Gewissensentscheidung und Rechtsordnung

VII. Auf gewissenhafte Weise gewissenlos. Das Gewissen im Horizont der Unterscheidung der Person von ihren Werken.

51.

Das das Tun des Menschen verantwortende Gewissen hat nicht das Sein der Person zu verantworten.

52.

Als Person ist der Mensch durch Gott verantwortet, der ihn ex nihilo geschaffen, bejaht und im Tode Jesu Christi gerechtfertigt hat.

53.

Das Gewissen bezeugt die Person als Täter, aber nicht den Täter als Person.


54.

Als Täter wird der Mensch auf seine Taten angesprochen. Als Person ist er auf Gott und Gottes Tat angesprochen.

55.

Das Gewissen hat wegen der ihm eigenen Rigorosität die Tendenz, nicht nur gegen die Taten und insofern gegen die Person als Täter, sondern auch gegen den Täter als Person zu sprechen, indem sie die Person unter ihre Taten subsumiert und als Summe ihrer Taten mißversteht.

56.

Diese rigorose Tendenz des Gewissens verstärkt sich, wenn der im Gewissen vor sich selbst zitierte Mensch sich nicht mehr zugleich als vor Gott existierender Mensch erfährt und versteht. Dann tritt die Stimme des Gewissens an die Stelle des Wortes Gottes. Dann usurpiert das Gewissen das Richteramt Gottes und wird so gerade in seiner moralischen Rigorosität zur letzten Bastion der Sünde: sei es, daß es zum Ort der eigenmächtigen Selbstrechtfertigung, sei es, daß es zum Ort der zerstörerischen Selbstverurteilung wird.

57.

Theologische Anthropologie hat deshalb die Auffassung zu bestreiten, im Gewissen offenbare sich, daß das menschliche "Dasein als solches ... schuldig" ist. (41) Sie hat ebenso zu bestreiten, daß "die gewissenswidrige Handlung (oder Unterlassung) zum unwiderruflichen Bestandteil der Persönlichkeit" wird und daß "Gewissen ... nur haben" kann, "wer sich selbst töten kann".(42)

58.

Im Glauben an den rechtfertigenden Gott kommt es, weil der Glaube allein Gott Richter über die Person sein läßt, zur gewissenhaften Gewissen-losigkeit menschlicher Existenz: Der gerechtfertigte Sünder ist der von seinem anklagenden und verurteilenden Gewissen befreite Mensch. Er weiß sich nun zum vernünftigen Handeln befreit.

59.

"Du mußt nicht deinem Gewissen und Gefühl mehr glauben als dem Wort, das vom Herrn verkündigt wird, der die Sünder aufnimmt ..., weil du so mit dem Gewissen streiten kannst, daß du sagst: Du lügst, Christus hat recht, nicht du". (43)

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