Seenotretter: Solidarität ist kein Verbrechen
Berlin (epd). Die Schiffe ziviler Seenotretter haben nach eigenen Angaben seit 2015 mehr als 175.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Im selben Zeitraum habe eine knappe Million Flüchtlinge (929.686) über das Mittelmeer Italien erreicht, teilten die Organisationen United4Rescue, Sea-Watch, Sea-Eye und SOS Humanity am Mittwoch in Berlin zum zehnjährigen Bestehen ihrer Rettungseinsätze mit.

Sea-Watch 4" rettet erneut 100 Menschen aus Seenot (Foto vom 24.08.2020).
Berlin (epd). Die Schiffe ziviler Seenotretter haben nach eigenen Angaben seit 2015 mehr als 175.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Im selben Zeitraum habe eine knappe Million Flüchtlinge (929.686) über das Mittelmeer Italien erreicht, teilten die Organisationen United4Rescue, Sea-Watch, Sea-Eye und SOS Humanity am Mittwoch in Berlin zum zehnjährigen Bestehen ihrer Rettungseinsätze mit.
Mindestens 28.932 Menschen seien seit 2015 auf dem Meer ums Leben gekommen oder verschwunden, sagte Mirka Schäfer von der Organisation SOS Humanity. Mehr als 21.700 Todesfälle seien allein im zentralen Mittelmeer zwischen Libyen, Tunesien, Italien und Malta registriert worden. „Die Dunkelziffer ist aber hoch“, sagte sie.
Im Durchschnitt hätten seit 2015 täglich sechs Menschen auf dem Weg über das Meer ihr Leben verloren oder würden als vermisst gelten. Wegen der wachsenden politischen und bürokratischen Schikanen gegen die zivilen Seenotretter steige die Todesrate seit 2022 wieder an, beklagte Schäfer.
Europäische Staaten und die EU setzten weiterhin auf Abschottung statt Schutz und missachteten dabei internationales Recht. Italien habe seit Januar 2023 in 28 Fällen zivile Rettungsschiffe festgesetzt. Die dadurch verlorenen Einsatzzeiten summierten sich auf mehr als 761 Tage.
„Seit zehn Jahren weigern wir uns als Zivilgesellschaft, das Sterbenlassen zu akzeptieren“, sagte Schäfer. Aktuell versuchten 21 zivile Organisationen im zentralen Mittelmeer die Rettungslücke zu füllen, die eigentlich staatliche Aufgabe sei: „Menschen vor dem Ertrinken zu bewahren.“ Zehn der Organisationen kämen aus Deutschland. Aktuell seien im zentralen Mittelmeer 15 Rettungsschiffe, sieben Segelboote und vier Flugzeuge im Einsatz, die aber nicht alle gleichzeitig operieren.
Finanziert werden die zivilen Rettungseinsätze vor allem durch private Spenden. Unter den Spendern seien Unternehmen wie Eiscreme-Hersteller Ben & Jerry's und Fritz-Cola, wie Sandra Bils von der Organisation United4Rescue sagte. Die evangelische Theologin sprach von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis engagierter Menschen und mehr als 900 Organisationen, die „dem Sterben im Mittelmeer nicht tatenlos zusehen wollen“.
Sie wandte sich auch gegen eine Kriminalisierung von Seenotrettung: „Unsere gemeinsame Solidarität ist kein Verbrechen, das Sterben auf See ist ein Verbrechen“, sagte Bils.
Die Gründung von United4Rescue geht auf eine Resolution beim Evangelischen Kirchentag im Juni 2019 zurück, ein Rettungsschiff der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ins Mittelmeer zu entsenden. Seitdem hat die Organisation maßgeblich den Kauf von Rettungsschiffen unterstützt.
Schäfer forderte die EU-Staaten auf, „endlich Verantwortung zu übernehmen“. Aktuell ließen diese „wissentlich tausende Menschen ertrinken oder in Folterlager verschleppen“, indem sie Notrufe ignorierten und die Arbeit der zivilen Rettungsteams behinderten. „Die Bedingungen für unsere Arbeit werden immer schwieriger, die Behinderung unserer Rettungsflotte durch staatliche Maßnahmen eskaliert“, sagte die SOS-Humanity-Sprecherin. Erst am Montag sei das Rettungsschiff „Sea-Eye 5“ auf Sizilien festgesetzt worden.