Sexualisierte Gewalt: Betroffene fordern mehr Beteiligung

Bericht des Beteiligungsforums auf der EKD-Synode in Dresden

Das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der EKD und Diakonie (BeFo) berichtete bei der Synodentagung der EKD über seine Arbeit und den Stand des ForuM-Maßnahmenplans. Im Mittelpunkt standen die neue Anerkennungsrichtlinie, die Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKs) sowie die geplante Novelle der Gewaltschutzrichtlinie. Die Betroffenen würdigten die erzielten Fortschritte bei der Aufarbeitung, forderten jedoch mehr echte Beteiligung und beschleunigte Entscheidungsprozesse ein.

Beteiligungsforum

Auf der Synodentagung in Dresden stellte das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt in der EKD und Diakonie seinen aktuellen Bericht vor.

Dorothee Wüst, Sprecherin der Gruppe der kirchlichen und diakonischen Beauftragten,  betonte in ihrem Bericht an die Synode die Verantwortung von Kirche und Diakonie gegenüber Betroffenen sexualisierter Gewalt. Die neue Anerkennungsrichtlinie markiere für alle Beteiligten einen Kompromiss, allerdings auch „den ersten Standard zu Anerkennungsverfahren in Deutschland überhaupt, der nicht nur unter Mitwirkung, sondern von Anfang direkt zusammen mit betroffenen Personen erarbeitet wurde“, so Wüst. Die Richtlinie „steht und fällt damit, ob es uns gelingt, über unsere föderalen Schatten zu springen und einheitlich, klar und gemeinsam zu agieren.“ Priorität sollten betroffene Personen haben.

Zudem verwies Wüst auf die Bedeutung der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKs) und die enge Einbindung der Diakonie in den gemeinsamen Aufarbeitungsprozess. Die Rolle als Beteiligungsforum sei es, die Arbeit URAKs zu unterstützen, für Koordinierung zu sorgen und alle Beteiligten zu vernetzen.

Die Diakonie Deutschland sei von Beginn an im BeFo vertreten und habe ihre Perspektive kontinuierlich eingebracht; inzwischen sei ihre Rolle noch stärker verankert – sichtbar in der erweiterten Namensgebung, der engen Zusammenarbeit der Fachstellen und der finanziellen Beteiligung. Dorothee Wüst zeigte sich dankbar über die erreichten Fortschritte, betonte jedoch, dass noch viel zu tun bleibe, um den Betroffenen gerecht zu werden und den begonnenen Weg konsequent fortzusetzen.

Dorothee Wüst
Dorothee Wüst

„Ich erwarte unmissverständlich eine Realität, die gemeinsam Haltung zeigt, betroffenenorientierte Prioritäten setzt und es trotz aller kirchlich-diakonischen Diversität endlich schafft, zeitnah und konsequent, einheitlich und verbindlich einen Standard von Anerkennung zu leben, der für alle betroffenen Personen Verlässlichkeit schafft.“

Dorothee Wüst Sprecherin der Gruppe der Beauftragten

Betroffene fordern einheitliche Umsetzung

Nancy Janz, Sprecherin der Betroffenen im Beteiligungsforum, würdigte die erzielten Fortschritte wie die neue Anerkennungsrichtlinie und die unabhängigen Aufarbeitungskommissionen und die intensivere Zusammenarbeit zwischen Kirche und Diakonie. „Diese Richtlinie ist ein Meilenstein – doch nur, wenn sie tatsächlich umgesetzt wird, und zwar einheitlich“, mahnte sie. „Ich warne davor, dass die Anerkennungsrichtlinie erneut in föderalen Einzelwegen zerfällt. Dass jede Landeskirche, jeder Landesverband wieder eigene Grenzen zieht. Nichts wäre fataler.“

Janz rief in Erinnerung, dass die Richtlinie etwas zu regeln versuche, „das sich eigentlich nicht regeln lässt. Sexualisierte Gewalt und Missbrauch sind schwerste Verbrechen. Hier kann es keine Gerechtigkeit geben. Kein Geld, keine Summe, keine Richtlinie kann wiedergutmachen, was Menschen angetan wurde.“ Umso schmerzlicher sei es, „wenn Menschen aus Kirche und Diakonie so zäh verhandeln, als wären sie auf einem Basar“, führte Janz weiter aus. Kern der Anerkennungsrichtlinie sei es schließlich, die Folgeschäden für Betroffene nach diesen Verbrechen zu berücksichtigen.

