Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive

Eine Denkschrift des Rates der EKD, Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2008, ISBN 978-3-579-05905-1

1. Zur Bedeutung unternehmerischen Handelns

Unternehmerisches Handeln ist von zentraler Bedeutung für Innovation, Wertschöpfung und gesamtgesellschaftlichen Wohlstand. Moderne Gesellschaften brauchen Menschen, die bereit sind, unternehmerische Verantwortung zu übernehmen.

  1. In unserer Gesellschaft gibt es viele, die im Bereich der Wirtschaft etwas "unternehmen" und entsprechende Entscheidungen treffen. Sie werden in Deutschland unter dem Sammelbegriff "Unternehmer" gefasst; weltweit ist der Begriff des "Entrepreneurs" gebräuchlich. Dazu zählen Menschen, die in Handwerk und Handel, in Landwirtschaft und Dienstleistung, als Freiberufler oder Einzelunternehmer ihre Arbeitskraft selbstständig oder mit einigen wenigen Beschäftigten am Markt anbieten. Sie stellen zahlenmäßig die Mehrheit. Daneben gibt es Unternehmer und leitende Angestellte, die in mittelgroßen und großen Familien- oder Kapitalgesellschaften unternehmerisch wirken. Zudem finden sich große, zumeist börsennotierte Konzerne, in denen Aktionäre, Aufsichtsratsmitglieder, Vorstände und leitende Mitarbeiter unternehmerische Verantwortung innehaben und sie mit anderen teilen. Sie alle tragen Erhebliches zur gesellschaftlichen Wertschöpfung bei ­ in rein ökonomischem Sinne, aber auch in sozialer Hinsicht.
  2. Den Kern unternehmerischer Tätigkeit bildet die unablässige Aufgabe, im Markt Entscheidungen unter komplexen und z.T. unsicheren Bedingungen zu fällen und für die eingegangenen Risiken die Verantwortung zu übernehmen. Damit erfüllen unternehmerisch Tätige die wichtige gesellschaftliche Funktion, zumindest für eine begrenzte Zeit Planungs- und Handlungssicherheiten zu erzeugen. Auf dieser Grundlage können dann andere sicherer planen und gegebenenfalls etwas ergänzend Neues beginnen. Die weitaus meisten Menschen bleiben in einer marktwirtschaftlichen Ordnung darauf angewiesen, dass Unternehmer sie als Arbeitnehmer beschäftigen. Dieser Unterschied begründet keine unterschiedliche Wertigkeit.
  3. Unternehmerisches Handeln im Sinne der Bereitstellung von Produkten und Dienstleistungen schließt die Verantwortung für den effizienten Umgang mit den zur Verfügung stehenden Mitteln ebenso ein wie die mitlaufende Rückkopplung mit den Bedürfnissen der Abnehmer und Verbraucher. Hierzu sind beständige Produkt- und Prozessinnovationen notwendig. Unternehmerisches Handeln setzt die Fähigkeit und Bereitschaft zur ständigen Anpassung an neue Gegebenheiten voraus und bildet somit das Gegenteil eines strukturkonservativen Bewahrens. Unternehmerisches Handeln birgt daher vielfältige Chancen für die Gesellschaft, aber auch nicht immer vollständig einzuschätzende Risiken.
  4. Auf der Linie dieser Überlegungen hat Joseph Schumpeter seine berühmte doppelgesichtige Definition vom Unternehmer als dem "schöpferischen Zerstörer" formuliert. Sein Ausgangspunkt ist, dass der fundamentale Antrieb, der die kapitalistische Maschine in Bewegung setzt und am Leben hält, von neuen Konsumgütern, neuen Produktions- oder Transportmethoden, neuen Märkten und neuen Formen der industriellen Organisation herkommt, welche die kapitalistische Unternehmung schaff t. Dieses Neue revolutioniert die Wirtschaftsstrukturen von innen heraus "unaufhörlich die alte Struktur zerstörend und unaufhörlich eine neue schaff end. Dieser Prozess der >schöpferischen Zerstörung< ist das für den Kapitalismus wesentliche Faktum." Innovationen - auch Strukturinnovationen - kennzeichnen somit unternehmerisches Handeln. Nur in seltenen Fällen werden neue Produkte und Dienstleistungen, wird unternehmerische Innovation heute mit solcher Begeisterung dargestellt. Allerdings erzwingt gerade die ökologische Herausforderung den Bruch mit alten, zerstörerischen Gewohnheiten, die Entwicklung neuer Produkte und Produktionsprozesse sowie veränderte Verhaltensweisen.
