Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016

Aufbruch zu neuen Ufern? - Europa will Verteidigungszusammenarbeit verbessern

Julia Maria Eichler

Die Europäische Kommission hat am 30. November 2016 einen Verteidigungsaktionsplan veröffentlicht. Dieser sieht unter anderem einen Europäischen Verteidigungsfonds vor, den Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits in seiner Rede zur Lage der Union am 9. September 2016 angekündigt hatte. Der Zeitpunkt ist kein Zufall.


Denn seit Monaten steht das Thema Sicherheit und Verteidigung ganz oben auf der Agenda der Europäischen Union. Dabei waren die Terroranschläge und die sogenannte "Migrationskrise" an den europäischen Außengrenzen nur ein Auslöser für die Geschäftigkeit. Angesichts der zunehmenden Europaskepsis sind die Europäischen Institutionen und die pro-europäischen Kräfte seit Längerem auf der Suche nach dem nächsten großen Projekt, das die europäische Idee wieder besser an die Bürger vermitteln kann.  Mit der Entscheidung der Briten, die Europäischen Union zu verlassen, sehen sich die übrigen Mitgliedstaaten gezwungen Einigkeit zu demonstrieren, und Antworten auf den Desintegrationstrend zu liefern. Die großen Divergenzen  zwischen den Mitgliedstaaten bei vielen Themen lassen sich am Ehesten bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik überbrücken. Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hatte gemeinsam mit ihrem französischen Kollegen Jean-Yves Le Drian bereits Anfang September Vorschläge für eine vertiefte Zusammenarbeit bei der Verteidigungspolitik geliefert. Zudem verlässt mit den Briten auch das Land die EU, das bisher in Frage der Sicherheits- und Verteidigungspolitik immer auf der Bremse gestanden war. Dass der Vorstoß durch die Wahl eines neuen US-Präsidenten, der die Bündnistreue der Nato-Partnerschaft in Frage stellt und als künftige Devise "America first" ausgibt, beflügelt worden ist, ließ auch Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker anklingen.


"Wenn wir in Europa uns nicht um unsere Sicherheit kümmern, wird es auch sonst niemand tun.", sagte dieser bei der Vorstellung des Aktionsplans. Der europäische Verteidigungsmarkt kranke unter der Fragmentierung und der nicht ausreichenden Zusammenarbeit, heißt es im Aktionsplan. Obwohl die EU die zweithöchsten Militärausgaben nach den USA weltweit habe, leide die EU unter den ineffizienten Ausgaben aufgrund von Duplikationen, der mangelhaften Interoperabilität und technischer Lücken.


Die Kommission geht davon aus, dass die überwiegende Entwicklung von Rüstungsgütern auf nationaler Ebene und die mangelnde Kooperation die Mitgliedstaaten jährlich 25-100 Milliarden Euro kosten würden. Derzeit werde in der Verteidigungsindustrie jährlich 100 Milliarden Umsatz erwirtschaftet und 1,4 Millionen Menschen arbeiteten direkt oder indirekt in der Verteidigungsindustrie.


Der EU-Verteidigungsfonds sieht nun vor, die verfügbaren Ressourcen besser zu nutzen. Er soll sich hierfür aus einem "Forschungsfenster" und einem "Fähigkeitenfenster" zusammensetzen. Im Bereich "Fähigkeiten"  sollen rund fünf Milliarden Euro jährlich für die gemeinsame und damit preiswertere Beschaffung von Rüstungsgütern und Technologie mobilisiert werden, damit Staaten gemeinsam in Technik und Gerätschaften investieren können. Verteidigungsfähigkeiten umfassen dabei militärische Mittel, einschließlich dem materieller Ausrüstung und Technologien. Die vorgesehenen 5 Milliarden würden 2,5 % der gesamten nationalen Verteidigungsausgaben innerhalb der EU und 14 % der nationalen Ausgaben für Verteidigungsfähigkeiten gleichkommen. Zu näheren Bestimmung des notwendigen Umfangs plant die Kommission eine Studie. Damit die Mitgliedstaaten auch in den Fonds einzahlen, sollen die Beiträge der Mitgliedstaaten nicht in die Berechnung der nationalen Haushaltsdefizite im Rahmen des Wachstums- und Stabilitätspakt einfließen. Die Europäische Kommission betonte dabei, dass dies kein erster Schritt zum Aufbau einer Europäischen Armee sei.  


