Auf dem Wege der Gerechtigkeit ist Leben

Nachhaltige Entwicklung braucht Global Governance, EKD-Text 117, 2014

5. Schlussfolgerungen

5.1 Ursachen für das Scheitern bisheriger Reformen

Die oben skizzierten Reformversuche scheiterten zunächst schon daran, dass Mitgliedstaaten der G8 und der G20 die Initiativen nicht aktiv unterstützten oder stellenweise sogar blockierten. Die G8 hat sich in der letzten Dekade zunehmend von den Vereinten Nationen und ihren direkt angegliederten Organisationen abgewandt und stattdessen Aufträge eher an multilaterale Organisationen wie die Weltbank und den IWF erteilt, die formal zwar dem VN-System angehören, aber von den VN-Organen unabhängig agieren.

Auf politischer Ebene haben die Ergebnisse der Rio+20-Konferenz zweierlei gezeigt:

  1. In der gegenwärtigen Phase des globalen Wandels – relativer Bedeutungsverlust der klassischen (westlichen) Industrieländer, rascher Aufstieg der Schwellenländer, akute Finanz- und Wirtschaftskrisen – konnten auf globaler Ebene nur schwache Kompromisse erzielt werden: So blieben die Beschlüsse von Rio vage. Neben dem genannten "Hochrangigen politischen Forum für nachhaltige Entwicklung" wurde beschlossen, dass das Umweltprogramm der Vereinten Nationen "gestärkt" werden und dass eine Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen sich über universelle nachhaltige Entwicklungsziele verständigen soll. Zu den vielen offenen Fragen zählt, in welchem Verhältnis diese neu zu definierenden Nachhaltigkeitsziele zu den Millenniumsentwicklungszielen stehen sollen und ob diese nach 2015 in einem eigenständigen Prozess fortgeschrieben werden oder nicht.
  2. Es besteht ein Stillstand ohne starke Akteure: Bisher ist es offenbar nicht gelungen, nennenswerte Fortschritte bei der Global Governance für nachhaltige Entwicklung zu erreichen, da keine starken Akteure auszumachen sind, die sich für die erforderliche radikale Stärkung der globalen Zusammenarbeit (die vom WBGU geforderte "Kooperationsrevolution") [78] einsetzen. Solche fehlten in Rio, auch wenn sich die Europäische Union noch in Vorverhandlungen darum bemühte, als ein solch starker Akteur zu erscheinen. Spätestens in Rio zeigte sich zum einen, dass die Europäische Union – vermutlich angesichts ihrer enormen internen Probleme – nur halbherzig agierte. Zum anderen deutet der Ausgang der Konferenz darauf hin, dass die Europäische Union im Zuge der globalen Machtverschiebungen kein hinreichend starker und einflussreicher Akteur ist, um ohne aktive Unterstützung anderer "global player" nennenswerte globale Vereinbarungen zu erwirken. Dass die Gräben zwischen verschiedenen Ländergruppen während Rio+20 nicht noch offener zu Tage traten und der Gipfel vor dem Misserfolg bewahrt wurde, dürfte im Wesentlichen dem Gastgeber Brasilien zu verdanken sein, der die Verhandlungen entschieden und selbstbewusst leitete.

Globale ökonomische und politische Machtverschiebungen sowie die Fokussierung der Industrieländer auf kurzfristige nationale Interessen in Zeiten wirtschaftlicher Schwierigkeiten sind somit ein Grund für fehlende Fortschritte im Bereich der Global Governance, obwohl globale Maßnahmen immer wichtiger werden, gerade um Finanzkrisen zu verhindern oder zumindest ihre Wahrscheinlichkeit und ihre Ausmaße zu verringern.

Reformen sind aber auch vor allem dringend notwendig, um die Menschheit und ihre natürlichen Lebensgrundlagen vor einem Fortschreiten der Umweltkrisen zu bewahren und die Schwächsten vor weiteren Bedrohungen zu schützen. Das oben beschriebene Muster zeigt sich nämlich nicht nur in multisektoralen Zusammenhängen. Vielmehr führten die Klimaschutzverhandlungen in Durban 2011 zu gleichermaßen mageren Ergebnissen: Ein gemeinsamer Beschluss war nur dahingehend möglich, dass Entscheidungen in die Zukunft verschoben wurden. 2015 soll ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen vereinbart werden, das ab 2020 wirksam sein soll. Dass überhaupt ein Ergebnis erzielt wurde, ist vor allem das Verdienst eines Bündnisses zwischen der EU, Südafrika, weiteren afrikanischen Ländern und den kleinen Inselstaaten.

Es scheint, als müssten sich die alten Industrieländer und die aufstrebenden großen Entwicklungsökonomien und Schwellenländer erst neu sortieren, sich ihrer neuen Rollen und veränderten Möglichkeiten bewusst werden und ihr Kooperationsverhalten ihrer sinkenden bzw. steigenden Bedeutung anpassen. Die Industrieländer – allen voran die USA und EU – müssen erkennen, dass sie Gestaltungsmacht abgeben müssen, womit sie nach längerem Zögern im Rahmen der – wenn auch eher schleppenden – Stimmrechtsreformen in den Bretton-Woods-Organisationen angefangen haben. Bedingung dafür ist, dass die aufstrebenden Länder ihre wachsende Verantwortung für weltweite nachhaltige Entwicklung annehmen. Die Industrieländer und die aufstrebenden Volkswirtschaften werden dieser Verantwortung jedoch weniger in Clubformaten gerecht; vielmehr sind sie gefordert, auch den Rest der Welt einzubeziehen und zugunsten der Weltgemeinschaft eine Reform des VN-Systems hin zu einer funktionsfähigen Global Governance-Architektur innerhalb der Vereinten Nationen und mit den anderen Staaten aktiv auf den Weg zu bringen. Jedoch ist nicht abzuschätzen, ob diese Neusortierung zu Gunsten einer verantwortungsbewussten Nachhaltigkeitspolitik erfolgen wird und, wenn ja, wie lange dies dauern wird. Angesichts der Dringlichkeit der genannten Probleme ist ein entschlossenes Handeln notwendig.

