Landwirtschaft im Spannungsfeld, zwischen Wachsen und Weichen

Zielkonflikte und Lösungsversuche

4.1 Das Verhältnis des Menschen zur Natur

(70) Der Landwirt selbst hat ein Interesse daran, seine eigene Lebensgrundlage nicht zu zerstören. Deshalb beobachtet er die Gesetze der Natur und erhält beispielsweise die Bodenfruchtbarkeit. Dennoch änderte sich sein Verhältnis zur Natur und zur Tierwelt tiefgreifend. Naturabhängigkeiten existieren nach wie vor; aber die Möglichkeiten der biologischen, züchterischen, technischen und chemischen Manipulierung der Natur sind in den letzten Jahrzehnten um ein Vielfaches angewachsen. Großartige Leistungen wurden dabei vollbracht, die sich nicht nur ertragssteigernd, sondern auch arbeitserleichternd und gelegentlich sogar ökologisch positiv auswirkten. Dennoch ist die Versuchung für die Agrarwissenschaft und auch den einzelnen Landwirt heute groß, Natur nur noch als bearbeitbares und zu veränderndes Material (Objekt) anzusehen, ohne ihre Eigenwertigkeit und die Gesamtzusammenhänge in den Kreisläufen dieser Natur genügend zu beachten. Zwar hat der Landwirt auch heute noch ein Naturverständnis, das nicht nur den Nutzwert der Natur und die biologischen, chemischen und technischen Möglichkeiten des Menschen sieht. Aber diese Haltung wird erschwert durch die Art und Weise, wie in unserer Industriegesellschaft die Natur für die Zwecke des Menschen verwertet wird. Dabei unterscheiden sich die östliche und die westliche Welt kaum in ihrer Tendenz. In beiden Gesellschaftssystemen herrscht eine Produktionsweise vor, die die Natur nur als Objekt ansieht.

(71) Ebenso veränderte sich in Großviehbeständen das Verhältnis zum Tier. Allerdings sollte man auch den Umgang mit Tieren in der Landwirtschaft in der Vergangenheit nicht im Nachhinein romantisierend verherrlichen. Zwar wurden Pferde und nicht selten auch Kühe mit Namen angesprochen, aber das änderte nichts daran, daß es Nutztiere mit von Hof zu Hof sehr unterschiedlicher Behandlung waren. Dennoch besteht ein Unterschied zu spezialisierten Großviehbeständen der Gegenwart. Die entscheidende Frage lautet heute: Wo liegen im Umgang mit dem Tier Grenzen, die aus ethischen Gründen nicht überschritten werden dürfen?

(72) Gelegentlich wird heute die Frage gestellt, ob die gegenwärtigen Umweltprobleme nicht eine Folge abendländischen Denkens und, davon abgeleitet, rationaler Naturbeherrschung sind. Dabei muß man aber bedenken, daß es auch in Kulturkreisen unter anderen Hochreligionen große Ökologische Schäden gibt. So hat etwa das »Heilige Feuer« der ewig brennenden Altäre Zarathustras im iranischen Hochland den Waldbestand ganzer Gebirge vernichtet. Die heiligen Kuhherden Hindus haben, das biologische Gleichgewicht Indiens nicht unwesentlich gefährdet.
Wir Christen haben heute Anlaß zu fragen, wie weit wir mitverantwortlich dafür sind, daß Natur, Pflanzen und Tiere nur als Mittel für die Zwecke des Menschen angesehen wurden. Hat das Christentum deshalb zu wenig Gegenkräfte entwickelt, weil sich der Mensch als Krone und Ziel der Schöpfung zu scharf von der übrigen Schöpfung abgehoben verstand? Wurde der biblische Schöpfungsauftrag an den Menschen, über diese Erde zu herrschen, zu einseitig im Sinne des naturwissenschaftlichtechnischen Fortschrittsglaubens ausgelegt? Sind nicht gerade in den letzten Jahrhunderten Naturwissenschaften und Theologie, Natur und Humanität, Natur und Geschichte zu sehr auseinandergerissen worden und das sogar mit Berufung auf den Herrschaftsauftrag Gottes an den Menschen? Diese Fragen deuten an, daß ein kritisches theologisches Nachdenken erforderlich ist, um die Maßstäbe des menschlichen Umgehens mit der Natur neu zu bestimmen.

(73) Zwar ist der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen und soll über die Erde herrschen. Dieser Auftrag bedeutet aber verantwortliche und nicht Freiheit zur Ausbeutung. Der Mensch hat innerhalb der Schöpfung die besondere Aufgabe, den Spielraum verantwortlich zu nutzen, den Gott ihm für die Gestaltung der Welt eingeräumt hat. In seiner Mitverantwortung für das Ganze soll er nach biblischem Schöpfungsverständnis gleichzeitig Natur pflegen und verändern, Kultur schaffen, ohne aber die Lebensgrundlage zerstören. Der Schöpfungsauftrag an den Menschen lädt nicht ein, alles zu versuchen, was machbar erscheint, sondern er muß als fürsorgliche Verantwortung in den Grenzen des lebensförderliche Spielraumes ausgelegt.

(74) In der biblischen Überlieferung wird aber auch eine ganz andere Seite des Verhältnisses des Menschen zur Natur sichtbar. Viele biblische Geschichten legen anschaulich Zeugnis davon ab, so z. B. die Erzählung von der aus menschlicher Sünde folgenden Sintflut. Die Menschheit lebt nicht im paradiesischen Urzustand. Vielmehr muß im Schweiße des Angesichts auf Äckern mit Dornen und Disteln, im Kampf und Konflikt mit der Natur das tägliche Brot erarbeitet werden. Um zu überleben, muß der Mensch auch das Leben der Natur eingreifen.
Die Natur kann nicht als Inbegriff einer hellen, unzerstörten Welt gesehen werden. Das hieße, die Natur religiös zu verklären und zu verkennen, daß der Mensch Sünder ist. Nur die Versöhnung von Gott her bringt die Verheißung hellen Lebens. Die Natur darf aber auch nicht zum bloßen Gegenstand der menschlichen Bearbeitung oder Ausbeutung werden. Das hieße, den die Welt beherrschenden Menschen zum alleinigen Maßstab zu machen und die Gesetze einer von Gott geordneten Schöpfung zu wenig zu beachten.

