Europa - Informationen Nr. 158

Bis zur letzten Instanz: Polen setzt auf EuGH zur Umsetzung umstrittener Justizreformen

Damian Patting

„Jedes Land der Union hat das Recht, sein eigenes Rechtssystem nach seinen eigenen Traditionen zu gestalten“, sagte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki am 04. Juli 2018 vor dem EU-Parlament in Straßburg. Im Ringen um rechtsstaatliche Verhältnisse ist Polen hartnäckig bestrebt, seine äußerst umstrittenen Justizreformen auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu verteidigen. Von strukturellen Defiziten der Rechtsstaatlichkeit will man in Polen nichts wissen. Gerne wird dazu etwa auf die zahlreichen anstehenden Wahlen verwiesen. Nach nunmehr drei wahlfreien Jahren werden die Bürger bis in das Frühjahr 2020 hinein gleich viermal an die Urnen gerufen. Im kommenden Herbst finden landesweit Kommunalwahlen statt. 2019 folgen die Europawahl und die polnische Parlamentswahl, bei der über die Besetzung von Sejm und Senat entschieden wird. 2020 folgt die Direktwahl für die Besetzung des Präsidentenamtes.

Es steht nicht gut um die rechtsstaatlichen Verhältnisse in der Republik Polen. Nach Ansicht der obersten polnischen Richterin, Malgorzata Gersdorf, rütteln die aktuellen Justizreformen an den Grundfesten des polnischen Rechtsstaats. „Die Eigenständigkeit der Justiz wird illusorisch“, ist ihr ernüchterndes Fazit mit Blick auf die jüngsten Gesetzesnovellen. Anfang Juli 2018 hatte die polnische Regierung im Rahmen einer Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht die Altersgrenze für die Pensionierung von Richtern von bislang 70 Jahre auf 65 Jahre gesenkt und somit die faktische Zwangspensionierung der Gerichtspräsidentin neben 26 weiteren Juristen unter den insgesamt 72 Richtern veranlasst. Gersdorf ist seit dem Jahr 2014 Präsidentin des höchsten polnischen Gerichts und beruft sich nunmehr auf Artikel 183 der polnischen Verfassung, um weiterhin ihr Amt auszuüben. Nach dieser Bestimmung ist die Amtszeit auf sechs Jahre festlegt. Der Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro sieht in der genannten Verfassungsvorschrift kein Recht der Gerichtspräsidentin, ihr Amt weiter auszuüben. Er droht vielmehr mit strafrechtlichen Konsequenzen gegenüber der vermeintlich außer Dienst gesetzten Juristin.

Im Hinblick auf das von der EU-Kommission eingeleitete Rechtsstaatsverfahren gem. Art. 7 Abs. 1 des EU-Vertrages (EUV) hatte am 01. März 2018 das Europäische Parlament seine Zustimmung erteilt (siehe auch EKD-Europa-Informationen Nr. 157). Am 26. Juni 2018 hat nun der Ministerrat Polen eine Gelegenheit zur Stellungnahme nach Maßgabe von Art. 7 Abs. 1 EUV gegeben. In diesem Rahmen hatten die Ministerinnen und Minister die Möglichkeit, sich ausführlich mit Polen über die in dem begründeten Vorschlag der Kommission aufgezeigten Bedenken auszutauschen. Polen hat diese sorgsam formulierten Bedenken in einem Antwortschreiben für unbegründet erklärt. Im Herbst wird die Europäische Union über das weitere Vorgehen beraten. Im weiteren Verlauf des Verfahrens könnte nach Art. 7 EUV der Ministerrat mit vier Fünfteln (22 von 27) seiner stimmberechtigten Mitglieder feststellen, dass eine eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit vorliegt. Die im nachfolgenden Schritt zu treffende Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der in Art. 2 EUV genannten Werte bedürfte sodann nach Art. 7 Abs. 2 EUV einer einstimmigen Feststellung im Europäischen Rat. Allerdings hat Ungarn insoweit schon sein Veto angekündigt. Ob das erstmals in der Geschichte der Europäischen Union eingeleitete Rechtsstaatsverfahren ein wirksames Druckmittel sein kann, um Polen zu einer vollständigen Rückkehr zu rechtsstaatlichen Verhältnissen zu bewegen, ist daher zweifelhaft.

Als weitere möglicherweise effektivere Maßnahme leitete die EU-Kommission in Reaktion auf die jüngsten Justizreformen jedoch am 02. Juli 2018 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen ein. Die EU-Kommission begründet diesen Schritt damit, dass die polnischen Justizreformen das Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit und den Grundsatz der Unabsetzbarkeit von Richtern verletzten. Nach Ansicht der EU-Kommission beeinträchtigten die Reformen in Polen die Garantie auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 1 EUV und aus Art. 47 der EU-Grundrechte-Charta. Am 14. August 2018 hat die EU-Kommission die zweite Phase des Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet, nachdem Polen die Vorwürfe unter Hinweis auf die Verwendung einer vermeintlich zweifelhaften Rechtsgrundlage seitens der EU-Kommission als substanzlos zurückwies. Nun hat Polen einen weiteren Monat Zeit, den Beanstandungen der Kommission abzuhelfen. Nach Fristablauf kann die Kommission den EuGH anrufen. Soweit dann die Luxemburger Richter die Ansicht der Kommission teilen, könnte der EuGH ein Zwangsgeld verhängen oder Polen zur Zahlung eines Pauschalbetrages verurteilen.

Die polnische Regierung zeigt sich davon jedoch bislang unbeeindruckt: Polens Außenminister Jacek Czaputowicz äußerte sich selbstbewusst mit den Worten: „Es ist vielleicht der geeignete Weg, diese Angelegenheit dem EuGH zu übergeben.“

Dass Polen die erhoffte Bestätigung und Unterstützung vom EuGH erhalten könnte, gilt jedoch nicht als wahrscheinlich. Wenngleich der EuGH bislang eine eindeutige eigene Positionierung zu den polnischen Justizreformen vermieden hat, so zeigen doch aktuelle Judikate aus Luxemburg, dass der Gerichtshof den Reformen in Polen tendenziell kritisch gegenübersteht. So entschied der EuGH insbesondere am 25. Juli 2018 in der Rechtssache C-216/18, dass die irischen Justizbehörden, die auf Veranlassung von Polen einen europäischen Haftbefehl vollstrecken sollen, sorgfältig prüfen zu prüfen hätten, ob den Betroffenen in Polen ein faires Verfahren erwartet. Im Rahmen der Prüfung der Frage, ob objektiv mit einer Verletzung des fairen Verfahrens zu rechnen sei, dürfe insbesondere der Vorschlag der Kommission vom Dezember 2017 berücksichtigt werden, mit welchem die Kommission den Rat aufgefordert hatte, die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit durch Polen festzustellen. Obwohl damit letztlich die Entscheidung in die Hände der irischen Justiz gelegt wird, deutet sich in diesem Fall bereits an, dass Polen von Luxemburg nicht die erhoffte Rückendeckung für die fragwürdigen Umgestaltungen des Rechtssystems erhalten dürfte.

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