Handwerk als Chance

4. Geschichte, Grundfragen und Orientierungen

4.1 Geschichtliche Betrachtung

4.1.1 Das "alte Handwerk" und die Maximen zünftiger Ethik

(98) Mit der Herausbildung der durch das Bürgertum geprägten Städte seit dem 11./12. Jahrhundert wurde handwerkliche Produktion zu einem wichtigen städtischen Wirtschaftszweig. Wegen der vorhandenen Rohstoffe, aus traditionellen wie geographischen Gründen und bedingt durch besondere Produktionsvoraussetzungen erschien das mittelalterliche Handwerk in bestimmten regionalen und innerstädtischen Konzentrationen. Es war gekennzeichnet durch Spezialisierung, eine tendenziell verfolgte Verbesserung der Produktionsinstrumente sowie durch zunehmende Markt- und Exportproduktion. Die meisten städtischen Handwerker arbeiteten im Familienverband, wobei die Frauen in erster Linie für den Verkauf und Absatz sorgten. Nebenher wurden Ackerbau und Viehwirtschaft betrieben.

(99) Das städtische Handwerk organisierte sich in Zünften. Diese garantierten ökonomische und soziale Sicherheit, berufliche Bildung, handwerkliche Erfahrung und Tradition, kulturelle Identität und religiöse Gemeinschaft. Gleichzeitig fungierten die Zünfte als Instrumente städtischer Wirtschaftspolitik, indem sie die Versorgung der Bevölkerung gewährleisteten und Kunden und Käufer vor finanzieller Übervorteilung schützten. Die strukturell egalitäre Programmatik der Zünfte tendierte zur Beharrung und Verkrustung. Dennoch hatte sie auf Dauer weder die ökonomische und soziale Differenzierung innerhalb der Handwerkerschaft noch Wettbewerb, Konkurrenz und Innovation verhindern können. Das zünftige Handwerk wurde zum gewerblichen Unterbau für den Übergang zur kapitalistischen Produktionsweise.

(100) An den Bürgerkämpfen des 13. bis 15. Jahrhunderts war das städtische Handwerk maßgeblich beteiligt. Mit zunehmender ökonomischer Bedeutung strebte es gegen die feudalen Stadtherren nach zünftiger Autonomie und rechtlich politischer Teilhabe an der bürgerlichen Ratsherrschaft, aber erst mit der Verabschiedung der Reichshandwerkerordnung 1731, die u.a. die ständische Gerichtsbarkeit und das Versammlungsrecht einschränkte, wurden zentrale Privilegien angegriffen. Zwar ließen sich die Bestimmungen in den Reichsstädten und Territorien nicht durchsetzen, aber die Verrechtlichung des Handwerks hatte damit ihren Anfang genommen. Die Zünfte verloren in der Folge, auch bedingt durch die ökonomische Entwicklung (Ausbildung des Manufakturwesens), an politischer und ökonomischer Macht.

(101) Neben dem zünftigen spielte das nichtzünftige städtische Handwerk und das Landhandwerk für die Versorgung der Bevölkerung auch vor Aufhebung des Gewerbezwanges eine wichtige Rolle, so gab es z.B. in Hamburg 1789 neben 120 zünftigen Schuhmachermeistern, die mit ungefähr 200 Gesellen arbeiteten, ca 2.000 sogenannte Bönhasen. Vergleichbare Zahlen ließen sich auch für andere Handwerke anführen. Die Verteilung zwischen Stadt- und Landhandwerk war regional sehr unterschiedlich. Der Entwicklungsstand des Landhandwerks war wesentlich vom Grad der Arbeitsteilung zwischen Handwerk und Landwirtschaft innerhalb eines Dorfes abhängig. Viele der Landhandwerker hatten zünftig gelernt und sich aufgrund der schlechten Aufstiegschancen in der Stadt im Dorf niedergelassen, arbeiteten dort aber durchaus auch für städtische Auftraggeber. Mit Bannmeilen und dem Städtezwang versuchte das zünftige Handwerk, wenn auch mit geringem Erfolg, die unliebsame Konkurrenz auszuschalten.

(102) Handlungsorientierend für das "alte Handwerk" waren vor allem die Zunftordnungen. Sie waren von folgenden Maximen bestimmt:

  • Die ökonomische Maxime garantiert das Funktionieren des Marktes. Überproduktion wird verhindert, indem die Zahl der Handwerksbetriebe und deren Arbeitszeit begrenzt werden. Damit wird der Wettbewerb reguliert ("vollkommener Wettbewerb"), Marktkonzentration vermieden und die Preisstabilität gesichert.
         
  • Die soziale Maxime schützt sowohl Meister als auch Gesellen vor (Selbst-) Ausbeutung, indem beispielsweise Arbeitszeitordnungen (Feierabend, Sonntag, "Blauer Montag") zur Humanisierung der Arbeit beitragen. Die Arbeitszeiten sind zwar - vor allem im Sommer, wenn es länger hell ist - lange, aber nicht verdichtet. Das ergibt sich aus der Subsistenzwirtschaftsweise, das heißt es wird zur Sicherung des Lebensunterhaltes gearbeitet, für konkrete Auftraggeber und nicht für einen anonymen Markt.
         
  • Die moralische Maxime kommt im Begriff vom "Ehrbaren Handwerk" zum Ausdruck. Damit wird ein sittlicher Anspruch untermauert, den das Handwerk zudem gegenüber den mächtigen Schichten der mittelalterlichen Stadt (Klerus, Kaufleute, Geldverleiher) seinen eigenen gesellschaftlichen Status verteidigt. Hierzu trägt schließlich auch eine festgeschriebene Ausbildungsordnung bei.
         
  • Die religiöse Maxime ergibt sich in der damaligen Gesellschaft von selbst, sie konkretisiert sich aber vor allem in der Verehrung bestimmter Heiliger als Patrone. In ihnen werden nicht nur die Fürsprecher bei Gott erblickt, sondern Vorbilder, die einen praktischen, sittlich-moralischen und schließlich religiösen Rahmen für das eigene Handwerk anbieten und damit auch einen Weg zum beruflichen Erfolg.

4.1.2 Die Bedeutung des reformatorischen Ethos für das Handwerk

(103) Auch wenn das Handwerk im hohen Mittelalter nur in den größeren Städten in Zünften, Bruderschaften und Genossenschaften organisiert war, - die überwiegende Zahl der Handwerker in Europa war teils selbständig, teils unselbständig im landwirtschaftlichen Haupt- oder Nebenerwerb tätig - so hatte sich doch so etwas wie ein einheitliches religiöses Bewußtsein herausgebildet. Hierzu gehört zunächst der Glaube, einem von Gott gesegneten Stand anzugehören, der seine eigene Würde und Bestimmung hat. Standessolidarität diente zugleich dazu, die von überall in die Städte ziehenden Gewerbetreibenden zu integrieren und sie mit den strengen Regeln genossenschaftlichen Lebens vertraut zu machen. Ferner wird immer der "Dienstbegriff" hervorgehoben, der zunächst das Handwerk als "dienenden Stand" gegenüber den gottgewollt "herrschenden" Ständen unterstreicht. Andererseits wurde ein Dienst- und Gemeinschaftsethos begründet, das echte Treue von Mensch zu Mensch in Demut und Gehorsam kannte. Auch der spezifische "Ehrbegriff", der auf Wert und Leistung im Blick auf die Erzeugung von Gütern durch menschliche Hände beruhte, charakterisiert eine Höhenlinie sozialer Kultur, die auch spätere Generationen nicht mehr durchgehend zu halten vermochten.

(104) Die Predigt der Reformation wurde von den Handwerkern in den Städten mit großer Begeisterung aufgenommen. Martin Luther hat die göttliche Berufung zum Dienst, die in seiner Zeit ausschließlich dem geistlichen Stand zugesprochen wurde, sehr entschlossen auch auf die weltlichen Tätigkeiten übertragen. Das Wort Beruf stammt dadurch von ihm. "So folgt daraus, daß zwischen Laien, Priestern, Fürsten, Bischöfen und wie sie sagen geistlichen und weltlichen ... wahrlich kein anderer Unterschied besteht als des Amts oder Werks halber und nicht des Stands halber. Denn sie sind alle geistlichen Stands ... Ein Schuster, ein Schmied, ein Bauer, ein jeglicher hat seines Handwerks Amt und Werk, und doch sind alle gleichermaßen geweihte Priester und Bischöfe, und ein jeglicher soll mit seinem Amt oder Werk den andern nützlich und dienlich sein: damit so vielerlei Werke alle auf eine Gemeinde gerichtet sind, um Leib und Seele zu fördern, wie die Gliedmaßen des Körpers alle eins dem anderen dienen." (An den christlichen Adel deutscher Nation. 1520)

(105) Das deutsche Städtewesen spielte für die Reformation eine wichtige Rolle. Bürger in ihren Organisationen und Stadt in ihren Organen waren bedeutende Faktoren bei der Durchsetzung der Reformation, die bekanntlich von gewichtigen Rückschlägen und Fehlentwicklungen nicht bewahrt blieb.

(106) Die Mehrzahl der Reformatoren entstammte selbst dem Handwerkerstand. Dieser Stand griff intensiv den lutherischen Bildungsgedanken auf. So konnte der Zeitgenosse und Franziskaner Heinrich von Kettenbach schon in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts darauf hinweisen: "Man findet jetzt in Nürnberg, Augsburg, Ulm, am Rheinstrom, in Schweiz, in Sachsen Frauen, Jungfrauen, Knecht, Bachanten, Handwerksleut, Schneider, Schuhmacher, Bäcker, Püttner ..., die mehr wissen in der Bibel als all die hohen Schulen wie Paris, Köln usw."