(75) Das Christentum hat den Siegeszug der Naturwissenschaften und der Technik mit beeinflußt Durch ihn wurde es erst möglich, so viele Menschen in der Welt zu ernähren. Nicht selten sind dabei aber die Grenzen der Naturbearbeitung aus dem Blickwinkel geraten. Nur langsam setzt sich heute die Erkenntnis durch, daß Natur nicht nur Objekt und Gegenstand menschlicher Nutzungsinteressen sein darf. Sie ist kein toter Mechanismus, sondern ein vielfältiges Gefüge, das durch Eingriffe auf Dauer geschädigt werden kann. Daher müssen auch Eingriffe in Teile des Gefüges immer auf ihre Folgen für das Gesamtgefüge bedacht werden. Dabei sind auch die nicht beabsichtigten Nebenfolgen für die soziale, politische und moralische Lebenswirklichkeit in Gegenwart und Zukunft ins Auge zu fassen. Dies ist um so wichtiger, weil der Mensch heute viel tiefere Eingriffe in die Kreisläufe der Natur vornehmen kann als je zuvor. Letztendlich gefährdet er, wenn er die Gesetze und den Eigenwert der Schöpfung mißachtet, auch sich selbst.

(76) Deshalb gilt es, immer wieder auf die Doppelstellung des Menschen hinzuweisen: Einerseits von Gott beauftragt, die Welt und Natur bewahrend zu verändern, andererseits selbst Mit-Kreatur zu sein. Der zur Herrschaft berufene Mensch ist nicht nur Herr über die anderen Geschöpfe, sondern auf Grund seiner Mitkreatürlichkeit ist er ihnen in einer engen Gemeinschaft verbunden. Der in besonderer Weise Gott verantwortliche Mensch ist dennoch immer gleichzeitig selbst als Mitkreatur eingefügt in die ihn umgebende Schöpfung. Die Natur ist nicht nur seine Umwelt, sondern seine Mitwelt. Der Mensch verändert die Natur und ist doch selber ein Teil von ihr. Als Handelnder ist er im Guten und Bösen gleichzeitig immer ein Mitbetroffener.

(77) Nach biblischem Verständnis sind die Menschen mit allen Kreaturen auf das tiefste verbunden. Die Menschen und die Schöpfung sind keine isolierte, für sich bestehenden Größen. Beide seufzen unter den Bedrängnissen der Gegenwart. Beide sehnen sich nach Befreiung und Erlösung. Das Ziel der Wege Gottes ist nicht nur die Erneuerung der Menschheit, sondern der ganzen Schöpfung. »Auch die Kreatur wird frei werden von der Knechtschaft des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes« (Röm. 8,21). Verheißung göttlicher Vollendung liegt jenseits menschlicher Leistungsmöglichkeit. Dennoch gilt es, sich in Glauben und Hoffnung an dieser Verheißung auszurichten und deshalb so viel Freiheit wie nur möglich in Gottes ganzer Schöpfungswelt schon jetzt zu eröffnen. Nicht nur die Menschen, sondern der ganze Kosmos gehören in den Ausstrahlungsbereich der Gottesherrschaft hinein. Mitten in der alten Schöpfung ist die neue schon angebrochen (2. Kor. 5 und Röm. 12). Gottes Heilswille umfaßt den Menschen und alle Kreatur, Natur und Geschichte. Der Mensch sollte daher in aller Gebrochenheit irdischer Existenz Hoffnungszeichen für die ihn umgebende Kreatur sein und nicht ihr großer Zerstörer.

(78) So wird denn auch in jüngster Zeit von immer mehr Seiten zu Recht ein neuer Umgang des Menschen mit den Tieren gefordert. Wer die Mitgeschöpflichkeit der Tiere mißachte, langfristig auch den Menschen selbst, heißt es. Das Leid, das den Tieren angetan wird, könne auch bald den Menschen angetan werden. Aber es geht nicht nur um das Schicksal des Menschen, sondern um den Eigenwert des Tieres. Den Satz des Glaubensbekenntnisses: »Ich glaube an Gott, den Schöpfer« erklärt Martin Luther u. a. mit den Worten: »Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen.« Wenn die Kirche die Barmherzigkeit Gottes verkündet, gilt diese dann nicht auch den uns anvertrauten Tieren? Müßte ein solches christliches Verständnis nicht auch die Konsequenz haben, daß das Tier nicht nur in seiner bloßen Verwertbarkeit und Nützlichkeit gesehen wird? »Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs.« (Sprüche 12.10) Sensibilität für tierisches Leid ist in der Kirche, von wenigen abgesehen, nicht aufgebracht worden. Es ist kein Zufall, daß wir heute auf Stimmen wie Franz von Assisi hören. Ebenso schenken wir dem ethischen Grundsatz Albert Schweitzers neue Beachtung: »Ich bin Leben, das leben will inmitten von Leben, das leben will.« In Schweitzers Ehrfurcht vor dem Leben wird Leben immer als Wettstreit konkurrierender Konfliktpartner gedacht. Alle Kreatur gehört mit den Menschen in Solidarität zusammen.

(79) Bei der Durchsetzung seiner eigenen Lebensinteressen sollte der Mensch daher immer darauf achten, die Lebensinteressen der nichtmenschlichen Kreatur angemessen zu berücksichtigen und Leid und Tod der Kreatur (soweit möglich) zu verringern. Im Hinblick auf die millionenfachen Tierversuche ist zu fragen, ob nicht das Recht darauf dann eingeschränkt werden müßte, wenn das, was den Tieren angetan wird, in keinem erkennbaren Verhältnis zur Erhaltung anderen Lebens geschieht. Für einen Teil der etwa 14 Mio. Tierversuche jährlich wird man das sagen können. Doch soll auf diese Problematik hier nicht näher eingegangen werden, weil sie die Landwirtschaft primär nicht betrifft. Die artgerechte Tierhaltung aber wird noch genauer erörtert.

(8o) Freilich wird in einer hochindustrialisierten Gesellschaft nur eine schrittweise Umstellung möglich sein. Das eröffnet vielen Interessengruppen gleich die Chance, den bisherigen Weg ohne große Kurskorrekturen mit der Begründung zu verteidigen, es seien arbeitsmarktpolitische oder soziale Nebenwirkungen zu befürchten. Die Kirche wird in solchen unausbleiblichen Kämpfen und Konflikten keine Interessengruppen in ihren Anliegen bestärken dürfen. Sie muß vielmehr mithelfen, daß in angemessener Güterabwägung immer zugleich der Naturverträglichkeit und der Sozialverträglichkeit Rechnung getragen wird. Es kann weder ein Zurück in eine schwärmerische Naturromantik odereinen ungebrochenen Naturzustand noch ein interessengebundenes Festhalten an angeblich wirtschaftlichen Sachzwängen geben.