Im Bereich "Forschung" sollen bereits verfügbare Mittel aus dem EU-Haushalt zur Finanzierung der Forschungszusammenarbeit verwendet werden. Durch den Fonds sollen die gemeinsame Finanzierung von Entwicklung und die Beschaffung von strategischen Fähigkeiten-Prioritäten vorangetrieben werden. Die Kommission plant 2017 eine vorbereitende Maßnahme  mit einem Budget von 90 Millionen Euro für den Zeitraum 2017-2019, umden Mehrwert der Unterstützung durch das EU-Budget  für die Verteidigungsforschung zu testen. Ab 2020 soll es dann ein spezielles Verteidigungsforschungsprogramm mit Mitteln von rund 500 Millionen Euro pro Jahr innerhalb des mehrjährigen Finanzrahmens kreiert werden.


Ein neu zu schaffender Koordinierungsausschusses bestehend aus Vertretern der Mitgliedstaaten, der Hohen Vertreterin, der Europäischen Verteidigungsagentur, Kommission und Industrie soll für die notwendige Kohärenz zwischen dem "Forschungsfenster" und dem "Fähigkeitenfenster" sorgen.


Der Aktionsplan sieht zudem vor, dass die Richtlinien zur Vergabe von Aufträgen (2009/81/EG) und die Verbringung von Verteidigungsgütern (2009/43/EG) in der Praxis vollständig angewendet werden. So soll die Beteiligung an Ausschreibungen in anderen Mitgliedstaaten erleichtert werden und die Weiterentwicklung von Industrienormen den Binnenmarkt für Rüstungsgüter vertiefen. Mehr Wettbewerb und eine größere Offenheit der Verteidigungsmärkte in Europa sollen den europäischen Verteidigungsmarkt wettbewerbsfähiger machen.
Innovationen sollen durch die Förderung von Unternehmen in der Verteidigungsentwicklung mit Hilfe des EU-Struktur- und Investitionsfonds, des Europäische Fonds für Regionale Entwicklung sowie der Europäischen Investitionsbank (EIB) erleichtert werden. Gerade kleine und mittlere Unternehmen und Start-ups seien entscheidend für die Entwicklung von Innovationen und neue Technologien. Für sie sei es besonders wichtig, Zugang zu Kapital zu erhalten. Finanzinstitutionen würden aber davor zurückschrecken, diese Unternehmen wegen den Risiken die im Verteidigungssektor involviert sind, zu unterstützen. Die EIB könne etwa Kredite, Garantien oder Eigenkapitalprodukte für die Ausweitung von Aktivitäten mit doppeltem Verwendungszweck zur Verfügung stellen. Auch Vergabekriterien könnten für den Verteidigungssektor angepasst werden. Das von der Europäischen Kommission gegründete Netzwerk von im Verteidigungssektor engagierten Regionen soll hier auch für den Austausch von guten Praktiken genutzt werden. Zudem soll auch die Europäische Agenda für neue Kompetenzen, "Erasmus+" und anderer Initiativen genutzt werden, um den Fachkräftemangel durch Qualifikationen anzugehen. Synergien zwischen dem Verteidigungsbereich und anderen EU-Politikbereichen und deren Kohärenz sollen verstärkt werden.


Michael Gahler (EVP), Mitglied im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung (SEDE) des Europäischen Parlaments kritisierte den Aktionsplan als verfehlt. "Der Verteidigungsaktionsplan umfasst viele richtige Dinge, aber wir haben keinen Mangel an Plänen, sondern ein eklatantes Umsetzungsdefizit.", so der Abgeordnete. Beschlossene Maßnahmen müssten endlich vollzogen werden. "Wo sind das EU-weite System der Versorgungssicherheit, das Grünbuch über die Kontrolle der verteidigungsindustriellen Kapazitäten und die rechtsverbindliche Einführung von hybriden zivil-militärischen Standards?"

Den Verteidigungsaktionsplan finden Sie hier: http://ekd.be/Verteidigungsaktionsplan

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