(107) Es läßt sich durch alle Perioden der neuzeitlichen Entwicklung nachweisen, daß die Handwerkerfamilien den Gedanken der sittlichen Reform, der Freiheit des Christenmenschen und den Dienstgedanken immer wieder auf die Tagesordnung setzten, wobei die strenge Bindung an den reformatorischen Berufsgedanken stets im Vordergrund stand.

4.1.3 Die Krise und Selbstbehauptung des Handwerks in der industriellen Revolution

(108) Durch das Aufkommen industrieller Produktion spitzten sich die im 18. Jahrhundert begonnenen Struktur- und Wettbewerbsprobleme des Handwerks weiter zu. Industrielle Produktionstechniken führten zu tiefgreifenden Veränderungen der Wirtschafts- sowie der Sozialstruktur und seit etwa 1830 zu einem verbreiteten Massenelend, das besonders die Gesellen traf. Vor allem die völlige Gewerbefreiheit, die in den Jahren zwischen 1810 und 1820 eingeführt wurde, hat große Teile des Handwerks in Armut gestürzt. Die Hunger- und Teuerungskrise 1846/47 führte nahezu zu einem Stillstand der gewerblichen Produktion. Für das Handwerk bedeutete diese Zeit mit der Einführung der Gewerbefreiheit und der Abschaffung des Zunftzwanges den Übergang aus der Welt "des alten Handwerks" in die vom Großgewerbe, Verkaufsmagazinen und Gewerbefreiheit geprägte Welt des 19. Jahrhunderts.

(109) Zur Artikulation der wirtschaftlichen und sozialen Interessen des Handwerks fand im Jahre 1848 eine Mobilisierung der Handwerker ihren Anfang, die in die Handwerkerbewegung mündete. Die Wiederherstellung der Selbstverwaltung des Handwerks wurde gefordert. Die handwerklichen Proteste waren Ausdruck von Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung aber auch der "Angst vor der Proletarisierung". Die deutsche Revolution von 1848/49 wurde wesentlich von Handwerkern, Meistern und Gesellen gleichermaßen getragen.

(110) Angesichts der Aufsplitterung gewerblicher Produktion in immer mehr Bereiche und der unterschiedlichen Verfaßtheit der Betriebe (vom Großbetrieb bis zum Nebenerwerb), ist es schwierig, am Ende des 19. Jahrhunderts noch eine vereinheitlichende Definition für "Handwerk" zu finden. Aber die Arbeitsverfassung - Lehrling, Geselle, Meister -, die Identität von Betriebsinhaber bzw. -leiter und erstem Arbeiter, die noch häufige Beziehung zur Familienverfassung und das ausgeprägte Bewußtsein eines besonderen Status genügen zur Beschreibung der Wirklichkeit.

(111) Im Laufe des 19. Jahrhunderts war angesichts der sprunghaft wachsenden Bedeutung der Industrie immer wieder der Niedergang des Handwerks prognostiziert worden und diese breit getragene Auffassung prägte das Krisenbewußtsein des deutschen Handwerks. Aber letztlich führten die Veränderungen von Ökonomie und Gesellschaft nicht zum Verschwinden, sondern zur Umstrukturierung handwerklicher Arbeit: Reparatur, Installation und Handel wurden zu den zentralen Arbeitsfeldern. Bevölkerungswachstum und Verstädterung führten zur Abkehr von der Haushaltsproduktion. Grenzen der industriellen Produktion wurden vor allem bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln und in der Baubranche sichtbar. Außerdem befriedigte die neue Industrie Wünsche nach Reparatur, Service, Beratung, Spezialistenkompetenz und individuelle Wünsche nicht. Durch die gestiegene Kaufkraft einer wachsenden Mittelschicht waren auch immer mehr Menschen finanziell in der Lage und willens, solche Leistungen zu bezahlen.

(112) Gleichwohl verlor das Handwerk in dieser Zeit der Hochindustrialisierung immer mehr gegenüber der Industrie an Bedeutung und es wurden Forderungen nach staatlichem Schutz gegenüber Konkurrenten (z.B. Warenhäuser, Fabriken, Konsumvereine) laut. Handwerkskammern und Innungen (Ende des 19. Jahrhunderts) sollten die protektionistische Politik garantieren. Entscheidender jedoch für das Überleben des Handwerks in jener Zeit waren seine Anpassungs- und Innovationsbereitschaft und eine seit 1895 anhaltend gute Konjunktur.

(113) Die durchgreifenden ökonomischen Veränderungen wirkten sich auch auf die soziale und kulturelle Lage des Handwerks aus. Zwar blieb die enge Bindung zwischen Betrieb und Haus in Form der mithelfenden Familienmitglieder und der zunächst noch im Hause lebenden Lehrlinge erhalten, aber die Gesellen verließen nun nach der Lehre den Haushalt der Meisterfamilie. Fortbildungsschulen übernahmen einen Anteil der curricular festgeschriebenen Ausbildung. Es ging nicht mehr um das Erlernen ständisch geprägter Bildung, sondern um leistungsbezogenes Wissen. Die Lehre diente nicht mehr der Sozialisation in einen Stand, sondern dem Erlernen eines Berufes. Da der Gesellenstatus nun nicht mehr Durchgangsstadium in der beruflichen Biographie war, verschärften sich nach 1900 die sozialen Auseinandersetzungen um Löhne und Arbeitszeiten. Traditionelle Mittel der Konfliktlösung durch Innungsschiedsgerichte erwiesen sich als anachronistisch. In den zentralen Konfliktbranchen, Bauhandwerk und Buchdruck, setzte sich die Gewerkschaftsbewegung am ehesten durch.

(114) Als Fazit dieser Entwicklung bleibt festzuhalten, daß das Handwerk im Kaiserreich als Wirtschaftsfaktor und als Sozialgruppe an Bedeutung verlor, aber mit seinen Forderungen nach Schutz vor den Folgen der Industrialisierung als Kern des neuen Mittelstandes an Gewicht gewann.

4.1.4 Das Handwerk in der NS-Zeit

(115) Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler schritt die Gleichschaltung der handwerklichen Organisationen rasch voran. Schon Ende April 1933 standen an der Spitze der meisten Handwerkskammern und Innungen Mitglieder der NSDAP oder der Partei zumindest nahestehende Handwerker. Die Handwerkerbünde und Gewerbevereine wurden aufgelöst.

(116) Insgesamt mußte der nationalsozialistisch gesonnene Teil der im Handwerk Beschäftigten von der Politik der Parteiführung wohl enttäuscht sein. Die Arbeit am "ständischen Aufbau" war zurückgestellt. Immerhin erfüllte aber die Gesetzgebung der Jahre 1933 bis 1935 einige Forderungen, die der gewerbliche Mittelstand in der Weimarer Republik immer wieder erhoben hatte, vor allem die nach Zwangsinnungen und dem Großen Befähigungsnachweis.

(117) Vermutlich war die Handwerkspolitik der Nationalsozialisten nicht die drängendste Sorge des Handwerks. Unzufriedenheit bestand hinsichtlich der hohen Pflichtbeiträge und der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Betriebe. In der zweiten Hälfte der 30er Jahre profitierten hingegen weite Teile des Handwerks vom Rüstungsboom.

4.1.5 Das Handwerk nach dem Krieg

(118) Das Handwerk entwickelte sich in den beiden deutschen Teilstaaten unterschiedlich. Für die alte Bundesrepublik ist die Zeit nach 1945 kein Neubeginn, sondern im Blick auf das Handwerk ein Anknüpfen an Entwicklungen vor 1933. Aufs Ganze gesehen meisterte das Handwerk alle Struktur- und Wertewandelkrisen der Bundesrepublik durch ein hohes Maß an Kreativität, Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Dabei gelingt es dem Handwerk immer wieder, sowohl den sich ständig verändernden Anforderungen anderer Wirtschaftsbereiche als auch den sich wandelnden Erwartungen privater Nachfrager gerecht zu werden.

(119) In der DDR stand die Entwicklung zunächst ganz im Zeichen von Kollektivierung bzw. Vergenossenschaftlichung. Unabhängig von der Eigentums- und Organisationsform leistete das Handwerk in der DDR jedoch in erster Linie Lohnarbeit für die Industrie und produzierte Serien von Massenbedarfsgütern. 1976 kam es zu einer Wende in der Handwerkspolitik. Man entdeckte die Vorzüge der Kleinbetriebe und förderte deren stärkere Ausrichtung auf Reparaturen und Dienstleistungen für die Bevölkerung.

(120) Sofort nach der Grenzöffnung kamen Zehntausende von Handwerkern aus der DDR in den Westen Deutschlands. Sie suchten Kontakte zu Berufskollegen, wollten betriebswirtschaftliche und technische Beratung, benötigten Maschinen, Geräte und Material und waren an der Anbahnung von Geschäftsbeziehungen interessiert. Besonders wichtig war ihnen die demokratische Umgestaltung ihrer Handwerksorganisationen und deren Umwandlung zu echten Dienstleistungsunternehmen für das Handwerk. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks und alle seine Mitglieder, vor allem die grenznahen Handwerkskammern, aber auch unzählige Handwerker aus dem Westen haben sich damals mit dem ostdeutschen Handwerk solidarisch gezeigt und mit der finanziellen Unterstützung durch den Bund und die Länder Hilfe zur Selbsthilfe geleistet.

