Zusammenleben gestalten

5. Umsetzungsbereiche und Strategien

  1. Deutschland als weltoffenes Land mit einem Klima von Akzeptanz und Toleranz zu gestalten und das Zusammenleben aller hier lebenden Menschen unabhängig von ihrer nationalen, kulturellen und religiösen Prägung zu fördern, ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von vorrangiger Bedeutung. Dabei kommt der Politik eine besondere und grundlegende Verantwortung zu.
  2. Personen in politischen Funktionen tragen eine große Verantwortung und moralische Verpflichtung, weil sie nicht nur Politik gestalten und umsetzen, sondern auch öffentliche Meinung bilden und beeinflussen. Sie dürfen nicht der Gefahr erliegen, mit Wort oder Tat die notwendige Integration zu erschweren. Schlagwortartige Vereinfachungen von differenziert zu betrachtenden Integrationsfragen oder eine Wortwahl, die desintegrierenden Stimmungen Vorschub leistet, sind zu vermeiden. Die Fragen von Zuwanderung und Integration, von Minderheiten- und Menschenrechten dürfen nicht benutzt werden, um Stimmungen in Wahlkämpfen zu erzeugen.
  3. Darüber hinaus ist jeder Einzelne als Teil der Gesellschaft auch Teil der öffentlichen Meinung und damit meinungsbildend. Deshalb ist jeder aufgerufen, einen aktiven Beitrag für Akzeptanz, Dialog, Verständigung und ein gelingendes Zusammenleben zu leisten. Die zahlreichen Gruppen und Initiativen, auch in den Kirchengemeinden, die in diesem Sinn aktiv sind, benötigen Anerkennung und Unterstützung. Sie dürfen nicht durch rechtliche und politische Vorgaben demotiviert oder gar ausgegrenzt werden.
  4. Die Ernennung von Migrations- und Integrationsbeauftragten kann im kirchlichen und im politischen Bereich wie auf anderen gesellschaftlichen Feldern das Bewusstsein für Integration und die Verbreitung und Akzeptanz von praktischen Modellen des Zusammenlebens fördern.
  5. Die Fragen von Zuwanderung und Integration sind in Teilen der Bevölkerung mit Vorurteilen und Ängsten besetzt. Offene oder verdeckte Fremdenfeindlichkeit sind weit verbreitet. Gewalttätige Ausschreitungen gegen Ausländer haben erschreckende Ausmaße erreicht. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Es muss entschieden widersprochen werden, wenn Migranten zu Sündenböcken für ungelöste gesellschaftliche Probleme gemacht werden.
  6. Besondere Anstrengungen gegen verbreitete Fremdenfeindlichkeit, gegen Rassismus und Gewalt sind notwendig, um ein zukunfts- und friedensfähiges gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen. Die Kirchen leisten dazu wichtige Beiträge in bundesweiter Zusammenarbeit, unter anderem mit der seit mehr als 25 Jahren bestehenden Woche der ausländischen Mitbürger/Interkulturelle Woche, dem Arbeitsvorhaben der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland zur Überwindung von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt sowie Aktivitäten zur Ökumenischen Dekade zur Überwindung von Gewalt.
  7. Integrationspolitik muss als gemeinsame Aufgabe aller Ressorts und Ebenen der öffentlichen Hand verstanden und gestaltet werden. Für den erforderlichen Konsens über Aufgabenteilung und finanzielle Verpflichtungen ist auch auf Bundesebene eine verstärkte Koordinierung notwendig. Dafür sollte das neue Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet werden.
  8. Für die konzeptionelle Zusammenfassung der oben genannten integrationspolitischen Elemente und Erfordernisse und ihre Umsetzung sind Integrationsräte erforderlich, an denen Kirchen, Wohlfahrtsverbände, Arbeitgebervereinigungen, Gewerkschaften, Vertreter der öffentlichen Hand sowie Selbstorganisationen der Migranten beteiligt sind. Die lokalen Kirchengemeinden sollten dabei, wo immer möglich, die Zusammenarbeit mit entsprechenden Bürgergruppen suchen, die auf der lokalen Ebene aktiv sind.
  9. Der Staat hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen für Integration zu schaffen. Die Kirchen sehen es als ihre Aufgabe an, Sinn zu vermitteln, Zeugnis und Dienst auszurichten und diakonische Tätigkeiten, Bildungsaufgaben und Anwaltschaft für Benachteiligte entsprechend dem Prinzip der Subsidiarität in eigener Gestaltung wahrzunehmen. Die Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft der Kirche hängt wesentlich davon ab, dass sie dies in theologischer Verantwortung, in selbstkritischer Reflexion und in tätigem Einsatz für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwürde tut.
  10. Deswegen werden die Kirchen angesichts des multireligiösen und interkulturellen Zusammenlebens weiterhin vermehrte Anstrengungen unternehmen, um die integrierende Funktion des Glaubens, der religiösen Praxis wie des sozialen Handelns zu stärken. Dies ist zugleich ein Beitrag, Grundwerte und Grundlagen, auf denen sich ein Gemeinwesen mit menschlichem Gesicht gründet, immer wieder neu mit Leben zu füllen.
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