Der verlorene Sohn

Zwei Hände übereinander

Eine Männergeschichte. Und eine Dreiecksgeschichte dazu. Ein Vater, zwei Söhne. Der jüngere will nicht warten, bis der Vater tot ist, sondern fordert kalt und unsensibel noch zu dessen Lebzeiten den Teil des Vermögens, der ihm zusteht. Er erhält ihn, macht ihn zu Geld. Macht sich vom Acker, setzt sich von Haus und Familie, vom eigenen Volk und Land ab und zieht in die Fremde. Er verschleudert und vergeudet alles in einem, wie Walter Jens übersetzt, ehrlosen Leben, und bald geht es ihm richtig dreckig.

Eine Hungersnot plagt das Land. Sie zu überleben, hat seinen Preis. Der junge Mann hat wenig Wahl, verdingt sich bei einem Gutsherrn. Der schickt ihn aufs Feld und lässt ihn seine Säue hüten. Da diese zu den unreinen Tieren zählen, kommt dieser Job einer außerordentlichen Erniedrigung gleich. Damit nicht genug: Nicht einmal ein Anteil an dem Schweinefraß ist ihm gegönnt. So liegt es nahe, dass der verlorene Sohn sich der Tagelöhner seines Vaters erinnert, die Brot in Fülle haben, während er vor Hunger schier umkommt. Vom Elend zermürbt, beschließt er, heimzukehren. Durchaus mit Unrechtsbewusstsein und im Klaren darüber, dass er sich schäbig benommen hat und allenfalls darauf rechnen darf, in niedrige Dienste genommen zu werden.

Doch alles kommt ganz anders. Der alte Vater reagiert keineswegs zornig. Offenbar hat er insgeheim auf diese Rückkehr gehofft. Nun geht er – im Orient fast ein Skandal – dem Ehrlosen entgegen, umarmt und küsst ihn zum Zeichen der Vergebung. Er erhält ein feines Gewand, Sandalen an die Füße, einen Ring als Symbol des freien Mannes. Und bald steigt eine üppige Fete, die das gemästete Kalb das Leben kostet. O-Ton Vater: „Wir wollen Mahlzeit halten und feiern, und alle sollen sich freuen. Denn mein Kind hier war tot und ist lebendig geworden; es war verloren und ist wiedergefunden“ (Walter Jens).

Fröhlichkeit kann lärmen. Das irritiert den älteren Sohn auf dem Feld, der auf das, was sich hier abspielt, zornig und trotzig reagiert. Für ihn gab es nie ein Fest. So fühlt er, der dem Vater viele Jahre treu gedient hat, sich doch arg ungerecht behandelt. Eine allzu menschliche Regung. Ob er sich schließlich noch überreden lässt, mitzufeiern, lässt die Geschichte offen.

Die Erzählung von diesen drei Menschen ohne Namen, eine der bekanntesten im Neuen Testament, ist ein Gleichnis. Jesus liebt Gleichnisse, kurze Alltagsgeschichten, die bei Verhältnissen ansetzen, die jeder und jede aus eigener Anschauung kennt. Die von wenigen Personen handeln und eine moralische Botschaft haben. Und in denen jede Figur ihre Bedeutung hat.

In der Geschichte vom verlorenen Sohn steht dieser jüngere für die Sünder. Der Vater verkörpert Gottes Barmherzigkeit über die Reumütigen. Der ältere Sohn spiegelt, wie „Die faszinierende Welt der Bibel“ uns belehrt, „die selbstgerechte Haltung derjenigen, die ihre Schätze für sich behalten wollen. Man kann das Gleichnis als Mahnung sehen, aber auch als Appell an die Menschen, ihre Denkweise in Frage zu stellen.

Hans-Albrecht Pflästerer
JS-Magazin - Zeitschrift der Evangelischen Kirche für junge Soldaten

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