Aus dieser Analyse der Krisenphänomene ergibt sich, dass die internationalen und nationalen Prozesse in verschiedenen Politikfeldern besser miteinander verknüpft und kohärent gestaltet werden müssen: Das gilt für die noch laufende Welthandelsrunde, die institutionellen Reformen der Umwelt-Governance, nationale Transformationspfade für ein umweltverträgliches und sozial gerechtes Wirtschaften, die Millenniumsentwicklungsziele und ihre Weiterentwicklung über 2015 hinaus sowie den G20-Prozess, der die Repräsentation der ärmsten Länder vermissen lässt. Im Folgenden werden Vorschläge für universelle Ziele einer nachhaltigen Entwicklungsagenda vorgestellt, die praktische Fortschritte, Verbesserungen und erhebliche Anstöße auch für institutionelle Reformen versprechen. Außerdem werden Vorstellungen für eine Reform der Global Governance-Strukturen für Nachhaltigkeit zusammengefasst und hierbei wird auf das Konzept eines "Global Council für soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen" eingegangen.

5.2 Universelle Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

Prozesse für Nachhaltigkeit sind angesichts der Barrieren gegenüber institutionellen Reformen kurz- bis mittelfristig mindestens so wichtig wie das beharrliche Festhalten an Forderungen für institutionelle Reformen. Daher gilt es, gleichzeitig die prozessorientierten Fortschritte im Bereich einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung voranzubringen. Dafür sprechen nicht nur die daraus hervorgehenden punktuellen Verbesserungen der natürlichen Umwelt und der Lebensbedingungen vieler Menschen, sondern dafür spricht nicht zuletzt auch, dass erfolgreiche Prozesse ein gewisses Potenzial für institutionelle Reformen bergen und sei es nur deshalb, weil sie zu neuen Staatenbündnissen jenseits der etablierten Clubs führen können.

Die internationale Gemeinschaft hat sich bereits darauf verständigt, für den Zeitraum nach 2015 nachhaltige Entwicklungsziele auszuarbeiten (Sustainable Development Goals, SDGs), die möglichst eine Fortentwicklung der MDGs darstellen und bis 2030 erreicht werden sollen.

Das Abschlussdokument der Rio-Konferenz (Paragraphen 245-251) hält zu den SDGs fest, dass sie

  • auf der Agenda 21 und dem Johannesburg Plan of Implementation 2005 beruhen und die unterschiedlichen Bedingungen, Kapazitäten und Prioritäten der Nationalstaaten berücksichtigen sollen;
  • die drei Dimensionen nachhaltiger Entwicklung und ihre Wechselbeziehungen in ausgewogener Weise angehen sollen;
  • mit der Entwicklungsagenda der Vereinten Nationen nach 2015 kohärent und in sie integriert sein sollen;
  • die Erreichung der MDGs nicht gefährden dürfen;
  • aktionsorientiert, prägnant, leicht zu kommunizieren, in ihrer Anzahl begrenzt, anspruchsvoll, globaler Natur und universell anwendbar sein und sich auf prioritäre Handlungsfelder fokussieren sollen.

Es ist sehr wichtig, nun auch tatsächlich – wie in Rio 2012 bekundet – die Nachhaltigkeits- und die Entwicklungsagenda der internationalen Gemeinschaft zusammenzuführen und zu SDGs zu kommen, die sowohl den Kampf gegen extreme Armut und Hunger intensivieren, als auch verstärkt zum Schutz der natürlichen Ressourcen und dem Erhalt der biologischen Vielfalt beitragen.

Die Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung plädiert für SDGs, die im Gegensatz zu den MDGs nicht hauptsächlich Ziele für die Entwicklungsländer vorgeben, sondern universellen Charakter haben. Denn im Blick auf den Ressourcenverbrauch und die Belastung des Klimas sind viele Industrienationen "unterentwickelt" und bedürfen dringend eines Strategiewechsels. Denkbar wäre, dass die SDGs z. B. auch Obergrenzen für die Inanspruchnahme globaler Gemeinschaftsgüter definieren (z. B. Treibhausgas-Emissionsrechte) und so zur Verkleinerung des ökologischen Fußabdrucks beitragen.

Wichtig sind dabei die im Kapitel 3.2.4 genannten Prinzipien internationaler Politikgestaltung, die sich für die Kirche auch aus dem Gebot der Nächstenliebe und der Verantwortung des christlichen Glaubens für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung ableiten lassen. Insbesondere die Prinzipien der Solidarität, des "do-no-harm" und der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeit müssen Beachtung finden. Die SDGs sollten die Möglichkeit zur Differenzierung eröffnen: Unter globalen Oberzielen sind regional bzw. national ausdifferenzierte Konkretisierungen sinnvoll.

