Europa - Informationen Nr. 158

Neuer Aufschwung für Europa? Die deutsch-französische Erklärung von Meseberg

Katrin Hatzinger

Nachdem die Bundesregierung die europapolitischen Avancen des französischen Präsidenten Macron lange mit Nichtbeachtung quittiert hatte, kam es am 19. Juni 2018 auf Schloss Meseberg bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs sowie einiger Fachminister zu einem konstruktiven Austausch mit einer gemeinsamen Abschlusserklärung. Präsident Macron hatte mit seiner Rede vor der Pariser Sorbonne im September 2017 (vgl. EKD-Europa-Informationen Nr. 156) ein Feuerwerk an Vorschlägen für die Reform der EU vorgestellt und monatelang vergeblich auf eine Reaktion aus Berlin gewartet, nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Regierungsbildung. Seine im deutlichen Gegensatz zur kühlen Nüchternheit der Kanzlerin stehende mitreißende Leidenschaft für Europa wurde nicht zuletzt während seiner Rede anlässlich der Verleihung des Internationalen Karlspreises in Aachen am 10. Mai 2018 deutlich, als er vier „kategorische Imperative“ zu Europa formulierte, aber auch nicht mit Kritik an zögerlichen Haltung der Bundesregierung sparte (trotz deren ehrgeizigen Ankündigungen im Koalitionsvertrag). „Seien wir nicht schwach!“, „Lassen wir uns nicht spalten“, "Haben wir keine Angst!" und (auch an die Adresse seiner Laudatorin Angela Merkel gerichtet) "Warten wir nicht zu! Es geht ums Jetzt!", rief der französische Präsident unter dem Applaus der zahlreichen geladenen Gäste in den Aachener Rathaussaal. Er warb erneut für einen eigenen Haushalt für die Eurozone und dafür, auf deutscher und französischer Seite „mit Tabus zu brechen“.  Regeln müssten eingehalten werden, aber „analog dazu darf es in Deutschland auch keinen ewigen Fetisch für den Haushalts- und Handelsüberschuss geben, denn das geht immer auch zu Lasten anderer“, so Macron.

Macrons Rufe wurden im Juni 2018 erhört. Doch im Vergleich zu den von Macron geweckten Erwartungen ist die Erklärung von Meseberg nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein erster Schritt, um den deutsch-französischen Reformmotor wieder in Schwung zu bringen. Sie bekräftigt, dass Deutschland und Frankreich im gemeinsamen Eintreten für das europäische Projekt geeint sind. Um die bilaterale Zusammenarbeit in Europafragen zu stärken, soll bis Ende 2018 ein neuer Élysée-Vertrag ausgearbeitet werden. Neben Verabredungen in der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik (Schaffung eines europäischen Sicherheitsrates, mehr Mehrheitsentscheidungen im Rat,  Idee einer Interventionsinitiative), zu Migration (u.a. Einrichtung einer europäischen Asylbehörde, mehr Personal und neues Mandat für Frontex)  sowie Wirtschaft und Beschäftigung stand v.a. die Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) auf dem Programm des gemeinsamen Ministertreffens.

Dazu wurde ein Fahrplan zur weiteren „Stärkung uns Vertiefung des Euro-Währungsgebiets und zur Schaffung einer echten Wirtschaftsunion“ vorgelegt sowie eine gemeinsame Position zur Harmonisierung der Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage in der EU verabredet. Neben den Plänen zur weiteren Stabilisierung des europäischen Bankensektors (Bankenunion) enthält der Fahrplan auch Vorschläge zur Fortentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und zur Einrichtung eines Eurozonen-Haushalts. Auch bei der Körperschaftssteuer wollen Deutschland und Frankreich durch die Unterstützung der europäischen Legislativvorschläge zu einer gemeinsamen Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage die Steuerharmonisierung in der EU vorantreiben.

Es ist durchaus als Erfolg für Macron zu verbuchen, dass die Bundesregierung seinen Vorschlag für einen eigenen Haushalt für die Eurozone ab 2021 aufgegriffen hat. Er soll die Wettbewerbsfähigkeit, Konvergenz und Stabilisierung innerhalb des Euro-Währungsgebietes fördern und mit der mehrjährigen Finanzplanung der EU verbunden werden. Allerdings wird er seinem Umfang nach wohl deutlich geringer ausfallen als ursprünglich avisiert und viele Details zu seiner Finanzierung sind noch offen.  Geplant ist, dass die Finanzmittel aus nationalen Beiträgen der Eurozonen-Länder, Steuereinnahmen und europäischen Mitteln stammen sollen. Deutschland und Frankreich denken in diesem Zusammenhang auch über eine europäische Finanztransaktionssteuer nach.

Bemerkenswert ist in den deutsch-französischen Vorschlägen auch die Idee der Errichtung eines europäischen Fonds zur Stabilisierung nationaler Arbeitslosenversicherungen. Beide Staaten fordern, dass jedes Eurozonen-Land „über ein wirksames System der Absicherung bei Arbeitslosigkeit und ein soziales Sicherungsnetz sowie über angemessene Mindestlöhne“ verfügen sollte. Der Fonds soll nationalen Sozialversicherungssystemen in Krisen, die mit erheblichen Arbeitsplatzverlusten einhergehen, temporär ergänzend unter die Arme greifen. Das Geld sollte nach der Überwindung der Krise allerdings wieder zurückgezahlt werden.  

Auch wenn abzuwarten bleibt, inwieweit die Beschlüsse von Meseberg den deutsch-französischen Reformmotor dauerhaft wieder in Schwung gebracht haben, so ist jedenfalls wieder Bewegung in die europäische Reformdebatte gekommen. Doch bis zur dringend benötigten Reform der WWU zur Stärkung des Euroraums bleibt es noch ein steiniger Weg. Die Konkretisierung der meisten Vorhaben steht noch aus und innerhalb der Bundesregierung formierte sich seitens der CSU gleich im Anschluss an das Ministertreffen Widerstand gegen die angeblich zu weiterreichenden Absprachen.  Aber auch die Finanzminister von zwölf hauptsächlich nordischen EU-Mitgliedsstaaten haben in einem Schreiben an den Eurogruppenchef Mário Centeno am 22. Juni 2018 ihre Bedenken gegen einen Eurozonen-Haushalt formuliert. Dazu kommt, dass mit kräftigem Zutun der CSU die Migrationspolitik derzeit alle anderen EU-Themen in den Hintergrund treten lässt.  Auf dem Europäischen Rat im Juni fand somit entgegen der Planungen keine substantielle Debatte zur Reform der WWU statt (siehe Leitartikel). Den deutsch-französischen Reformplänen läuft daher so langsam die Zeit davon.

Die Rede von Präsident Marcron zur Verleihung des Karlspreises finden Sie im Wortlaut unter.
http://bit.ly/ekd-NL-158_ZdE-4-1

Die Erklärung von Meseberg finden Sie unter:
http://bit.ly/ekd-NL-158_ZdE-4-2

Den deutsch-französischen Fahrplan zur WWU finden Sie hier:
http://bit.ly/ekd-NL-158_ZdE-4-3

Nächstes Kapitel