Aus Sicht der Betroffenen stelle sich grundsätzlich die Frage, wer Macht habe und bereit sei, diese zu teilen. Das Beteiligungsforum habe nur so viel Einfluss, wie Kirche und Diakonie bereit seien, ihm zuzuerkennen, mahnte Janz. „Macht, die sich nicht bewegt, ist Missbrauch“, betonte sie und appellierte an die Synodalen: „Ihr alle seid die Leitung dieser Kirche. Ihr alle könnt Verantwortung übernehmen. Ihr habt Macht.“

Wer dabei zuschaue, wie die Papierberge und Prozesse wüchsen, schütze nicht die Kirche, sondern die Strukturen, die Menschen zutiefst verletzt hätten, kritisierte Janz. Kirche und Diakonie seien weiterhin gefordert, ihrer Verantwortung nachzukommen.

Das Beteiligungsforum sei dennoch kein Ort der Ohnmacht, führte Janz abschließend aus. „Es ist für uns alle ein Ort der Auseinandersetzung, des Lernens und auch des Scheiterns. Aber vor allem ist es ein Ort, an dem wir Betroffenen unsere Stimme erheben – und mit ihr Verantwortung übernehmen, mitgestalten, mitentscheiden. Das ist Macht – im besten Sinne.“

Nancy Janz
Nancy Janz

„Teilt eure Macht – oder verliert eure Glaubwürdigkeit. Diese Kirche kann Aufarbeitung nicht von oben verordnen. Sie muss die Verantwortung dafür übernehmen. Und: Sie muss sie teilen.“

Nancy Janz Sprecherin der Gruppe der Betroffenen

Zentrale Punkte zur Umsetzung des ForuM-Maßnahmenplans

Der ForuM-Maßnahmenplan prägt aktuell die Arbeit von Kirche und Diakonie zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt und befindet sich in der aktiven Umsetzungsphase. Seit dem 1. Januar 2025 koordiniert eine befristete Projektstelle bei der EKD in enger Abstimmung mit dem Beteiligungsforum und der Diakonie Deutschland die Umsetzung. Im Mittelpunkt stehen die Reform der Gewaltschutzrichtlinie und die Einrichtung einer zentralen Ombudsstelle.  Maßnahmen zu Schulung, Beteiligung und Sensibilisierung zeigen bereits Fortschritte.

 

Novelle der Gewaltschutzrichtlinie der EKD
Eine der zentralen und umfassendsten Maßnahmen. Eine Arbeitsgruppe mit rund 30 Vertreter*innen aus Kirche, Diakonie, Betroffenenvertretungen und Fachstellen arbeitet an einer grundlegenden Überarbeitung. Ziel ist es, die bestehenden Standards für Prävention, Intervention und Schutzkonzepte in allen Landeskirchen und diakonischen Verbänden zu schärfen und zu vereinheitlichen.

Einrichtung einer zentralen Ombudsstelle
Bis Ende 2026 soll eine Beschwerdestelle für Betroffene entstehen. Ein Konzeptentwurf wurde erarbeitet und wird derzeit im Beteiligungsforum weiterentwickelt, um Doppelstrukturen zu vermeiden und Zuständigkeiten klar zu regeln.

Standards in Aus-, Fort- und Weiterbildung
Es wurden erste gemeinsame Standards zur Anerkennung kirchlich-diakonischer Ausbildungsstätten festgelegt. Künftig soll das Thema sexualisierte Gewalt stärker in die Pfarramtsausbildung und andere Berufsprofile integriert werden, mit Fokus auf Reflexion von Macht und Rolle.