In der Millenniumserklärung der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2000 heißt es: "Die globalen Probleme müssen so bewältigt werden, dass die damit verbundenen Kosten und Belastungen im Einklang mit den grundlegenden Prinzipien der Billigkeit und sozialen Gerechtigkeit aufgeteilt werden. Diejenigen, die leiden oder denen die geringsten Vorteile entstehen, haben ein Anrecht darauf, Hilfe von den größten Nutznießern zu erhalten." [79]

Hieraus erwachsen unerlässliche politische und finanzielle Verpflichtungen. Dies bedeutet auch, die Zusagen zur Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit und des Klima- und Biodiversitätsschutzes einzuhalten sowie den Finanzsektor an den Kosten aktueller und potenzieller zukünftiger Finanzkrisen viel stärker als bisher zu beteiligen. Die (zukünftige) Risikofreudigkeit der Finanzmarktakteure und -profiteure muss durch die ausreichende Regulierung von Finanzprodukten und geeignete Besteuerungssysteme gesenkt werden. Ferner muss durch Haftungsregelungen sichergestellt sein, dass Finanzmarktakteure im Falle neuer Finanzkrisen stärker als bisher an den Schäden beteiligt werden. Die Aufsicht von Finanzinstitutionen und Qualifikationsanforderungen ist ebenso geboten wie verbesserte Haftungsregelungen und verbesserte, verursachergerechte Sicherungsmechanismen.

Die SDGs sollten grundsätzlich menschenrechtsbasiert formuliert sein. In Themenbereichen, zu denen es bereits eine gute Beschreibung völkerrechtlich definierter menschenrechtlicher Mindeststandards gibt – wie etwa Zugang zu Wasser, Nahrung, Gesundheit und Bildung –, sollten die SDGs explizit unter enger Bezugnahme auf die im Völkerrecht verankerten Menschenrechte sowie ihre korrespondierenden Staatenpflichten erarbeitet werden. Ein besonderes Augenmerk ist auf den Zugang zu moderner, gesundheitsunschädlicher Energie zu legen, da eine Mindestversorgung mit Strom, Wärme bzw. Mobilität zu den Voraussetzungen für eine Reduzierung verschiedener Armutsdimensionen zählt [80].

Empfehlenswert wäre es, für jedes Ziel aussagekräftige Indikatoren zu entwickeln. Unter anderem würde dadurch das Monitoring, die Überprüfung der Umsetzung durch die Nationalstaaten, vereinheitlicht und erleichtert werden. Auch die Sicherung von Frieden und Stabilität, d. h. die Unterstützung von Gesellschaften und Staaten, die sich am Rande von gewalttätigen Konflikten befinden bzw. diese gerade erst überwunden haben, sollte bei der Formulierung der SDGs berücksichtigt werden. Die Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung plädiert dafür, dass die SDGs mit einem verbindlichen Zeitrahmen für die Zielerreichung, für Zwischenziele und im Blick auf die Berichtspflichten versehen werden.

Der Prozess, der zu ehrgeizigen und überprüfbaren SDGs führen soll, sollte so transparent und partizipativ wie möglich gestaltet werden. Menschen aller Länder müssen die Möglichkeit bekommen, sich über den gegenwärtigen Stand der Beratungen zu informieren und Vorschläge zu unterbreiten. Die Kirchen sollten sich daran aktiv beteiligen und können dabei unter anderem ihre im Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung gemachten Erfahrungen nutzen und einfließen lassen.

Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene gibt es noch viel Zuständigkeitsgerangel im Blick auf die Post-MDG-Agenda und die Erarbeitung von SDGs. Sowohl in der Zivilgesellschaft als auch in den Parlamenten und Regierungen haben die Umwelt- und Entwicklungsexperten noch keine Kooperationsformen entwickelt, um auf die globalen Herausforderungen und Wechselwirkungen der verschiedenen Krisen adäquat eingehen zu können – auch nicht in den Kirchen.

Für Deutschland würde die Zusammenführung gegenwärtig noch getrennter Prozesse bewirken, dass

  1. substanzielle Ziele für die Transformation in Deutschland sowie für die Kooperation mit Entwicklungsländern in bestimmten Handlungsfeldern formuliert werden müssten und
  2. die Trennung entlang bestehender sektoraler Grenzen von wirtschaftlichem Wachstum, sozialer Entwicklung und dem Schutz der Umwelt künftig überwunden werden müsste.

Dies erfordert, dass der SDG-Prozess nicht nur als Agenda der internationalen Zusammenarbeit gesehen wird, sondern auch integraler Bestandteil nationaler Prozesse wird, wie etwa bei der Umsetzung der Menschenrechte, bei der Fortführung der Energiewende, bei sozialpolitischen Reformen sowie der Neubestimmung von Wohlstand und Wachstum in der Politik, wie sie beispielsweise in der Enquetekommission des Bundestages "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität – Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft" erörtert wird.

Deutschland verfügt – wie andere Länder auch – mit seiner nationalen Nachhaltigkeitsstrategie über ein Instrument, das für die Formulierung und Operationalisierung der SDGs in diesem Sinne genutzt werden könnte. Mit dem Staatssekretärsausschuss für nachhaltige Entwicklung, dem Parlamentarischen Beirat und dem Rat für nachhaltige Entwicklung bestehen Institutionen, die nachhaltige Entwicklung in der Exekutive, dem Parlament und der Zivilgesellschaft verankern können. Für einen wirksameren Einsatz dieser Gremien sind Reformen erforderlich, insbesondere eine systematische Berücksichtigung des Beitrages, der mit der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie zum Schutz globaler öffentlicher Güter geleistet werden soll.

