Auf dem Wege der Gerechtigkeit ist Leben

Nachhaltige Entwicklung braucht Global Governance, EKD-Text 117, 2014

3. Global Governance: Die ökumenische Bewegung, theologische und ethische Grundlagen

Die "Wellen des globalen Wandels" und die sozialen wie ökonomischen Erschütterungen durch die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise fordern – wie der Klimawandel und weitere Umweltkrisen – kurzfristige ebenso wie langfristig ausgerichtete strategische Maßnahmen. Ziel muss ein grundlegender Wandel hin zu einer wirtschaftlichen, sozialen und ökologisch nachhaltigen Entwicklung weltweit sein. Im Kontext wirtschaftlicher Globalisierung stellt sich insbesondere die Frage, nach welchen Kriterien und wie in einer entgrenzten Ökonomie die dazu notwendigen Rahmenbedingungen und Regeln entwickelt und durchgesetzt werden können. Märkte sind soziale Phänomene, die gestaltet werden können und müssen. Marktwirtschaftlicher Wettbewerb ist kein Ziel an sich, sondern gestaltete und geordnete Märkte sind ebenso wie ein funktionsfähiger Wettbewerb Mittel, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen und dem Wohle aller zu dienen.

Nach wie vor gilt, was der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau bereits Mitte der 1990er Jahre formulierte: "Globalisierung gestalten kann nur, wer klare Wertvorstellungen jenseits des Wirtschaftlichen hat. [...] Wirtschaftliche Freiheit baut wie alle Freiheit auf Voraussetzungen auf und lebt von Bindungen. Sie ist schnell am Ende, wo keine Ordnung besteht oder wo eine Ordnung nicht durchgesetzt werden kann. Dem Markt einen Rahmen zu geben und den Wettbewerb fair zu organisieren, das zählt zu den großen Kulturleistungen der Menschheit. [...] Auch der Markt lebt von Voraussetzungen, die er nicht selber schaffen kann. [...] Dann muss die Politik dafür sorgen, dass die Freiheit des globalen Marktes die Freiheit der Menschen nicht beschädigen kann." [48]

Der Soziologe Ulrich Beck unterscheidet "Globalisierung” und "Globalität” auf der einen und "Globalismus” auf der anderen Seite. Globalisierung und Globalität umschreiben einen umfassenden Prozess der internationalen Vernetzung von verschiedenen Akteuren in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Dieser Prozess hat positive wie negative Aspekte und ist nach Beck nicht umkehrbar [49]. Globalismus dagegen meint nach Beck die Auffassung, dass die Ideologie der Weltmarktherrschaft politisches Handeln verdrängt und ersetzt. Ein solcher Globalismus ist mit Beck kritisch zu sehen [50].

Konrad Raiser, ehemaliger Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), verweist in seinem Buch "Religion – Macht – Politik" darauf, dass Globalismus und Globalisierung keine politisch neutralen Prozesse sind. Sie wurden in der Vergangenheit vielmehr hauptsächlich von den Industriestaaten gesteuert und von ihnen meistens als alternativlos dargestellt. Besonders die internationalen Finanzinstitutionen haben auf Liberalisierung und Deregulierung in der globalen Ökonomie und damit auf eine Entmachtung der Politik gedrängt. Wer heute angesichts der Finanzkrise wieder "das Primat der Politik" einfordere, der müsse dieser neoliberalen Politik eine Absage erteilen [51]. Auch Ulrich Beck schlussfolgert, dass das Primat des Politischen nur in einer entschiedenen Kritik des Globalismus zurückgewonnen werden kann [52].

Da sowohl die Treiber als auch die Reichweite ökonomischer und gesellschaftlicher Prozesse heute weit über den lokalen und nationalen Nahbereich hinausgehen und die Auswirkungen unseres Handelns Menschen außerhalb unseres zeitlichen und räumlichen Erfahrungshorizontes erheblich tangieren, muss politische Verantwortung heute zwangsläufig in einem grenzüberschreitenden Rahmen gedacht und wahrgenommen werden. Und je mehr die Menschheit mit Problemen wie Klimawandel oder Verlust an Biodiversität konfrontiert ist, die alle betreffen und die nur im Rahmen globaler Kooperation gelöst werden können, desto mehr wächst die Notwendigkeit, politische Verantwortung im weltinnenpolitischen Rahmen zu verorten. Auch und gerade Fragen der sozialen Gerechtigkeit müssen heute erst recht im Kontext der Weltgesellschaft und mithin als globale Gerechtigkeit thematisiert werden. Christinnen und Christen sind von Anfang an in den Oikos der Einen Welt hineingestellt, die von Gott als Heimat alles Lebendigen geschaffen ist.

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