  5. Richtig verstanden - und durch einen klugen staatlichen Rahmen unterstützt - ist unternehmerisches Handeln auf nachhaltige Wertschöpfung ausgerichtet. Es ist keine konsumierende, sondern eine erhaltende Tätigkeit; der wirksame Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel führt zur langfristigen Schonung von natürlichen wie auch sozialen Ressourcen. Auf dieses Grundverständnis gilt es sich heute wieder zu besinnen. Unternehmerisch Tätige sind Teil der Gesellschaft und stehen wie jeder in der Verantwortung, ihren Beitrag zum Gemeinwesen zu leisten. In einer globalisierten Wirtschaft bedeutet das, im Sinne einer globalen gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen ("Corporate Citizenship") zu agieren, damit die Einhaltung von Menschenrechten sowie von sozialen und ökologischen Standards unterstützt und gefördert und nicht durch eine rein ökonomisch dominierte Globalisierung behindert wird.
  6. Angesichts der Veränderungen besonders durch den globalen Wettbewerb stellt sich die Frage, wie viele "klassische" Unternehmer es zukünftig noch geben wird. Wenn tatsächlich immer weniger in Innovation und in die Zukunft einer Unternehmung investiert wird, weil schnell hohe Gewinne erzeugt und Dividenden ausgeschüttet werden müssen, bleiben die Tugenden der großen Unternehmergestalten wie Robert Bosch, Ernst Werner von Siemens oder Carl Zeiss auf der Strecke. Wo nur noch Firmen übernommen werden, die schon existieren, um kurzfristig so viel Geld wie möglich mit ihnen zu verdienen, löst sich das verantwortliche unternehmerische Ethos auf. In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert inzwischen oft ein Unternehmertyp, der die Grundwerte der sozialen Marktwirtschaft nicht mehr repräsentiert: Es ist der Manager eines Großbetriebes, der nur eine möglichst hohe Dividende für die Anteilseigner im Blick hat, dabei wenig Rücksicht auf die Beschäftigten nimmt, in keiner Weise mit seinem persönlichen Vermögen haftet und beim eigenen Scheitern auch noch Abfindungen in Millionenhöhe kassieren kann.
  7. Die Tatsache, dass von den etwa 3,4 Millionen Unternehmen in Deutschland ca. 2,8 Millionen Personenunternehmen sind (2004), zeigt deutlich, dass der klassische Unternehmer in Deutschland nach wie vor eine große Rolle spielt. Die in der Hand von Eigentümern agierenden Unternehmen haben eine enorme Bedeutung. Sie tragen mit einem Anteil von 53 Prozent zur Bruttowertschöpfung der Wirtschaft bei, stellen 68 Prozent der Arbeitsplätze und bilden vier von fünf Auszubildenden aus. Der Vergleich des Börsenerfolgs von 106 Unternehmen, die ganz oder teilweise in Familienhand sind (GEX-Index), mit dem der DAX-30-Unternehmen belegt darüber hinaus, dass langfristige Gewinnmaximierungsstrategien erfolgreicher sind als kurzfristiges Quartalsdenken: Von 2005 bis 2007 erhöhte sich der Wert der DAX-30-Unternehmen um 62 Prozent, während die längerfristig orientierten Familienunternehmen ihren Wert mehr als verdoppelten (plus 104 Prozent). Manche sprechen deshalb vom "Vorbild Familienfirma" für institutionelle Anleger und Fondsmanager. Die EKD-Denkschrift "Handwerk als Chance" aus dem Jahr 1997 widmet sich einem bedeutenden Teil dieses klassischen Unternehmertyps: dem Handwerker-Unternehmer. Die Unternehmen in Handwerk, Handel und Dienstleistungen sind vorwiegend kleine Betriebe mit bis zu zehn Beschäftigten. Diesen Mittelstand des Unternehmertums zu fördern, zu diesem Unternehmertum zu ermutigen wie politisch die Rahmenbedingungen für ein weiteres Wachstum zu erweitern, muss Aufgabe der Gesellschaft und der Politik sein.