Weder die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie noch ihre Managementregel oder ihre Indikatoren (mit Ausnahme der emissionsbezogenen Indikatoren) benennen oder messen die Auswirkungen deutscher Politik auf globale Nachhaltigkeit. Die internationale Dimension wird explizit lediglich nur aus der Perspektive deutscher Leistungen für die Entwicklungszusammenarbeit und in Zusammenhang mit Einfuhren aus Entwicklungsländern in den Blick genommen. Im Übrigen wird nachhaltige Entwicklung vor allem mit Blick auf die Steigerung der nationalen Wohlfahrt beschrieben. Dies ist unter den in dieser Studie beschriebenen politischen und ökonomischen Bedingungen nicht adäquat. Positive Bezüge zur Förderung der globalen nachhaltigen Entwicklung wären mit Blick auf bereits bestehende Beschlüsse der Bundesregierung etwa im Bereich des Flächenverbrauchs (z. B. durch Importe von Futtermitteln), des Artenschutzes (z. B. durch die Unterstützung von Entwicklungsländern bei der Einrichtung und Bewirtschaftung von Schutzgebieten) und der Innovation (z. B. durch Maßnahmen zur Diffusion von Technologien für Energieeffizienz und erneuerbare Energien in Entwicklungsländern) möglich.

Auf internationaler Ebene gibt es im Kontext des beginnenden SDG-Prozesses zwar hoffnungsvolle Tendenzen und viele Chancen, die genutzt werden sollten. Der institutionelle Rahmen ist jedoch nach wie vor unübersichtlich und durch verschiedene, zum Teil miteinander konkurrierende Gremien gekennzeichnet. Eine Einbindung von internationalen Organisationen bzw. Institutionen, die nicht zum VN-System gehören, ist bisher nicht vorgesehen. Dies alles macht das Fehlen einer starken Institution, die die verschiedenen Prozesse zusammenbinden und tatsächlich zu mehr Kohärenz im Sinne einer weltweiten menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung beitragen könnte, sehr bewusst.

5.3 Institutionelle Reformen: Ein starkes, koordinierendes VN-Gremium für wirtschaftliche, soziale und ökologische Fragen

Obwohl bisher alle Versuche gescheitert sind, die Rolle der Vereinten Nationen in wirtschaftlichen und sozialen Fragen zu stärken und bestehende VN-Institutionen aufzuwerten oder neue zu schaffen, die tatsächlich in der Lage wären, in der Global Governance zu mehr Kohärenz im Sinne einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung beizutragen, dürfen aus Sicht der Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung nach institutionelle Reformen nicht aufgegeben oder vernachlässigt werden.

Auch der bereits begonnene SDG-Prozess wird nicht an guten Ideen für universelle nachhaltige Entwicklungsziele scheitern. Es ist vorstellbar, dass nach guter Vorarbeit auf einer VN-Generalversammlung 2014 ehrgeizige SDGs beschlossen werden. Der Schwachpunkt wird dann aber die Umsetzung sein, sollte es nicht gelingen, Überprüfungsmechanismen zu installieren, die von starken Institutionen überwacht bzw. implementiert werden.

Die VN-Millenniumskonferenz im Jahr 2000 und die Verabschiedung der MDGs 2001 galten zunächst als großer Erfolg. Die Nichteinhaltung von Zusagen und die Nichterreichung von Entwicklungszielen blieben aber für die Länder, die die Beschlüsse weitgehend ignorierten, folgenlos. Schlimmstenfalls drohte ihnen ein Imageverlust. Doch auf den Überprüfungskonferenzen in New York wurden die Höflichkeitsfloskeln der internationalen Diplomatie ernster genommen als die offene Aussprache über Erfolge und Misserfolge. Keine Regierung, und wenn sie noch so sehr die Vereinbarungen mit den Füßen getreten hatte, musste befürchten, an den Pranger gestellt oder dafür gar zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Außerdem werden neue SDGs mit dem gleichen Problem wie die alten und noch bis 2015 "gültigen" MDGs zu kämpfen haben: Sie beruhen zwar auf Beschlüssen der VN-Generalversammlung – ihre Erreichung gehört aber nicht automatisch zu den obersten Prioritäten der internationalen Finanzinstitutionen (IWF und Weltbank), der Welthandelsorganisation (WTO) oder gar der informellen exklusiven Governance-Clubs (G8 und G20). Für den privaten Sektor gilt dasselbe. Die Nachhaltigkeitsziele gehören nicht per se zu den Prioritäten des Unternehmensengagements – zunehmend zwar verbal, aber selten tatsächlich. Eine verbindliche Regulierung transnationaler Unternehmen und der Akteure auf den internationalen Finanzmärkten ist allerdings ausgesprochen schwierig, und viele Unternehmens- bzw. Finanzaktivitäten finden in Zeiten der Globalisierung zunehmend Wege, sich einer staatlichen Regulierung zu entziehen.

Es wird schon schwierig genug werden, mehr Kohärenz innerhalb des VN-Systems herzustellen und zu ehrgeizigen SDGs zu kommen, deren Umsetzung von einer starken und effektiv arbeitenden VN-Institution überwacht werden müsste. Es ist zu hoffen, dass es bald Einigkeit über Zusammensetzung, Auftrag, Kompetenz und Arbeitsweise des 2012 auf der Rio-Konferenz beschlossenen "Hochrangigen Politischen Forums für Nachhaltige Entwicklung" (HLPF) geben wird. Das HLPF sollte 2013 seine Arbeit aufnehmen und den Stellenwert bekommen, der es in die Lage versetzt, tatsächlich den SDG-Prozess koordinieren und überwachen zu können. Doch selbst wenn dies gelingen sollte, wäre zwar mehr Kohärenz innerhalb des VN-Systems bei diesem Thema hergestellt – die Inkohärenzen zwischen den Strategien der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen, nationaler Regierungen, der Staatenclubs-Governance und mächtiger privater Akteure blieben als große Herausforderung dennoch bestehen.