(81) Auch in der Landwirtschaft ist der Weg zurück in ein vortechnisches und vor industrielles Zeitalter aus vielen gesellschaftspolitischen, ernährungspolitischen und sozialen Gründen versperrt. Das Heilmittel heißt auch nicht Verzicht auf Technik an ökologische Erfordernisse. Aber immer mehr Menschen erkennen in der Landwirtschaft, daß die Natur nicht nur Objekt von Nutzungsinteressen sein darf. Gesetze und Kreisläufe der Natur müssen respektiert werden. Darum gilt es, neben der Bewußtseinsänderung auch neue politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die es möglich machen, die ökologischen Gesichtspunkte stärker zu berücksichtigen. Die Landwirte werden nur dann ihr Verhalten in großer Zahl ändern, wenn auch die europäischen Nachbarländer entsprechende Auflagen beschließen und durchsetzen. Dieses Argument darf allerdings nicht als Alibi für Länder dienen, keine ersten Schritte zu unternehmen oder Entscheidungen hinauszuzögern.

4.2 Landschaftsstrukturen, Landbewirtschaftung und Artenschutz

(82) Die Umwelt macht unser Leben überhaupt möglich. Boden, Luft und Wasser, Tiere und Pflanzenformen gestalten unsere Umwelt und gehören mit dem Menschen zur Schöpfung, die es immer gleichzeitig zu bebauen gilt. Auch Generationen nach uns möchten sich noch an der Schönheit von Natur und Landschaft erfreuen können, die durch ihre Vielfalt Im Wechsel von Nutzflächen und Naturräumen gekennzeichnet sind.

(83) Indessen nehmen negative Einwirkungen der modernen Industriegesellschaft auf das Leben der Tiere und Pflanzen, überhaupt auf unsere gesamte Umwelt, ständig zu. Sie bedrohen den Boden, das Wasser, die Luft und betreffen direkt oder indirekt die Pflanzen und Tiere und schließlich den Menschen. Durch Zerstörung oder Schädigung der Lebensräume sind heutzutage zahlreiche wildlebende Tiere und Pflanzen ausgerottet oder ernsthaft bedroht. Die Intensivierung der Landwirtschaft gefährdet besonders Hecken und Knicks, Feldraine, Feuchtgebiete, Trocken- und Magerwiesen.

(84) Die Gefährdung der Umwelt ist keineswegs allein der Landwirtschaft anzulasten. Vielmehr gehen unersetzliche Biotope und Landschaften - wie belastet schon angedeutet - durch Überbauung verloren. Die Landwirtschaft ist in vielfältiger Weise durch Umweltschäden auch selbst betroffen. Von den Schadstoffen durch Industrie, Haushalt und Autoverkehr war ebenso schon die Rede. Durch verseuchten Klärschlamm oder verdriftete Pflanzenschutzmittel können unkontrolliert Schadstoffe in den Boden und die wachsenden Pflanzen gelangen. Untersuchte Ernteproben haben wiederholt gezeigt, daß selbst die Erzeugnisse von solchen Betrieben, die keine Pflanzenschutzmittel und dergleichen anwenden, in gleicher Größenordnung Rückstände aufweisen können wie konventionell wirtschaftende Betriebe. Besonders belastet sind z. B. die an die Autobahn grenzenden Feldbereiche. Bisher sind die heutigen Grenzwerte der zulässigen Umweltbelastung nur in wenigen Gebieten erreicht oder gar überschritten. Doch wächst die Gefährdung mit anhaltender Dauer der Schadstoffbelastung, ohne daß die Landwirte sich allein schützen könnten. Die unerwartet rasche Ausweitung des Waldsterbens muß alle alarmieren und macht einschneidende Maßnahmen dringend.

(85) Die künftige ländliche Entwicklung muß mit dazu beitragen, die Bedrohung des Naturhaushaltes aufzuhalten. Die Maßnahmen hierfür sollten umgreifend sein und erfordern daher weitgehend staatliches Handeln. Gleichwohl ist die Landwirtschaft und damit jeder einzelne Landwirt, besonders gefordert. In der Flurbereinigung müssen ökologische Belange vorrangig berücksichtigt werden. In neueren Konzepten spielen sie bereits eine zunehmende Rolle. In diesem Bestreben sollte noch viel nachhaltiger fortgefahren werden. Der Einsatz von moderner Landtechnik verlangt zwar eine gewisse Mindestgröße der Felder oder geregelte Bodenwasserführung, doch müssen sich die Eingriffe der Flurbereinigung z. B. dem Relief und der Bodenart anpassen. Der Einsatz neuer Techniken ist daraufhin zu prüfen, inwieweit sie umweltfreundlich sind.

86) Von Naturschützern wird ein Netz von ökologischen Zellen (Biotopen) zur Erhaltung der Vielfalt von Landschaften und Lebensräumen gefordert. Da die Grundlagen aller landwirtschaftlichen Produktion biologisch sind und die Tätigkeit des Landwirts auf dem Reichtum der Natur gründet, sollte jede Möglichkeit zu einem ehrlichen und ernsthaften Dialog zwischen Naturschützern und Landwirten genutzt werden. Dies kann, so hat die Erfahrung gelehrt, Denkanstöße für konkrete Maßnahmen geben.

(87) Die Artenvielfalt läßt sich auf Dauer nicht erhalten , wenn für Tiere und Pflanzen nur einige Rückzugsgebiete übrig bleiben, in denen wirtschaftliche Nutzung derzeit gerade nicht interessant ist. Es gibt immer mehr ermutigende Beispiele für wirksamen Naturschutz durch Initiative von Einzelpersonen und Gruppen. Aber das reicht noch nicht aus. So ist die Schaffung und Erhaltung von Feldrainen mit nur geringem materiellen Aufwand verbunden. Für den Schutz von Pflanzen und Tieren sind sie dann von großem Nutzen, wenn sie mit den angrenzenden Feldern und Flächen verzahnt und nicht isoliert sind. Durch Anlage oder Schonung von Hecken und Feldgehölzen, durch Schonung besonders wertvoller Lebensräume wie Feucht- und Magerwiesen (Verzicht auf Trockenlegung bzw. Aufdüngung) kann jeder landwirtschaftliche Betrieb einen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Beachtung müssen in diesem Zusammenhang auch Flächen erfahren, die sich an Waldrändern als Übergangszonen zu Feldern erstrecken.