  8. Die kleinen und mittleren Unternehmen in Handwerk und Handel, Landwirtschaft oder Dienstleistung sind im Wesentlichen geprägt durch Inhaber-geführte Betriebe. Sie bürgen damit für eine Kultur der Selbstständigkeit, die durch den Unternehmer verkörpert wird. Mit der Einheit von fachlicher und unternehmerischer Qualifikation und der Bereitschaft zur Verantwortung übernehmen Unternehmer und Unternehmerinnen (in diesen Bereichen sind überdurchschnittlich Frauen tätig) hier auch eine wichtige gesellschaftliche Vorbildfunktion - gerade in Deutschland mit seiner im internationalen Vergleich geringen Gründungs- und Selbstständigenquote. Die Betriebsinhaber sind bereit, die Verantwortung für die Leitung eines Betriebes und die Sicherung der damit verbundenen Arbeitsplätze zu übernehmen. Zudem sind sie stark an der Lösung der Betriebsnachfolge interessiert.
  9. Neben dem klassischen, erwerbsorientierten Unternehmertyp hat es immer auch Menschen gegeben, die sich mit beträchtlicher unternehmerischer Motivation und Energie im Non-Profit-Bereich, und zwar insbesondere in den sozialen Diensten, engagieren. Herausragend waren in dieser Hinsicht insbesondere im 19. Jahrhundert die Gründergestalten der großen diakonischen und karitativen aber auch anderer sozialer Werke und Einrichtungen. Ohne ihr unternehmerisches Engagement, das an Energie, Innovationskraft, Durchsetzungsfähigkeit und Zielorientierung dem gewerblichen Unternehmer in nichts nachsteht, ist weder der deutsche Sozialstaat noch die unterstützende soziale Zivilkultur denkbar. Neuerdings ist dieser Unternehmertyp als "Sozialunternehmer" oder als "Social Entrepreneur" weltweit neu entdeckt und gewürdigt worden. Ihm kommt gerade in vielen armen Ländern eine große Bedeutung zu. Dabei wird als ein gemeinsames Kennzeichen herausgestellt, dass es diesen Menschen nicht um punktuelle Wohltätigkeiten, sondern darum geht, dauerhaft strukturelle Missstände durch die Schaffung neuer Einrichtungen oder Projekte zu beheben.
  10. Historisch betrachtet ist unternehmerisches Handeln durch ein spezifisches Tätigkeitsbild gekennzeichnet, das sich mit zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung herausgebildet hat. Den modernen Unternehmer als einen, der die Produktionsfaktoren miteinander verbindet und sie in einer Einheit - einem Unternehmen - wirksam zusammenführt, hat es in dieser Form und in dieser Prägekraft in der vorindustriellen Zeit kaum gegeben, wenn man von den großen Handelshäusern (Fugger, Welser) absieht. Vorneuzeitlich ist wirtschaftliches Handeln in Ständeordnungen eingebunden und unterliegt dabei auch klar formulierten Tugenderwartungen. Besonders deutlich kommt das im Verständnis des Berufs bei Martin Luther zum Ausdruck, durch den die vom Glauben her ermöglichte Nächstenliebe zum Auftrag auch des ökonomischen Handelns wird. Die ethische Verwurzelung wirtschaftlichen Handelns ist in der Entwicklung der modernen Gesellschaften zunehmend zugunsten der Eigengesetzlichkeit der jeweiligen Handlungsräume, zu denen auch die Wirtschaft gehört, in den Hintergrund getreten. Heute muss daher mit neuem Nachdruck darauf hingewiesen werden, dass es ein völlig "freies", d. h. von sozialen Verpflichtungen und kulturellen Voraussetzungen entbundenes, Unternehmertum nicht geben kann; in jeder Gesellschaft ist es in soziale und kulturelle Zusammenhänge eingebettet und bleibt in ihnen rechenschaftspflichtig. Unternehmerisches Handeln ist Handeln im Zusammenwirken mit anderen.