(121) 1987 gab es in der DDR rund 84.000 Betriebe des Handwerks mit 452.000 Beschäftigten. Bis Ende 1994 ist die Zahl der handwerklichen Betriebe in den neuen Ländern auf 146.000 angestiegen. Noch beeindruckender ist die Zunahme der Beschäftigten um das dreifache auf 1,4 Millionen. Die durchschnittliche Beschäftigtenzahl je Betrieb entspricht heute bereits der der alten Länder. Es zeigt sich heute, daß das Handwerk sich auf die Situation in den neuen Ländern eingestellt hat und einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau leistet.

4.2. Theologische Betrachtung

(122) Die biblische Botschaft ruft den Menschen zur Verantwortung und lehrt ihn zugleich, daß er auf Vergebung seiner Schuld angewiesen ist. Als Gottes Geschöpfe sind wir in dieser Welt vor ihm für unser Tun und Lassen Rechenschaft schuldig. Sein Gebot gibt uns Halt und Orientierung. Es zeigt dem Menschen aber auch, daß er Sünder ist, daß er aus der Angst um sich selbst lebt und für seinen Nächsten zum bösen Schicksal werden kann. Die Christusbotschaft des Neuen Testaments spricht dem Menschen, der sich seiner Gottesferne bewußt wird, die Gottesnähe aufgrund des Lebens, Leidens, Sterbens und Auferstehens Jesu Christi zu. "Die Erfahrung der Treue Gottes, der trotz menschlicher Untreue seinen Bund bewahrt, steht Hoffnung stiftend gegen die vielfältigen Kontrasterfahrungen der Geschichte, die Erfahrung der Ungerechtigkeit, Treulosigkeit und Verlogenheit. Sie lädt die Menschen immer wieder neu ein zu einem Handeln, das dem rechtschaffenden und gnädigen Willen Gottes für jeden einzelnen wie für alle dadurch Raum schafft, daß es die Mächte des Bösen eindämmt und das Gute befördert." (Gemeinsames Wort der Kirchen "Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit")

(123) Der von der Angst um sich selbst befreite Mensch darf vor Gott neu anfangen. Er kann sich als gerechtfertigter Sünder verstehen. Er muß sein Tun nicht mehr zur Bewältigung seiner Angst um sich selbst mißbrauchen. Er steht in der Freiheit eines Christenmenschen. Paulus schreibt im Römerbrief: "Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch die Erneuerung eueres Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene." (Röm. 12, 1f)

(124) Martin Luther hat diese Berufung des Christenmenschen zum Gottesdienst im Alltag der Welt in besonderer Weise herausgestellt. Sie ist in seiner Zeit von allen Ständen, besonders aber von den Handwerkern mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen und im Sinne eines neuen Arbeitsverständnisses verstanden worden. Das Handeln des Menschen im Alltag wird danach insofern zu Beruf und Berufung, als es in Verantwortung vor Gott und im Glauben an seine Gegenwart geschieht. Was der Mensch in seinem Beruf tut, bekommt seine ethische Bewertung dadurch, wieweit es der Gemeinschaft und dem Nächsten nützt oder schadet.

(125) Gottesdienst im Alltag der Welt ist nach biblischem Verständnis Dienst vor Gott in wirtschaftlichem Handeln und in menschlicher Arbeit. "Überall im Leben und so auch in der Wirtschaft übernehmen Menschen in ihrem Handeln Verantwortung für andere Menschen und für die Mitwelt. Solche Verantwortung von Menschen für Menschen und für die Mitwelt ist zugleich Verantwortung vor Gott. Verantwortung vor Gott bedeutet für Christen, gemeinsam nach Maßstäben des Gebotes Gottes zu fragen, an denen das Handeln zu prüfen ist, und miteinander nach Orientierung zu suchen, von der sich Verantwortung nach Gottes Willen leiten lassen soll. ... Wirtschaft ist kein verantwortungsfreier Raum." (Wirtschaftsdenkschrift der EKD "Gemeinwohl und Eigennutz", 1991)

(126) Dies gilt auch für die Arbeit des Menschen. Die biblische Auffassung von Arbeit unterscheidet sich grundlegend von der Wertung der griechisch-römischen Antike. Arbeit ist in der Bibel Teil der normalen Lebenswelt des Menschen. Sie ist nichts, was den Menschen abwertet, vielmehr geschieht sie in der Verantwortung vor Gott und in der Hoffnung auf seinen Segen für das menschliche Tun. Träumt die Antike deshalb in ihren rückwärts- und vorwärtsgewandten Utopien und Paradiesvorstellungen von der Befreiung vom Zwang der Arbeit, so setzt das Alte Testament auf die Befreiung der Arbeit vom Zwang. Das Neue Testament unterstreicht ihre Bedeutung für das Leben des Christen: "Alles, was ihr tut, das tut von Herzen als dem Herrn." (Kol. 3,17) Nicht mehr (körperlich) arbeiten zu müssen ist deshalb nirgends Wunsch (gearbeitet wurde selbst im "Paradies", 1. Mose 2,15; gearbeitet wird im zukünftig erhofften Friedensreich, z.B. Jes 11,6; 65,17 ff.).

(127) Um so wichtiger wird die Frage nach den Bedingungen der Arbeit. Anliegen der biblischen Aussagen ist eine Arbeit, deren Ertrag die Produzenten selbst genießen können, eine Arbeit ohne unmenschlichen und den Menschen gefährdenden Zwang und ohne menschenverachtende Ausbeutung. Die, wie wir heute sagen würden, Sozialverpflichtung in der Arbeitswelt wird besonders anschaulich darin deutlich, daß in die Sabbatruhe (2. Mose 20, 8 ff.; 5. Mose 5,12 ff.) alle Mitglieder der Familien und alle Abhängigen, ja auch die Tiere miteinbezogen sind. Der Sabbat zerschneidet die Arbeitswoche und setzt dem Anspruch des "Reiches der Notwendigkeit" Grenzen. Darin und ebenso in den Bestimmungen für das Sabbatjahr (3. Mose 25 u.a.) wird deutlich, daß das Ökonomische im Leben des Menschen nicht das letzte Wort und nicht allumfassende Gültigkeit behält.

(128) Was für die Arbeit in biblischer Sicht insgesamt gilt, gilt auch für die handwerkliche Arbeit. Sie soll den Lebensbedürfnissen von Menschen dienen. Ebenso wichtig ist die Umkehrung: Menschen sollen nicht den Produkten ihrer eigenen Arbeit dienen, sie nicht anbeten, verehren und vergötzen. Daß Menschen dem dienen, was sie selbst gemacht haben, ist in der Bibel die Definition von Götzendienst (z.B. Psalm 135; Jes 44,9 ff.).

(129) Mit den biblischen Schilderungen aus der Arbeitswelt verbinden sich wichtige Aussagen über den Menschen und sein Leben vor Gott. Die Arbeit des Menschen soll vor Gottes Angesicht und zu seiner Ehre geschehen, aber auch mit dem Gefühl der Dankbarkeit sowie der Genugtuung über ein gutes und gelungenes Werk. Menschliche Arbeit und Können werden in den Dienst Gottes gestellt (vgl. Kol. 3,17). Arbeit ist gleichsam "Beruf", der in Freude (an Kunst und Vermögen), Dankbarkeit, und in bereitwilligem Dienst ausgeübt wird. Damit wird ein grundsätzlicher und religiös begründeter Anspruch auf eine menschliche Lebens- und Arbeitswelt formuliert. So wollen auch die vielen Schilderungen von handwerklicher Arbeit in der Bibel Grundsätzliches über die menschliche Existenz in seiner Lebens- und Arbeitswelt zum Ausdruck bringen.

(130) Arbeit wird in der Bibel aber auch sehr nüchtern als "Mühe und Plackerei" (Psalm 90) gesehen, die im Schweiße unseres Angesichts getan wird. Sie hat Teil an der Gebrochenheit der menschlichen Existenz von den biblischen Urgeschichten an. Immer wieder wird in biblischen Worten und Erzählungen die Vermessenheit des Menschen angesprochen und damit die Entfremdung und Trennung von Gott schlechthin. Die Geschicklichkeit und Kunstfertigkeit des Menschen werden von ihm zu Werken der Hybris mißbraucht, um sich selbst zu dem Bestimmer und Gestalter zu machen. Immer wieder taucht dieses Motiv in der Bibel auf (vgl. etwa die Geschichte vom Turmbau in Babel). Hier werden menschliche Arbeit und Leistung pervertiert. Arbeit ist nicht mehr dienende Arbeit, die in der Verantwortung vor Gott getan wird, sondern sie trägt den Keim der Hybris und Selbstbezogenheit in sich. Die Arbeit ist in diesem Fall Ort des Scheiterns des Menschen. Es ist der Mensch selbst, der als Feind einer humanen Arbeit unter verantwortlichen Bedingungen geschildert wird.