(88) Zur Auflockerung der Agrarlandschaft und zur Erhöhung der Artenvielfalt kann eine erweiterte Fruchtfolge beitragen. Zugleich beugt sie den heute in erschreckendem Ausmaß verbreiteten Fruchtfolgekrankheiten vor und senkt die Aufwendungen für den Pflanzenschutz. Den Pflanzenzüchtern ist zur Vergrößerung der Anbauvielfalt die Arbeit an bisher vernachlässigten Pflanzenarten nahezulegen. Vielfach ist die züchterische Veränderung Voraussetzung für den Wiederanbau der Pflanze. Die erweiterte, systematische Erforschung von Wild- und Nutzpflanzen könnte entscheidende Anregungen für die Entwicklung des Pflanzenbaues geben und die einseitige Bevorzugung einzelner Kulturpflanzenarten und -sorten (Zuckerrüben, Mais, Weizen u. a.) durchbrechen. In engem Zusammenhang mit der züchterischen Arbeit ist die Entwicklung von rentablen Anbauverfahren sowie die Förderung von Marktchancen notwendig.

4.3 Tierhaltung

(89) In keinem anderen Bereich der Landwirtschaft ist die Produktion so durchgreifend umgestellt ist die worden, wie in der Nutztierhaltung. Der Zwang, immer preiswerter und zugleich nachfragegerecht zu erzeugen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, und der Wunsch, an der allgemeinen Einkommensentwicklung teilzuhaben, führte zu neuartigen Produktionssystemen, die eine Tierhaltung in großen Beständen (Intensivtierhaltung) rationell ermöglichen. Diese wurden durch Fortschritte in der Züchtung und in der Haltungshygiene, durch neue Stallformen und Fütterungsmethoden bei Einsatz von Zusatzstoffen erreicht. Die modernen Produktionsmöglichkeiten haben dazu beigetragen, daß dem Verbraucher heute preiswerte tierische Erzeugnisse in großem Ausmaß bei in der Regel guter Qualität angeboten werden. Auch schwere Arbeit in den Ställen konnte erleichtert und Verbesserungen bei der Hygiene ermöglicht werden. Gleichwohl werden heute teilweise bedenkliche Folgewirkungen sichtbar, auch wenn in der Bundesrepublik Deutschland - mit Ausnahme der Hühnerhaltung - die Tierhaltung heute noch durch bäuerliche Bestandsgrößen geprägt ist. (13,6 % der Milchkühe stehen in Beständen ab 40 Tieren und 23,5 % der Mastschweine in Beständen ab 400 Tieren.)

(90) Moderne Produktionssysteme erfordern vielseitig ausgebildete Fachleute, benötigen gleichzeitig auch weniger Arbeitskräfte. Sie begünstigen die Produktion in größeren Einheiten bei hohem Kapitaleinsatz. Moderne Produktionssysteme aber schaffen für das Tier oft eine künstliche Umwelt. Dadurch kann es einem ständigen Streß unterworfen sein, welcher u. U. wiederum mit Empfehlungen weiteren Maßnahmen aufgefangen werden muß. Dadurch werden dann Negativfolgen artwidriger Haltung verdeckt. Große Tierbestände sind mit hohen Risiken behaftet und bedürfen einer regelmäßigen Beobachtung durch Tierärzte. Rückstandsuntersuchungen von tierischen Produkten in größerem Umfang sind notwendig geworden.

(91) Moderne Systeme der Tierhaltung begünstigen Großbetriebe. Von ihnen geht ein zunehmender Konkurrenzdruck auf Betriebe mit kleinen und mittleren Beständen aus. Bei der Entwicklung von Großbeständen stand die Rationalisierung im Vordergrund und nicht in erster Linie das ganzheitliche Wohlbefinden des Tieres. Dabei ist weiter problematisch, daß der Kontakt zwischen Betreuer und Tier im Vergleich zur bäuerlichen Tierhaltung nicht mehr so intensiv ist. Die Rückführung der großen Mengen anfallender Exkremente in den Naturkreislauf ist bei mangelnder Lagerkapazität und/oder begrenzter landwirtschaftlicher Nutzfläche fragwürdig; Boden und Grundwasser sind gefährdet, insbesondere wenn regional eine Spezialisierung auf bestimmte Tierarten stattgefunden hat.

(92) Die Landwirtschaft im Voll-, Zu- und Nebenerwerb ist so zu fördern, daß die aufgezeigten unerwünschten Entwicklungen in der Tierhaltung gestoppt und, wo notwendig, rückgängig gemacht werden. Die landwirtschaftliche Tierhaltung ist durch Einführung entsprechender Abgaben, die ethisch, ökologisch und volkswirtschaftlich begründbar sind, auf Bestandsgrößen und Haltungssysteme einzuschränken, die eine artgemäße Betreuung und damit einen verantwortungsvollen Umgang mit den Nutztieren erlauben. Betriebe mit Tierbeständen, die flächenunabhängig gehalten werden, sollten gegenüber anderen stärker durch Abgaben belastet werden. Außerdem ist verstärkt dafür zu sorgen, daß von diesen Betrieben keine Gefahr für die Umwelt z. B. durch mangelhafte Beseitigung der tierischen Exkremente ausgehen kann. Der Markt für Arzneimittel und Futterzusätze muß weiterhin streng überwacht werden. Die Rahmenbedingungen sollten einen verminderten Verbrauch dieser Mittel ermöglichen. Durch intensive Schulung und Beratung der Tierhalter sowie durch ausreichende Überwachung ist die Qualität tierischer Erzeugnisse (Lebensmittel) zu sichern und zu verbessern.

4.4 Düngung und Pflanzenschutz

(93) Der Einsatz chemischer Hilfsstoffe in der Landwirtschaft ist nicht neu. Erste chemische Pflanzenschutzmittel waren bereits im Altertum in Gebrauch. Seit den Arbeiten Justus von Liebigs im vorigen Jahrhundert wissen wir, daß die Pflanze Mineralstoffe aufnimmt, die als Dünger zugeführt werden können. Probleme bei der Mineraldüngung und dem Pflanzenschutzmitteleinsatz sind erst in jüngster Zeit mit ständig steigendem Gebrauch entstanden. Es muß deshalb nach den Grenzen gefragt werden. Die Diskussion über Chemie in der Landwirtschaft sollte ohne Vorurteile und sachbezogen geführt werden.

