Nichtinvasive Pränataldiagnostik

Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, 2018

2. Nichtinvasive Pränataltests – Chancen und Risiken

Die Entwicklung der NIPD birgt das Potenzial zu einer grundsätzlichen Verschiebung in der Inanspruchnahme der pränatalen genetischen Diagnostik.

Methoden der pränatalen genetischen Diagnostik sind seit mehr als 30 Jahren fester Bestandteil der Schwangerenvorsorge. Sie werden beim Vorliegen bestimmter medizinischer Befunde – Alter der schwangeren Frau, familiäre Erkrankungsrisiken oder subjektiv empfundene psychosoziale Belastungen – eingesetzt. Dabei werden primär Chromosomenstörungen untersucht, autosomale Trisomien 21, 18 und 13 sowie Veränderungen der Geschlechtschromosomenanzahl. Menschen mit autosomalen Trisomien haben verschiedene Fehlbildungen und Erkrankungen sowie eine verkürzte Lebenszeit, insbesondere ausgeprägt bei Trisomie 18 und 13. Der Überlebenszeitraum von Lebendgeborenen mit Trisomie 13 und 18 beträgt in der Regel nur wenige Tage bis Wochen, sodass die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen den Risiken der Geburt und dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes auch medizinisch gegeben sein kann. Im Fall von Trisomie 21 hingegen stehen in der Regel die sozialen und psychischen Folgen des Lebens mit einem behinderten Kind im Vordergrund.

Allerdings sind die gängigen invasiven Verfahren im zweiten Schwangerschaftsdrittel mit einem Fehlgeburtsrisiko verbunden, weshalb eine sorgsame Abwägung über deren Einsatz erforderlich ist. Bei den NIPTs, die bereits jetzt als Ergänzung zum Erst-Trimester-Screening (ETS) angeboten werden, entfällt das Risiko der Fehlgeburt und es wird bei unauffälligem Befund eine invasive Diagnostik vermieden. Bei Vorliegen eines auffälligen Befundes wird wegen der Unsicherheit des Testergebnisses derzeit weiterhin eine anschließende invasive Diagnostik zur sicheren Abklärung empfohlen.

Die abschließende Bewertung[8] der NIPTs durch das vom G-BA beauftragte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)[9] hält fest, dass die Sensitivität und die Spezifität der NIPD zur Erkennung einer Trisomie 21 sehr hoch ist. Bei Trisomie 13 und 18 ist die Datenlage unklar, vermutlich aber liegt die Erkennungsrate deutlich niedriger. Vor diesem Hintergrund lassen sich die Konsequenzen nur schwierig abschätzen, auch weil keine belastbaren Daten über die derzeitige Inanspruchnahme pränataler Diagnostik in Deutschland vorliegen. Überschätzungen und Verzerrungen werden aufgrund der Studienlage als möglich angesehen.

Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass unabhängig davon, ob man die NIPD als Erstlinien- oder Zweitlinienstrategie wählt – ob man also den Test bei allen Schwangerschaften oder nur im Fall einer diagnostizierten Risikoschwangerschaft durchführt –, die Zahl invasiver Untersuchungen verringert werden würde.

Dabei wird der Begriff der „Risikoschwangerschaft“ vom IQWiG nicht abschließend definiert, sondern auf die bisher übliche Praxis anamnestischer und diagnostischer Merkmale verwiesen. Wie stark die Verringerung invasiver Untersuchungen ausfällt, lässt sich allerdings auf der Grundlage bisheriger Daten nicht sicher sagen. Denn zum einen liegen eben nur für Trisomie 21, nicht aber für Trisomie 13 und 18 belastbare Daten vor, zum anderen ist die Möglichkeit falscher positiver Befunde zu berücksichtigen – das Szenario also, bei dem nach einem auffälligen Befund des NIPTs zur endgültigen Abklärung eine invasive Untersuchung durchgeführt wird. Für die ethische Bewertung ist trotz aller Unsicherheiten in den konkreten Auswirkungen festzuhalten, dass die Ergebnisse des IQWiG keine Anhaltspunkte dafür liefern, dass die Nachfrage nach den NIPTs aufgrund der unsicheren Datenlage und einer daraus etwa zu schließenden mangelnden Zuverlässigkeit sinken könnte – jedenfalls nicht, wenn es vorrangig um den Ausschluss von Trisomie 21 geht.

Eine weitere für die ethische Beurteilung relevante Verschiebung könnte sich aus der geringeren Eingriffstiefe der NIPTs ergeben: Da diese nur eine Blutentnahme der Schwangeren voraussetzen, ist es denkbar, dass es – ungeachtet der bestehenden rechtlichen Regelungen – zu einer Entkoppelung des Zusammenhangs zwischen der ärztlichen Schwangerenvorsorge und der Durchführung genetischer Tests kommt. Die Möglichkeit, eigenständig eine Testung des ungeborenen Kindes auf eventuelle Anomalien in Auftrag zu geben, besteht bereits heute und könnte durchaus zu einer Privatisierung der NIPD führen. Denn die entsprechenden Tests können ohne große Zugangshürden online bestellt werden, sodass die Vorschriften des Gen­dia­gnostik-Gesetzes hier nicht greifen: Dieses Gesetz kommt erst und nur im Rahmen einer vom Arzt eingeleiteten Untersuchung zur Anwendung.

Aus der Möglichkeit, ohne Fehlgeburtsrisiko und ohne ärztliche Untersuchung auf pränatale Diagnostik zugreifen zu können, sowie der damit einhergehenden Privatisierung der Testung und Befundmitteilung ergibt sich das besondere Potenzial der NIPTs, das zu einer grundlegenden Verschiebung im Umgang mit dem Wissen über das Ungeborene führen könnte: Erst einmal etabliert, könnte sich das Portfolio der über die NIPTs erhobenen Informationen schnell erweitern und die Möglichkeit früher Selektion eröffnen.

Die Sensitivität der Tests ist so hoch, dass Ergebnisse bereits vor Ablauf der Zwölf-Wochen-Frist für einen Schwangerschaftsabbruch bei psychosozialer Notlage vorliegen können und die schwangere Frau Selektionsgründe wie etwa das Geschlecht des ungeborenen Kindes nicht offenlegen müsste.
 

Anmerkungen

8          Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (Hrsg.): Nicht invasive Pränataldiagnostik (NIPD) zur Bestimmung des Risikos autosomaler Trisomien 13, 18 und 21 bei Risikoschwangerschaften. IQWiG-Berichte Nr. 623, Berlin 2018. Online unter: www.iqwig.de/de/projekte-ergebnisse/projekte-301/nichtmedikamentoese-verfahren/s-projekte/s16-06-nicht-invasive-praenataldiagnostik-zur-bestimmung-des-risikos-autosomaler-trisomien-13-18-und-21-bei-risikoschwangerschaften.7776.html.

9          www.iqwig.de/de/ueber-uns/aufgaben-und-ziele.2946.html.

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