(131) So gehört zum biblischen Bild von menschlicher Arbeit grundsätzlich beides: sie ist Segen und Fluch, Ort der Bewährung und Ort des Scheiterns des Menschen, Ausdruck der Dankbarkeit gegen Gott und Mittel der Selbstbezogenheit des Menschen. Beides aber, die Aussagen über die gesegnete Arbeit und die Aussagen über das Versagen des Menschen, muß festgehalten werden. Auch die mühselige, den Menschen in mancherlei Weise entfremdende Arbeit steht nicht nur unter dem Gebot, menschwürdiger gestaltet zu werden. Dies ist manchmal nur unvollkommen möglich. Sie steht auch unter dem versöhnenden Wort Christi, das uns gewiß macht, daß auch dort, wo wir in hohem Maß belastet und beschwert werden und uns das Stöhnen näher liegt als das Danken, Gottes Nähe uns gilt. Solcher Zuspruch der Gottesnähe darf nicht der Stabilisierung ungerechter und menschenunwürdiger Verhältnisse dienen. Es geht vielmehr darum, durch den Zuspruch der Barmherzigkeit Gottes die Gelassenheit zu gewinnen, mit dem leben zu können, was nicht zu ändern ist, und das zu erkennen, was man ändern kann, und den Mut gewinnt, es dann auch zu tun.

(132) Solche menschliche, ja humane Arbeit ist nicht anonym; sie hat benennbare und erkennbare Subjekte. Sie ist nicht losgelöst von Familie, Gemeinwesen und Kultur, sondern geschieht in engem Zusammenhang mit diesen Bereichen. Arbeit und Leben sind eng miteinander verbunden. Die Fehlbarkeit und die Verletzbarkeit des Menschen fehlen nicht in diesem Bild. Dadurch daß sie einbezogen sind, wird der humane Charakter nur um so deutlicher unterstrichen. Gefragt ist ein schonender Umgang mit der Erde und ihren Ressourcen, Gestaltung statt Zerstörung. Dabei geht es wie bei aller anderen Arbeit um ein ausgewogenes Verhältnis von Arbeit und Ruhe und darüber hinaus um eine Form der Arbeit, die den Lebensbedürfnissen von Menschen dient und an deren Ertrag Menschen sich freuen sollen. Dies ist ein wichtiger Befund, der Bedeutung für die ethische Bewertung von Arbeit und wirtschaftlicher Ordnung hat.

(133) Die Bibel ist reich an Erzählungen und Motiven aus dem Handwerksmillieu. Die Auslegungsgeschichte ist damit oft recht großzügig umgegangen. Sie hat mit diesen Texten und Erzählungen das Handwerk oft verklärt, aber sie hat auch Bilder aus der Bibel geschöpft und Visionen für ein sinn- und zielbestimmtes Arbeiten aus diesen Bildern und Motiven bezogen. Für den Kirchenbau in Altertum und Mittelalter waren die Perspektiven der Bibel ein wichtiger Impuls. Die Anweisungen für den Tempelbau, die Beschreibungen des himmlischen Jerusalem, die bewundernde Erwähnung von Handwerkern, sie befruchteten Städtebau, Dombau, den Einsatz für das Gemeinwesen, aber auch das Standesethos und Standesbewußtsein. Zu einer besonderen Verklärung des Handwerks gerade mit biblischen Argumenten kam es vor allem in der Zeit der industriellen Revolution, als in einer Epoche des Umbruchs und Niedergangs von kirchlicher Seite (J.H. Wichern, A. Kolping) Impulse zu einer Sammlung und Stärkung des Handwerks ausgingen.

(134) Die Bibel - mit ihren vielen Schilderungen der handwerklichen Arbeitswelt der damaligen Zeit - lädt ein zu einem Lesen und Erfahren, wie Handwerk im Altertum beschaffen war. Sie vermittelt dabei Einsichten über den Weg von Menschen mit Gott in dieser ihrer Arbeitswelt. Für das Handwerk wie für die anderen genannten Bereiche gilt: es ist in vielem Bild und Gleichnis für zentrale Grundaussagen des Glaubens ebenso wie Ort der menschlichen Existenz und Lebensrealität. Paulus wird als Zeltnäher geschildert (Apg. 18,3), Josef, der Vater Jesu, als Zimmermann (Matth. 13,55), Lydia, die erste "Christin" Europas, eine "gottesfürchtige Frau", die Paulus beherbergt, als Purpurfärberin und -händlerin (Apg. 16,14; von einem Aufstand der Goldschmiede in Ephesus freilich, die ihre Geschäftsinteressen durch den neuen Glauben gefährdet sahen, berichtet Apostelgeschichte 19). Das Handwerk der damaligen Zeit war der Arbeitsbereich, mit dem viele sich und ihre Familien ernährten. Man muß auch davon ausgehen, daß es für die Verkündiger des Evangeliums üblich war, ein Handwerk auszuüben und nicht einfach nur von Almosen und der Gastlichkeit der Gemeinden zu leben.

(135) In die in der Bibel erzählte Urgeschichte (1. Mose 1-11) gehört auch die Ausdifferenzierung von Arbeitsweisen und Berufen. Die ersten von Menschen gezeugten und geborenen Brüder haben verschiedene Arbeitsfelder (Ackerbauer und Viehzüchter; 1. Mose 4,2). Im Fortgang von l. Mose 4 wird eine weitere Differenzierung berichtet, zu der auch die Ausbildung handwerklicher Tätigkeit gehört: "Und Ada gebar den Jabal; der wurde der Vater derer, die in Zelten und bei Herden wohnen. Sein Bruder hieß Jubal; der wurde der Vater aller derer, die Zither und Schalmei handhaben. Aber auch Zilla gebar einen Sohn, den Thubal-Kain; der wurde der Vater aller derer, die Erz und Eisen schmieden." (l. Mose 4,20 ff.) Die Formulierung "der Vater derer, die ..." zeigt, daß wir es hier nicht im neuzeitlichen Sinne mit "Berufen" zu tun haben, sondern mit einer Einheit von Erwerbs- und Lebensweise im Generationszusammenhang.

4.3 Sozialethische Orientierungen und Kriterien

4.3.1 Erwartungen an eine humane, soziale und nachhaltige Wirtschaft


(136) Die Frage nach Rolle und Bedeutung handwerklicher Betriebe in unserer Wirtschaftsordnung berührt grundlegende wirtschaftsethische Fragen. In vielen kirchlichen Stellungnahmen wurde im Blick auf die Frage der verantwortlichen Gestaltung der Wirtschaft immer wieder die Erwartung formuliert, daß Arbeit und Leben, wirtschaftlicher Wettbewerb und Leistung keine Gegensätze sein sollen. Wirtschaftsordnung und Sozialordnung sollen eine Einheit bilden. So heißt es in der Wirtschaftsdenkschrift der EKD "Gemeinwohl und Eigennutz" (1991): "So ist die Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht einfach bloß ein Verbundsystem von Marktwirtschaft und Sozialpolitik ... Sie zielt vielmehr auf die Integration der Marktwirtschaft in eine Wirtschaftspolitik zur 'bewußt sozialen Steuerung des Marktes' (Alfred Müller-Armack). Dabei wird die Sozialordnung ... als ein wichtiges, konstitutives Element der gesamten integrierten Ordnung" begriffen. Ganz in diesem Sinne unterstreicht die Schlußerklärung des Weltsozialgipfels der Vereinten Nationen in Kopenhagen im März 1995: "Wir sind fest davon überzeugt, daß wirtschaftliche Entwicklung, soziale Entwicklung und Umweltschutz voneinander abhängige und einander gegenseitig verstärkende Bestandteile einer nachhaltigen Entwicklung sind, die den Rahmen für unsere Bemühungen um die Herbeiführung einer höheren Lebensqualität für alle Menschen bildet." Grundlage für eine solche Entwicklung sind, so betont die Erklärung, soziale Entwicklung und breites sowie nachhaltiges Wirtschaftswachstum in gleicher Weise.

(137) Das Verständnis einer sozialen Marktwirtschaft, wie es in Deutschland nach dem Krieg entwickelt worden ist, setzt in seinem Kern auf ein Miteinander und Ineinander von Wirtschaft, sozialer Sicherung und Kultur. Bei diesem Modell geht es um das Anliegen, Arbeit und Leben, Wirtschaft und Gesellschaft, Eigennutz und Gemeinwohl nicht zu unverträglichen Gegensätzen werden zu lassen. Das Modell soziale Marktwirtschaft zielt dabei weder auf eine "Harmonie" zwischen Ökonomie und Humanum noch auf eine "soziale Zähmung" der Wirtschaft, sondern auf ein verantwortliches, kooperatives Miteinander sowie eine soziale Gestaltung. Leistung, Wettbewerb und wirtschaftlicher Erfolg sollen nach diesem Modell ebenso ermöglicht werden wie optimale Versorgung, soziale Sicherung, sozialer Ausgleich und humane Gestaltung der Lebensverhältnisse. Nach diesen Grundsätzen sind die moderne Wirtschaft und Arbeitswelt in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg eindrucksvoll gestaltet worden. An der Entwicklung einer Leitvorstellung Soziale Marktwirtschaft hatte die evangelische Wirtschaftsethik keinen geringen Anteil. Sie setzte auf die Verwirklichung der Grundwerte Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität in der Wirtschaft und wies mit protestantischer Nüchternheit dem natürlichen Streben des Menschen nach Eigennutz seinen Platz.

(138) Zahlreiche Beispiele aus der Wirtschafts- und Sozialgeschichte zeigen Fälle, in denen sich die wirtschaftliche Entwicklung in einen zerstörerischen Gegensatz zu Sozialkultur und Gemeinwesen begab und auf diese Weise Armut, Ausbeutung, Gefährdung der Gesundheit und Sicherheit, Entmündigung, soziale Not und Polarisierung bewirkte.

