Nichtinvasive Pränataldiagnostik

Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, 2018

Vorwort

Die Mittel und Möglichkeiten moderner Medizin weiten sich ständig aus. Diagnostische und therapeutische Verfahren haben eine Tiefe und Genauigkeit erlangt, die für vorangegangene Generationen unerreichbar schienen. Die Leistungen der Medizin und die Heilkunst von Ärztinnen und Ärzten kommen vielen kranken und leidenden Menschen zugute. Dafür sind wir sehr dankbar! Mit den Möglichkeiten aber wächst auch der Sinn für die Ambivalenzen: Ist eigentlich alles, was möglich ist, auch gut und förderlich? Nicht nur, aber vor allem mit Blick auf den Zugriff auf das menschliche Leben an seinem Anfang und seinem Ende stellen sich Fragen. Die leidenschaftlichen Debatten etwa um den »assistierten Suizid« oder auch gegenwärtig wieder um den Schwangerschaftsabbruch und den § 219a des Strafgesetzbuches machen deutlich, wie hoch hier der Bedarf und die Notwendigkeit zu Austausch und auch Auseinandersetzung ist. Dabei geht es niemals nur um fachliche oder technische Fragen. So wichtig eine nüchterne, faktenbasierte Bewertung neuer Methoden oder Medikamente ist – hinter diesen Fragen melden sich immer auch die moralischen Grundfragen der persönlichen Lebensführung und des gesellschaftlichen Zusammenlebens.

Im Falle der Nichtinvasiven Pränataldiagnostik (NIPD) hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), der eine Aufnahme dieser genetischen Bluttests in die Regelleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung zu prüfen hat, selbst eine solche umfassende gesellschaftliche Debatte um die ethischen Fragen angemahnt. Machen wir uns deutlich, worum es hier geht: Die Frage ist, ob die flächendeckende Einführung von genetischen Bluttests bei Risikoschwangerschaften dazu führen kann, dass Kinder mit Beeinträchtigungen, insbesondere mit Trisomien, künftig nicht mehr geboren werden. Wäre dann mit der Entscheidung für die Nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) auch eine Entscheidung für eine Gesellschaft ohne Kinder mit Trisomien verbunden? Wie aber wäre dies mit dem Schutz des ungeborenen Lebens und mit den Verpflichtungen der UN-Behindertenkonvention vereinbar? Spürbar ist, dass hier sehr drängende Fragen im Raum stehen, die auch die Grundlagen unserer liberalen rechtsstaatlichen Ordnung betreffen.

Der Rat der EKD hatte die Kammer für Öffentliche Verantwortung gebeten, zur Frage einer evangelischen Position in dieser gesellschaftlichen Debatte eine Stellungnahme zu erarbeiten. Ich danke der Kammer und besonders ihrem Vorsitzenden Prof. Dr. Reiner Anselm für den hier vorgelegten Beitrag. Die Kammer hat ihren Beitrag bewusst mit einer doppelten Zielrichtung versehen: Er ist positionell, insofern er eine klare Empfehlung in der anstehenden politischen Entscheidung abgibt. Und er ist diskursiv, insofern er Argumente einführt, abwägt und so zu einer eigenverantwortlichen ethischen Urteilsbildung anleiten und ermutigen will.

Der Rat der EKD hat sich in seiner Sitzung am 26. Mai 2018 diese Empfehlung der Kammer und ihre ethische Reflexion zu eigen gemacht. Die Kammer empfiehlt grundsätzlich, die Nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) aufgrund ihres für die schwangere Frau und das ungeborene Kind erheblich schonenderen Charakters in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen. Diese zustimmende Empfehlung ist allerdings daran geknüpft, dass eine neue psychosoziale, dem Lebensschutz verpflichtete Beratung eingeführt wird, die schwangere Frauen und Paare darin begleitet, eine individuell verantwortete Entscheidung darüber zu fällen, ob sie den genetischen Bluttest durchführen wollen und in der Lage sind, die sich daraus etwa ergebenden Folgen zu tragen. Ohne eine solche Beratung erscheint die Einführung der NIPT als Regelleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung der Kammer und dem Rat der EKD nicht als zustimmungsfähig.

In dieser konditionierten Zustimmung zu den NIPT im Rahmen eines gesellschaftlich verankerten Beratungskonzeptes zeigt sich: Die verantwortliche Selbstbestimmung der betroffenen Menschen wird für die evangelische Kirche immer besonderes Gewicht haben – ebenso aber auch der Blick auf die Würde des ungeborenen Kindes, das geliebtes Geschöpf des gnädigen Gottes ist. Diese besondere Perspektive des christlichen Glaubens ist auch, so unsere Überzeugung, tief verankert in den moralischen und rechtlichen Grundlagen unseres Gemeinwesens und reicht damit in ihrer Bedeutsamkeit über den Kreis der Christinnen und Christen hinaus. Die hier vorgelegten evangelischen Impulse verstehen wir in diesem Sinne als einen Beitrag in den nun anstehenden öffentlichen Debatten um Nichtinvasive Pränataldiagnostik – und darüber hinaus um den künftigen Umgang mit dem ungeborenen Leben insgesamt.

Hannover, im Oktober 2018

Dr. Heinrich Bedford-Strohm
Landesbischof
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

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