Europa - Informationen Nr. 158

Spitzenkandidaten für ein transparentes Europa

Damian Patting

Vom 23. bis 26. Mai 2019 werden die EU-Bürgerinnen und Bürger zur Wahl des Europäischen Parlamentes an die Urnen gerufen. Es geht um viel.

Bei dem erklärten Ziel, die Europawahlen demokratischer und transparenter zu gestalten, soll das 2014 eingeführte und etablierte Spitzenkandidatensystem helfen. Art. 17 Abs. 7 des EU-Vertrages (EUV) sieht vor, dass der Europäische Rat mit qualifizierter Mehrheit dem Europäischen Parlament einen Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten vorschlägt, der vom Parlament mit Mehrheit gewählt wird. Bei der Auswahl des Kandidaten hat der Rat das Ergebnis der Wahlen zum Parlament zu berücksichtigen. Dementsprechend hat das Parlament beschlossen, nur Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten zu akzeptieren, die zuvor als Spitzenkandidaten Wahlkampf betrieben haben. Die Mitgliedstaaten stehen diesem Vorgehen weiterhin skeptisch gegenüber. Bereits mit Blick auf den klaren Wortlaut des Art. 17 Abs. 7 EUV könne es insoweit keinen Automatismus geben, da die dort statuierte bloße „Berücksichtigung“ des Ergebnisses der Wahlen keine derart weitreichende Kompetenzen des Europäischen Parlamentes begründe. Diese strikt am Wortlaut orientierte skeptische Haltung der Mitgliedstaaten ist aber nicht grundlos. Das vorrangige Motiv dürfte in machtpolitischen Erwägungen liegen, eine reziproke Verteilung der Ämter des Parlamentspräsidenten und des Kommissionspräsidenten sicherzustellen. Mittelfristig dürfte aber zumindest bei den europafreundlichen Staaten auch die Überlegung noch eine Rolle spielen, sich nicht selbst des in Art. 17 Abs. 7 EUV ausdrücklich festgeschriebenen Ermessensspielraums zu berauben, um im Fall der Fälle einen mit einer Stimmenmehrheit versehenen europafeindlichen Spitzenkandidaten als Kommissionspräsidenten verhindern zu können.

Losgelöst von diesen Meinungsverschiedenheiten sollen bis spätestens Ende 2018 die Spitzenkandidaten verbindlich nominiert werden. Auch soll eine Verbindung zwischen den nationalen Parteien und den entsprechenden Fraktionen im EU-Parlament sichtbar gemacht werden. Dazu sieht die Wahlrechtsreform durch die Einfügung eines Art. 3 b) in den Wahlakt von 1976 vor, dass Logos im Wahlkampfmaterial und auf den Wahlunterlagen verwendet werden sollen, die den Wählern die Verbindungen zwischen nationaler und europäischer Partei aufzeigen. Zusätzlich − so der Präsident des Europäischen Parlaments Antonio Tajani – obliege es den nationalen Parteien, der Zivilgesellschaft und den Medien, die Bürger im Vorfeld der Europawahlen umfassend zu informieren. Die Kandidatenliste mit den Spitzenkandidaten soll mindestens drei Wochen vor den Wahlen bekannt gegeben werden. Wünschenswert wären Wahlkampfduelle in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Was die Kandidatenfrage betrifft, kann man bisher nur in die Glaskugel blicken: Die europäischen Konservativen wollen voraussichtlich im November 2018 die Kandidatenfrage klären. Dennoch machen sich einige europäische Spitzenbeamte bereits jetzt erste Gedanken. Nach Ansicht des Kommissars Günther Oettinger wäre der CSU-Vizevorsitzende und derzeitige Fraktionsvorsitzende der EVP Manfred Weber die ideale Besetzung: „Er würde das Amt des Kommissionspräsidenten hervorragend ausfüllen“. Gehandelt wird aber auch der Name des ehemaligen französischen Außenministers Michel Barnier von der Europäischen Volkspartei (EVP), der aktuell für die EU den Brexit verhandelt.

Bei den europäischen Sozialdemokraten werden derzeit die Kommissarin für Wettbewerb Margrethe Vestager und der Kommissar für die Energieunion Maroš Šefčovič als mögliche Kandidaten gehandelt.

FDP-Chef Lindner schätzt, dass die gerade Liberalen von der derzeitigen politischen Stimmung profitieren könnten. Die ALDE, die beim letzten Mal mit Guy Verhofstadt antrat, könnte sich neu aufstellen. Christian Lindner äußerte zudem Sympathie für die französische „En marche“-Bewegung. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron arbeitet bereits an einem Programm für eine paneuropäische sozialliberale Bewegung. Die Devise der „Progressiven Demokraten soll dabei auch nicht heißen „rechts gegen links“, sondern „progressiv gegen populistisch“. Fest steht für Nadja Hirsch, die Chefin der FDP-Abgeordneten im EU-Parlament: „Die Liberalen müssen ihre Kräfte bündeln, um dem Populismus in Europa etwas entgegenzusetzen.“

Besondere Gefahr für den europäischen Zusammenhalt droht tatsächlich von Seiten der Rechtskonservativen mit der Fraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“ (ENF). Der einstige Chefstratege des Wahlkampfes in den Vereinigten Staaten, Steve Bannon, plant zudem die Gründung einer Stiftung unter dem Titel „Movement“ und erhofft sich davon eine rechtspopulistische Revolte in Europa.

Im Sinne der europäischen Idee ist den Reformern zu wünschen, dass die angestrebte erhöhte Transparenz, die größere Bürgernähe und die gesteigerte Partizipation einem Rückfall in nationalstaatliches Denken, welches den Grundwerten der europäischen Union diametral widerspricht, nachhaltig entgegenwirken. Denn eines ist klar, die nächsten Wahlen werden für die Institutionen einen großen Einschnitt bedeuten. Im Parlament werden mindestens 50% der Abgeordneten neu einziehen und in der Kommission gehören aktuell nur noch zwei Kommissare amtierenden Regierungsparteien an, so dass auch hier einschneidende Veränderungen anstehen.

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