(139) Die kleinen und mittleren Betriebe des Handwerks haben im Rahmen der Konzeption soziale und ökologische Marktwirtschaft eine ganz entscheidende Aufgabe, da bei ihnen günstige Voraussetzungen gegeben sind, um eine human gestaltete Wirtschaft und Lebenswelt zu verwirklichen. Im Bereich handwerklicher Arbeit ist - bei aller Ambivalenz, von der noch die Rede sein wird - im Ansatz vieles von dem zu finden, worauf die christliche Wirtschaftsethik einen besonderen Wert legt, nämlich: Arbeiten im überschaubaren Raum, besondere Nähe von Arbeiten und Leben (bis hin zum Arbeiten und Wohnen unter einem Dach), soziale Nähe und Aufeinander-angewiesen-Sein, umfassendes Erleben des Fertigungsweges von der Planung bis hin zum fertigen Produkt, Zusammenarbeiten mit anderen in der Gruppe, Kundennähe, starkes Eingebunden-Sein in Stadtteil oder Dorf und vieles andere mehr.

4.3.2 Ansatzpunkte für humanes, soziales und nachhaltiges Wirtschaften in kleinen und überschauberen Betrieben

(140) Kleinere und überschaubare Betriebe praktizieren nicht die "bessere Form des Wirtschaftens", aber sie haben doch einzigartige Ausgangsbedingungen. Überschaubarkeit bedeutet, daß Sinn und Zweck der Arbeit vergleichsweise deutlich erfahren werden können. Die Arbeitsbedingungen und das soziale Miteinander in Kleinbetrieben können von den Beteiligten oft direkt gestaltet werden. Im Prinzip sind in diesen Betrieben selbst gleiche oder ähnliche Arbeitsvorgänge selten identisch. Es gibt zumeist mehrere Lösungen, Detailprobleme müssen immer wieder anders und angepaßt an die jeweilige Situation gelöst werden. Handwerkliche Arbeit erfordert deshalb Erfahrung, Kreativität und Geschick, aber auch Entscheidungs-, Problemlösungs- und Handlungsfähigkeit.

(141) Arbeitsprozesse in kleineren und mittleren Betrieben sind zumeist übersichtlich und überschaubar. Dort ist es eher möglich, von der Idee über die Konstruktion, Gestaltung und Produktion bis hin zum fertigen Produkt eine mehr oder weniger "ganzheitliche" Leistung zu vollbringen. Wer ein Handwerk ausübt, kennt das Ergebnis seiner Arbeit. Er hat eine vergleichsweise enge Bindung zum Endprodukt. Erfolg und Mißerfolg werden unmittelbar erfahren. Sinn und Zweck der Arbeit sind leichter erfahrbar. Die Beschäftigten wissen zumeist, daß und inwieweit sie mit ihrer Arbeit zum Ganzen beitragen. Ihnen ist es leichter möglich, Genugtuung über ihre Arbeit zu empfinden, als etwa Beschäftigten in industrieller Bandarbeit. Es wird ihnen bis zu einem gewissen Grad leichter gemacht, sich mit ihrer Arbeit zu identifizieren. Handwerkliche Arbeit ist also in den meisten Fällen keine einseitige Arbeit. In vielen Fällen ermöglicht sie sogar kreatives, schöpferisches Schaffen.

(142) In solcher Arbeit ist entsprechend eher das Detailwissen gefordert; dieses ist aber - trotz der fachlichen Spezialisierung, die es auch in den kleinen, überschaubaren Betrieben gibt - verglichen mit anderen Fertigungsbereichen umfassender angelegt. Dieser mehr "ganzheitliche Charakter" handwerklicher Arbeit zeigt sich auch in der Breite der Qualifikationsanforderungen an einem handwerklichen Arbeitsplatz. Handwerklich-technisches Können, betriebswirtschaftliches Denken und kreatives Gestalten sind hier meist stärker vereint.

(143) Sicherlich haben heute die kleineren und überschaubaren Betriebe diesen Weg "ganzheitlicher Arbeit" zu einem gewissen Teil auch verlassen und verstärkt Strategien der Kostensenkung und Produktivitätssteigerung durch Arbeitsteilung und Spezialisierung beschritten. Davon sind einzelne Handwerksbranchen mit hohem Technisierungsgrad und industrieähnlicher Produktionsweise besonders betroffen. Doch auch in diesem Fall ergibt sich als Produktionsstruktur zunehmend eine "flexible Spezialisierung". Die Aufgaben wechseln rasch, und die Spezialfähigkeiten ändern sich laufend, so daß im Zeitablauf eine höhere "Ganzheitlichkeit" im Arbeitsleben verwirklicht werden kann. Vielfach werden technisches und kaufmännisches Wissen, gestalterische und soziale Fähigkeiten im Kleinbetrieb zusammen angewendet. Kaum ein Problem gleicht dem anderen. Planen und Ausführen, Kopf- und Handarbeit wirken dann in besonderem Maße zusammen. Die Arbeitsgebiete in den Betrieben werden immer breiter und umfassender. Heizungsbauer z.B. müssen heute gleichzeitig über die mikroelektronische Steuerung, die Brennwert- und Kesseltechnik, die Abgasreinigung und den Immissionsschutz Bescheid wissen und außerdem die Kunden umfassend beraten können. Von ihnen wird also eine besondere Vielseitigkeit erwartet. Dies erfordert weniger die engen Spezialisten, als viemehr die Fachleute, die ein Problem mehr "ganzheitlich" beurteilen und im Rahmen ihrer Zuständigkeit lösen können, und die über Beratungs- und Kommunikationsfähigkeiten verfügen.

(144) Auch der technische Fortschritt erweist sich als Förderer einer individualisierten, eher "ganzheitlichen" Produktion. Rechnergestützte Produktionsprozesse machen neue Maschinen auch für kleine und mittlere Betriebe zu hervorragend geeigneten Werkzeugen einer Produktionsweise, deren Merkmale die kleine Stückzahl, das individualisierte Produkt oder der hohe, häufig wechselnde Spezialisierungsgrad sind. Neue Organisationsformen und Technologien, insbesondere auf Basis der Mikroelektronik und Kommunikationstechnik, erlauben wieder verstärkt "ganzheitlichere" Arbeitsformen von der Idee über die Programmierung bis hin zur rechnergestützten Fertigung. So führt auch die Organisationsentwicklung der Industrie in den sogenannten neuen Fabriken zum Aufbau handwerksähnlicher Produktionseinheiten. Diese Chance, über eine tendenziell "ganzheitlichere" Arbeitsweise die humane Arbeits- und Lebensformen nachhaltig zu fördern und zugleich Produktivitätsfortschritte zu erzielen, gilt es mit allen Kräften zu nutzen.

(145) Solche Ausgangsbedingungen können die Autonomie am Arbeitsplatz fördern, die sich letztlich auch in höherer Produktivität niederschlagen kann. Damit kann es zu mehr Zuständigkeit und zugleich zu einer starken Inanspruchnahme und Verantwortung des einzelnen kommen. Aufgrund der vielfältigen Herausforderungen ist eine dauernde Fortbildung im betriebswirtschaftlichen und technischen Bereich ebenso nötig wie die Weiterentwicklung der persönlichen Kompetenz. Notwendig wird damit eine direkte Zusammenarbeit. Arbeit im kleinen, überschaubaren Betrieb ist in hohem Maße von Teamarbeit bestimmt; sie ist angewiesen auf partnerschaftliche Arbeit und erfordert kooperatives Verhalten im Betrieb und auf der Baustelle. Soziale Bindungen sind deshalb gerade in diesem Wirtschaftsbereich besonders ausgeprägt. Der Grad der Arbeitszufriedenheit ist hoch. Die Zufriedenheit bezieht sich vor allem auf die sozialen Kontakte, so auf das Verhältnis zu den Kollegen und Vorgesetzten, das Betriebsklima, die Arbeitsplatzgestaltung und die Mitbestimmung am Arbeitsplatz.

(146) Kleinere und überschaubare Betriebe können dazu beitragen, die benachteiligten Gebiete zu stärken. So gewährleisten Handwerksbetriebe auch in strukturschwachen Räumen eine gute Versorgung gerade auch immobiler und sozial schwacher Bevölkerungsschichten mit Produkten und Dienstleistungen. Sie bieten darüber hinaus ein ortsnahes Angebot an Arbeitsplätzen. Handwerkliche Tätigkeit erlaubt in vielen Fällen selbständiges, eigenverantwortliches Handeln und fördert damit die Gründung selbständiger Existenzen in diesen Räumen. Selbständige, ortsverbundene Betriebe wiederum sind gerade in den strukturschwachen Gebieten ein wichtiger Ansatzpunkt für die regionale Entwicklung. Darüberhinaus leisten überwiegend lokal oder regional ausgerichtete handwerkliche Betriebe einen großen Beitrag zur innerregionalen Wertschöpfung und zur Stärkung innerregionaler Wirtschaftskreisläufe.

(147) Das Handwerk ist einer der wichtigen Träger dörflicher, städtischer und regionaler Kultur und Identität. Viele Handwerker sind aktiv im dörflichen und städtischen Leben engagiert. Viele Besonderheiten, die eine Region nach außen bekannt machen, kommen aus dem Handwerk oder werden vom Handwerk mit geprägt. Ein starkes Handwerk ist der Garant gegen die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Erosion strukturschwacher Gebiete. Es trägt in besondere Weise zum individuellen Erscheinungsbild und zur Attraktivität einer Region bei.

