Solidarität mit jüdischen Gemeinden

Mahnwachen und Demonstrationen gegen Antisemitismus in zahlreichen Städten

Kerzen und Blumen vor dem Kiez-Döner in Halle

Frankfurt a.M. (epd). Die jüdischen Gemeinden in Deutschland erfahren nach dem Anschlag in Halle eine Welle der Solidarität. In Halle soll auf Initiative des Landesbischofs der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, Friedrich Kramer, als Zeichen der Solidarität eine Menschenkette um die Synagoge gebildet werden. In mehreren Städten wie Berlin, Köln, Düsseldorf und Hannover hatten sich bereits am Tag zuvor Hunderte Menschen zu Mahnwachen und Gebeten versammelt. Der Bundesrat gedachte in einem Moment der Stille der beiden Toten und der Verletzten des Anschlags nahe der Synagoge in Halle.

Am Montag ist laut EKM ein Ökumenischer Gedenkgottesdienst in der Marktkirche in Halle geplant. In Dessau-Roßlau werde in Abstimmung mit der Jüdischen Gemeinde am Freitag zu einer Mahnwache an das Gemeindehaus in der Dessauer Kantorstraße eingeladen.

In einem ökumenischen Gottesdienst in der Marktkirche in Halle wird am 14. Oktober der Opfer des antisemitischen Anschlags in der Saalestadt gedacht. Der Gedenkgottesdienst wird gemeinsam mit dem Semestereröffnungsgottesdienst der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg gehalten, wie ein Sprecher der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland mitteilte. Beginn ist um 17 Uhr.

Lichterkette und Trauermarsch

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Heinrich Bedford-Strohm, will an einer Lichterkette rund um die Münchner Synagoge Ohel Jakob teilnehmen. Bei einem multireligiösen Friedensgebet der Drei-Religionen-Stätte „House of One“ in Berlin rief Markus Dröge, Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz (EKBO), zum Engagement gegen rechts auf.

„Wir denken an unsere jüdischen Geschwister, die heute den Sabbat feiern und dabei geschützt werden müssen vor denen, die Hass säen und den Tod bringen“, sagte Dröge: „Wir stehen an ihrer Seite, wohl wissend, welche Erschütterung der Anschlag von Halle für die jüdischen Gemeinden in unserem Land bedeutet und wie viel Besorgnis und Angst er unter unseren jüdischen Geschwistern ausgelöst hat.“

Demonstration, Mahnwache, Friedensgebet

In Köln demonstrierten bereits am Vorabend mehrere hundert Menschen gegen Antisemitismus. Oberbürgermeisterin Henriette Reker äußerte sich erfreut darüber, dass so viele Menschen gekommen seien, um ihre Solidarität zu zeigen. „Ich schäme mich dafür, dass so etwas in meinem Land passieren kann“, sagte die parteilose Politikerin. Helge David Gilberg von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft sagte, es zerreiße ihm das Herz, dass Juden in Deutschland nicht mehr sicher seien. Politiker wie der Thüringer AfD-Faktionschef Björn Höcke, der ein Faschist sei, bereiteten solchen Taten den Weg: „Sie verhöhnen jeden Juden in diesem Land, Herr Höcke. Sie sind ein geistiger Wegbereiter.“

Vor der Düsseldorfer Synagoge hielten am Donnerstagabend ebenfalls etwa 500 Menschen eine stille Mahnwache für die Opfer des Anschlags auf die Synagoge in Halle ab. Viele Menschen legten Kerzen und Blumen auf die Stufen zum Haupteingang der Synagoge. Auch Vertreter der Stadt, der Gewerkschaften und der christlichen Kirchen nahmen an der Mahnwache teil.

Im Stadtzentrum von Hannover versammelten sich rund 400 Menschen zu einer Mahnwache und einem anschließenden Trauermarsch zum Holocaust-Denkmal. In der hannoverschen Marktkirche waren zuvor rund 250 Menschen zu einem multireligiösen Friedensgebet zusammengekommen. Weitere Mahnwachen fanden etwa in Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg und Wilhelmshaven statt.