Angesichts der in dieser Studie dargestellten "Wellen des globalen Wandels" und der Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Krisen (Weltwirtschafts- und Finanzkrise, Welthungerproblem, Klimawandel, Verlust der biologischen Vielfalt, Bevölkerungswachstum und Ressourcenverknappung) müssen die Herausforderungen jedoch gemeinsam und kohärent angepackt werden. Nötig ist, wie es der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltfragen (WBGU) 2011 formuliert hat, ein "neuer Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation" – hin zu einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung weltweit. Dafür wird es notwendig sein, die demokratische Legitimität und die politische Handlungsfähigkeit von Nationalstaaten und internationalen Institutionen zu sichern und auszubauen, um Märkte (wieder) stärker an Regeln zu binden, die dem Allgemeinwohl dienen.

Diese Analyse macht deutlich, dass eine effektive Global Governance, die weltweit mehr Kohärenz im Sinne einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung herstellen könnte, noch nicht existiert: Das VN-System ist fragmentiert und die Sonderorganisationen IWF und Weltbank agieren weitgehend autonom. Die WTO ist praktisch nicht in das VN-System eingebunden – was im Übrigen keineswegs eine größere Handlungsfähigkeit der WTO im Vergleich mit VN-Organisationen garantiert. Während der verfasste Multilateralismus schwächer geworden ist, gewinnen eine Vielzahl von bi- und plurilateralen Freihandels- und Assoziierungsabkommen sowie informelle Zusammenschlüsse – wie die G8, die G20 oder Kooperationsformate von Entwicklungs- und Schwellenländern – an Bedeutung.

Die zu Beginn der Finanzkrise teils als Hoffnungsträgerin angesehene G20 besitzt keine hinreichende Legitimation und schließt insbesondere die ärmeren Entwicklungsländer aus. Einige Schwellenländer betrachten die G20 ohnehin lediglich als ein befristetes Vorhaben, das an die Bewältigung der Krise der globalen Finanzmärkte gebunden ist und darüber hinaus keine Verantwortung für andere globale Herausforderungen übernehmen sollte. Insgesamt zeigt sich, dass die alten und neuen dominanten Staaten der Weltgemeinschaft weit davon entfernt sind, die Notwendigkeit und die Vorteile eines menschenrechtsbasierten, dauerhaften und langfristig orientierten kooperativen Handelns zu akzeptieren und sich daran auszurichten. Die großen globalen Herausforderungen können nur gemeinsam gelöst werden, und es bedarf dazu neuer oder grundlegend reformierter und dem Problemdruck gegenüber angemessen handlungsfähiger internationaler Institutionen. In der Global Governance fehlt eine Institution bzw. ein Gremium, das der Zersplitterung und dem Auseinanderdriften der diversen Organisationen wirksam zu begegnen vermag und gemeinsame Leitlinien entwickelt.

Es fehlt ein "Weltrat (Global Council) für soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen", der innerhalb der Vereinten Nationen in seiner Bedeutung dem Weltsicherheitsrat gleichkommt und der auch über den internationalen Finanzinstitutionen (IWF, Weltbank), der WTO und den informellen Formaten steht. Ein solcher Global Council ist bereits vom ehemaligen EU-Kommissionspräsident Jaques Delors angeregt worden, er wird in den Grundsatzprogrammen von SPD und Bündnis 90/ Die Grünen gefordert, und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat 2008 und 2009 nach einem starken Weltwirtschaftsrat unter dem Dach der Vereinten Nationen gerufen, der die von ihr vorgeschlagene "VN-Charta für nachhaltiges Wirtschaften" ausarbeiten und implementieren sollte. Einen Global Council, der in der Global Governance das derzeitige Neben- und Gegeneinander verschiedener internationaler Organisationen und Institutionen überwinden und den Weg für eine internationale Wettbewerbsordnung bereiten sollte, die sich an den Menschenrechten und den Prinzipien der Nachhaltigkeit orientiert, hatte 2008 auch die Stiglitz-Kommission vorgeschlagen. Diese verschiedenen Forderungen sind nicht identisch, weisen aber in die gleiche Richtung und beziehen sich auf einen offensichtlichen schwerwiegenden Mangel des existierenden VN-Systems. Gerade angesichts der ernüchternden Erfahrungen, die bereits bei Versuchen, innerhalb des VN-Systems zu mehr Kohärenz zu kommen, gemacht wurden, kann ein solcher Global Council nur ein Fernziel sein, das wohl erst nach einem längeren Prozess zu erreichen ist. Im Verlauf dieses Prozesses sind in jedem Falle die nachfolgend aufgeworfenen Fragen zur Einrichtung und der Ausgestaltung einer derartigen Institution zu vertiefen und zu klären.

Bei der vorgeschlagenen Einrichtung geht es nicht darum, eine Art "Weltregierung" zu schaffen, die zentralistisch Wirtschafts-, Umwelt- und sozialpolitische Vorgaben macht, die alle Nationalstaaten umzusetzen hätten. Dem Vorschlag liegt vielmehr die Motivation und die Zielsetzung zugrunde, dass die internationale Gemeinschaft Vereinbarungen anstrebt, die dem freien Spiel der Marktkräfte Grenzen setzt und sie in sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Bahnen lenkt. Daher muss die Frage nach den Kompetenzen eines solchen Rates im Verhältnis zu den Nationalstaaten und den internationalen Wirtschafts- und Umweltregimen sowie zu den übrigen VN-Organisationen (FAO, UNESCO, ILO etc.) geklärt werden. Von besonderer Wichtigkeit erscheint die völkerrechtliche Frage nach der Verbindlichkeit der von diesem Global Council zu verabschiedenden Leitlinien.

