber in der Tat auch zu neuen Gefahren. Da in den letzten Jahren immer größere Kapitalvolumina aufgebracht wurden, um den Hebeleffekt des Fremdkapitals zu nutzen, lasten nun höhere Risiken auf dem Finanzsektor. Die mit Fremdkapital aufgekauften Unternehmen sind durch die größere Schuldenlast verwundbarer geworden. Mit verantwortlich für diese Entwicklung sind die Banken, welche die Finanzinvestoren finanzieren, indem sie ihnen die für die Unternehmenskäufe notwendigen Kredite vergeben. Diese werden mit zunehmendem Risiko höher verzinst. Die damit verbundenen Risiken tragen sie aber zum größten Teil nicht selbst, sondern reichen sie mittels Kreditverbriefungen an institutionelle Investoren, und damit häufig an Investmentfonds mit spekulativer Anlagestrategie (Hedgefonds) weiter. Diese können, je nachdem, wie stark sie beaufsichtigt werden, hohe Risiken eingehen. Die in Deutschland aufgelegten und öffentlich vertriebenen Finanzierungsfonds (Hedgefonds) unterliegen der Aufsicht nach dem Investmentgesetz und damit der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Auch in den USA und europäischen Staaten gibt es entsprechende Regulierungen und Aufsichtsbehörden. Die in steuerbegünstigten Gebieten, den so genannten Offshore-Staaten, aufgelegten Hedgefonds unterliegen jedoch keinen Anlagerichtlinien und damit Risikobegrenzungen. Das sind ca. 55 Prozent aller Hedgefonds. Nicht zuletzt bei diesen ist die Gefahr besonders groß, dass einzelne Zusammenbrüche zu einem Dominoeffekt führen und das gesamte Finanzsystem destabilisieren.
  6. Eine ausgewogene Beurteilung dieser Entwicklungen setzt die Unterscheidung zwischen sinnvoller Innovation durch bessere Informationsverarbeitung und reiner Spekulation voraus. Je höher der Anteil spekulativen Finanzhandels, desto höher ist zwar die Chance auf kurzfristig hohe individuelle Gewinne, desto höher ist aber auch die Gefahr, dass durch Fehlspekulation Werte vernichtet werden. Reine Finanzspekulation hat bereits in den vergangenen Jahren insbesondere durch die Betätigung einiger Hedgefonds im Handel mit abgeleiteten Finanzinstrumenten (Derivaten) an Bedeutung gewonnen. Im Gegensatz zu Beteiligungsgesellschaften (Private-Equity-Firmen) sind manche Hedgefonds nicht primär darauf ausgelegt, den langfristigen Unternehmenswert zu steigern. Sie wollen vielmehr mit Kursentwicklungen und Einschätzungen anderer Marktteilnehmer Handel treiben, um kurzfristig hohe Gewinne zu erzielen. Einige Hedgefonds sind jedoch mittlerweile dazu übergegangen, sich längerfristig in Unternehmen zu engagieren, so dass sie oft nur noch schwer von Private-Equity-Gesellschaften zu unterscheiden sind.
  7. Eine direkte gesetzliche Regulierung von Hedgefonds scheitert nicht nur daran, dass sie international nicht durchsetzbar wäre und bei nationaler Begrenzung ein Abwandern auf unregulierte Finanzplätze hervorrufen würde. Angesichts der hohen Komplexität der von Hedgefonds eingesetzten und ständig weiterentwickelten Anlagestrategien könnte sie sogar den gegenteiligen Effekt erzielen. Zum einen würde dadurch die vorteilhafte Innovationskraft dieser Finanzinvestoren eingeschränkt werden; zum andern besteht die Gefahr, dass unter den Anlegern ein falsches Gefühl der Sicherheit geschaffen wird, so dass das eigene Risikomanagement vernachlässigt wird. Mehr verspricht dagegen eine indirekte Regulierung durch eine verbesserte Aufsicht der traditionellen Marktteilnehmer (Banken, Wertpapierfirmen und Versicherungen). Hedgefonds werden von großen Kreditinstituten und Investmentbanken finanziert, die sich einen harten Wettbewerb um diese besonders viel Gewinn versprechenden Geschäftspartner liefern. Hier müssen die Aufsichtsbehörden ansetzen. Ein sinnvolles Instrument kann dazu eine weltweit geltende Regelung über die Eigenkapitalvorhaltung bei der Kreditvergabe sein, wie sie in Europa nach Basel II bereits gilt.
