Theologisch-Religionspädagogische Kompetenz - Professionelle Kompetenzen und Standards für die Religionslehrerausbildung

Empfehlungen der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums, EKD-Texte 96, 2009

Geleitwort

Der Evangelische Religionsunterricht ist der Ort, an dem Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene neun, zehn oder sogar dreizehn Jahre lang lernen können, was es heißt, als evangelischer Christ in einer pluralen Gesellschaft zu leben. Für manche ist der Religionsunterricht die erste, ja auf lange Zeit die einzige Chance, mit dem Christsein, seiner Geschichte, seinen Ausdrucks- und Lebensformen bekannt und vertraut zu werden. Umso wichtiger ist es, dass Schülerinnen und Schüler einen überzeugenden Unterricht erleben, der sie anspricht, ihre Fragen aufnimmt und sie selbst zu Fragen anregt, der ihnen zeigt, warum die Themen des Unterrichts lebensbedeutsam sind, und der ihnen einen von evangelischer Freiheit geprägten Lernraum eröffnet. Evangelischer Religionsunterricht soll deshalb guter, lebensdienlicher und bildungsförderlicher Unterricht sein. Ein solcher Unterricht braucht kompetente Lehrerinnen und Lehrer, die sich auf die Sache des Religionsunterrichts ebenso verstehen wie auf ihre Schülerinnen und Schüler. Das erfordert eine sorgfältige Vorbereitung, bei der Studierende, Lehramtsanwärterinnen und -anwärter und junge Kolleginnen und Kollegen sich das berufliche Wissen und Können aneignen, das sie für einen ertragreichen Religionsunterricht benötigen.

Welches Wissen und welches Können – also welche Kompetenzen – brauchen Religionslehrkräfte? Dieser Frage geht die vorliegende Ausarbeitung nach. Sie nimmt die konkreten Anforderungen in den Blick, die jeden Tag auf die Religionslehrkräfte zukommen und denen sie gewachsen sein müssen, und blickt von dort aus zurück auf die Ausbildung im Studium, im Vorbereitungsdienst und in der Berufseingangsphase. Alle Ausbildungsphasen sollen dazu beitragen, dass sich eine solide „theologisch-religionspädagogische Kompetenz“ entwickelt, die alle notwendigen Teilkompetenzen einer Religionslehrkraft umschließt. Kompetenzen benötigen einen Gütemaßstab, der angibt, in welcher Ausprägung Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten vorhanden sein müssen, damit Religionsunterricht in guter Qualität erteilt werden kann. Dafür verwendet der vorliegende Text den Begriff „Standard“.

Wissen und Können zu erwerben, also bestimmten Standards zu genügen, ist die eine Seite der Ausbildung; zu lernen, was es heißt, als evangelische Religionslehrerin oder Religionslehrer tätig zu sein, ist die andere. Denn dazu gehört noch mehr. Dieses „Mehr“ wird hier als „berufliche Identität“ bezeichnet. In anderer Weise als Lehrerinnen und Lehrer mit anderen Fächern sind Religionslehrer und Religionslehrerinnen mit ihrer gesamten Biographie, ihrer Person und ihren Lebensvollzügen in Anspruch genommen – nämlich in der unverkennbaren, aber individuell verschieden ausgeprägten Weise, in der sie auf den christlichen Glauben und die evangelische Kirche bezogen sind. Auch die Klärung dieser Beziehungen gehört daher zur Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer.

Studierende wollen nicht einfach Religionslehrerinnen oder Religionslehrer werden, sondern sie wollen später in der Grundschule, in einer Schule der Sekundarstufe I, im Gymnasium, in der Gesamtschule oder in einer berufsbildenden Schule tätig sein. In jeder Schulform und auf jeder Schulstufe stellen sich besondere Aufgaben, die eine besondere Ausprägung bestimmter Kompetenzen erfordern. Aber gemeinsam begegnen alle Religionslehrkräfte bestimmten grundlegenden Anforderungen. Alle Lehrkräfte sind damit beauftragt, Religionsunterricht zu gestalten, in religionspädagogisch verantworteter Weise erzieherisch zu wirken, Schüler in ihrer religiösen Entwicklung zu fördern, mit religiöser Heterogenität umzugehen, Leistungen gerecht zu beurteilen, Aspekte religiöser Bildung in der Schulentwicklung fruchtbar zu machen etc. Deshalb können die zentralen Kompetenzen in der Lehrerbildung für Lehrerinnen und Lehrer aller Schulformen und -stufen einheitlich formuliert werden. Das schließt aber ein, dass Universitäten, Studienseminare und Fortbildungseinrichtungen in ihren Studienplänen und Ausbildungs- beziehungsweise Fortbildungskonzepten den spezifischen Anforderungen in bestimmten Schultypen Rechnung tragen.

Diese Ausarbeitung setzt einen Rahmen für die regionalen Studien-, Ausbildungs- und Fortbildungskonzepte. Sie beschreibt jedoch nicht die Strategien dafür, wie eine kompetenz- und standardorientierte Religionslehrerausbildung umgesetzt und deren Wirksamkeit überprüft werden kann. Es löst auch nicht das Problem, wie theologisch-religionspädagogische Kompetenz mit ihren Teilkompetenzen praktisch ausgebildet und angeeignet wird, wie also aus beruflich notwendigem Wissen auch professionelles Können wird. Es ist also im besten Sinne eine „Orientierungshilfe“, die sich bei der Planung von Studiengängen und bei der Entwicklung von Ausbildungs- und Fortbildungskonzepten bewähren soll. Sie bietet einen „roten Faden“ an, der die einzelnen Module, die Lernsequenzen und Fortbildungsangebote durchzieht und zusammenhält.

Es ist zu hoffen, dass die vorliegenden Überlegungen einen breiten Diskussionsprozess auslösen und an möglichst vielen Orten rezipiert, erprobt und evaluiert werden. Sie haben dann ihren Zweck erfüllt, wenn es gelingt, Religionslehrkräfte in möglichst hohem Maß kompetenzorientiert aus- und fortzubilden. Diese Orientierungshilfe fordert dazu heraus, die Anforderungen der Praxis phantasievoll und ideenreich in die theologisch-religionspädagogische Ausbildung einzubeziehen und Modelle guter Praxis zu entwickeln, um auf diese Weise eine Religionslehrerausbildung „aus einem Guss“ und auf hohem Niveau zu verwirklichen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat in den vergangenen Jahren auf vielfältige Weise gezeigt, welch große Bedeutung sie einem guten Religionsunterricht beimisst. In den diesem Thema gewidmeten Bemühungen bildet die vorliegende Ausarbeitung einen weiteren Baustein. Ich wünsche ihr eine vielfältige Aufnahme und Umsetzung – im Dienst einer guten Aus- und Fortbildung für einen guten Religionsunterricht.

Berlin/Hannover, im August 2008

Bischof Dr. Wolfgang Huber
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

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