(94) Beide Düngeformen, die mineralische wie die organische Düngung, können Vor- und Nachteile haben. Die heute viel diskutierte Stickstoff-Mineraldünung hat als positive Wirkungen zur Folge: Die Anhebung des Eiweißgehaltes von z. B. Getreide und Mais, eine Verbesserung des Wurzelwachstums und damit eine bessere biologische Bodenerschließung, eine Förderung des Blattwachstums und damit steigende Assimilationsleistung der Kulturpflanze sowie verbesserte Unterdrückung spät keimender Wildkräuter und schließlich die Förderung der bodenbiologischen Aktivität.
Als bedenkliche oder schädliche Wirkungen sind aufzuführen: Erhöhte Krankheits- und Schädlingsanfälligkeit der Pflanzen bei hohen Düngergaben; verschlechterte Standfestigkeit von Getreide; Nitratbelastung von Erntegut und Gewässern. Zu Stickstoff-Überschuß kann auch eine unsachgemäße organische Düngung führen. Ein überhöhter Viehbesatz bringt besonders bei Güllewirtschaft die Gefahr einer Überdüngung.

(95) Ein vollständiger Verzicht auf Mineraldünger ist aus ernährungspolitischen Gründen nicht möglich und auch aus ackerbaulicher Sicht nicht notwendig. Eine allein organische Düngung kann daher auch nicht für alle verbindlich gemacht werden. Vielmehr ist für ein ausreichendes Produktionsniveau sowohl organische als auch mineralische Düngung zur Erhaltung der Bodenfruchtbarkeit und zur Abdeckung des Nährstoffbedarfs der Pflanzen notwendig. Die Gaben müssen der Fruchtart und dem Standort angemessen dosiert werden. Überdüngung, Nitratbelastung von Grund- und Oberflächenwasser und eine Anreicherung von Nitrat im Erntegut, vor allem in den verschiedenen Gemüsen, müssen und können vermieden werden. Gegebenenfalls sind z. B. Höchstwerte für Nitrate im Gemüse festzusetzen.

(96) In den letzten Jahrzehnten hat sich der Gebrauch chemischer Mittel zum wichtigsten Verfahren des Pflanzenschutzes entwickelt. Die großen Erfolge der Schaderreger-Bekämpfung im Bemühen um die Sicherung und Steigerung der Erträge sowie der Vorratshaltung sind dieser Entwicklung verdanken. Was zunächst als Abwehrmaßnahme in der Not eines stärkeren Schadbefalls gedacht war, ist mehr und mehr zu einer allgemein gebräuchlichen Maßnahme geworden. Dabei wird häufig vorbeugend auch zu chemischen Präparaten gegriffen. Wirtschaftliche Zwänge zur Steigerung der Erträge, das Streben nach Vermeidung jedweden Ertragsrisikos, aber auch die besonderen Anforderungen der verschiedenen Mittel an Einsatzzeitpunkt, Ausbringungsart, Wiederholung der Anwendung und anderes mehr, haben beim chemischen Pflanzenschutz zu einem eigenen System geführt, das die pflanzenbauliche Produktion mit den ihr eigentümlichen Regeln überlagert. Verschiedentliche Mißerfolge, unerwartete Nebenwirkungen, aber auch wirtschaftliche Überlegungen haben zum Nachdenken über die bisherige Entwicklung herausgefordert.

(97) Obwohl sich die chemischen Mittel gegen eine bestimmte Gruppe von Schadorganismen richten, etwa gegen häufige Wildkräuter im Zuckerrübenanbau, können sie direkt und auch indirekt andere Organismen, darunter schützenswerte Arten und Nützlinge, treffen. Die Nebenwirkungen lassen sich nicht auf eine Organismengruppe eingrenzen. Vielmehr können sie sich in verschiedenen Teilen der Lebensgemeinschaft störend bemerkbar machen. So können Unkrautbekämpfungsmittel auch Insekten abtöten, ihre Fruchtbarkeit mindern oder ihnen indirekt durch Entzug ihrer Nahrungspflanzen die Lebensgrundlage nehmen. Auch Klein- und Großsäugetiere sowie Vögel sind mitbetroffen (Greifvögel, Störche, Jagdwild u. a.).

(98) Die unmittelbaren und mittelbaren Folgen der Anwendung von chemischen Pflanzenschutzmitteln haben in einer vielfach miteinander verknüpften Lebensgemeinschaft von Pflanzen und Tieren schließlich unerwünschte Rückwirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion selbst. Häufig vermehren sich gewisse Schädlinge nach einem Mitteleinsatz besonders stark, weil deren Gegenspieler weitgehend ausgeschaltet wurden. Einige zuvor unbedeutende Arten sind erst durch die störenden Eingriffe der Chemikalien zu wichtigen Schädlingen geworden. Auch indirekt haben die wirksame Bekämpfungsmöglichkeiten mit chemischen Mitteln zu neuen Pflanzenschutzproblemen beigetragen. Sie erlauben nämlich auch solche Intensivierungsmaßnahmen, die den Befall mit Schaderregern fördern. Die Ausweitung der Anbaufläche weniger Kulturpflanzen, der Anbau ertragreicher, aber anfälliger Sorten und - hohe Stickstoffgaben sind Beispiele für solche befallsfördernden Intensivmethoden. Nachteilige Nebenwirkungen einer von natürlichen Begrenzungen teilweise enthobenen Produktion entstehen auch durch die unkontrollierte weiträumige Verbreitung (Verdriftung) von Agrochemikalien und ihre Anreicherung auch in entfernten Lebensgemeinschaften, die nach herkömmlichen Vorstellungen keinesfalls betroffen schienen. Zu den unerwünschten Folgen zählt ferner, daß sich Schaderregerstämme bilden, die durch häufige Mittelanwendung gegen einzelne Chemikalien oder Präparategruppen widerstandsfähig (resistent) werden. Schließlich bleibt festzustellen, daß trotz der einige Jahrzehnte umfassenden Entwicklung des modernen chemischen Pflanzenschutzes zwar die Erträge insgesamt enorm gestiegen, die Pflanzenschutzprobleme aber keinesfalls geringer geworden sind.