  8. Die Aufsicht der Marktteilnehmer muss durch Maßnahmen zur Stärkung der Transparenz und Marktdisziplin flankiert werden. Ein besserer Dialog zwischen Hedgefonds und ihren Geldgebern würde die Urteilskraft über systemische Risiken auf beiden Seiten schärfen. Darüber hinaus ist ein Eigenbeitrag in Form einer Selbstverpflichtung der Hedgefonds-Branche notwendig, um die Risiken zu vermindern. Ein selbst auferlegter Verhaltenskodex sollte u. a. Mindeststandards für das Risikomanagement, die Liquiditätshaltung, den Anlegerschutz und die Offenlegung gegenüber Investoren und Banken vorsehen. Dadurch erhalten Letztere die Chance, Fonds zu sanktionieren, die übermäßige Risiken eingehen oder Standards nicht beachten, die in anderen Bereichen des Finanzsektors fest etabliert sind. Die Initiative mehrerer großer europäischer Hedgefonds zur Entwicklung eines freiwilligen Verhaltenskodex geht in die richtige Richtung.
  9. Die 2007 ausgebrochene Finanzkrise hat ihre Ursache im Wesentlichen in einer zu expansiven Geldpolitik der US-amerikanischen Zentralbank, die einen Immobilienboom auslöste und zugleich den Finanzinvestoren durch zunehmende Verschuldung höhere Renditen ermöglichte. Dass sich die durch Zinssteigerungen ausgelöste US-Immobilienkrise weltweit verbreitet und zu einer globalen Vertrauens- und Liquiditätskrise ausgedehnt hat, ist auf Finanzinnovationen durch neuartige Techniken der Verbriefung zurückzuführen. Grundsätzlich ist die Verbriefung von Bankkrediten und deren Verkauf an institutionelle Investoren ein Instrument, um bestehende Risiken besser zu verteilen und damit die Stabilität der Finanzmärkte zu erhöhen. Dass dies nicht funktioniert hat, lag daran, dass diese Innovationen der Regulierung vorauseilten und falsche Anreizstrukturen sowie mangelnde Transparenz über die Risikoverteilung zu einer Unterschätzung der damit neu aufgetretenen gesamtwirtschaftlichen Risiken führten.

    Die Möglichkeit, das Ausfallrisiko von Krediten durch Verbriefungen weiterzureichen, hat amerikanische Kreditinstitute in großem Stil dazu veranlasst, Hypothekenkredite auch an einkommensschwache, nicht kreditwürdige Haushalte zu vergeben. Die Kredite wurden gebündelt und so strukturiert, dass aus Kreditportfolios zweitklassiger Qualität ein hoher Prozentsatz erstklassig bewerteter (von Rating-Agenturen geprüfter) Finanztitel generiert wurde. Diese Produkte wurden an Banken und institutionelle Investoren in der ganzen Welt verkauft, die damit bzw. mit dem Handel verbriefter Kredite höhere Renditen erzielen konnten. Durch die Gründung außerbilanzieller Zweckgesellschaften (Conduits und Structured Investment Vehicles), die kurzfristige Titel ausgaben, um langfristige US-Hypotheken zu kaufen, wurde der Handel mit verbrieften Krediten weiter angeheizt. Dabei haben die Banken Lücken in der Regulierung ausgenutzt, denn diese Zweckgesellschaften konnten sie allein durch ihre Kreditzusagen betreiben, ohne dafür Eigenkapital vorzuhalten zu müssen. Die Basel II-Regelungen, die diese Lücken beseitigten, traten zu spät (Deutschland 2008) oder noch nicht (USA) in Kraft. Eine mangelnde Selbstbeteiligung der Banken an den Risiken der von ihnen vergebenen Kredite (durch Verkauf selbst der riskantesten Teile oder Tranchen) führte zudem zu einer Vernachlässigung ihrer Sorgfaltspflicht. Bei der Einschätzung der Risiken wurde blindlings auf das Urteil von Institutionen, die auf Kreditwürdigkeitsprüfungen spezialisiert sind (Rating-Agenturen) vertraut, die dabei ihrerseits hohe Gewinne erzielen konnten, die Liquiditätsrisiken der neuen Produkte aber unterschätzten oder aufgrund von fehlenden Informationen über die Risikoverteilung nicht einschätzen konnten.

