Nichtinvasive Pränataldiagnostik

Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, 2018

1. Freiheit und Verantwortung

Christliche Lebensführung ist durch das Zusammenspiel von Freiheit und Verantwortung gekennzeichnet: Christinnen und Christen sehen in der Freiheit eine Gabe, die sie mit Gott und den Mitmenschen verbindet und beiden gegenüber in die Verantwortung ruft.

Nach dem Bekenntnis des christlichen Glaubens ist der Mensch ein zum Bild Gottes geschaffenes Wesen. Diese Geschöpflichkeit markiert den Raum des menschlichen Lebens, dessen Eckpunkte Freiheit und Verantwortung sind.

Die mit seiner Geschöpflichkeit gegebene unverlierbare Würde des Menschen wurzelt nach christlichem Verständnis nicht in bestimmten Eigenschaften des Menschen, sondern resultiert aus Anerkennungsverhältnissen: Für Christinnen und Christen wurzelt die Anerkennung in der schöpferischen Liebe Gottes, die allen zwischenmenschlichen Beziehungen zugrunde liegt und vorausgeht.

Nach christlichem Verständnis verleiht sie jedem Menschen eine unveräußerliche Würde und lässt ihm im Glauben die Gnade zuteilwerden. Diese Gnade befähigt zu einem Leben aus Freiheit. Sie verpflichtet aber auch dazu, im Anderen ein Geschöpf Gottes zu sehen. Die bedingungslose Annahme des Menschen durch Gott spiegelt sich daher nach christlicher Überzeugung in der Anerkennung, die wir uns gegenseitig als Menschen schulden. Zu dieser Anerkennung gehört, dem anderen Menschen die Freiheit zu einer eigenständigen, selbstbestimmten Lebensführung zu gewähren. Zu ihr gehört es aber auch, Verantwortung für den anderen Menschen zu übernehmen. Christliche Freiheit meint nicht Beliebigkeit, sondern empfangene und verantwortete Freiheit. Umgekehrt stellt christliche Verantwortung keine Bevormundung dar, sondern Zuwendung, die dem Anderen ein Leben in Freiheit ermöglicht.

Menschliches Leben ist ein Leben in Beziehungen. Herausgefordert wird die Freiheit der Lebensführung immer dort, wo die eigenen Entscheidungen unmittelbare Auswirkungen auf andere zeigen. Herausgefordert ist sie aber auch da, wo – aus welchen Gründen auch immer – das Recht des Einzelnen, sich eigene Ziele zu setzen und den eigenen Überzeugungen zu folgen, infrage gestellt wird.

Diese Freiheit der Lebensführung beinhaltet grundsätzlich auch die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, ob, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Lebensformen Menschen Kinder bekommen wollen. Die Spielräume für das eigene Handeln, aber auch die Fragen, auf die eigene Antworten gefunden werden müssen, sind durch die Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin und der pränatalen Diagnostik größer geworden. Schon deren bloße Verfügbarkeit nötigt Paare und vor allem schwangere Frauen heute dazu, sich zu diesen Möglichkeiten zu verhalten. Deutlich ist aber auch, dass mit der Freiheit die Notwendigkeit einhergeht, die eigenen Entscheidungen zu verantworten – vor sich selbst und dem ungeborenen Kind, den Mitmenschen und, in christlicher Perspektive, vor Gott. Wenn Christinnen und Christen davon sprechen, dass sie ihr Leben und ihre Entscheidungen in letzter Konsequenz vor Gott verantworten müssen, dann drückt das genau jenen Respekt vor der Unverfügbarkeit des Lebens und der Unvertretbarkeit eigener Entscheidungen aus, die auch in der Rede von der Geschöpflichkeit des Menschen zur Sprache kommen. Zu dieser Geschöpflichkeit gehört dann allerdings auch, dass Menschen in der ernsthaften Wahrnehmung ihrer Verantwortung zu sehr unterschiedlichen individuellen Entscheidungen gelangen können.

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