(148) Kleinere und überschaubare Betriebe haben aufgrund der Art ihres Arbeitens, aufgrund ihrer Flexibilität und Innovationskraft gute Möglichkeiten, den Anforderungen des Umweltschutzes und der Umweltverträglichkeit zu entsprechen. Ein großer Teil der im Handwerk Beschäftigten ist heute täglich mit Umweltfragen befaßt. Handwerksbetriebe spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, daß Energie eingespart wird, Emissionen vermieden werden, daß die installierten Geräte eine längere Lebensdauer erreichen und damit unsere natürlichen Vorräte geschont werden und der Anfall von Wohlstandsmüll eingeschränkt wird. Mit zunehmendem Gesundheitsbewußtsein verlangen die Verbraucher Nahrungsmittel, bei denen die Herkunft, Inhaltsstoffe und Art der Verarbeitung bekannt sind. Sie vertrauen aus Erfahrung der personenbezogenen handwerklichen Qualitätssicherung weit mehr als amtlichen Zertifikaten oder staatlichen Verbraucherschutzrichtlinien. Aufgrund der überwiegend lokalen Marktbindung und der raschen Umschlaggeschwindigkeit können die Nahrungsmittelhandwerke auf viele Konservierungsstoffe verzichten, weil die Nahrungsmittel nicht monatelang haltbar gemacht werden müssen, damit sie über weite Strecken transportiert werden können. Sie kommen auf kürzestem Weg frisch zum Kunden.

(149) Die im Handwerk Beschäftigten sind nicht einfach nur Handarbeiter oder nur Unternehmer oder nur Versorger. Sie sind vielmehr mehreres zu gleicher Zeit, d.h. sie sind von mehreren Identitäten bestimmt. Dies kennzeichnet die Besonderheit der kleineren und überschaubareren Betriebe gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen. Hier werden Aspekte und Ansätze einer gewissen tendenziellen "Ganzheitlichkeit" sichtbar.

  • (150)Handwerker sind zunächst Arbeiterinnen und Arbeiter. Es geht hier darum, Arbeit zu verrichten wie in anderen Bereichen der produzierenden Wirtschaft und des Dienstleistungsgewerbes auch. Der Begriff "Handwerk" meint ja auch eben dies, nämlich daß hier mit Händen Arbeit zu verrichten ist. Der unmittelbare Umgang mit praktischen (und nicht nur theoretischen) Aufgaben und der Umgang mit Materialien sind kennzeichnend. Dabei sind sie jedoch nicht "Banausen" (griechisch "banausos", d.i. "Handwerker" im abfälligen Sinn gegenüber dem geistig Arbeitenden), sondern fach- und sachkundige Erbringer anspruchsvoller Leistungen und Erzeuger qualitativ guter Produkte. Bei der praktischen Arbeit liegt der Schwerpunkt und die Stärke des Handwerks. Von Handwerkerinnen und Handwerkern wird erwartet, daß sie geschickte Hände haben und "ihr Handwerk verstehen".
         
  • (151) Viele Handwerker sind zugleich auch Unternehmerinnen und Unternehmer oder doch zumindest maßgeblich Mitentscheidende, Planer, Organisatoren und Produktentwickler. Auch wenn sie keine Betriebsleiter oder Eigentümer des Unternehmens sind, wohl aber Meister oder Gesellen, so ist hier eine Besonderheit der Eigenverantwortung und Mitverantwortung in kleinen und überschaubaren Wirtschaftsbetrieben. Die Tatsache, daß viele Handwerker Eigentümer ihres Unternehmens sind, prägt das Bild vom Handwerk in besonderer Weise. Viele Betriebe sind Familienbetriebe, in denen Vater und Mutter und oft auch erwachsene Kinder mit besonderem Status die Verantwortung als Mitinhaber anteilig tragen. Als Besitzer ihrer Handwerksbetriebe sind die Inhaber und Meister Träger des vollen wirtschaftlichen Risikos. Es liegt bei ihnen, Wege zu finden, wie sie sich gegenüber Mitbewerbern am Markt behaupten können und die Stellung am Markt gegenüber der Konkurrenz von Verbrauchermärkten und Heimwerkern halten können. Von ihnen müssen spezifische Fähigkeiten des Unternehmers wie Anpassungsfähigkeit, Sensibilität für Nachfrage und Bedarf, Beherrschung von Kostenrechnung und Kalkulation, Cleverneß und unternehmerische Kreativität sowie Durchhaltevermögen erwartet werden.     
  • (152)Handwerker und Handwerkerinnen sind auch soziale Verantwortungsträger. Sie zeichnen sich in mehrfacher Hinsicht durch besonderes soziales Eingebundensein aus. Es ist charakteristisch für ihre Arbeit. Die Handwerkerfamilie prägt das Miteinander von Meister bzw. Meisterin, Geselle und Lehrling, von Ehepartner und mitarbeitenden Familienangehörigen. Der handwerkliche Familienbetrieb mit Meister oder Meisterin in der Werkstatt, dem Ehepartner im Büro oder im Laden und den mitarbeitenden Familienangehörigen ist nach wie vor eine der häufigsten Betriebsformen im Handwerk. Die Beziehungen sind hier (im positiven und im negativen Sinn) besonders eng, die soziale Kontrolle groß, die Erwartungen hoch, privater und betrieblicher Bereich überschneiden sich. Diese Prägung gibt dem Handwerk die Chance zu einer partnerschaftlichen Arbeitsorganisation, in der Mitsprache und Mitverantwortung ebenso Raum haben wie die offene und konstruktive Konfliktbearbeitung, die Förderung der Schwächeren und Unerfahreneren in der Gruppe, die enge und einvernehmliche Kooperation (Wir-Gefühl) und die solidarische Hilfe. Hier liegt mit ein Grund für die hohe Arbeitszufriedenheit im Handwerk. Handwerker und Handwerkerinnen sind in ihrem Dorf, in der Kleinstadt oder im Stadtteil bekannt und sie haben vielfach den Status des Versorgers, ähnlich wie dies für den Arzt, den Apotheker, den Lehrer, den Pfarrer, den Händler galt. Als Ausbilder haben sie nicht unmaßgeblich Teil an der beruflichen Bildung in der Region. Als Klempner, Installateur, Elektriker, Dachdecker sind sie in Reparaturfällen oft Retter in der Not. Als Maler, Tapezierer, Glaser, Tischler kennen sie viele der Wohnungen im Stadtteil persönlich, denn sie haben etliche von ihnen selbst gebaut oder ausgebaut. Als Bäcker, Fleischer, Braumeister sind sie zumindest für diejenigen vor Ort ein Begriff, die ihre Nahrungsmittel nicht über Einkaufsmärkte beziehen. Ausdruck dieses Eingebundenseins ist das enorme ehrenamtliche Engagement von Handwerkern in Vereinen, Handwerksorganisationen, Kirchen, Politik, Kultur und vielen anderen Lebensbereichen. Das Handwerk trägt im übrigen auch an der sozialen Sicherung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit. Immer wieder wird deutlich, daß gerade kleine und mittlere Betriebe sich um Schwächere kümmern, in schwieriger Situation bedrohte Arbeitsplätze zu halten versuchen und einen Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit in ihrer Region zu leisten versuchen (bis hin zur Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen in handwerklichen Betrieben).
         
  • (153) In vielen Fällen sind die im Handwerk Beschäftigten zugleich auch Gestalterinnen und Gestalter, Produktentwickler und Designer. Klassische Handwerksberufe wie Bäcker, Schneider, Maler, Tischler u.ä. haben eine stark ästhetische Komponente. In bestimmten Sparten, in denen in besonderem Maße künstlerische Fähigkeiten erforderlich sind, spricht man gar vom Kunsthandwerk. Das Augenfällige, das optisch Reizvolle und Ansprechende, das gelungene Design, die schöne künstlerische Form, das gute Material, die Umsetzung von Gestaltungstraditionen, die sorgfältige, saubere und "ordentliche" Ausführung, all dies spielt hier eine hervorgehobene Rolle. Von den Handwerkerinnen und Handwerkern wird, je nachdem in welcher Sparte sie tätig sind, mehr oder weniger künstlerisches Handwerkszeug, Fertigkeiten, Kreativität und Geschmack erwartet. Wichtig ist hier die Liebe zum Werkstück und zum Material, zu den Farben, zu den Formen.

4.3.3 Werden die Chancen wirklich genutzt? - Chancen und Aufgaben

(154) Zwischen den Chancen des Handwerks zu humanem und umweltverträglichem Wirtschaften, und der Aufgabe für das Handwerk, in dieser Weise zu wirtschaften, ist deutlich zu unterscheiden. Das Handwerk ist nicht die bessere Wirtschaftsform, denn es hat Teil an den Krisen, den inhumanen und ökologischen Belastungen der Arbeitswelt wie andere Arbeitsbereiche auch. Nachhaltigkeit, Überschaubarkeit, die tendenzielle Ganzheitlichkeit, die starke soziale Nähe im Handwerk sind aber Chancen, die genutzt oder vertan werden können. Es geht hier um Erwartungen und Gestaltungsoptionen, die von grundsätzlicher Bedeutung für die Wirtschaftsethik sind. Wirtschaft ist mehr als nur Angebot und Nachfrage. Es geht hier um den Menschen und seine Versorgung, um umweltschonende und sozialverträgliche Arbeit und Existenzsicherung in der modernen technisch-wissenschaftlichen Zivilisation. Haben sich nicht gerade im Handwerk viele gute Ansätze und Möglichkeiten erhalten, die in anderen Bereichen der Wirtschaft zum Teil verlorengegangen sind, und die einer Erinnerung wert sind?