    Dieses vorwiegend an kurzfristiger Renditemaximierung orientierte Verhalten der Marktteilnehmer widerspricht deutlich dem Prinzip nachhaltigen unternehmerischen Handelns. Banken haben sich dadurch aus ihrer Verantwortung gegenüber Einlegern und Kreditnehmern sowie aus ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für die Stabilität des Finanzsystems gelöst. Anstelle einer besseren gesamtwirtschaftlichen Risikoverteilung haben sich die Verluste letztendlich bei den Banken konzentriert. Angesichts ihrer großen Bedeutung für die Unternehmensfinanzierung sind davon gravierende realwirtschaftliche Auswirkungen zu erwarten.
  10. Die dem globalen Wettbewerb ausgesetzten Großbanken stehen allerdings genauso wie Großunternehmen unter dem Druck, ihre Eigenkapitalrendite kurzfristig zu maximieren, da sie sonst Gefahr laufen, von ausländischen Konkurrenten oder Finanzinvestoren übernommen zu werden. Auch sie sind damit nicht nur Treiber, sondern auch Getriebene des Kapitalmarktes. Eine Einschränkung dieses Übernahmedrucks würde ihren Spielraum für nachhaltiges unternehmerisches Handeln erhöhen. Hilfreich sind hier die in Deutschland gesetzlich zugelassenen Regelungen gegen feindliche Übernahmen (siehe Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, WpÜG) und die erfolgte Absenkung der Meldeschwellen für Unternehmensbeteiligungen, um ein unbemerktes "Anschleichen" zu verhindern (siehe Transparenzrichtlinien-Umsetzungsgesetz, TUG). Schließlich müssen die Basel II-Regelungen der Bankenaufsicht weltweit umgesetzt, die Bankenaufsicht weiterentwickelt und der Wettbewerb auf dem Markt der Rating-Agenturen erhöht werden, um Stabilität auf den Finanzmärkten sicherzustellen. Durch die immer größere Komplexität der neuen Finanzinstrumente sind jedoch weiteren regulatorischen Eingriff en und Maßnahmen der staatlichen Aufsicht immer mehr Grenzen gesetzt. Umso mehr kommt es darauf an, dass alle institutionellen Marktteilnehmer (Banken, Unternehmen, Finanzinvestoren, Rating-Agenturen) ihrer unternehmerischen Verantwortung nachkommen und selbst Regeln entwickeln, die ein nachhaltiges Wirtschaften fördern (z.B., indem Bonuszahlungen erst bei langfristigem Erfolg gewährt werden). Für die privaten Haushalte ist schließlich mehr Transparenz zentral, um Chancen und Risiken vernünftig abwägen zu können. Dies ist auch deshalb wichtig, weil bei der Anlageberatung private Haushalte immer weniger dazu bewegt werden, sich in sicheren Spareinlagen zu engagieren. Zunehmend an Bedeutung gewinnen Anteilsscheine (Investmentzertifikate) ­ auch weil deren Verkauf für die Banken rentierlicher ist. Christliche Werte eines ehrbaren Kaufmanns sind dabei, ebenso wie bei einzelnen Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen kurzfristiger Renditemaximierung und nachhaltigem Wirtschaften von Neuem gefragt. Dies betriff t zum Beispiel die Entscheidung eines Unternehmers, zu welchem Preis oder an welchen Investor er bereit ist, sein Unternehmen oder Teile desselben zu veräußern, oder die Entscheidung eines Beteiligungsunternehmers, welche Schuldenlast er dem übernommenen Unternehmen aufbürdet, um dessen mittel- bis langfristigen Bestand nicht zu gefährden.
