So bringt Kirche Ethik in die Digitalisierung

Debatte zum Thema „Wie kommt Ethik in die Digitalisierung?“ mit EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung

EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung hält nichts von wilden Erlösungsansprüchen aus dem Silicon Valley. Er trotzt auch der Angst vor der Twitter-Falle. Kirche müsse jetzt den Prozess der Digitalisierung mitgestalten, um die Würde der Menschen zu bewahren.

Frau mit VR-Brille

„In komplexen Welten darf man nicht vereinfachen. Aber manchmal braucht es gute Ausrichtungen“, sagt Volker Jung und verweist auf das Doppelgebot der Liebe: Du sollt Gott lieben und Deinen Nächsten wie Dich selbst. Mit dieser Ausrichtung kann man Möglichkeiten in der Verbindung von Mensch und Maschine finden, um Dinge zu verbessern.

Beschäftigte, die ihre Arbeit verlieren, demente Patienten, die von Pflegerobotern unpersönlich versorgt werden, christliche Werte, die in Zeiten von Hate Speech unter die Räder und in Vergessenheit geraten, und Menschen in Kriegsgebieten, die keine Zukunft haben, weil sie von autonomen Waffen umgebracht werden, sind befürchtete Szenarien einer weltweiten Digitalisierung, die die Besucherinnen und Besucher im heimathafen Wiesbaden bewegen. Mit Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) und Medienbischof, nimmt die Debatte zum Thema „Wie kommt Ethik in die Digitalisierung?“, moderiert von heimathafen-Gründer Dominik Hofmann, im Coworking-Cafè in der hessischen Landeshauptstadt, bekannt für ihr erhaltenes Gründerzeitviertel, rasch Fahrt auf. Welche Rolle können und müssen Ethik, Werte und Kirche bei der Gestaltung der Digitalisierung spielen?

Diskutiert wird leidenschaftlich und teils auch kontrovers. So wird befürchtet, dass der Einsatz von Robotern in der Pflege alter Menschen nicht zu mehr Zeit für menschliches Miteinander, sondern aus rein wirtschaftlichen Gründen zu einem weiteren Stellenabbau führen kann. Der Wegfall von Arbeitsplätzen in der Pflege und in anderen Bereichen sei eine große Gefahr, sagt ein Zuhörer. Volker Jung meint, die Technik dürfe den menschlichen Kontakt in der Pflege nicht völlig ersetzen, aber ergänzen und entlasten, etwa bei Hebetätigkeiten oder in der Arbeit mit Demenzkranken, die vergessen zu essen. So verliere ein Roboter nicht die Geduld, diese Patienten immer wieder aufs Neue ans Essen zu erinnern.

Für den Kirchenpräsidenten ist klar, dass der Prozess der Digitalisierung sich nicht wieder zurückdrehen lässt und sich die Welt dadurch weiter verändern wird. Das führt zu Befürchtungen: Menschen bitten Jung darum, dass doch zumindest die Kirche bitteschön ein analoger Raum zu bleiben habe und die nichtdigitale Gegenwelt repräsentieren solle.

Erst neulich hat Altbischof Wolfgang Huber auf seinem Twitteraccount vom Menschen als analoges Wesen gesprochen und davor gewarnt, in eine sogenannte Twitter-Falle zu tappen. Für Volker Jung ist dies einseitig und zu negativ betrachtet. Social Media sei schon längst ein Teil unserer Wirklichkeit und werde es auch bleiben, deswegen müsse Kirche dort auch mit Menschen verbunden sein. Ähnlich wie Wolfgang Huber bekräftigt er aber, dass Digitalisierung die Menschen nicht beherrschen dürfe. Eine positive Entwicklung könne sich dann entfalten, wenn wir Menschen die Gestalter der Digitalisierung bleiben. Volker Jung sieht hierin eine individuelle und auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung.