(99) Derzeit werden in der Bundesrepublik Deutschland jährlich ca. 32000 t reine Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe abgesetzt. Die strenge amtliche Prüfung, die insbesondere die eingehende toxikologische Untersuchung einschließt, soll mögliche Vergiftungsgefahren für Anwender und Verbraucher begrenzen. Trotz der umfassenden Zulassungsprüfung ist eine ständige Schulung und Beratung der Anwender für einen sachgerechten und verantwortlichen Mitteleinsatz erforderlich. Bei keiner anderen landwirtschaftlichen Maßnahme ist der Grat zwischen Nutzen und Risiko so schmal wie bei dem Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln.

(100) In der heute vielfach erhobenen Forderung nach einem »integrierten Pflanzenschutz« wirkt sich der Wunsch nach einer Neuorientierung aus, die dem Pflanzenschutz einen neuen Rahmen gibt. Das Ziel ist eine verbesserte und aufeinander abgestimmte, umweltschonende Wahl aller Pflanzenschutzmaßnahmen. Außer der angestrebten Integration aller Maßnahmen zum Schutz der Kulturen von der Saat bis zur Ernte wird eine »integrierte Pflanzenproduktion« gefordert, die alle Verfahren der landwirtschaftlichen Erzeugung wieder zu ei nein sinnvollen und harmonischen Ganzen zusammenführt. Dieser weitverbreitete Wunsch macht deutlich, wie sehr sich die Tellverfahren, insbesondere der Einsatz von Agrochemikalien, in der Produktion verselbständigt haben.

(101) In diesem Rahmen haben auch die chemischen Bekämpfungsverfahren ihren Platz Bei Einhaltung der Gebrauchsanweisung ist ein verhältnismäßig hoher Schutz von Anwender und Verbraucher vor derzeit erkennbaren Gefahren gegeben. Der Schutz der Umwelt und des Naturhaushalts möglichst naturgemäße Verfahren könnten wesentlich verbessert werden durch:

  • Einsatz nützlingsschonender, selektiver (möglichst nur den Schaderreger treffender) Mittel,
          
         
  • Einsatz nicht persistenter (d. h. in der Natur schnell abbaubarer) Mittel,
          
         
  • Einsatz von Mitteln nur dann, wenn ein Schadorganismus die wirtschaftliche Schadensschwelle übersteigt (die Schwelle, bei welcher der zu erwartende Schaden die Kosten zu seiner Abwehr erreicht),
          
         
  • Nutzung aller Warndienst- und Prognose-Verfahren,
          
         
  • optimale Einstellung der Feldspritze,
          
         
  • unbedingte Einhaltung aller einschlägigen Vorschriften und Empfehlungen.

(102) Neben chemischen Pflanzenschutzmaßnahmen sollten insbesondere die verschiedenen weiteren Verfahren des Pflanzenschutzes zur Vorbeugung und Bekämpfung genutzt und weiter ausgebaut werden:

Acker- und pflanzenbauliche Verfahren. - Bedingt lassen sich Pflanzenschutzprobleme auch durch geeignete Sortenwahl und Sortenvielfalt, standortgerechten Anbau, gesundes Saatgut, eine harmonische Düngung, eine Auflockerung der Fruchtfolgen und eine angemessene Bodenbearbeitung lösen.

Resistenzzüchtung. - Ein bisher zu wenig genutztes Pflanzenschutz-Instrument ist die Züchtung resistenter Kulturpflanzen, die den Schaderregern geringere Vermehrungsmöglichkeiten bieten. Insbesondere wurde die Resistenzzüchtung gegen Insekten bei uns in der Vergangenheit sehr vernachlässigt.

Physikalische Verfahren. - Die mechanische Vernichtung von Schaderregern und Unkräutern durch Bodenpflegegeräte, Häcksler u. a. hat auch heute noch große Bedeutung. Auch noch andere physikalische Verfahren, auf die hier im einzelnen in nicht näher eingegangen werden kann, ergänzen 'speziellen Fällen die Methoden des Pflanzenschutzes erfolgreich.

Biologische Verfahren. - Die gewaltige Nachkommenschaft von Schädlingen wird ständig durch viele natürliche Feinde begrenzt. Zur Bekämpfung von Schädlingen können deshalb alle die Maßnahmen wesentlich beitragen, die den natürlichen Gegenspielern von Schadorganismen wieder einen breiten Wirkungsraum zurückgeben. Allgemein finden sie in einer vielfältigen, durch Feldraine und Hecken aufgelockerten Feldflur verbesserte Lebensbedingungen. Ein maßvoller und gezielter chemischer Pflanzenschutz trägt wesentlich zur Schonung der Nützlinge bei. Neben der Erhaltung der natürlichen Steuerungskräfte stehen in einigen Fällen aktive biologische Maßnahmen zur Verfügung. Zu den klassischen Verfahren zählen die Einbürgerung oder die Massenzucht und Ausbringung von nützlichen Insekten (Räuber und Parasiten) und Mikroorganismen (auf bestimmte Schaderreger spezialisierte Viren, Bakterien, Pilze). Noch unvollkommen erforscht wurden bisher LockStoffe, Abschreckstoffe und natürliche Pflanzenschutzmittel (Insektizide) sowie weitere dieser sog. biotechnischen Verfahren.

(103) Im Pflanzenschutz sind hohe Fachkenntnisse des Landwirtes und das Angebot einer geschulten Beratung entscheidend für die sachgerechte Durchführung notwendiger Maßnahmen. Die Abgabe von Pflanzenschutzmitteln sowie der Umgang mit ihnen sollte im gewerblichen Bereich an einen Sachkunde-Nachweis gebunden sein und der Einsatz stichprobenartig laufend überprüft werden. Oberste Regel für den chemischen Pflanzenschutz sollte sein: Nicht mehr Chemikalien als unbedingt nötig einzusetzen und stets jede erwogene Maßnahme sorgfältig und kritisch auf ihre Notwendigkeit hin zu prüfen.