  11. Deutschland ist in den letzten Jahren auf Platz 16 im Korruptionsindex von Transparency International geraten, der die Länder nach dem Grad auflistet, in dem dort Korruption bei Amtsträgern und Politikern wahrgenommen wird; es steht damit schlechter da als Skandinavien, die Schweiz und Großbritannien. Korruption verschärft Unsicherheiten in Transaktionen und stellt eine Form der Umverteilung zu den Reichen dar. Korruption hat im weltweiten Vergleich vor allem etwas mit dem Fehlen von individuellen Selbstverantwortungswerten zu tun. Durch Korruption erhält nämlich oftmals nicht das Unternehmen den Auftrag, welches die beste Kosten-Nutzen-Kombination anbieten kann, sondern eines, das ein schlechteres Angebot gemacht hat. Damit werden unter dem Strich Ressourcen verschwendet und der Wohlstand vermindert. Korruption gedeiht besonders gut in autoritären Herrschaftsformen. Die besten Waffen gegen sie sind flache Hierarchien, wechselseitige Kontrolle und das Bewusstsein, dass jeder und jede Einzelne verpflichtet ist, zum Gemeinwohl beizutragen ­ alles Werte, die im Protestantismus fest verankert sind.
  12. Auf den internationalen Kapitalmärkten muss für fairen und transparenten Wettbewerb gesorgt werden. Instabile Finanzmärkte können zu einer Erschütterung ganzer Volkswirtschaften und Währungen führen. Der Auslöser für solche Verwerfungen waren bisher selten die Finanzmärkte selbst, sondern volkswirtschaftliche Fehlentwicklungen. Durch die Möglichkeit, Finanzmittel in großer Höhe in Sekundenschnelle umzuschichten, können entstandene Krisen über die Finanzmärkte zusätzliche Beschleunigung erfahren. Da spekulative Devisentransfers leicht eine Währungskrise mit gravierenden realwirtschaftlichen Fehlentwicklungen herbeiführen können, wird auch innerhalb der Kirchen deren Begrenzung durch die Einführung einer Devisenumsatzsteuer, der "Tobin-Steuer", gefordert. Dies würde kurzfristige Anlagen, die auf geringe Kursdifferenzen spekulieren, unrentabel machen und könnte so die Geschwindigkeit der internationalen Devisenmärkte einschränken, ohne für ein nachhaltiges Wirtschaften notwendige Handelsgeschäfte, langfristige Kredite und Realinvestitionen zu beeinträchtigen. Ein fundamentaler Einwand gegen die Tobin-Steuer ist jedoch die Schwierigkeit der notwendigen international koordinierten Einführung dieser Steuer. Darüber hinaus würde die Abgrenzung zwischen Spekulation und nicht-besteuerten "notwendigen" Handelsgeschäften nicht einfach sein und immer wieder systematisch umgangen werden. Langfristiges Ziel muss es deshalb sein, die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte durch eine internationale Vereinheitlichung der Aufsichtsregeln und durch einen Zuwachs an Transparenz zu stärken. Hierbei kann neben dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht insbesondere der Internationale Währungsfonds eine bedeutsame Rolle einnehmen.

6.2 Gehälter von Managern

Unverhältnismäßig hohe Gehälter von Managern zerstören das Vertrauen der Menschen in die Wirtschaft. Der Abstand zwischen Gehältern in einem Unternehmen muss vor den Beziehern der geringsten Gehälter gerechtfertigt werden können.