Der Medienbischof stellt fest, dass auch die Kirche noch viel zu wenig in die gesellschaftliche Debatte zur Digitalisierung einsteigt. Um den Geist der amerikanischen High-Tech-Schmiede Silicon Valley und die dortige Euphorie zu erfassen, so erzählt er dem Publikum, sei er selbst vor zwei Jahren dort hingereist. Es gäbe dort Menschen mit einem zutiefst religiösen Erlösungsanspruch. Mitarbeitende bei Google bezeichneten sich selbst als Evangelisten, die die frohe technische Botschaft in die Welt bringen wollten. Ray Kurzweil, Vertreter des Transhumanismus und Leiter der technischen Entwicklung bei Google, strebe an, die Grenzen des Menschen durch Technik zu überschreiten. Und Google-Gründer Larry Page sagt aller Welt, er habe nicht vor zu sterben. „Mit einem Welterlösungsanspruch unterwegs zu sein, ist ein extremer Ausschlag der Digitalisierung“, sagt Jung. Er plädiert dafür, weder zu euphorisch noch zu apokalyptisch, sondern pragmatisch mit der Digitalisierung umzugehen und danach zu fragen, was Menschen praktisch nutze.

Dabei dürfe nach den Worten des Kirchenpräsidenten nicht allein die Frage nach der Nützlichkeit einer Entwicklung im Zentrum stehen, sondern vor allem das, „was Menschen gut tut und dem Leben dient“. Die neuen Technologien müssten sich weltweit an Werten wie der Menschenwürde und den Menschenrechten messen lassen. Was also tut Menschen gut und was dient dem Leben? Eine permanente digitale Kommunikation sei für vor allem Jüngere selbstverständlich, andere hingegen überfordere sie und mache sie krank. Volker Jung plädiert für Ruhepausen, dafür sei auch der Sonntag eine gute Errungenschaft. Nicht hinnehmbar sei, dass viele Arbeitnehmer zunehmend auch am Wochenende und in der Freizeit für ihren Arbeitgeber online erreichbar sein sollen.

„In komplexen Welten darf man nicht vereinfachen. Aber manchmal braucht es gute Ausrichtungen“, sagt Volker Jung und verweist auf das Doppelgebot der Liebe: Du sollt Gott lieben und Deinen Nächsten wie Dich selbst. Man solle also dafür sorgen, dass es einem selbst gut gehe und versuchen, das Verhältnis mit seinen Nächsten gut zu gestalten. Wo überschreiten wir als Menschen Grenzen? Reformator Martin Luther forderte: „Wir sollen Menschen bleiben und nicht Gott sein.“ Menschen sollten kein entgrenztes Leben führen müssen, so Jung. 

Auf dem Holzweg Perfektionismus

„Ist Gott denn nicht im Grunde seit über 2000 Jahren eine sehr virtuelle Realität?“, fragt hingegen Birgit Heilig, Vorstandsmitglied SEND – Bundesverband Social Entrepreneurship Deutschland. Bezüglich Fake News findet sie die  Antwort im achten Gebot: „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.“ Heilig appelliert, immer wieder aufs Neue auszuhandeln, wo der Nutzen der Digitalisierung aufhöre und der Größenwahn beginne. Volker Jung fordert, dass auch künftig Platz für alle Menschen in der Welt sein müsse. „Der Wert einer Gesellschaft bemisst sich für mich daran, wie wir mit den Schwachen umgehen.“ Nur immer den Perfektionismus weiterzutreiben, sei ein Holzweg.

Der Wissenschaftler Yuval Noah Harari beschreibt in seinem Buch „Homo deus“, dass die Menschen dabei seien, mit digitaler Technologie wesentliche Fragen zu lösen und damit tiefe Sehnsüchte zu erfüllen, etwa: Alle Menschen würden glücklich und der Tod werde besiegt. Aus Menschen würden Götter. Hararis Kritik, dass die alten Texte aus der Bibel zu den heutigen Fragen keine konkreten Antworten böten, kann Jung nicht teilen. Das  Grundverständnis vom Menschen und der Welt, besonders hinsichtlich der Menschenwürde, ließe sich durchaus mit biblischen Texten entdecken. Jung kritisiert den Versuch, menschliches Leben ins Unendliche zu verlängern. Das mache nicht glücklich. Vielmehr spreche die Bibel davon, dass menschliches Leben seinen Wert auch gerade in der Begrenztheit hat. Es gehe aus der Ewigkeit um die Gestaltung des Diesseits. Wie verbinden wir dabei Mensch und Maschine im Prozess der Digitalisierung?