4.5 Kreislauf-Wirtschaft und Alternativen im Landbau

(104) Angesichts der erreichten Intensität der Landwirtschaft zeichnen sich heute beim Einsatz ertragssteigernder Mittel betriebswirtschaftliche, volkswirtschaftliche und ökologische Grenzen ab. Die Energiebilanz in der Landwirtschaft verschlechtert sich insbesondere bei hohem Veredlungsgrad laufend und auch im Pflanzenbau steht gemäß dem Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs, den gestiegenen Aufwendungen für Dünge- und Pflanzenbehandlungsmittel ein immer weniger steigender Ertrag gegenüber. Nicht nur die Verteuerung der für die Nahrungsproduktion eingesetzten Mittel (Mineraldüngung, Schädlingsbekämpfungsmittel und Mineralöl) haben zum Umdenken gezwungen. Das gleiche bewirkten auch ertragsmindernde Entwicklungen, wie z.B. Bodenerosion auf hängigen Standorten bei Mais- und Zuckerrübenkulturen und flurbereinigten Rebflächen in Hanglagen, die zusätzlich noch zur stärkeren Belastung von Oberflächenwasser mit Stickstoff, Phosphaten und Pflanzenschutzmittelrückständen führte. Durch die geringere Umwandlung der aufgewendeten Dünge-und Pflanzenschutzmittel im Ertrag entstehen dem Landwirt Einkommensverluste.

(105) Andere Möglichkeiten zur Energieeinsparung, Kostensenkung und Umweltentlastung bieten sich im Bereich der Düngung, des Pflanzenschutzes und der Bodenbearbeitung an. Durch verstärkten Anbau verschiedener Leguminosearten (stickstoffsammelnde Pflanzenarten) können z. B. gleichzeitig Stickstoff-Mineraldünger eingespart, die biologische Bekämpfung verschiedener Krankheiten, Schädlinge und Wildkräuter bei Getreide und Rüben vorbeugend durchgeführt und eine bessere Lockerung und Krümelung des Bodens erreicht werden.

Die Entwicklung und Erprobung auf die Umwelt orientierter, standortangepaßter Anbausysteme mit geringem Energiebedarf, mit dem Ziel langfristiger Bodenfruchtbarkeit, nachhaltiger Bodengesundheit und damit Ertragsfähigkeit als Beitrag für eine wirksamere Entwicklungshilfe muß bei knapper werdenden finanziellen Mitteln beschleunigt werden. Gleiches gilt für die Entwicklung solcher Systeme für die schon stark belasteten Regionen von Industrieländern.

(106) Die Diskussion um einen »biologischen« Landbau sollte nicht mit dem Ziel eines Entweder - Oder, sondern eines Sowohl - als - Auch geführt werden. Von der Fortentwicklung des biologischen Landbaus können positive Anregungen auch auf die Wirtschaftsweisen der herkömmlichen Landwirtschaft ausgehen. In den letzten Jahren hat die Nachfrage nach biologischen Landbauerzeugnissen immer mehr zugenommen, wenn auch vornehmlich in einer bestimmten Käuferschicht. Die Nachfrage nach solchen Produkten ist gegenwärtig oft größer als das Angebot. Wichtig ist, daß bei solchen Angeboten im Handel kein Mißbrauch mit »Vorspiegelungen falscher Tatsachen« getrieben wird. Die Diskussion in der Öffentlichkeit sollte gerade im Hinblick auf den »biologischen« Landbau versachlicht werden. jeder Landwirt sollte unter seinen speziellen Gegebenheiten die Maßnahmen herausfinden, die sowohl den ökologischen Erfordernissen als auch den ökonomischen Notwendigkeiten gerecht werden. Sofern bestimmte alternative Landbaumethoden anthroposophisch begründet werden, gilt es, kritisch zu prüfen, welches Natur- und Menschenverständnis hier vorliegt.

(107) Die Forderung zum verantwortlichen Umgang mit Naturgütern und zu ihrer Wiederverwendung ist an die ganze Gesellschaft gestellt. Über Jahrhunderte fiel der Landwirtschaft die Aufgabe zu, organisches Material über die landwirtschaftliche Produktion in den Naturkreislauf zurückzuführen. Durch Verstädterung und Industrialisierung fallen zunehmend zentral große Mengen organischen Materials an, das mit Schadstoffen, Z. B. Schwermetallen belastet und somit für die Verwertung im landwirtschaftlichen Produktionsprozeß bedenklich ist. Dieses Material (Biomasse) wird auf Deponien abgelagert oder verbrannt. Hier wird Natur-Rohstoff verschwendet. Durch neue technische Verfahren sollte erreicht werden, daß in Zukunft der Landwirtschaft dieses organische Abfallmaterial wieder schadstofffrei für die Rückführung in den Naturhaushalt zur Verfügung steht.

4.6 Empfehlungen für die Landwirte, Verbraucher, Agrarpolitiker und die Forschung

(108) Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß der Landwirtschaft der Weg in ein vortechnisches und vorindustrielles Zeitalter versperrt ist. Diese Erkenntnis kann jedoch nicht den augenblicklichen Umstand festschreiben. Sie öffnet viel mehr den Blick nach vorn: Es geht um neue politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die den Erfordernissen der Umwelt gerecht werden. Dabei wird es darauf ankommen, möglichst EG-einheitliche Regelungen zu schaffen. Trotz der damit angedeuteten Schwierigkeiten sind Initiativen einzelner Länder notwendig. Es müssen notfalls auch Alleingänge gewagt werden. Dabei ist allerdings zu gewährleisten, daß die Landwirte möglichst keine einseitigen Einbußen erleiden.

(109) Es gilt heute, die Sozialbindung des Eigentums in Richtung auf mehr öko-soziale Verpflichtungen weiterzuentwickeln. Es ist zwar unbestritten, daß landwirtschaftliche Nutzflächen keine Naturschutzgebiete sind. Dennoch gibt es bestimmte landwirtschaftliche Nutzflächen, wie z. B. Grünlandflächen, die evtl. zur Erhaltung von Pflanzen- und Tierarten von großer Bedeutung sein können. Eine Landwirtschaft, die von sich behauptet, daß sie praktischen Naturschutz betreibt, hat damit auch eine Verpflichtung zur Erhaltung eines Lebensraumes für Pflanzen und Tierarten. Dieses wird auch längst erkannt. Allerdings müssen auch die anderen Gruppen der Gesellschaft ebenso ihren Beitrag leisten, damit ein schonenderer Umgang mit Natur und Landschaft möglich wird.

