Nichtinvasive Pränataldiagnostik

Ein evangelischer Beitrag zur ethischen Urteilsbildung und zur politischen Gestaltung, Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD, 2018

3. Grundlagen der ethischen Urteilsbildung

Die Verschiebungen, die mit der NIPD einhergehen könnten, lösen einen intuitiven sittlichen Widerspruch aus, der als solcher Anerkennung finden muss.

Der Gedanke, dass die Testung eines Embryos auf bestimmte Anomalien oder gar bestimmte Eigenschaften zum Regelfall werden könnte und damit mutmaßlich auch eine nicht gesellschaftlich oder politisch geplante, sondern auf individuellen Entscheidungen von werdenden Eltern beruhende, eugenische Tendenz motiviert, stößt bei vielen Menschen intuitiv auf sittlichen Widerspruch. Denn auch wenn jede einzelne Entscheidung, die daraus folgt, sich ein Leben mit einem behinderten Kind nicht ohne schwere seelische, körperliche oder soziale Einschränkung vorstellen zu können, zu respektieren sein wird, ist zu fragen:

Wird hier nicht ein Weg eingeschlagen, der die Solidarität mit nicht perfektem Leben infrage zu stellen bereit ist? Wird unsere Gesellschaft als Ganze nicht ärmer, wenn die Vielfalt menschlichen Lebens gezielt durch normative Unterscheidungen von angeblich nicht lebenswertem von lebenswertem Leben eingeengt wird?

Ist es richtig, die Vielzahl verschiedener Gesichter, Fähigkeiten und Möglichkeiten, Veranlagungen und Lebensperspektiven einzuschränken, darunter auch diejenigen von Menschen mit besonderer genetischer Veranlagung? Und rührten eugenische Tendenzen nicht am Fundament des Selbstverständnisses des Menschen als freie, individuelle Persönlichkeit, deren So-Sein unverfügbar gegeben und eben nicht intentional hergestellt ist? Diese Unverfügbarkeit ist es, die Christinnen und Christen damit verbinden, sich als Geschöpf Gottes zu verstehen.

Dieser Widerspruch lässt sich nicht durch die Tatsache entkräften, dass wir uns in unserer Existenz auch dem intentionalen Handeln unserer Eltern verdanken und dass die Bereitschaft, sich als Gesellschaft für die Bedürfnisse der Schwächeren zu engagieren und beträchtliche Ressourcen für die Inklusion aufzuwenden, eher zu- als abgenommen hat.

Die Einschätzung, hier könnte sich ein gesellschaftliches Klima verändern, verbindet sich auch mit starken individuellen Überzeugungen, nicht zuletzt mit starken Glaubensüberzeugungen. Gerade deshalb ist diese sittliche Intuition anzuerkennen, insbesondere dann, wenn der Eindruck besteht, es komme nicht nur zu einer Infragestellung der Solidarität, sondern auch zur gesellschaftlichen Erwartung, nur die Kinder auszutragen, die der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Es gilt jedoch, weiterhin die Faktenlage im Blick zu behalten und mit der sittlichen Intuition abzugleichen.

In diesem Zusammenhang muss aber auch darauf hingewiesen werden, dass der angesprochene intuitive Widerspruch zwar eine gesellschaftliche Debatte anstoßen kann, es aber schwerfallen dürfte, auf der Grundlage dieser sittlichen Intuition allgemeinverbindliche normative Konsequenzen anzustreben: Denn zum einen können solche Befürchtungen kaum eine belastbare Grundlage dafür liefern, den Einsatz der NIPD und der pränatalen genetischen Diagnostik insgesamt zu limitieren oder gar zu untersagen – wie übrigens im Umkehrschluss auch das intuitive Bedürfnis nach pränataler genetischer Diagnostik noch nicht deren solidarische Finanzierung legitimiert. Zum anderen lassen sich gesellschaftliche Verschiebungen zwar analysieren und auch diskutieren, sie aber über normative Vorgaben steuern zu wollen, erscheint nur in höchst eingeschränktem Maße möglich, wenn gesellschaftliche Trends und ein tief greifender Mentalitätswandel dem entgegenstehen. Und schließlich gilt auch hier, dass wohl abgewogen sein will, wo durch die Sorge vor einer Zwang ausübenden Verschiebung der gesellschaftlichen Grundüberzeugungen und dem Versuch diesem Zwang gegenzusteuern selbst ein gesellschaftliches Klima moralischer Bevormundung erzeugt wird.

Allerdings wird eine dem Lebensschutz verpflichtete Gesellschaft werdenden Eltern die, unter Umständen auch als Zumutung erfahrene, Konfrontation nicht ersparen können, über ein Beratungsangebot die eigene Entscheidung zu überprüfen.

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