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Heimathafen-Gründer Dominik Hofmann wünscht sich von der Kirche, dass sie die Digitalisierung selbst mit eigenen Produkten prägt. Aus dem Publikum kam etwa der Wunsch nach einer App von der Evangelischen Kirche in Deutschland auf, die es einsamen, alten Menschen ermögliche, über Alexa haltspendende Gebete abzurufen. Ein Gebet digital abzurufen sollte möglich sein, sagt Jung. Allerdings sei das etwas anderes als das Beten mit Menschen. Er stimme Wolfgang Huber zu, dass wir im Kern analoge Menschen seien, und daher der Clou darin bestehe, die analoge und digitale Welt in ein kluges Verhältnis miteinander zu bringen. So habe die EKHN während des Reformationsjubiläums 2017 mit einem Segensroboter bereits ähnliches versucht. Das sei unterscheidlich aufgenommen worden. Auch werde mit interaktiven Gottesdiensten experimentiert.

Daniel Nowak, Managing Partner Yunus Social Business,  wurde als Ostdeutscher nicht getauft. Er erzählt dem Publikum: „Ich habe über Digitalisierung zum Glauben gefunden, über Umwege.“  Nowak  bringt das Bild ins Spiel, sich von der Digitalisierung abzugrenzen sei so, als würde man versuchen, eine Flut aufzuhalten. Daher fordert er die Kirche auf, die Welt nach der Digitalisierungswelle bereits jetzt zu gestalten.

Volker Jung sagt: „Mir geht es darum, den Nutzen zu gestalten.“ Gerade die sozialen Medien leisteten einem Populismus und Extremismus politisch Vorschub. Die Frage sei, wie wir dieser Kommunikationskultur im Netz gegenseitigen Respekt entgegensetzen. Jung glaubt an Möglichkeiten in der Verbindung von Mensch und Maschine, um Dinge zu verbessern. Zum Beispiel werde  durch ein junges Startup daran gearbeitet, bei technischen Raumüberwachungsmöglichkeiten Kameras mit einem System von Künstlicher Intelligenz zu verbinden. Zielgruppe seien ältere Menschen, die nicht in eine Seniorenwohnung möchten, sondern in ihrer gewohnten Umgebung bleiben wollen. Das System müsse aber entscheiden können, ob ein Mensch sich auf die Couch legt, um ein Mittagsschläfchen zu halten oder ob es sich um eine Notfallsituation handelt.

„Als Kirche wollen wir nicht die Werteagentur der Gesellschaft sein“

Nach Ansicht des Kirchenpräsidenten Volker Jung fordern die Fortschritte in der Entwicklung der Künstlichen Intelligenz zur besonderen ethischen Auseinandersetzung heraus. Klärungsbedarf gebe es darüber, wie beispielsweise selbst lernende Maschinen künftig handeln sollen. Ethische Fragen seien auch bei vollautomatisch handelnden Waffensystem oder bei selbstfahrenden Autos künftig nötig, wie auch ein stetes Verhandeln darüber, ob jede technische Möglichkeit wirklich realisiert werden müsse.

„Als Kirche wollen wir nicht die Werteagentur der Gesellschaft sein“, sagt Volker Jung. Menschen sollten vielmehr durch Kirche Sinn in ihrem Leben finden können. Die Digitalisierung habe aber auch etwas mit Enthemmung zu tun, warnt der Bischof. Das fange beim Shitstorm an, gehe über Fake News bis hin zu autonomen Waffen, die er ächtet.

Eine tiefe biblische Weisheit sei, dass der Mensch einerseits Ebenbild Gottes und damit auch seiner Würde ist. Zugleich sei er von einer tiefen Verführbarkeit gekennzeichnet, die Möglichkeiten, die ihm gegeben sind, auch gegen andere anzuwenden. Hat die Digitalisierung und die damit verbundene Enthemmung die Verführbarkeit potenziert? Volker Jung appelliert, das jeweils eigene Verhältnis zur neuen Wirklichkeit zu finden. Trotz aller Gefahren durch den technischen Fortschritt solle man den Blick auf die neuen Möglichkeiten richten. „Es braucht den Willen, die digitale Veränderung gestalten zu wollen, sonst gestaltet sie uns“, schlussfolgert Volker Jung.

Markus Bechtold (evangelisch.de)


Am 12. Februar 2019 findet von 18 bis 19 Uhr das Webinar „Digital Mensch bleiben“ mit EKHN-Kirchenpräsident Volker Jung statt. Eine Teilnahme ist online von überall her möglich. Während des Webinars haben alle Teilnehmenden die Möglichkeit, schreibend im Gespräch zu bleiben. Darüber hinaus werden Einzelne auf eigenen Wunsch hin zugeschaltet und bei eigenem Mikrofon und vielleicht auch eigener Webcam hörbar und sichtbar zu Wort kommen.