Es sind Fragen der Finanzierung, der Anzahl der Ratsmitglieder und die Modi ihrer Wahl durch die VN-Generalversammlung, der Streitschlichtungsverfahren, der ratsinternen Abstimmungs- und Einigungsmodalitäten, die Art der Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure und letztlich auch der Sanktionen zu klären, über die ein solcher Global Council verfügen sollte. Der Prozess der Einrichtung eines solchen Rates darf nicht zu falschen, nämlich kontraproduktiven Anreizen für die Nationalstaaten führen, sich der Kooperation innerhalb des VN-Systems zu verweigern und völkervertragliche Bindungen nicht einzugehen.

Die Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung hält die Einrichtung eines Global Councils trotz aller erwarteten und sicher manch unerwarteter Schwierigkeiten für erstrebenswert: Es geht um einen Rat, der sich auf Leitlinien für ein nachhaltiges Wirtschaften verständigt, Empfehlungen ausarbeitet, aber auch über die Einhaltung von menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Mindeststandards wacht bzw. die Überwachung anderer dafür zuständiger Gremien fördert, unterstützt und koordiniert, über Streitschlichtungsmechanismen verfügt und in Extremfällen auch Sanktionen beschließen kann. Wünschenswert wäre auch, dass in einem solchen Rat neben den stimmberechtigten und von der VN-Generalversammlung gewählten Staatenvertreterinnen und -vertretern, die alle Kontinente angemessen repräsentieren sollten, auch (ohne Stimmrecht) alle relevanten internationalen Organisationen sowie die Zivilgesellschaft vertreten wären.

Woran sich ein globaler demokratischer Gestaltungsprozess in normativer Hinsicht orientieren sollte, ist in den zentralen Menschenrechtspakten, dem "Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte" und dem "Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte" festgelegt. Demnach haben alle Völker das Recht, in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu gestalten – ohne jedoch die Rechte und die Freiheit anderer Völker und nachfolgender Generationen einzuschränken. Hinzu kommen zahlreiche globale Umweltabkommen, die das Recht auf eine unversehrte natürliche Umwelt in verschiedenen Bereichen festlegen.

Die Vertragsstaaten haben sich in den Menschenrechtspakten verpflichtet, zu gewährleisten, dass die in dem Pakt verkündeten Rechte ohne Diskriminierung von Rasse, Hautfarbe, Sprache, der Religion oder der politischen Anschauung ausgeübt werden können und die Gleichberechtigung von Männern und Frauen sichergestellt wird. Darüber hinaus enthalten sie zahlreiche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht, sich zu organisieren und Gewerkschaften zu bilden. Sie sichern unter anderem das Recht auf Gesundheitsversorgung, Nahrung, Wasser, Sanitärversorgung, Bildung und Teilhabe am kulturellen Leben.

Fraglich ist auch, ob ein Global Council, wie er hier skizziert bzw. angedacht wurde, als Neugründung eine realistische Chance hätte, oder ob es aussichtsreicher wäre, Schritt für Schritt bestehende Institutionen zu reformieren und aufzuwerten. Es gibt bereits seit Gründung der Vereinten Nationen innerhalb dieses Systems eine sechste Hauptinstitution der Vereinten Nationen, die für wirtschaftliche und soziale Fragen zuständig ist und später auch den Auftrag erhalten hat, das Nachhaltigkeitsprinzip zu beachten und Anstöße für eine weltweite nachhaltige Entwicklung zu geben: den Weltwirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC). Allerdings ist dieses Gremium, in dem sich hauptsächlich die VN-Botschafter von 54 Mitgliedsstaaten treffen, bislang von wichtigen VN-Mitgliedsstaaten bewusst schwach gehalten worden, und alle Versuche, den ECOSOC aufzuwerten und seine Arbeitsweise effizienter zu gestalten, sind bisher gescheitert. Auch wenn er derzeit ein Schattendasein fristet, muss dies nicht so bleiben. Die viel versprechenden Vorschläge, die 2006 eine vom damaligen VN-Generalsekretär Kofi Annan gemachte hochrangige Expertenkommission zur Reform und Aufwertung des ECOSOC gemacht hat (s. Kap. 4.2.2), könnten wieder aufgegriffen und im Zusammenhang mit der Debatte um die Zukunft der G20 neu diskutiert werden.

Ein Weg für wirkliche Fortschritte im Sinne einer effektiven und kohärenten Global Governance für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung kann es nur geben, wenn die Parallelstrukturen zwischen VN-System und Club-Governance (G8/ G20) überwunden werden. In einem auf 27 Staaten verkleinerten ECOSOC, in dem sich nicht nur VN-Botschafter, sondern mehrmals jährlich Staats- und Regierungschefs treffen, könnte die G20 aufgehen. Ein zahlenmäßig verkleinerter ECOSOC, der zugleich stark aufgewertet wird, müsste von der VN-Generalversammlung gewählt werden. Eine Überwindung der Clubformate kann realistischer Weise nur gelingen, wenn er so konzipiert wird, dass sowohl die größten Wirtschaftsmächte vertreten als auch alle Kontinente und übrigen Ländergruppen angemessen repräsentiert wären.

Ob der Global Council durch eine Neugründung oder eine Art Transformations- bzw. Fusionsprozess von ECOSOC und G20 entstehen würde – in beiden Fällen müssten viele Hindernisse und Widerstände überwunden und die Charta der Vereinten Nationen verändert werden – mit Zustimmung der Generalversammlung und des Weltsicherheitsrates samt aller seiner Vetomächte. Auch wenn dies gegenwärtig wenig realistisch erscheint, spricht sich die Kammer der EKD für nachhaltige Entwicklung dafür aus, dieses Ziel zu verfolgen und in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Kirche und Zivilgesellschaft um Unterstützung dafür zu werben. Je mehr Staaten Reformvorschläge dieser Art auf die Agenda setzen, umso eher wird aus dieser Vision ein erreichbares Vorhaben.