  1. Ein besonderer Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit und einer entsprechenden Skandalisierung und Erregung sind die Höhen der Gehälter von Vorstandsmitgliedern und Managern sowie anderer Leistungen wie Abfindungen oder geldwerter Leistungen. Die Vorstände der 30 größten deutschen Aktiengesellschaften haben 2005 Gehaltserhöhungen von elf Prozent erhalten und verdienten jeder im Durchschnitt 1,7 Millionen Euro pro Jahr. Die Vorstände der 100 größten deutschen Unternehmen verdienten 2005 etwa 43 Mal so viel wie ihre Angestellten. Von Mitte der 70er- bis Mitte der 90er-Jahre war es nur das Zwanzigfache. Oft waren die Erhöhungen an Steigerungen des Unternehmenswertes gekoppelt, denn auch die heutigen Unternehmen sind ­ nach Fusionen und Transaktionen ­ mit denen der 70er-Jahre nicht mehr vergleichbar. Insofern gab es auch Abschläge in den Fällen, in denen sich dieser Wert verringerte. In Fällen besonders schwieriger Sanierungsaufgaben können steigende Gehälter auch bei einem ­ vorübergehenden ­ Sinken des Unternehmenswertes gerechtfertigt sein.
  2. Als besonders empörend werden steigende Gehälter dann empfunden, wenn der Grund hierfür in der Steigerung des Unternehmenswertes durch Entlassungen von Mitarbeitern lag ­ was, dem Gerechtigkeitsempfinden der Menschen erheblich widerspricht, selbst wenn die Ertragslage gestiegen ist und damit sogar langfristig Arbeitsplätze gesichert werden konnten. Die
    Summen steigern sich dann noch, wenn die Gehälter mit Aktienoptionen gekoppelt sind und so ein vorrangiges Interesse der Vorstände an der Erhöhung des Aktienwertes bzw. Gewinns ("Shareholdervalue") besteht. Entsprechende Verfahren sollten dringend überprüft werden.
  3. Dem immer wieder aufkommenden Ruf nach einer Begrenzung der Gehälter hat die Politik bisher nicht entsprochen ­ wohl zu Recht auch deswegen, weil sich ein eindeutiges Begrenzungskriterium nicht finden lässt, weil die Bemessung von Managergehältern Sache der Inhaber und der Anteilseigner der Unternehmen ist und weil es immer Ausweichverhalten, z.B. über die Gestaltung von (Zusatz-)Verträgen, gibt. Stattgegeben wurde jedoch der Forderung nach Transparenz, was allerdings unerwünschte Effekte hatte; denn die Manager mit bisher relativ geringeren Bezügen forderten nun z.T. beträchtliche Erhöhungen und erhielten sie. Im Ergebnis haben die Vorstände der DAX-Konzerne in Deutschland im Jahr 2006 zusammen fast eine halbe Milliarde Euro Einkommen bezogen. Der Abstand ihrer Einkommen zu den anderen Einkommens- und Lohngruppen in den Unternehmen ­ insbesondere zu denen der klassischen Arbeiter ­ ist gewaltig gewachsen. Vorbilder sind hier oft die US-Konzerne, die noch beträchtlich höhere Summen zahlen.
