Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe

1. Einführung

Mit unserer Textsammlung wollen wir an die vielen guten Gründe erinnern, die für Sterbebegleitung, aber gegen aktive Sterbehilfe sprechen. Der Abdruck früherer kirchlicher Erklärungen macht deutlich, wie beharrlich die Kirchen diese Grundsätze öffentlich zur Geltung gebracht haben. Daran wollen wir erinnern. Aktive Sterbehilfe ist und bleibt eine ethisch nicht vertretbare, gezielte Tötung eines Menschen in seiner letzten Lebensphase, auch wenn sie auf seinen ausdrücklichen, verzweifelten Wunsch hin erfolgt. Wir wissen, wohin es führen kann, wenn Menschen von Dritten für nicht mehr lebenswert erklärt werden, statt in ihrer Schwäche, Krankheit oder Behinderung als Menschen akzeptiert und nach ihren Bedürfnissen umsorgt zu werden.

Die derzeitige Diskussion um die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland beeinflusst durch die Erfahrungen der Vergangenheit (Gesetzgebung und mörderische Praxis der Nazizeit), die uns sensibel machen gegen jede Form von Ausgrenzung, Aussortierung und Vernichtung anhand scheinbar objektivierbarer Kriterien. Wir wenden uns gegen alle Aussagen, die das Leben von Menschen als „nicht mehr lohnend“ oder „nicht mehr lebenswert“ abqualifizieren. Wir verweisen demgegenüber auf die Kostbarkeit jedes einzelnen Menschen und die unabdingbare Würde jeder einzelnen Person.

In zwei unserer Nachbarländern gibt es bereits Ergebnisse der Dis-kussion um das Für und Wider einer aktiven Sterbehilfe. Die Legali-sierung aktiver Sterbehilfe in den Niederlanden und in Belgien gibt Anlass zu ernster Besorgnis. In den nordeuropäischen Ländern wird die Grenze zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe dadurch aufgeweicht, dass eine neue Form von Euthanasie diskutiert wird. Durch sog. „terminale Sedierung“ versetzt der Arzt den Sterbenden in Schlaf und bricht dann alle medizinischen Behandlungen ab, bis der Tod eintritt.

Zu der Situation in unseren Nachbarländern und der dort geführten Diskussion gesellt sich das Nachdenken über unser eigenes Gesundheitssystem. Die medizinische Behandlung ist ein hoher Kostenfaktor gerade bei älter werdenden Menschen. Hinzu kommt die demographische Entwicklung in unserem Land, die uns absehen lässt, dass die Zahl alter, vielfach auch schwer kranker oder schwerstpflegebedürftiger Menschen künftig zunehmen wird. Es wäre verhängnisvoll, wenn im Blick auf solche Probleme die Zustimmung zur aktiven Sterbehilfe zunähme. Statt dessen plädieren wir für eine Stärkung der Alternativen.

Wir stehen mit dieser Ansicht nicht allein. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zum Fall Diane Pretty vom 25. April 2002 hat verdeutlicht, dass die Europäische Konvention für Menschenrechte die Verpflichtung für die Staaten enthält, das Leben seiner Bürgerinnen und Bürger in bedrohlichen Situationen zu schützen, gerade wenn sie schwach und verletzlich sind.

Das biblisch-christliche Verständnis vom Menschen beinhaltet vor allem, dass jeder und jede eine Würde besitzt, die in der Gottebenbildlichkeit des Menschen gründet, unabhängig von Vorleistungen oder Kriterien. Diese Würde muss man sich weder erwerben, noch kann sie verloren gehen oder von Dritten abgesprochen werden.

Um das Menschenwürde-Argument zu entkräften, wird bisweilen der Versuch unternommen, schwerstpflegebedürftigen Menschen nur noch ein „biologisches“ Leben zuzusprechen. Man spricht vom sog. Dahinvegetieren. Der Verlust von Selbstbestimmung und das totale Angewiesen-Sein auf andere wird als unwürdig angesehen, so dass man einem solchen Zustand ein vorzeitiges Ende bereiten möchte. Doch dies ist eine inakzeptable Schlussfolgerung. Die Devise heißt vielmehr: so viel medizinische, schmerztherapeutische, menschliche und seelsorgliche Zuwendung wie möglich. Wir plädieren durchaus für selbstbestimmte Vorsorge der Patienten. Wir wissen aber auch um Maß und Grenzen solcher Selbstbestimmung. Oft wird ein Tötungswunsch schwerstkranker und sterbender Menschen aus der Verzweiflung geboren.

Wo wir die Tötung eines Menschen als „Lösung“ der zugegebenermaßen schwierigen Situationen von Krankheit und Sterben akzeptieren, ist dies eine Bankrotterklärung an die Menschlichkeit. Wir würden zulassen, dass Tod und Aussichtslosigkeit die Oberhand gewinnen.

Menschlichem Leid (Schmerzen, Einsamkeit und Verzweiflung) dürfen wir nicht durch Tötung, sondern müssen ihm durch menschliche Zuwendung und Fürsorge begegnen. Wir wollen Leiden lindern und uns nicht der Leidenden entledigen.

Wir wissen uns einig mit den Ärzten und Ärztinnen in unserem Land. Sie tragen einen großen Teil der Verantwortung für Kranke und Sterbende. Wie die Bundesärztekammer, so lehnt auch der Vorstand des Weltärztebundes die Legalisierung aktiver Sterbehilfe nach niederländischem oder belgischem Vorbild ab, weil sie wesentlichen ethischen Prinzipien der medizinischen Praxis entgegensteht.

Die vorliegende Textsammlung enthält bisherige Aussagen der Katholischen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland zum Problem der aktiven Sterbehilfe. Die Zusammenstellung der Texte unterschiedlichen Genres und unterschiedlicher Autorenschaft aus den letzten beiden Jahrzehnten dient der Orientierung. Aus ihnen wird deutlich, dass auf der Basis des christlichen Menschenbildes ak-tive Sterbehilfe auch in Zukunft deutlich abzulehnen ist. Es geht um mehr als um pragmatische Lösungen. Die Auseinandersetzung jedes Einzelnen mit seinem Sterben und dem Sterben anderer zeigen wie die Diskussionen in Gesellschaft und Politik, dass es bei der aktiven Sterbehilfe um ein gleichermaßen urmenschliches wie modernes Problem geht, dem sich jede Generation neu stellen muss.

Die Sorge der Kirchen gilt seit jeher gerade auch den Menschen in den schwächsten Phasen ihres Lebens. Sie unterstützen deshalb eine menschenwürdige Behandlung nicht nur durch Vorbringen guter Gründe, sondern auch durch ihr praktisches Engagement in Caritas und Diakonie, in den Sozialstationen, Hospizen und Krankenhäusern. Wir wollen Mut machen, sich für eine menschenwürdige Begleitung Kranker und Sterbender einzusetzen und sich den Tendenzen zu aktiver Sterbehilfe entgegenzustellen.

Bonn / Hannover, im Januar 2003

Karl Kardinal Lehmann
Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz 

Präses Manfred Kock
Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

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