(155) Die Tatsache, daß die Industrie typischerweise eher großräumig, weniger nachhaltig, nicht in vergleichbarer Weise wie das Handwerk auf die Versorgung des unmittelbaren lokalen Umfeldes ausgerichtet, eher in großen Stückzahlen und in deutlich stärker zerlegten Arbeitsschritten arbeitet, hat sie deswegen noch nicht per se inhuman gemacht, aber sie hat auf viele Chancen eines humanen und ökologischen Wirtschaftens mit dem Weg, den sie eingeschlagen hat, verzichtet. Umgekehrt ist das Handwerk nicht allein schon dadurch, daß es ganzheitlichere und komplexere Arbeitsweisen kennt, stärker sozial in Region oder Stadtteil eingebunden ist, engere soziale Kontakte und soziales Miteinander kennt und traditionell umweltbewußt ist, ein Hort humanen und ökologischen Wirtschaftens und Arbeitens. Aber es sind ihm wichtige Möglichkeiten erhalten geblieben, die es aufgreifen, nutzen und pflegen, aber auch ungenutzt lassen kann. Im industriellen Bereich ist sehr viel mehr handwerksähnliche Fertigung verbreitet und das Handwerk ist in Teilen sehr viel stärker in die Logik der Industrie und in den internationalen Wettbewerb einbezogen, als dies gemeinhin angenommen wird.

(156) Es ist keineswegs so, daß solche Chancen nur im Handwerk vorhanden sind, vielmehr muß man davon ausgehen, daß sie sehr wohl auch für andere Wirtschafts- und Fertigungsbereiche bestehen (und vielfach auch genutzt werden, wie das Beispiel der Gruppenarbeit, die Anreicherung von Arbeitsinhalten und Verantwortlichkeiten an Arbeitsplätzen in Industriebetrieben, sowie der Trend zur Schaffung kleinerer, überschaubarer Einheiten und ein wachsendes Umweltbewußtsein zeigen). Aber im Handwerk sind diese Chancen dadurch, daß die Komponenten Familienbezogenheit, Kleinbetrieb und Versorgung des überschaubaren Raums eine so große Rolle spielen, in besonderer Weise vorgegeben und z.T. durch Traditionen gestützt. Es ist außerdem nicht so, daß jeder handwerkliche Betrieb in jeder Situation und in jeder Weise an den besonderen Chancen zu einem humanen und umweltverträglichen Wirtschaften teil hätte. Viele Betriebe stehen im schlechten Sinn "im Sog der Industrie", sie haben sog. "repetitive" Fertigungstechniken (d.h. Techniken mit einfachen Arbeitsschritte und ständigen Wiederholungen) übernommen, sind Zulieferer, arbeiten vor Ort in herkömmlichen Handwerksbereichen, ohne mit ihrer unmittelbaren Umgebung bzw. der Region etwas zu tun zu haben. Viele handwerkliche Betriebe sind keine Familienbetriebe und sie haben längst die Standards und Formen der Zusammenarbeit, wie sie in ganz anderen Bereichen gelten, übernommen.

(157) Die Chance des Handwerks zu einem human und ökologisch verträglichen Wirtschaften sind nicht einfach dort genutzt und umgesetzt, wo möglichst viel "Handwerksidylle" herrscht, etwa in einem klassischen Bäckerfamilienbetrieb am dörflichen Marktplatz mit freundlicher Arbeitsatmosphäre, großer Arbeitszufriedenheit und hoher Identifikation der Mitarbeiter mit dem Betrieb. Die Pointe der genutzten Chance humanen und ökologisch verantwortlichen Wirtschaftens im überschaubaren Raum ist nicht die Idylle, sondern die Möglichkeit und der Versuch einer verantwortlichen Umsetzung von Kriterien eines sozialverträglichen und nachhaltigen Wirtschaftens. So kann in einem Betrieb das Klima durchaus belastet sein, aber dennoch wird hier beharrlich und mit Umsicht eine Konfliktbearbeitung vorgenommen. In einem anderen Betrieb kann in stark repetitiver Weise fließbandähnlich ein Großauftrag abgewickelt werden, aber die Arbeitsform ist für diesen einen Auftrag von dem Team der Mitarbeiter gemeinsam und freiwillig gewählt und wird für den begrenzten Zeitraum und auf der Basis der eigenen, mündigen Mitentscheidung nicht als unzumutbare Belastung empfungen. Es wäre verhängnisvoll, wollte man die idyllischen Vorstellungen, die sich mit dem Handwerk verbinden, mit seiner besonderen Chance zu humanen und nachhaltigem Wirtschaften verwechseln.

(158) Es gehört sicherlich mit zu dem Bild von dem Wirtschaftsbereich der humanen und ökologischen Chancen, daß hier viele Möglichkeiten zur Vermachtung, Monopolisierung, zu extensiver Expansion, Umweltzerstörung u.a. von vornherein nicht gegeben sind. Das Kapital spielt im Handwerk eine ungleich geringere Rolle als in Bereichen der Großfertigung. Handwerkliche Produkte und Leistungen sind per definitionem arbeitsintensiv.

4.3.4 Keine falsche Idealisierung - Doppelgesichtigkeit des Handwerks

(159) Vom Handwerk wird gesagt, daß es einen "goldenen Boden" habe. Das Bild von einem besonders fruchtbaren Ackerboden wird hier auf das Handwerk übertragen und es werden damit seine besonderen Chancen deutlich gemacht. Das Wort vom "goldenen Boden" des Handwerks steht für seine Idealisierung. Das Handwerk wird gerade im industriellen Zeitalter in besonderer Weise idealisiert und vielfach in einer idyllischen und nostalgischen Perspektive gesehen.

(160) Daß die im Prinzip günstigen Ausgangsbedingungen handwerklicher Arbeit nicht allein die Stärke des Handwerks sind, sondern auch Belastungen bedeuten können, liegt auf der Hand. Die Beschäftigten im Handwerk können gerade durch diese Vielseitigkeit und ausgedehntere Verantwortung überfordert sein. Wenn vielfältige Fähigkeiten erfordert werden, spüren viele auch ihre Grenzen und auch den Kunden bleiben diese Grenzen nicht verborgen. Wenn bei Beschäftigten Defizite an Teamfähigkeit oder Partnerkonflikte im Familienbetrieb vorliegen, wird schmerzlich auch die Verwundbarkeit des Modells Handwerk sichtbar. Das starke Eingebundensein in den überschaubaren Bereich vor Ort kann im Fall von Zerwürfnissen eine Einschränkung der Möglichkeiten des Betriebs bedeuten. Es kommt hinzu: Wenn es richtig ist, daß es "den" Handwerksbetrieb nicht gibt, sondern Kleinbetriebe in Familienregie neben handwerklichen Großbetrieben mit bis zu tausend Beschäftigten stehen, sind auch die genannten Ausgangsbedingungen von Betrieb zu Betrieb recht unterschiedlich und die Schwächen des Modells Handwerk sind von jeweils unterschiedlicher Art. Gleichwohl wird durch diese Erfahrung die Behauptung von spezifischen Chancen des Handwerks keineswegs relativiert. So müssen wir von einer Ambivalenz im Erscheinungsbild des Handwerks sprechen. Es hat nicht nur einen "goldenen Boden", sondern mitunter auch eine erdrückende "bleierne Decke" (F. Nietzsche).

(161) Auch in der öffentlichen Wahrnehmung wird ein Widerspruch deutlich. Die Arbeitsform Handwerk, die abwechslungsreiche und interessante Tätigkeiten beinhaltet, Kundennähe und Kooperation im Team und als besonders humane Arbeit gilt, ist bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern außerhalb des Handwerks nicht immer hoch angesehen. Während die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten im Handwerk selbst als besonders hoch gilt, setzen Arbeitsuchende das Handwerk keineswegs immer an die erste Stelle, sondern versuchen eher, in möglichst großen Betrieben unterzukommen. Es ist schwer zu ergründen, ob diese Zurückhaltung gegenüber einem Arbeitsplatz Handwerk selbst bei gleichen Löhnen wie in der Industrie auf einer Verkennung der Qualitäten des Handwerks in der Bevölkerung und Ressentiments beruht, auf objektiven Gründen, oder auf einer Unfähigkeit des Handwerks, die Vorzüge handwerklicher Arbeit deutlich zu machen.

(162) So steht im Handwerk stets beides nebeneinander: die hohe Arbeitszufriedenheit neben der Selbstüberforderung, das enge soziale Miteinander im handwerklichen Betrieb neben dem Patriarchalismus oder übertriebener Hierarchisierung, die starke Einbeziehung der Frauen in die Mitverantwortung neben ihrer Ausbeutung, das soziale Engagement des Handwerks und seine Fähigkeit zur Integration der Schwachen neben Fällen von Kinderarbeit, die bürgernahe Versorgung der Region mit Phänomenen des Oligopolismus und Umweltbewußtsein neben ökologischer Nachlässigkeit und Überforderung. Das Bild des Handwerks ist ambivalent.

(163) Ambivalenz heißt: Das Vorbildliche, das Zukunftsweisende und das Humane steht neben dem Problematischen. Das Gute und Bewundernswerte steht neben den Dingen, die kritischer Sichtung bedürfen und die Suche nach Veränderungen notwendig machen.