  4. Schon 1524 hat Martin Luther an unverhältnismäßigem Einkommen Anstoß genommen. Mit Blick auf die in kürzester Zeit zu Reichtum gekommenen Unternehmer des Frühkapitalismus stellt er fest: "Wie sollt das immer mögen göttlich und recht zugehen, dass ein Mann in so kurzer Zeit so reich werde, dass er Könige und Kaiser aufkaufen möchte?" Auch heute erregen maßlos erscheinende Einkommenszuwächse Anstoß, vor allem, wenn Gewinne und Entlassungen zusammenfallen. Dabei wird allerdings oft übersehen, dass die Entscheidungen der Unternehmen zumeist schon eingetretenen oder erkennbaren Veränderungen auf den Märkten folgen. Die Gewinnzahlen sprechen zunächst lediglich für ein erfolgreiches unternehmerisches Handeln in der Vergangenheit und haben nur begrenzte Aussagekraft über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens. Ein hoher Aktienkurs steht nicht unbedingt für ein gesundes Unternehmen, sondern ist ein "Vorschuss" auf die Chancen des Unternehmens am Markt. Umstrukturierungsmaßnahmen im Dienste einer besseren Wettbewerbsfähigkeit, zu denen auch die Effizienzsteigerung der Produktion und insofern auch ein Arbeitsplatzabbau zählen, werden im Sinne der Zukunftssicherung des Unternehmens vom Aktienmarkt honoriert. Was auf den ersten Blick verwerflich klingt, kann daher je nach Situation den langfristigen Erhalt des Unternehmens durchaus sichern.
  5. Es ist allerdings eine Bringschuld der Unternehmen, ihrer Aufsichtsräte und Führungskräfte, diese Entscheidungen nach innen und außen schlüssig zu begründen, um Verständnis dafür zu werben sowie beim Abbau von Arbeitsplätzen die Situation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu berücksichtigen und sie mindestens mittelbar bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung zu unterstützen. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet für die Betroffenen immer einen gravierenden Einschnitt in das bisherige Leben. Solange es genügend andere Arbeitsplätze gibt, stellt er volkswirtschaftlich allerdings ein geringeres Problem dar. An neuen Arbeitsplätzen aber mangelt es in Deutschland. Daher ist es eine zentrale Aufgabe der Politik, für Rahmenbedingungen zu sorgen, die Wirtschaftswachstum und den Aufbau zukunftsträchtiger Branchen und Beschäftigung fördern.
  6. Grundsätzlich wird man auch aus Gerechtigkeitsgründen dann nichts gegen hohe und höchste Gehälter sagen können, wenn sie auf klar zurechenbarer Leistung beziehungsweise dem Beherrschen von Risiken und Gefahren und einer Steigerung des Unternehmenswerts beruhen, von der auch die Beschäftigten profitieren. Ungleichheiten der Einkommen aufgrund dieser Faktoren sind nicht immer ungerecht; sie können vielmehr dadurch, dass durch sie die Leistung der ganzen Organisation gesteigert wird, allen zugute kommen. Allerdings ist es dann auch völlig berechtigt, von den Beziehern dieser Einkommen ein entsprechend gesteigertes Maß an Einsatz und Vorbildhaftigkeit zu erwarten. Sozialethisch muss die Höhe der obersten Einkommen prinzipiell auch vor den Empfängern der geringsten Einkommen gerechtfertigt werden können.
  7. In der jüngsten Zeit ist allerdings in vielen Fällen der Eindruck entstanden, dass beträchtliche Erhöhungen der Vorstands und Managerbezüge nicht auf deren Leistung beruhen. Insbesondere bei Abfindungen entstand gelegentlich sogar der Eindruck, dass auch Versagen faktisch belohnt wurde. Die Verantwortung für Vorstands- und Managerbezüge sowie für Abfindungen im Falle der Auflösung von Verträgen liegen in Aktiengesellschaften bei den Aufsichtsräten, die gerade bei den großen Unternehmen durch Arbeitnehmervertreter mitbestimmt sind. Die Sorge, dass hier immer höhere Gehaltsanreize eingesetzt werden, um immer höhere Renditeziele zu erreichen, ist nicht unberechtigt. Aus Sicht der Aufsichtsräte kann es im Einzelfall auch durchaus richtig und notwendig sein, eine Vertragsauflösung unter Inkaufnahme der vertraglich vereinbarten Abfindung vorzunehmen. Gravierende Fälle dieser Art haben aber in letzter Zeit das Vertrauen in die Unternehmensführungen geschädigt. Selbst wenn die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat solchen Vertragsgestaltungen zugestimmt haben, wird durch solche Vorgänge der Geist der Kooperation zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern beschädigt. Wenn Unternehmensführungen es nicht für nötig halten, deutlich zu machen, dass sie sich hinsichtlich der Bezahlung der Manager an vergleichbaren Maßstäben orientieren wie hinsichtlich der Bezahlung ihrer anderen Mitarbeiter, werden die Unternehmen Schaden nehmen und nach innen wie nach außen an Glaubwürdigkeit verlieren. Das kann sich auch auf den Absatz der Produkte und Dienstleistungen auswirken. Da eine unmittelbare gesetzliche Begrenzung der Dotierungen kaum die gewünschten Ergebnisse zeigen würde, ist dringend ein freiwilliger Verhaltenskodex des führenden Managements zu empfehlen, um die größten Fehlentwicklungen einzuschränken. Gegebenenfalls ist zu prüfen, ob eine Begrenzung von Abfindungszahlungen gesetzlich unterstützt werden kann.
