Europa-Informationen, Ausgabe 153, Dezember 2016

Fehlentwicklung: Neuansiedlung als Instrument der Migrationssteuerung

OKR'in Katrin Hatzinger

Am 13. Juli 2016 hat die EU-Kommission einen EU-Neuansiedlungsrahmen vorgeschlagen. Damit soll eine gemeinsame europäische Neuansiedlungspolitik geschaffen werden, die gewährleistet, dass Personen, die internationalen Schutz benötigen, geordnete und sichere Wege nach Europa zur Verfügung stehen.
Durch den Vorschlag soll ein dauerhafter Rahmen mit einem einheitlichen Verfahren für die Neuansiedlung innerhalb der EU geschaffen werden, so die EU-Kommission. Die Mitgliedstaaten entscheiden jedoch weiterhin selbst, wie viele Menschen alljährlich neu angesiedelt werden. Die EU will die nationalen Anstrengungen koordinieren und die Wirkung durch ein gemeinsames Vorgehen erhöhen. Der künftige Neuansiedlungsrahmen soll durch jährliche EU-Neuansiedlungspläne umgesetzt werden, die vom Rat auf Vorschlag der Kommission angenommen und durch gezielte, von der Kommission angenommene EU-Neuansiedlungsprogramme in die Praxis umgesetzt werden. In den EU-Neuansiedlungsplänen sollen die allgemeinen geografischen Prioritäten, auf deren Grundlage die Neuansiedlungen erfolgen sollen, festgelegt werden. Außerdem soll die Gesamtzahl der im folgenden Jahr neu anzusiedelnden Personen bestimmt werden. Grundlage für den jährlichen Neuansiedlungsplan sollen die Beiträge der Mitgliedstaaten und assoziierten Schengen-Länder sein.
Im EU-Neuansiedlungsrahmen sollen ferner auch gemeinsame Standardverfahren für die Auswahl und Behandlung von Neuansiedlungskandidaten festgelegt werden. Der Neuansiedlungsrahmen enthält daneben die Kriterien, die bei der Bestimmung der Gebiete oder Drittstaaten, aus denen die Neuansiedlung erfolgen soll, berücksichtigt werden sollen, u.a. die Anzahl schutzbedürftiger Personen in bestimmten Drittstaaten, die allgemeinen Beziehungen der EU zu diesen Drittstaaten sowie deren wirksame Zusammenarbeit im Bereich Asyl und Migration einschließlich der Weiterentwicklung ihres Asylsystems und der Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der irregulären Migration sowie in den Bereichen Rückübernahme, Rückkehr und Rückführung.
Zur Unterstützung der Neuansiedlungsbemühungen der Mitgliedstaaten will die Kommission für jede neu angesiedelte Person 10 000 EUR aus dem Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) zur Verfügung stellen.


Der Vorschlag der Kommission ist auf viel Kritik gestoßen, sowohl bei Organisationen der Zivilgesellschaft (NGOs) als auch beim Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), der ein besonderes UN-Mandat zur Umsetzung der Neuansiedlungsaktivitäten besitzt. Die Hauptkritik beruht darauf, dass die Kommission das Schutzkonzept der Neuansiedlung als dauerhafte Lösung verkennt und es zunehmend als Instrument der Migrationskontrolle anwenden will, indem sie beispielsweise plant, Neuansiedlungsplätze im Gegenzug zu abgeschlossenen Rückführungsabkommen anzubieten (Art. 4 d). Dabei ist "Resettlement" ein reines Schutzinstrument gerade für besonders Schutzbedürftige, das den Flüchtlingen bei ihrer Ankunft auch einen Flüchtlingsstatus verschaffen sollte. Der Vorschlag sieht jedoch auch vor, dass lediglich subsidiärer Schutz gewährt werden kann.


Dementsprechend fordern NGOs und der UNHCR, dass der Vorschlag mit dem bereits existierenden internationalen Rahmen für Neuansiedlung in Einklang gebracht wird und insbesondere die besondere Verantwortung des UNHCR im Neuansiedlungsverfahren anerkannt und beachtet wird. Fragwürdig ist auch die Definition von Neuansiedlung in Artikel 2 des Kommissionsvorschlags, der von der weltweit bislang akzeptierten Definition abweicht und z.B. hinsichtlich der Auswahlkriterien Änderungen vorsieht. Darüber hinaus ist nur der UNHCR ermächtigt, besonders schutzbedürftige Flüchtlinge, die für die Neuansiedlung in Betracht kommen zu identifizieren, nicht die Mitgliedstaaten selbst, wie von der Kommission in Artikel 10 des Vorschlags avisiert. Das heißt auch, dass die Möglichkeit, gewissen Flüchtlingsgruppen Präferenzen einzuräumen, nicht dazu führen darf, dass einzelne Individuen, die für eine Neuansiedlung ebenfalls in Betracht kämen, keine Chance erhalten. Auch wirft ein neu zu schaffender hochrangiger Neuansiedlungsausschuss (Art.13) viele Fragen im Hinblick auf dessen Aufgabe und konkrete Rolle auf. Es besteht die Gefahr, dass mit dem Kommissionsvorschlag für einen EU-Neuansiedlungsrahmen unnötige Doppelstrukturen geschaffen werden, etwa zur alljährlichen Neuansiedlungskonferenz aus UNHCR, Staaten und NGOs (Annual Tripartite Conference). Daneben besteht die Gefahr, dass der Vorschlag die Unterschiede zwischen Neuansiedlung als Schutzinstrument für besonders Schutzbedürftige und der Familienzusammenführung verwischt (Art. 5 b ii). Letztere ist unabhängig von Quoten und Zielen und dient dazu, dem Grundrecht auf Familieneinheit gerecht zu werden. "Resettlement"  sollte gerade nicht in Fällen angewendet werden, in denen ein Recht auf Familienzusammenführung besteht. Schließlich sollte der angestrebte Umfang des Rahmens der weltweiten Notwendigkeit für Neuansiedlung auch angemessen sein, sprich ehrgeizige Zahlen umfassen.
Die Kritik der NGO-Seite wurde bei einer Anhörung im Europäischen Parlament am 14. November 2016 vorgebracht. Die Beratungen in Rat und Parlament über den Vorschlag dauern an.

Den Vorschlag der EU-Kommission finden Sie in englischer Sprache unter: http://ekd.be/Vorschlag_EU_Kommission_engl

Die Stellungnahme der NGOs finden Sie in englischer Sprache unter: http://ekd.be/Stellungnahme_NGOs

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