Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe

2.6 Katholischer Erwachsenen-Katechismus, Zweiter Band „Leben aus dem Glauben“

Hg. von der Deutschen Bischofskonferenz, Freiburg-Basel-Wien 1995, S. 306-308; 310-313.

In neuerer Zeit hat die Medizin in vielen Bereichen große Fortschritte erzielt. Alle diese Erfolge der modernen Medizin faszinieren uns. Kaum jemand möchte, wenn er krank wird, auf ihre Vorteile verzichten. Sofern sie eine Heilung und eine sinnvolle Lebensverlängerung bewirkt, ist sie auch sittlich zu bejahen. ... Trotz der möglichen Gefahren, die der Einsatz der Technik in der Medizin mit sich bringen kann, wäre es aber unrealistisch und unredlich, diesen Einsatz von vornherein zu verwerfen. Die modernen Methoden der Untersuchung und Behandlung von Krankheiten haben für die Heilung und Erhaltung menschlichen Lebens unschätzbaren Wert.

Die eigentliche ethische Frage, die sich bei den modernen Möglichkeiten der Medizin stellt, lautet: Darf der Arzt, was die Medizin kann? Muß Leben unter allen Umständen erhalten und verlängert werden? Was ist am Ende des Lebens sittlich erlaubt, und was ist sittlich verboten?

Alle Versuche, auf diese und andere Fragen sittlich vertretbare Antworten zu geben, müssen davon ausgehen, daß über menschliches Leben, in welchem Stadium auch immer, nicht verfügt werden darf und daß der Mensch einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Sterben hat. Daraus ergibt sich für den Umgang mit Kranken und Sterbenden in der letzten Lebensphase die Verpflichtung zur Hilfe beim Sterben und die Verpflichtung, menschliches Leben nicht zu töten.

In der öffentlichen Diskussion, im wissenschaftlichen Sprachgebrauch und in der Rechtssprache, aber auch in kirchlichen Dokumenten begegnet uns, wenn es um Sterbehilfe und Sterbebeistand geht, immer wieder der Begriff „Euthanasie“.

Das Wort „Euthanasie“ (eu-thanasia) bedeutet dem Wortsinn nach „sanfter Tod“. In der Antike wurde der Begriff zunächst einfach im Sinne von „Hilfe zu einem guten Tod“ aufgefaßt. In späterer Zeit verstand man darunter die absichtliche Verkürzung des Sterbeprozesses. Der Sterbende erfährt nicht eine Hilfe bei seinem Sterben, sondern sein Sterben wird durch Tötung abgekürzt. Im Nationalsozialismus verstand man unter Euthanasie die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ und ordnete im „Euthanasieprogramm“ die Tötung von Zehntausenden geisteskranker Menschen an. Es ging nicht um die Tötung Sterbender, sondern um die Vernichtung lebensfähiger Menschen.

Heute begegnen uns häufig die Begriffe „passive“ und „aktive“ Euthanasie. Unter passiver Euthanasie versteht man den Verzicht auf Anwendung von Mitteln, die bei einem Sterbenden zu einer kurzzeitigen Lebensverlängerung führen, aber eigentlich nur eine Leidensverlängerung bedeuten würden. Da es sich hierbei um Sterbenlassen, nicht aber um aktives Töten handelt, wird passive Euthanasie im allgemeinen als sittlich erlaubt angesehen. Allerdings wird ein Verzicht auf Anwendung von Mitteln zu einer aktiven Euthanasie, wenn es sich um eine schuldhafte Unterlassung handelt, in der die Absicht enthalten ist, das Leben vorzeitig zu beenden. – Aktive Euthanasie dagegen ist das direkte Eingreifen in den Sterbeprozeß durch Tötung des Patienten, auch wenn diese auf Wunsch des Patienten geschieht („Tötung auf Verlangen“). Die Erklärung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Euthanasie (1980) versteht unter Euthanasie „eine Handlung oder Unterlassung ..., die ihrer Natur nach oder aus bewußter Absicht den Tod herbeiführt, um so jeden Schmerz zu beenden.“ Euthanasie findet sich also sowohl auf der Ebene der Intention als auch der angewandten Methoden (AAS 72, 1980, 542-555).

Um Mißverständnisse und Fehldeutungen zu vermeiden, sollte der Begriff Euthanasie nur im Sinne der aktiven Euthanasie als direkte Tötung eines Sterbenden (oder unheilbar Kranken) und als schuldhafter Verzicht auf eine geforderte Lebenserhaltung verwendet werden. In allen anderen Fällen sollte immer nur von Hilfe beim Sterben, von Sterbebeistand oder Sterbebegleitung die Rede sein.

