Friedensethik heute: Das Dilemma nuklearer Abschreckung

In ihrer Denkschrift „Welt in Unordnung“ nimmt die EKD ausführlich Stellung zu den Themen „Atomwaffen“ und „nukleare Abschreckung“. Vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage formuliert sie ethische Überlegungen und Bewertungen in Hinblick auf Entwicklung, Besitz und Anwendung von Atomwaffen.

Die Bedrohung durch Atomwaffen
Atomwaffen gefährden die gesamte Menschheit in nie dagewesener Weise. Sie unterscheiden nicht zwischen Kämpfenden und Zivilbevölkerung. Ihre radioaktive Verseuchung wirkt über Generationen. Aus christlicher Perspektive sind sie daher ethisch nicht zu rechtfertigen. Deutschland besitzt zwar selbst keine Atomwaffen, ist aber durch die NATO-Teilhabe direkt betroffen: Deutsche Kampfflugzeuge können im Ernstfall amerikanische Atombomben einsetzen.

Das ethische Dilemma
Der Ukraine-Krieg zeigt die Ambivalenz dieser ethischen Bewertung: Nach ihrem Nuklearverzicht wurde die Ukraine Opfer konventioneller Aggression. Russland nutzt Atomdrohungen zur Eskalation. Staaten ohne nukleare Abschreckung sind verwundbar gegenüber Atommächten. Aus dieser Situation erwächst ein schwerwiegendes Dilemma:
Der Einsatz von Atomwaffen bleibt unter allen Umständen verwerflich. Dennoch kann ihr Besitz zur Abschreckung sicherheitspolitisch geboten erscheinen. Wenn politische Verantwortungsträger über neue Systeme nuklearer Abschreckung in Deutschland entscheiden sollen, müssen sie das kleinere von zwei Übeln wählen. Eine gute Entscheidung gibt es nicht. Bei der Entscheidungsfindung sollten sie – in guter protestantischer Tradition – allein ihrem Gewissen folgen und nicht durch Fraktionszwang gebunden werden. Die Kirche steht ihnen in dieser Gewissensnot zur Seite.

Das Ziel: eine atomwaffenfreie Welt
Nukleare Abschreckung darf niemals zur Normalität werden. Sie bleibt allenfalls eine Übergangslösung, die von glaubwürdiger Abrüstungsdiplomatie begleitet werden muss. Langfristig gilt es, eine Welt zu schaffen, in der Sicherheit nicht durch Drohpotenziale, sondern durch Vertrauen und Kooperation gewährleistet wird.

Kernsätze der EKD-Denkschrift:

  • „Hinter die Ächtung von Atomwaffen, wozu auch die Androhung eines nuklearen Schlags gehört, gibt es kein ethisches Zurück.“ S. 113 (144)
  • „Der Besitz von Nuklearwaffen kann sicherheitspolitisch notwendig sein, auch wenn ihr Einsatz durch nichts zu rechtfertigen ist.“ S. 114 (145)
  • „Hinsichtlich der nuklearen Abschreckung und der nuklearen Teilhabe lassen sich keine eindeutigen, ethisch begründeten Vorgaben treffen, sondern lediglich [die genannten] Dilemmata festhalten.“ S. 116 (148) S. 117 (149)
  • „Die Teilhabe an nuklearer Abschreckung darf keinesfalls als Normalität hingenommen werden. Sie muss stets von glaubwürdigen Initiativen zu Rüstungskontrolle, Gewaltminimierung und vertrauensbildender Diplomatie begleitet sein.“

© Welt in Unordnung – Gerechter Friede im Blick. Evangelische Friedensethik angesichts neuer Herausforderungen. Eine Denkschrift der Evangelischen Kirchen in Deutschland, EVA GmbH, Leipzig 2025.