Kirchen stellen sich gegen Antisemitismus

Kristina Kühnbaum-Schmidt, Landesbischöfin der Nordkirche, nahm am Donnerstagabend an einer Mahnwache vor der Lübecker Synagoge teil und drückte ihr tiefes Mitgefühl für die Opfer und ihre Angehörigen aus. Sie sei erschüttert über den antisemitisch und rechtsextrem motivierten Anschlag, sagte Kühnbaum-Schmidt in einer vorab verbreiteten Stellungnahme. „Ich denke in Gebet und Fürbitte an die Toten, an die Menschen, die verletzt wurden und an alle Angehörigen.“ Die Nordkirche stelle sich gegen jede Form von Antisemitismus und Rechtsextremismus.

Die neue Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW), Beate Hofmann, versicherte Mitgliedern der jüdischen Gemeinde ihr Mitgefühl und betonte: „Der Anschlag bestärkt meine Entschlossenheit, deutlich gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit einzutreten, damit nicht ein Klima von Hass und Angst unser Leben beherrscht.“ Das Ziel aller müsse es sein, dass Menschen aus unterschiedlichen Religionen und Kulturen in Deutschland friedlich und ohne Angst miteinander leben können, sagte Hofmann.

Auch der Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), Ulrich Oelschläger, äußerte sich bestürzt über den Anschlag. „Es ist für mich erschütternd, dass Antisemitismus bei uns nach dem Zweiten Weltkrieg noch immer so präsent ist“, sagte er. Deshalb sei es umso wichtiger, immer wieder an die Gräueltaten des Nationalsozialismus zu erinnern und Aufklärungsarbeit zu leisten. In Gießen ruft die evangelische Kirche zu einer stillen Mahnwache am Stadtkirchenturm auf. Der Zeitpunkt sei so gewählt, dass der Beginn des Freitagsgottesdienstes in der benachbarten Synagoge begleitet wird, teilte die Kirche mit. Die Gottesdienstbesucher sollten erleben, dass ihre nicht-jüdischen Mitbürger zu ihnen stehen.

Täter konnte nicht in die Synagoge eindringen

Der nach dem Anschlag 9. Oktober festgenommene mutmaßliche Täter Stephan B. sitzt inzwischen in Untersuchungshaft und hat ein Geständnis abgelegt. Dabei habe er auch seine antisemitische und rechtsextremistische Motivation bestätigt, teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft am Freitag in Karlsruhe auf epd-Anfrage mit. Gegen den 27-jährigen Tatverdächtigen war noch am selben Abend Haftbefehl wegen zweifachen Mordes und mehrfachen Mordversuches erlassen worden. 

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft wollte der 27-Jährige in der Synagoge im Paulusviertel in Halle, in der sich am jüdischen Feiertag Jom Kippur 51 Gläubige aufhielten, möglichst viele Personen jüdischen Glaubens töten. Da die Eingangstür verschlossen war, konnte er jedoch nicht in das Gotteshaus eindringen. Daraufhin erschoss er eine zufällig vorbeikommende Passantin und später einen Mann in einem Döner-Imbiss. Den Angaben zufolge hatte der Beschuldigte vier Schusswaffen und mehrere Sprengsätze bei sich.

Antisemitismus-Beauftragter Klein: „Eine neue Dimension antisemitischer Straftaten in Deutschland“

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, erklärte, Bund und Länder seien „jetzt gefordert, noch einmal grundsätzlich über die Sicherheit jüdischer Einrichtungen zu beraten“. Er kritisierte, dass die Synagoge in Halle am höchsten jüdischen Feiertag nicht bewacht worden sei. „Ich halte das für fahrlässig“, sagte er dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“. 

„Die Ereignisse von Halle stellen eine neue Dimension antisemitischer Straftaten in Deutschland dar“, betonte Klein. „Ein Täter, der vorhatte, ein Massaker unter jüdischen Gläubigen anzurichten - so etwas gab es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher noch nicht.“

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) räumte Versäumnisse der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen Rechtsextremismus ein. „Ich bin der Meinung, dass wir vieles in diesem Land nicht in dieser Dramatik, in dieser Bedeutung wahrgenommen haben und dass es umso wichtiger ist, jetzt tatkräftig, entschlossen und konsequent als Rechtsstaat zu handeln“, sagte sie in den ARD-„Tagesthemen“.