Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016

Der Kampf um die Rechtsstaatlichkeit in Polen geht in die nächste Runde

Damian Patting (Rechtsreferendar)

Der Dialog der Europäischen Kommission mit Polen über die dortigen rechtsstaatlichen Verhältnisse findet kein Ende: Die polnische Regierung stemmt sich weiter gegen die Empfehlungen, welche das europäische Exekutiv-organ ihr gegenüber am 27. Juli 2016 ausgesprochen hatte (EKD-Europa-Informationen Nr. 152).
Am 27. Oktober 2016 ist die dreimonatige Frist, welche der polnischen Regierung zur Reaktion auf die Empfehlung gesetzt worden war, abgelaufen.


Darin monierte die Kommission im Wesentlichen drei Punkte: erstens missbilligte sie als Hüterin der Verträge den Umstand, dass sich  das neue polnische Parlament über die vom früheren Parlament vorgenommene Verfassungsrichterwahl hinwegsetzte. Zweitens kritisierte die Kommission, dass die polnische Regierung gerade die  Veröffentlichung und Umsetzung  jener Verfassungsgerichtsurteile verhinderte, welche die von der polnischen Regierung initiierte Verfassungsreform als verfassungswidrig qualifizieren. Drittens bemängelte die Kommission, dass die neuen Vorschriften zur Arbeitsweise des Verfassungsgerichts eine vollumfängliche, wirksame verfassungsgerichtliche Prüfung neuer Rechtsnormen nicht gewährleisten würden.


Diese zweite Stufe des Rechtsstaatsdialog war eingeleitet worden, nachdem die Kommission klare Anzeichen für eine systembedingte Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen ausgemacht hatte. Die daraufhin an Polen gesandte Stellungnahme und der begonnene Dialog mit Polen, hatten keine Verbesserungen erbracht (Siehe EKD-Europa Informationen Nr. 151).


Doch auch nach den letzten Änderungen bis hin zum Gesetzesentwurf vom Vortag des Fristablaufs, scheint es weiterhin so, als entferne sich der polnische Verfassungsstaat immer weiter von den Wesenszügen einer rechtsstaatlichen und demokratischen Grundordnung.
Eine dezidierte Positionierung der Kommission dazu bleibt ebenso abzuwarten, wie zu den kürzlich vorgenommenen legislativen Vorstößen, welche einschneidende Verkürzungen des personellen Schutzbereichs im Versammlungsrecht zum Gegenstand haben.


Die polnische Regierung lehnt jede Einmischung durch die EU-Institutionen ab. "Das sind keine sachlichen Empfehlungen, die wir aus Brüssel bekommen haben. Wir haben vielmehr den Eindruck, dass sie einem politischen Diktat entspringen", sagte die Ministerpräsidentin Polens Beata Szydlo anlässlich des Ablaufs des Ultimatums am  27. Oktober 2016.


Sollte die Kommission zu dem Ergebnis kommen, dass die vorgenommenen Änderungen nicht ausreichen, könnte als Folgemaßnahme das Verfahren nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) aktiviert werden (s. EKD-Europa-Informationen Nr. 151). Dieses Verfahren sieht vor, dass bei Feststellung einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der Rechtsstaatlichkeit bestimmte Rechte - so etwa das Stimmrecht im Rat - entzogen werden könnten.


Grundvoraussetzung für ein Verfahren nach Artikel 7 EUV wäre ein begründeter Vorschlag eines Drittels der Mitgliedstaaten, des Europäischen Parlaments oder der Kommission. Für den Beschluss von Sanktionen wäre darüber hinaus im Rat sogar Einstimmigkeit erforderlich. Dass diese Sanktionsoption zum Einsatz kommt, dürfte nicht bloß  wegen des zu erwartenden Vetos Ungarns unmöglich sein. Es bleibt also festzuhalten: Während die Anforderungen für die Einhaltung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten für Mitgliedschaftsanwärter sehr hoch sind, sind die Mittel der EU, ihre Mitgliedstaaten zur Wahrung dieser Grundwerte anzuhalten, sehr begrenzt.


Das Europäische Parlament möchte diesem Problem mit einem Pakt zur Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und den Grundrechten begegnen.


Auf die Initiative der liberalen Abgeordneten  Sophie in't Veld hin hat deshalb das Parlament in Straßburg am 25. Oktober 2016 mit 405 Stimmen bei 171 Gegenstimmen und 39 Enthaltungen eine Resolution verabschiedet, welche die Forderung eines jährlichen Rechte-"Monitoring" aller Mitgliedsstaaten zum Gegenstand hat. Die Parlamentarier richten damit den Auftrag an die Kommission, bis September 2017 einen Vorschlag für einen Pakt zur Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und die Grundrechte in Gestalt einer interinstitutionellen Vereinbarung vorzulegen.


Nach Vorstellung der Abgeordneten sollte die EU- Kommission jährlich nach Konsultation eines Gremiums aus unabhängigen Sachverständigen - vergleichbar etwa mit der Venedig-Kommission des Europarates - einen Lagebericht  in den einzelnen Mitgliedsstaaten aufstellen, der länderspezifische Empfehlungen zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten enthalten würde. Weiterhin hat das Parlament mit dieser Resolution angeregt, die Sanktionsoptionen insbesondere um finanzielle Sanktionen, etwa die Aussetzung von Finanzhilfen, zu erweitern.


Der Pakt zur Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten wäre damit das dritte Instrument, das zur Kontrolle der Einhaltung der europäischen Gründungswerte geschaffen wird. Denn neben dem Rechtsstaatsdialog der Kommission, führen auch die Mitgliedstaaten einen jährlichen Dialog über die Rechtsstaatlichkeit.


Es bleibt abzuwarten, ob ein weiteres Instrument dem sich wandelnden Verständnis von Rechtstaatlichkeit und Demokratie in einigen Mitgliedstaaten wirkungsvoll begegnen kann.

Die Resolution des Europäischen Parlaments finden Sie hier: http://ekd.be/Resolution_EP_zur_Rechtsstaatlichkeit_in_Polen

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