Die Kammer sieht ihre Vorschläge und den identifizierten Klärungsbedarf auch als einen Beitrag zum gegenwärtigen weltweiten ökumenischen Prozess für eine "Wirtschaft im Dienst des Lebens" im Rahmen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK). 2009 gab der ÖRK die "Erklärung zu einem gerechten Finanzsystem und einer Wirtschaft, die dem Leben dient" heraus; darin rief er zur Schaffung eines neuen ethischen, gerechten und demokratischen globalen Finanzgefüges auf, "das auf gemeinsamen Werten beruht – Ehrlichkeit, soziale Gerechtigkeit, Menschenwürde, gegenseitige Rechenschaftspflicht und ökologische Nachhaltigkeit" [81]. 2012 schlug eine weltweite ökumenische Expertenkonferenz von ÖRK und Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) in Sao Paulo als zentrales Instrument für eine wirksame und kohärente Global Governance einen neu zu schaffenden "UN-Sicherheitsrat für ökonomische, soziale und ökologische Fragen" (UNESESC) vor [82].

Im Vorfeld der 10. ÖRK-Vollversammlung 2013 in Busan (Republik Korea) wurde eine globale ökumenische Kommission eingesetzt, "um die wertvolle Arbeit der Stiglitz-Kommission voranzubringen und Verbindungen zu anderen Glaubensgemeinschaften, zivilgesellschaftlichen Organisationen, interessierten Regierungen, Institutionen und sonstigen relevanten Stakeholdern aufzunehmen, um einen konkreten Vorschlag für die Governance einer neuen globalen Wirtschafts- und Finanzarchitektur zu entwickeln" [83]. Diese hochrangige internationale Expertenkommission soll sich nach der Vollversammlung mit dem Mandat der weltweiten ökumenischen Gemeinschaft der Kirchen für dieses Ziel einsetzen. Auch zu diesem Prozess können die hier vor- gelegten Vorschläge für einen Global Council einen Beitrag leisten.

Langfristige Vorhaben dürfen aber nicht davon abhalten, sich mit voller Kraft für die Erreichung von Zielen einzusetzen, die jetzt auf der internationalen Agenda stehen:

  • die Forcierung der Anstrengungen zur Erreichung aller MDGs,
  • die Ausarbeitung einer ehrgeizigen und umsetzbaren Post-2015-Entwicklungsagenda mit mutigen und überprüfbaren SDGs,
  • die Einsetzung eines "Hochrangigen politischen Forums für nachhaltige Entwicklung" (HLPF), das die Umsetzung der Post-2015-Entwicklungsagenda und die Erreichung der SDGs koordiniert und überwacht,
  • die Stärkung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und – ungeachtet des vorläufigen Scheiterns dieser Bemühungen – seine langfristige Aufwertung zu einer VN-Organisation,
  • Beschlüsse und Selbstverpflichtungen zur solidarischen Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit, des Klima- und des Biodiversitätsschutzes,
  • Stärkung der internationalen Umweltregime,
  • eine verstärkte Zusammenarbeit der Umwelt- und Entwicklungsexperten in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kirche und Zivilgesellschaft und
  • die bereits von der VN-Generalversammlung beschlossene Einsetzung eines "Panels on Systemic Risks
  • ", das dem ECOSOC und dem HLPF zuarbeitet.

Kasten 7: Völkerrechtliche Vereinbarungen zu den Menschenrechten

Die Menschenwürde fand ihren Ausgangspunkt im modernen Völkerrecht und in der Nachkriegsordnung nach dem Zweiten Weltkrieg in der 1948 angenommenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die alle zentralen Menschenrechte enthält. Zwar konnte dann aufgrund des schnell beginnenden Kalten Krieges kein Vertrag mit allen Menschenrechten erarbeitet werden, aber es entstanden zwei Menschenrechtspakte: der "Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte" und der "Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte", beide 1966 von der Generalversammlung verabschiedet und seit 1976 in Kraft. Der innere Zusammenhang und die Unteilbarkeit der Menschenrechte wurden dadurch aber nicht aufgehoben. Auf der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 nach dem Ende des Kalten Krieges wurden die Unteilbarkeit und die Universalität aller Menschenrechte betont und bekräftigt.

Die Menschenrechte stellen mit ihrem universellen Anspruch eine Ausformulierung der Grundrechte in Zeiten der Globalisierung dar. Die beiden zentralen Pakte sind inzwischen von über 160 Staaten ratifiziert, die Kinderrechtekonvention und die Konvention gegen alle Formen der Diskriminierung von Frauen haben weitgehend eine universelle Ratifikation. Menschenrechte binden das Handeln des Staates sowohl nach innen, gegenüber allen Personen, die auf seinem Territorium leben, als auch nach außen. Staaten sind verpflichtet, Menschenrechte auch in ihrem Handeln mit anderen Staaten, bei der Aushandlung von Verträgen etc. zu berücksichtigen. Sie bilden nach der Wiener Menschenrechtskonferenz den Kernbestand der Normen des Völkerrechts, und alle Staaten müssen sie bevorzugt umsetzen.

