Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 154

EU - Mehrwertsteuersystem endlich vollenden

Julia Maria Eichler

Die Europäische Kommission führte bis zum 20. März 2017 mehrere Konsultationen zur Reform des europäischen Mehrwertsteuersystems durch. Auf europäischer Ebene wurde durch die Mehrwertsteuerrichtlinie 2006 (2006/112/EC) ein Übergangsmehrwertsteuersystem geschaffen. Bereits 2011 beschloss die Kommission dieses durch ein am Bestimmungsort orientiertes endgültiges Mehrwertsteuersystem zu ersetzen, wonach der anzuwendende Steuersatz sich nach dem Ort bestimmt, an dem der Käufer ansässig ist. Die Kommission veröffentlichte im April 2016 einen Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer, mit dem der Weg zu einem einheitlichen europäischen Mehrwertsteuerraum festgelegt werden sollte. In ihrem Arbeitsprogramm für das Jahr 2017 hatte die Kommission angekündigt, dass sie Maßnahmen zur Vereinfachung des Mehrwertsteuerrechts für kleinere Unternehmen, zur Reform der Mehrwertsteuersätze und für ein effizienteres, unternehmensfreundliches betrugssicheres europaweites Mehrwertsteuersystem vorschlagen wird. Daneben wird es einen Vorschlag zur verbesserten Verwaltungszusammenarbeit geben. Vor diesem Hintergrund führte die Kommission vom 20. Dezember 2016 bis zum 20.März 2017 öffentliche Konsultationen zu verschiedenen Teilaspekten unter anderem zur Reform der Mehrwertsteuersätzen durch, an der sich das EKD-Büro Brüssel gemeinsam mit dem Katholischen Büro in Berlin beteiligt hat.


Die Kommission geht davon aus, dass das gegenwärtige weitläufige System von Ausnahmen zu dem Standard-Mehrwertsteuersatz auslaufen wird, wenn das endgültige Mehrwertsteuersystem angenommen ist. Die gegenwärtige Mehrwertsteuerrichtlinie sieht Begrenzungen hinsichtlich der Festlegung von Mehrwertsteuersätzen für die Mitgliedsstaaten vor. Als Standard-Mehrwertsteuersatz wird ein Mehrwertsteuersatz von mindestens 15 Prozent innerhalb der EU festgelegt. Die meisten Mitgliedstaaten wenden darüber hinaus noch reduzierte Mehrwertsteuersätze auf bestimmte Güter und Dienstleistungen an. Die Richtlinie lässt bis zu zwei reduzierte Mehrwertsteuersätze von mindestens 5 Prozent zu. Die Güter und Dienstleistungen, auf die diese Mehrwertsteuersätze Anwendung finden, sind im Annex zur Richtlinie aufgelistet. Diese Liste berücksichtige allerdings nicht ausreichend technologische und wirtschaftliche Entwicklungen, so die Kommission. Die Kommission vertritt die Ansicht, dass in einem bestimmungslandbasierenden Mehrwertsteuersystem die Mehrwertsteuersätze weniger Einfluss auf die Funktion des Binnenmarktes haben werden und den Mitgliedsstaaten deshalb mehr Ermessen bei Mehrwertsteuersätzen zugestanden werden könnte. Sie fragte daher in der Konsultation nach dem Verhältnis zwischen Flexibilität für die Mitgliedsstaaten und der steigenden Komplexität des Systems durch potentiell weniger Harmonisierung, der Anzahl an Standard-Mehrwertsteuersätzen, reduzierten Mehrwertsteuersätzen und damit verbundenen Problemen und Risiken sowie der Möglichkeit einer regelmäßig aktualisierten Liste von Gütern und Dienstleistungen, auf die ein reduzierter Mehrwertsteuersatz Anwendungen finden soll.


In der Stellungnahme beider Kirchen wird der Ansatz der Kommission, den Mitgliedsstaaten mehr Flexibilität bei der Anwendung von Mehrwertsteuersätzen einzuräumen, grundsätzlich begrüßt. Hintergrund der Beteiligung beider Kirchen ist die Vielfältigkeit der Aufgaben und Aktivitäten die evangelische und katholische Kirchen als Trägerinnen von Schulen, Hochschulen, Akademien und Kindertagesstätten wahrnehmen. Hinzu kommen Angebote der Erwachsenen-, Konfirmanden-, Kinder- und Jugendbildungsarbeit sowie die Arbeit der Wohlfahrtsverbände Diakonie und Caritas. Die reduzierten Mehrwertsteuersätze und Mehrwertsteuerausnahmen für den öffentlichen Sektor und dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten hätten sich in Deutschland bewährt und sollten in ihrer Grundarchitektur nicht verändert werden. Insbesondere die festgelegten reduzierten Mehrwertsteuersätze für Nahrungsmittel, Arzneimittel, aber auch Bücher und Eintrittskarten für Theater und Museen seien zu begrüßen, da sie die Deckung des täglichen Bedarfs und die soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben von Bürgern ermöglichen, die einem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Die Steuerbefreiungen und -ermäßigungen seien aus sozialpolitischen und gesellschaftlichen Gründen unabdingbar, da durch sie erhebliche Kostensteigerungen bzw. Leistungssenkungen und damit eine zusätzliche Belastung der Sozialversicherungssysteme vermieden werden können. Aus kirchlicher Sicht sollte die Liste der reduzierten Mehrwertsteuersätze im Zuge der Überarbeitung des europäischen Mehrwertsteuerrechts aber um Dienstleistungen, wie die Instandhaltung, Pflege, Reparatur, Renovierung und Restaurierung von Kirchen und anderen Gebetsstätten, Baudenkmälern und Stätten des kulturellen Erbes erweitert werden. Ein reduzierter Steuersatz wäre nicht nur ein starkes politisches Signal zur Ermutigung, dieses kulturelle und geistige Erbe Europas im Interesse der Allgemeinheit zu bewahren. Die steuerliche Förderung des Erhalts dieser historischen Gebäude wäre auch angesichts dessen angemessen, dass dies eine wichtige Gemeinwohlaufgabe ist, die der regionalen Identität zugutekommt. Die historischen Gebäude und Kirchen seien Ausdruck gelebter Geschichte und würden als Sehenswürdigkeiten und Tourismusfaktoren auch zum Wirtschaftswachstum in den Regionen, in denen sie stehen, beitragen.

 

Die Stellungnahme finden Sie hier:

http://ekd.be/2qbjJ4P

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