(164) Ambivalenz bedeutet hier zweierlei,

  • zum einen das Vorhandensein von Schwächen und Defiziten, aber auch von "schwarzen Schafen" im Kreis der Redlichen, Verantwortlichen und Unbescholtenen, die Faktizität von Verfehlungen und Unverantwortlichkeiten, ein Phänomen, das für alle Bereiche des Wirtschaftslebens gilt und Kennzeichen des Menschlichen in einer nicht-heilen Welt ist; und
         
  • zum anderen das Vorhandensein von Gefährdungen des Humanen und der Umwelt neben und in den Chancen für Mensch, Wirtschaft, Gesellschaft und Öko-System, die das Handwerk bietet. In diesem Fall ist Stärke und Schwäche sehr viel schwerer voneinander zu trennen. Die Stärke verbürgt sich gleichsam in der Schwäche und umgekehrt. Deutlich wird dies etwa am Beispiel "Familienbezogenheit im Handwerksbetrieb", die die Tendenz zu sozialem Druck und Kontrolle ("Patriarchalismus") ebenso einschließt wie Schutz, Integration, enges solidarisches Miteinander, Fürsorge und Förderung. Ein weiteres Beispiel nennt die EKD-Denkschrift "Leistung und Wettbewerb", die den Wettbewerb wegen seiner Unverzichtbarkeit mit großer Deutlichkeit bejaht, zugleich aber seine Ambivalenz unterstreicht und feststellt, im Wettbewerb gehe auch "stets ein Stück Solidarität verloren".

(165) Diese Ambivalenz "entwertet" das Handwerk nicht. Der ethische Gesichtspunkt der Ambivalenz nivelliert nicht Gefährdungen und Chancen; er entwertet die Chancen nicht und relativiert nicht die Gefährdungen; er rechnet Gefährdungen und Chancen nicht gegeneinander auf. Er kennzeichnet vielmehr, daß eigenständig neben den Chancen und Möglichkeiten, neben den Vorteilen und Stärken gewisse Defizite, Gefährdungen und Schwächen stehen. Mit diesem Gesichtspunkt wird programmatisch auf eine idealtypisierende Sichtweise des Handwerks verzichtet, die sich nur auf seine Chancen und Möglichkeiten konzentriert und der Komplexität der ökosozialen und wirtschaftlichen Wirklichkeit des Handwerks nicht gerecht wird. Die Sichtweise macht es außerdem möglich - und dies ist das Entscheidende -, im Sinne der oben entfalteten These vom "Handwerk als Chance humanen und ökologisch verträglichen Wirtschaftens" zu sprechen, ohne der Gefahr der Idealisierung oder Schönfärberei zu verfallen.

4.3.5 Leitlinien und Orientierungen

(166) Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen sollen nun einige sozialethische Leitlinien entfaltet werden. Sie sind keinesfalls identisch mit der vorfindlichen Praxis des Handwerks und aus dieser abzuleiten. Ebensowenig kann das Handwerk gleichsam als ein "Vorbild" für auch für andere Wirtschaftsbereiche dienen. Die geistigen Traditionen des Handwerks jedoch, die Ansatzpunkte einer humanen und sozialen Wirtschaftsform und Chancen sind von erheblichem ethischem Interesse. Hier geht es um weit mehr als nur um das Handwerk an sich, seine verantwortliche Gestaltung und seinen Platz in Wirtschaft und Gesellschaft. Es geht um Ansatzpunkte für ein kooperatives Miteinander von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie um Orientierungen für ein humanes, soziales und umweltverträgliches Wirtschaften.

(167) Im folgenden sollen in diesem Sinn einige Orientierungspunkte genannt werden. Sie greifen Erfahrungen mit dem Handwerk auf, wollen darüber hinaus aber grundsätzliche Fragen für den weiteren Bereich des Wirtschaftens ansprechen:

  • Es ist eine entscheidende Aufgabe, ein kooperatives Miteinander von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur zu fördern und zu erhalten. Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik sollten darauf gerichtet sein, daß wirtschaftlicher Erfolg und Dienst am Gemeinwohl nicht zu Gegensätzen werden. Die Konzeption Soziale Marktwirtschaft sowie Traditionen und Arbeitsformen in der handwerklichen Wirtschaft bieten hier wichtige Ansätze. Sie sollten weiterverfolgt und auf dem Hintergrund der gegenwärtig tiefgreifenden Veränderungen fortentwickelt werden.
         
  • Arbeitsformen, die ein tendenziell breiteres, umfassenderes und "ganzheitlicheres" Arbeitserlebnis möglich machen, kommen den Bedürfnissen und Möglichkeiten des Menschen stärker entgegen als die stärker zerteilten, formalisierten und sinnentleerteren Tätigkeiten. Sie beteiligen die Beschäftigten stärker an der Arbeitsaufgabe und fordern sie. Sie erleichtern damit in aller Regel die Identifikation der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit ihrer Arbeit, stärken die Mitverantwortung und die Arbeitszufriedenheit. Davon profitieren die Betriebe und die Beschäftigten in gleicher Weise. Die Erhaltung und Förderung solcher Arbeit, sei es im Handwerk, sei es in der Industrie, ist ein wichtiger Beitrag zur Humanisierung des Arbeitslebens.
         
  • Ohne den Grundwert Freiheit ist eine soziale Marktwirtschaft nicht denkbar. Nur dort, wo Menschen ihre Begabungen und Fähigkeiten, ihre Interessen frei entfalten können, können auch die Möglichkeiten und Kräfte einer Wirtschaftsgesellschaft zur Geltung kommen. Freiheit beinhaltet vor allem auch die Entfaltung neuer Ideen. Sie setzt darauf, daß möglichst viele Menschen eigenverantwortlich und entscheidend als mündige Subjekte im Wirtschaftsleben tätig sind. Wirtschaftliche Freiheit meint Wettbewerb. Das Wettbewerbsprinzip dezentralisiert die wirtschaftlichen Entscheidungen und verteilt dadurch Macht.
         
  • Wir erleben menschliche Ordnungen stets in ihrer Gebrochenheit und Widersprüchlichkeit. Die vorfindlich gute und humane Arbeitswelt gibt es nicht. Es bleibt deshalb auch bei allen guten Ansätzen stets ein humanisierender Gestaltungsbedarf. Human ist die Arbeit, die gesundheitsverträglich, "beziehungsverträglich" und sozialverträglich ist und Selbstentfaltung und Mitverantwortung zuläßt. Das Kriterium der Humanität wendet sich gegen Formen und Ansätze der Ausbeutung, der Überforderung, der Schädigung und Instrumentalisierung des Menschen, der Entfremdung sowie der Unterdrückung.
         
  • Dort, wo Ansätze einer humanen, gemeinwohlorientierten und umweltverträglichen Wirtschaft sind, muß auf deren Erhaltung geachtet werden.     
  • Anliegen einer humanen Gestaltung der Arbeitswelt muß eine betriebliche Kultur sein, die kollegiale, solidarische Kooperation und dadurch eine größere Arbeitszufriedenheit herstellt. Damit verselbständigt sich das Produkt nicht zu einem Eigenwert, sondern verweist zurück auf die, die miteinander daran gearbeitet haben. Begünstigt wird dies durch eine gute Ausbildung, die nicht nur handwerkliche Fertigkeit, sondern ebenso menschliche, soziale Kompetenz vermittelt und zu einem guten Umgang mit Kolleginnen und Kollegen sowie Kundinnen und Kunden führt.
         
  • Eine beachtenswerte wirtschaftsethische Tradition verbindet sich mit dem Begriff "Ehrbarkeit", der in der Geschichte des Handwerks eine wichtige Rolle spielt. Geschichtlich gesehen steht der Begriff Ehrbarkeit im Handwerk u.a. im Zusammenhang mit dem Bemühen, soziale Anerkennung und Achtung zu erwerben und die Qualität zu sichern. Hier geht es um die Verantwortung gegenüber dem Kunden, dem Gemeinwesen und auch gegenüber der Wirtschaft selbst. Das Kriterium Ehrbarkeit wendet sich gegen ein schamloses Suchen des eigenen Vorteils, gegen schlechte Leistung, gegen die Übervorteilung des Kunden und gegen das Unterlaufen geltender gesetzlicher und sozialer Regeln. Ehrbarkeit meint auch die Fairneß am Markt, d.h. die Einhaltung von fairen Wettbewerbsregeln ohne Trend zur Vermachtung des Marktes oder zu oligopolistischer Dominanz. Als wirtschaftsethischer Leitbegriff verdient die Ehrbarkeit heute eine über das Handwerk hinausgehende Renaissance.

(168) Mit den hier entfalteten Überlegungen über Arbeitsformen in kleineren und überschaubaren Betrieben und den Überlegungen über eine soziale und ökologische Marktwirtschaft werden wichtige Gesichtspunkte für ein neues Arbeitsethos sichtbar. Es geht um folgende Aspekte: Bemühung um eine Versöhnung von Arbeit und Leben, humane Arbeitsbedingungen mit hoher Arbeitszufriedenheit und Freude an der Arbeit, Leistungserbringung in persönlicher Freiheit und im kooperativen Miteinander, Eigenverantwortung und soziale Mitverantwortung für Beschäftigte und Gemeinwesen, Verständnis der Arbeit als Dienst an Mensch und Gesellschaft. Diese Aspekte sind kritische Argumente gegen eine Arbeitswirklichkeit, die von Entfremdung, Dominanz des Ökonomischen und Entsolidarisierung gekennzeichnet ist.

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