  8. Die Entwicklung der letzen Jahre zeigt, dass das Problem der drastisch steigenden Vorstandsbezüge mit der Entwicklung der globalen Finanzmärkte verknüpft ist. Es steht deshalb zu befürchten, dass gesetzliche Regelungen kaum greifen. Insofern stehen die Marktteilnehmer auch hier in besonderer Weise in der Verantwortung. Die Begrenzung der Vorstandsbezüge den Marktkräften zu überlassen, führt allerdings nur dann weiter, wenn diese im fairen ­ und damit harten ­ Wettbewerb, der kontrollierend wirkt, auch wirklich zum Tragen kommen kann. Häufig entsteht jedoch der Eindruck, dass im Blick auf den Zugang zur wirtschaftlichen Elite wettbewerbliche Marktkräfte weitgehend außer Kraft gesetzt sind. Soziale Aufstiegsprozesse gelingen nur sehr eingeschränkt. Materielles Vermögen wird zum großen Teil innerhalb der Gruppe der Einflussreichen vererbt, nicht-monetäre Vorteile, insbesondere exklusives "Sozialkapital", werden in den eigenen Kreisen weitergegeben. Auf diese Weise werden privilegierte Karrierechancen vererbt. Die "geschlossene Gesellschaft" ist also nicht nur eine Frage des Korporatismus. Deswegen ist, wie in der Denkschrift "Gerechte Teilhabe" entfaltet, vor allem das Ausbildungs- und Bildungswesen gefragt, unabhängig von der Privilegierung bestimmter sozialer Schichten Chancen für alle Kinder zu eröffnen und Leistungspotenziale in allen gesellschaftlichen Gruppen zu erschließen. Die Veränderungen, die dafür nötig sind, haben gerade erst begonnen.
  9. Deshalb gilt es, für einen Geist des Wirtschaftens einzutreten, wie er in diesem Text beschrieben wird: für eine Wirtschaft mit allen und für alle. In ihr muss es Einkommensdifferenzen geben ­ aber für extreme Abstände gibt es keine Rechtfertigung! Die Unternehmen sollten diesen Grundsatz durch Selbstbindung immer wieder deutlich machen. Wichtig sind deshalb ein bedachter Umgang mit diesem Thema seitens der Unternehmen sowie eine angemessene Transparenz der Vorstandsvergütung. Hierzu hat die Regierungskommission "Corporate Governance" einen Kodex erstellt, der die in Deutschland geltenden Regeln zur Unternehmensleitung und -überwachung transparent machen und das Vertrauen in die Unternehmensführung deutscher Gesellschaften stärken soll. Es ist dringend zu empfehlen, dass Unternehmen, auch die großen familiengeführten Firmen, sich den "Corporate Governance Kodex" zu eigen machen. Auch die Mehrzahl der diakonischen Unternehmen hat diesen Schritt inzwischen getan.

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