Beteiligung und Kooperation
Das Kammernetzwerk arbeitet in Projektgruppen, an denen auch Betroffene als Expert*innen mitwirken. Ergebnisse werden bis Ende der Ratsperiode erwartet.

Sensibilisierung
Breite Schulungsinitiativen laufen; Multiplikator*innen werden gezielt geschult, um in allen kirchlich-diakonischen Bereichen zu sensibilisieren. Landeskirchen und -verbände entwickeln zielgruppenorientierte Formate und Curricula, z. B. für diakonische Arbeitsfelder.

Erinnerungskultur
Erste Ideen für angemessenes Erinnern werden in Landeskirchen und im Beteiligungsforum entwickelt. Die Arbeit der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKs) könnte langfristig auch hier weitere Impulse liefern.

Vereinheitlichung der Personal- und Disziplinaraktenführung
Die Ergebnisse der ForuM-Studie zur Aktenführung werden in einen laufenden Reformprozess integriert, der sich jedoch verzögert hat. Dennoch wurden hier die Erkenntnisse aus ForuM ausgewertet und bereits ein Gutachten angefordert, um die Bearbeitung zeitnah fortsetzen zu können.

 

So blicken Betroffene auf den ForuM-Maßnahmenplan

Matthias Schwarz bewertete den ForuM-Maßnahmenplan aus Sicht der Betroffenen ambivalent. Auf den ersten Blick, so sagte er, bringe der Plan für Betroffene im Alltag wenig spürbare Verbesserungen – Maßnahmen wie die Novelle der Gewaltschutzrichtlinie wirkten zunächst abstrakt und weit entfernt von den konkreten Problemen Betroffener. Auf den zweiten Blick hob er positiv hervor, dass die Einrichtung einer Ombudsstelle in Arbeit sei und das Recht auf Aufarbeitung verankert wurde – kritisierte aber, dass die Umsetzung erst 2026 zu erwarten sei und manches im Zeitplan nach hinten gerutscht sei.

Auf den dritten Blick sah Schwarz durchaus potenzielles Veränderungspotenzial: Wenn die Maßnahmen konsequent umgesetzt würden, könnten sie künftig dazu beitragen, dass mit aktuellen Fällen besser umgegangen wird, Gemeinden und Einrichtungen sicherere Räume werden und Verfahren vergleichbarer und gerechter ablaufen.

Gleichzeitig warnte er vor drei  Gefahren in der Umsetzung:

  • Die Arbeit an der Gewaltschutzrichtlinie zeige, wie groß und komplex die Aufgabe sei – Betroffene im Beteiligungsforum stießen dabei an ihre Grenzen und spürten ein deutliches Machtgefälle gegenüber kirchlichen und diakonischen Stellen, Entscheidungsträger*innen und Expert*innen aus anderen Bereichen.
  • Zwischen Kirche und Diakonie bestünden strukturelle und rechtliche Unterschiede, die die Umsetzung erschwerten; es bleibe offen, ob sich diese Differenzen wirklich überwinden ließen.
  • In vielen Bereichen sei die Tatsache sexualisierter Gewalt noch nicht in den Leitungen angekommen – manche diakonische Einrichtungen zeigten geringe Bereitschaft zur Mitarbeit, und in Gemeinden höre man oft: „Es ist doch mal gut.“

Sein Fazit: Nach einem Jahr lasse sich noch kein abschließendes Urteil ziehen – der ForuM-Maßnahmenplan sei ein notwendiger Anfang, doch seine Wirksamkeit für Betroffene müsse sich erst noch zeigen.

Bericht des BeteiligungsForums Sexualisierte Gewalt auf der Synode 2025

Das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt berichtete auf der Synode in Dresden über den Stand der Aufarbeitung und den ForuM-Maßnahmenplan. Betroffene forderten mehr Beteiligung und schnellere Entscheidungsprozesse.

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