Die Rolle der Vereinten Nationen muss trotz oder gerade wegen ihrer Schwächen in wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Fragen gestärkt werden. Ungeachtet aller Widerstände und Enttäuschungen dürfen entsprechende Bemühungen keinesfalls aufgegeben werden. Alle bisherigen Versuche, zu stärkeren Institutionen in der Global Governance zu kommen, scheiterten jedoch bisher nicht zuletzt an Partikularinteressen mächtiger Staaten und starker ökonomischer Akteure, die vom "freien" Spiel der Kräfte profitieren und sich einer Regelsetzung im Sinne einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung widersetzt haben.

Sollte die Blockadehaltung einflussreicher Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer anhalten, bleibt anderen Regierungen immer noch die Option, sich als innovative Vorreiter zu verstehen und entsprechend zu handeln. Gerade Staaten, die unter dem "freien" Spiel der Kräfte leiden, sowie verantwortungsbewusste, werteorientierte und reformbereite Staaten, die aus ethischen Gründen und/oder wohl verstandenem, langfristig orientiertem Eigeninteresse an einer an den Menschenrechten und den Prinzipien der Nachhaltigkeit orientierten internationalen Ordnung ernsthaft interessiert sind, sollten internationale Koalitionen bilden. Internationale Innovationsallianzen, die mit gemeinsamen Lösungsansätzen vorangehen, können hier Bewegung in festgefahrene Verhandlungsprozesse bringen. Dabei ist freilich zu beachten, dass alle Formen eines selektiven Multilateralismus die notwendigen Bemühungen um eine Stärkung der Global Governance im Rahmen des VN-Systems nicht unterlaufen oder konterkarieren. Für globale Probleme bedarf es globaler Lösungen. Das bedeutet auch, dass es völkerrechtlich verbindlicher globaler Regelungen bedarf, die letztlich nur innerhalb der VN-Prozesse geschaffen werden können. Innovationsallianzen können jedoch die Leistungsfähigkeit neuer Formen der transnationalen Kooperation unter Beweis stellen und Leitlinien für ein am globalen Gemeinwohl orientiertes politisches Handeln als Selbstverpflichtung übernehmen und umsetzen.

Dies lohnt sich selbst dann, wenn viele wirtschaftlich oder politisch mächtige Staaten diesen Koalitionen innovativer Vorreiterstaaten zunächst fern bleiben. Die Kooperation mit ähnlich gesinnten Regierungen unter Einbindung weiterer Akteure, die gewonnenen Erfahrungen (Knowhow- und Capacity-Building), die ausstrahlenden Signalwirkungen, der Gewinn an Kohärenz in der nationalen Politik und zwischen den Handlungen der beteiligten Staaten sowie die Bildung eines Gegengewichts zu den bestehenden Clubs der Mächtigen überwiegen etwaige Nachteile eines solchen plurilateralen Vorgehens. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn gewährleistet ist, dass solche Allianzen für eine menschenrechtsbasierte und an Nachhaltigkeit orientierte transnationale Governance allen kooperationsbereiten Ländern offen stehen und sich nicht als Konkurrenzveranstaltung zu den Vereinten Nationen verstehen, sondern sich an dessen Prinzipien gebunden sehen und sich für eine Reform und Stärkung der Vereinten Nationen einsetzen.

Für Deutschland und die Europäische Union würde dies implizieren, dass sie die Kooperationen mit Staaten außerhalb der G20 deutlich stärken und diesen mindestens das gleiche Gewicht wie der G8 und G20 beimessen. Auch im Rahmen der G20 sollte Deutschland ebenso wie die Europäische Union mit deutlich mehr Nachdruck auf einer Stärkung der Vereinten Nationen beharren und sich, wo immer möglich und auch unter zusätzlichen Kosten, für eine Global Governance für menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung einsetzen. Die Europäische Union muss zugleich ernsthaft versuchen, zu und zwischen den Ländern bzw. Ländergruppen außerhalb der OECD Brücken zu bauen, und diese dafür gewinnen, im Falle einer anhaltenden Blockadehaltung der übrigen wirtschaftlich und politisch mächtigen Staaten gemeinsam mit der Europäischen Union voranzugehen.

Eine Koalition der innovationsbereiten Staaten kann indes allenfalls als Übergangslösung begriffen werden, die mit Hindernissen verbunden ist und den handelnden Akteuren einiges abverlangt. Ein Hindernis stellt die nur relativ geringe Wirtschaftskraft des Bündnisses dar, wenn die wirtschaftlich mächtigen Staaten den Prozess nicht unterstützen. Dies würde sich unter anderem auch in IWF und Weltbank bemerkbar machen, in denen Wirtschaftsleistung und Stimmrechte eng korrelieren. Ein anderes Hindernis besteht darin, dass die ökonomischen und politischen Abhängigkeiten vieler Länder beispielsweise von den G20-Staaten hoch sind. Dies gilt selbst für die wirtschaftlich nach wie vor bedeutsame Europäische Union. Wenn aber die Europäische Union nicht bereit ist, etwaige (kurzfristige) politische Nachteile und wirtschaftliche Risiken zugunsten einer Global Governance für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung einzugehen, wird es derzeit kaum ein anderer mächtiger Akteur tun.

Ziel muss aber eine Global Governance für eine menschenrechtsbasierte nachhaltige Entwicklung sein. Daher muss bei Schritten hin zu einem Bündnis der reformbereiten Staaten die Anschlussfähigkeit an den institutionalisierten, formalisierten Multilateralismus, das heißt, an die Vereinten Nationen, stets im Blick behalten werden. Folglich sind alle Regierungen ebenso wie nichtstaatliche Akteure, die Kirchen und kirchliche Entwicklungswerke gefordert, auf eine Stärkung und Reform der Vereinten Nationen im oben skizzierten Sinne hinzuwirken. Und dies sollte auf kooperativer und solidarischer Basis erfolgen.

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