Zwei Jahre nach der Flut steigt Nachfrage nach Seelsorge-Gesprächen

Gabi Gasper in ihrem Haus in Altenahr

Gabi Gasper in ihrem Haus in Altenahr (Rheinland-Pfalz) das abgerissen werden soll (Foto vom 06.07.2022). Bei der Flut vor einem Jahr hatte das 1998 erbaute Haus bis in den ersten Stock unter Wasser gestanden. Sieben Monate lang hofften Gabi Gasper und ihr Mann, ihr Zuhause retten zu koennen. Sie beseitigten den mit Heizöl und Fäkalien durchsetzen Schlamm und entkernten das gesamte Haus eigenhändig. Trocknergeraete in einer Ecke des früheren Wohnzimmers zeugen noch von dem Versuch, das Gebäude wieder bewohnbar zu machen. Doch nach mehreren chemischen Analysen stand fest: Dort zu leben, waere gesundheitsschädlich. Das Heizoel war zu tief ins Gemäuer eingedrungen.

Bad Neuenahr-Ahrweiler (epd). Auch zwei Jahre nach der Hochwasser-Katastrophe an Ahr und Erft leiden viele Menschen unter den Folgen der Flutnacht. Die Hochwasserseelsorge der Diakonie Katastrophenhilfe im Ahrtal und im Kreis Euskirchen verzeichne sogar einen steigenden Gesprächsbedarf, sagte Pfarrer Stefan Bergner dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Ich habe im ersten Halbjahr 2023 genauso viele Einzelgespräche geführt wie im ganzen vergangenen Jahr zusammen.“ Viele von der Flut Betroffene litten unter starker Erschöpfung. „Viele sagen uns, dass sie einfach nicht mehr können.“

„Wir erleben auch jetzt noch Menschen, die keinen festen Boden unter den Füßen mehr finden, nachdem die Flut ihr ganzes Leben durcheinandergewirbelt hat“, berichtete Bergner. Während in der Zeit nach der Katastrophe die Aufräumarbeiten und die Bewältigung der traumatischen Ereignisse der Flutnacht im Mittelpunkt standen, hätten sich nun die Themen verschoben. Jetzt würden viele Menschen durch die Organisation des Wiederaufbaus aufgerieben. Oftmals gehe es nur schleppend voran, weil nach wie vor Handwerker und Gutachter fehlten. Viele Menschen litten auch unter den bürokratischen Hürden für Entschädigungszahlungen. „Aktuell erlebe ich eine ganze Reihe Betroffener, die mit ihren Versicherungen zermürbende Kämpfe um Leistungen austragen müssen.“

Manche Menschen, die ihr Zuhause verloren, stünden immer noch vor einer ungewissen Zukunft, beobachtet Bergner. „Für sie stellt sich die Frage: Wie kann ich eine Perspektive für mein Leben haben?“ So gebe es etwa in Sinzig städtische Mehrfamilienhäuser mit Sozialwohnungen, die nach wie vor unbewohnbar seien. Viele frühere Bewohner seien provisorisch in Mobilheimen untergebracht, in denen bis zu vier Personen auf 34 Quadratmetern zusammenlebten. „Die Menschen haben keine Perspektive in Sinzig zu bleiben, weil es dort keine bezahlbaren Wohnungen mehr für sie gibt“, sagte Bergner. „Da haben die Hochwasserschäden soziale Verdrängung zur Folge.“

Angesichts der anhaltenden Herausforderungen gebe es noch immer Menschen, die jetzt erstmals psychotherapeutische oder seelsorgerische Hilfe suchten, erläuterte Bergner. „Wir erleben die Wichtigkeit unserer Arbeit im zweiten Jahr noch viel deutlicher als im ersten Jahr.“ Plätze für Psychotherapie seien in der Region knapp. Die Psychotherapeutin des Seelsorge-Teams sei komplett ausgebucht. Dennoch ende der Einsatz der Hochwasserseelsorge am 31. August. Die Evangelische Kirche im Rheinland, die Diakonie RWL und die Diakonie Katastrophenhilfe hätten sich nicht auf eine Verlängerung des auslaufenden Projekts verständigen können. „Ich bedauere das sehr“, sagte Bergner. „Denn hier wird Kirche von den Menschen gebraucht.“

epd-Gespräch: Claudia Rometsch