  11. Gerade in der modernen arbeitsteiligen Wirtschaft wächst die öffentliche Sensibilität für die ethische Verantwortung unternehmerischen Handelns. Von unternehmerischen Entscheidungen hängen die Schicksale vieler Menschen ab. Vollkommen zu Recht stehen Unternehmer deswegen häufig im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Die Berichterstattung über sie ist indessen zuweilen von wiederkehrenden Vorurteilen entstellt, hinter denen die einzelnen Persönlichkeiten zurücktreten. Harte Kritik wird besonders dann geübt, wenn Unternehmen in Schieflagen geraten und es gar zu Entlassungen kommt. Anerkennung finden diejenigen Unternehmer, die Erfolg haben und Arbeitsplätze schaff en. Diese Anerkennung ist berechtigt, weil Unternehmer, die Arbeitsplätze schaff en, damit auch Menschen zu sozialer Teilhabe verhelfen. Umso mehr erhebt sich Kritik gegenüber jenen, die die Gewinne der Unternehmen zwar erhöhen, dies aber zulasten der Mitarbeiter oder gar durch den Abbau oder die Verlagerung von Arbeitsplätzen tun. Kritikwürdiges Verhalten einzelner Unternehmen hat zu einer Vertrauenskrise gegenüber dem Unternehmertum als solchem geführt. Nach neueren empirischen Untersuchungen vertrauten 2006 nur noch 27 Prozent der Deutschen darauf, dass die Bevölkerung profitiert, wenn es den Unternehmen gut geht. Jeder Dritte hält Gewinne gar für unmoralisch. Dabei sind Gewinne die Voraussetzung für Wachstum, Investitionen und Beschäftigung. Unternehmen können nur dann Steuern zahlen, wenn sie Gewinne erwirtschaften.

    Besonders beunruhigend für die Menschen ist allerdings die Tatsache des Abbaus von Arbeitsplätzen in gut verdienenden Unternehmen: 72 Prozent der Bevölkerung macht dies Angst. 2004 glaubten noch 51 Prozent der Bevölkerung, dass Wirtschaft und Bevölkerung letztlich in einem Boot sitzen; 2006 waren es nur noch 40 Prozent. Gleichwohl ist es grundsätzlich falsch, dass Gewinnsteigerungen vor allem auf Arbeitsplatzabbau beruhen und somit eine Gewinnmaximierung vor allem zulasten der Arbeitnehmer stattfindet. Über längere Zeiträume betrachtet, entwickeln sich Gewinne und Beschäftigung auf gesamtwirtschaftlicher Ebene in der Regel gleichläufig. Die Gewinne reagieren dabei freilich immer schneller als die Beschäftigungszahlen. Das erschwert es den abhängig Beschäftigten, auf sozialen Ausgleich zu vertrauen.
  12. In den Unternehmen selbst wird das zunehmende Misstrauen gegenüber unternehmerischem Handeln deutlich wahrgenommen. Ethik in der Wirtschaft ist zurzeit gefragt, nicht nur, weil damit Vertrauen gewonnen werden kann, sondern auch, weil immer mehr Unternehmer erkennen, dass die Orientierung an ethischen Maßstäben keineswegs zu wirtschaftlichen Nachteilen führen muss, sondern im Gegenteil auch betriebswirtschaftlich Vorteile bringen kann. Eine an ethischen Maßstäben orientierte gelebte Unternehmenskultur trägt dazu bei, unternehmerische Anpassungsprozesse konstruktiv und menschenfreundlich zu gestalten. Als Unternehmenskultur sind dabei grundlegende gemeinsame Überzeugungen zu verstehen, die das Denken, Handeln und Empfinden der Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen maßgeblich beeinflussen und die insgesamt typisch für das Unternehmen oder eine Gruppe im Unternehmen sind. Insbesondere in Unternehmen mit internationalen Produktions- und Dienstleistungsstandorten gewinnt eine in allen Firmenteilen gleichermaßen angewandte Unternehmenskultur zunehmend an Bedeutung. Der Zusammenhalt und das reibungslose Funktionieren eines Unternehmens unabhängig von Herkunft, Religion oder politischer Auffassung der Mitarbeiter kann durch eine Unternehmenskultur gefördert werden, die sich durch Offenheit und individuelle Wertschätzung auszeichnet. Viele Unternehmen geben sich deshalb ein Leitbild oder Führungsgrundsätze, die auf ethischen Prinzipien beruhen. Alle Versuche, tragfähige ethische Maßstäbe in die Kultur eines Unternehmens zu integrieren, verdienen Ermutigung. Die ethischen Traditionen des christlichen Glaubens bieten dazu eine nach wie vor kraftvolle Grundlage. Mit der vorliegenden Denkschrift will die Evangelische Kirche dazu beitragen, die in diesen Traditionen liegenden Orientierungsangebote für heutiges unternehmerisches Handeln fruchtbar zu machen.

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