(110) Ohne eine umfassende Nutzung aller bestehenden Ausbildungs-, Beratungs-, Fortbildungs- und Mediensysteme können die aktuellen Probleme nicht gelöst werden. Der landwirtschaftlichen Beratung kommt eine herausragende Bedeutung zu. Sie kann zu aktuellen Problemen zielgerecht Stellung nehmen und sich wandelnde Erkenntnisse und Forschungsergebnisse in die Praxis einführen.

(111) Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbereichen wird Beratung in der Landwirtschaft (Offizialberatung) staatlicherseits voll- oder teilfinanziert. So soll die landeseigene Nahrungsmittelerzeugung gesichert werden (auch in Krisenzeiten) und die Landwirtschaft und der ländliche Raum an der allgemein fortschreitenden Entwicklung teilhaben. Bei der Beratung müssen die Auswirkungen auf die Umwelt stärker beachtet werden, damit die natürlichen Ressourcen langfristig erhalten bleiben.

(112) Die Gesellschaft muß daran interessiert sein, daß besonders umweltschonende, rentable Produktionsverfahren für die Landwirte verfügbar werden. Besondere Aufwendungen der Landwirtschaft zum Nutzen der Gesellschaft, z. B. Erhaltung von Auenwiesen, Magerrasen, Streuobstwiesen und anderer Biotope oder die Schonung und Erhaltung von Tier- und Pflanzenarten sollten angemessen entschädigt werden. Die Höhe des Entgeltes sollte an der geleisteten Arbeit oder an dem entgangenen Nutzen bemessen werden, soweit nicht im Rahmen der Allgemeinpflichtigkeit ein Nutzungsausfall entschädigungsfrei gefordert werden kann. Auch durch Prämien kann ein Anreiz für überdurchschnittliche Umweltpflege gesetzt werden. Schließlich ist ein Erwerb von wertvollen Biotopen durch die öffentliche Hand zu erwägen. Allein kann die Landwirtschaft die entstehenden Probleme nicht lösen. Die Gesellschaft insgesamt muß hier zusätzliche Leistungen und Opfer erbringen und dafür auf politischer Ebene die Voraussetzungen schaffen.

(113) Soweit aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit Schäden erwachsen, sollte geprüft werden, wie dem Verursacherprinzip Rechnung getragen werden kann. Die gesellschaftlichen Folgekosten unsachgemäßer Maßnahmen einzelner Landwirte sollten dem Verursacher angelastet werden. Als Schäden, für die zu haften ist, sind nicht nur materielle Verluste anzusehen, wie sie etwa durch erhöhte Nitratbelastung des Grund-(Roh)Wassers im Einzugsbereich einer Wassergewinnungsanlagen stehen. Ein Schaden ist vielmehr auch ein nicht unmittelbar materiell bewertbarer Eingriff, wie die Zerstörung eines besonders schützenswerten Biotops oder die Gefährdung einer bedrohten Tier und Pflanzenart an einem, ihrer Standorte. Hier sind ein erneuertes Wertbewußtsein für Natur und Umwelt zu entwickeln und entsprechende Rechtsnormen zu schaffen.

(114) Für die Veränderung von Einstellung und Verhalten der Verbraucher spielt die Aufklärung eine wichtige Rolle. Im Zusammenhang mit den hier behandelten Fragen geht es deshalb darum,

  • der Bevölkerung
          
         
  • vor allem der Jugend bereits in der Schule
          
         
  • mehr Kenntnisse über die Gesamtzusammenhänge der Nahrungsmittelindustrie zu vermitteln,
          
         
  • möglichst viele Bürger in die Lage zu versetzen, sich als kritische Verbraucher eigenverantwortlich gesund und richtig zu ernähren.

Der aufgeklärte Verbraucher muß heute bei seiner Konsumentscheidung nicht nur informiert sein über Märkte, Preise und Warenkunde, sondern auch über vollwertige und bedarfsgerechte Ernährung. Viele Zivilisationskrankheiten entstehen weniger dadurch, daß Rückstände in den Nahrungsmitteln sind, als durch zu üppiges Essen - jeder dritte Bundesbürger ist übergewichtig- oder durch eine nicht richtig zusammengestellte Nahrung, bei der wichtige Stoffe dem Körper nicht zugeführt werden (zuviel Fett, Zucker, Salz, Alkohol und Nikotin und zu wenig Vollwertkost mit Vital- und Ballaststoffen). Die Folgekosten einer falschen Ernährung verschlingen Milliardenbeträge, vom gesundheitlichen Wohlbefinden ganz abgesehen. Der Verbraucher sollte darüber hinaus aber auch d' Bedingungen der pflanzlichen und tierischen Agrarproduktion und der sich anschließenden Be und Verarbeitung der Nahrungsgüter besser kennen. Wenn der Verbraucher sein Wissen und seine Stellung richtig nutzt, hat er in unserem Wirtschaftssystem durchaus Möglichkeiten, Nahrungsmittelproduktion und -angebot entsprechend seinen Wünschen zu beeinflussen, nicht zuletzt auch im Interesse des Schutzes von Natur und Umwelt. Die in den Handelsklassen teilweise überzogenen Anforderungen an die äußere Qualität sind zu überprüfen, um den Erzeuger von unnötigen Zwängen z. B. zu »kosmetischen« Spritzungen zu befreien und die Belastung von Produkt und Umwelt zu senken. Darüber hinaus bedeuten übertriebene Handelsnormen ein Mehr an unverkäuflichen, aber durchaus wertvollen Ernteprodukten und damit eine Verschwendung von Lebensmitteln.

(115) Bei der Forschung sollten interdisziplinäre Ansätze gefördert werden. Neben einer ökologisch orientierten Grundlagenforschung sind Modellprojekte zu fördern, die unmittelbar für die Praxis verwertbare Ergebnisse liefern. Bei Bemessung der Mittel müssen die Prioritäten entsprechend verschoben werden. Großer Nachholbedarf besteht beispielsweise auf folgenden Gebieten: Integrierter Pflanzenschutz, insbesondere biologischer Pflanzenschutz und Resistenzzüchtung; ökologische Auswirkungen von Agrarchemikalien; alternative Methoden im Landbau; Erweiterung des Kulturpflanzensortiments durch Zucht; Erarbeitung von Qualitätskriterien bei agrarischen Produkten sowie Forschungen, die Entscheidungshilfen zur langfristigen Sicherung einer gesunden Landwirtschaft und der Umwelt geben.

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