Sterbehilfe als Sterbebeistand oder Sterbebegleitung will einem Sterbenden das Sterben erleichtern und ihm helfen, seinen eigenen Tod sterben zu können. Man könnte hier deshalb auch von Lebenshilfe für Sterbende sprechen. Eine solche Hilfe kann in mehrfacher Weise gewährt werden. ...

Bezüglich der absichtlichen Tötung eines unheilbaren Kranken oder eines Sterbenden stellt sich die Frage, ob extreme Situationen nicht Maßstäbe fordern, die über den Grundsatz der Unverfügbarkeit hinausgehen. Könnte es nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar sein, einem Menschen, dessen qualvolles Leiden sinnlos zu sein scheint, auf dessen Wunsch die erlösende Spritze zu geben? Die christliche Ethik lehnt ein solches Vorgehen ab. Der Grund dafür ist die Überzeugung, daß das Leben als gottgeschenktes Leben in jedem Augenblick bis zu seinem irdischen Ende und darüber hinaus von Gott getragen und auf Gott verwiesen ist. Die aktive Beendigung des Lebens wäre eine unzulässige Totalverfügung. Überdies hat die moderne Medizin enorme Fortschritte in der Schmerzbekämpfung gemacht, so daß es nur noch ganz wenige Fälle gibt, in denen Schmerz als unerträglich empfunden wird.

Von dieser christlichen Sicht her gibt es kein Recht auf Tötung, wohl aber einen Anspruch auf menschenwürdiges Sterben. Das kann heute weithin dadurch gewährleistet werden, daß schmerzstillende Mittel verabreicht werden, die den physischen Schmerz erträglich machen. Das schließt freilich nicht aus, daß für einen Sterbenden die psychische Belastung so groß sein kann, daß sie ihn beinahe überfordert und so in ihm den Wunsch entstehen läßt, es möchte doch alles ein Ende haben. Eine solche Äußerung ist ein Anruf und eine Bitte um Hilfe. Auch dürfen wir nicht übersehen, daß in einer Gesellschaft, in der das schwache, kranke und sterbende Leben nicht mehr in die Leistungs- und Konsumwelt paßt, bei Kranken und Sterbenden leicht das Gefühl entsteht: Ich bin nichts mehr wert, ich lade den anderen nur Lasten, Kosten und Arbeit auf.

Es ist höchste Zeit, uns wieder bewußt zu werden, daß kein einziges menschliches Leben seinen Wert und seine Würde verlieren kann, wie elend und scheinbar nutzlos es auch sein mag. Krankheit, Leid und Hinfälligkeit gehören zu unserem Leben. Wir würden diese Wahrheit mißachten, wenn wir das Leid aus unserem Leben wegleugnen wollten und nicht mehr bereit wären, es auszuhalten.

Eine gesetzliche Freigabe der aktiven Tötung würde unabsehbare Folgen haben. Sie würde dem Mißbrauch Tür und Tor öffnen; sie würde bei Kranken in Kliniken und Krankenhäusern zu äußerster Verunsicherung führen; und sie würde das Vertrauen in die Ärzteschaft von Grund auf erschüttern. Ziel des ärztlichen Handeln ist die Heilung, die Schmerzlinderung und die personale Zuwendung, nicht aber die Verfügung über Leben und Tod. Deshalb ist es dem Arzt ethisch wie rechtlich nicht gestattet, einen Menschen zu töten, auch wenn dieser darum bittet. Wenn auch das Gesetz einen Arzt, der auf Wunsch ein todbringendes Mittel verschafft, das sich der Patient dann selber verabreicht, nicht bestraft, so ist doch ein solches Handeln als aktive Beihilfe zur Selbsttötung sittlich unerlaubt. ...

Christen bezeugen ihren Glauben durch ihre Liebe zu den Kranken und Gebrechlichen. Wo immer Menschen leiden, muß die christliche Hilfe sie suchen und ihnen in der Hilfe die Hoffnung und das Vertrauen auf die bleibende Liebe Gottes schenken. Im Sakrament der Krankensalbung spricht die Kirche den Kranken wirksam Heil und Heilung in Christus zu. In der tätigen Krankensorge widmet sie sich der leiblichen Betreuung von Kranken und Sterbenden. Die imponierende Geschichte der christlichen Caritas ist ein sichtbares Zeugnis christlichen Glaubens, der in der fürsorgenden Liebe wirksam wird.

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