Wo Glauben wächst und Leben sich entfaltet. Der Auftrag evangelischer Kindertageseinrichtungen

Eine Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2004. ISBN 3-579-02379-9

13. Neue Herausforderungen für die evangelischen Kindertagesstätten und ihre Träger durch die Veränderung von Finanzierungsgrundlagen

These: Die finanziellen Grundlagen für die Arbeit evangelischer Träger von Kindertagesstätten verändern sich. Dabei zeichnet sich zum einen die Tendenz ab, dass einzelne Bundesländer die Finanzierungsverantwortung insgesamt auf die kommunale Ebene übertragen. Andererseits gibt es eine Diskussion über die Umorientierung von der Objekt- zur Subjektfinanzierung von Tageseinrichtungen. Veränderungen in den Finanzierungsgrundlagen bringen neue Aufgaben und Herausforderungen für kirchliche Träger mit sich und werfen auch Fragen im Blick auf neue Trägerstrukturen auf.

Begründung und Erläuterungen

Seit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz gab es in verschiedenen Bundesländern Diskussionen um neue Finanzierungssysteme für Kindertageseinrichtungen. Insbesondere wurde erörtert, ob der subjektive Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz zusammen mit dem Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten (vgl. § 5 SGB VIII (KJHG)) eine Finanzierung im Sinne von Entgeltregelungen erforderlich macht. Mit der Änderung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes zum 1.1.1999 wurden die Kindertageseinrichtungen nicht in den Bereich der Entgeltregelungen (§ 78 a SGB VIII) einbezogen. Aufgrund des Landesrechtsvorbehalts (§ 78 a Abs. 2 SGB VIII) ist die Anwendung von Entgeltregelungen auf den Bereich der Tageseinrichtungen jedoch möglich. Eine Finanzierung nach Entgeltregelungen und Leistungsvereinbarungen könnte dazu führen, dass die Leistungsanbieter im Wettbewerb untereinander stehen und die Finanzierung von der Belegung und Auslastung der Einrichtungen abhängig gemacht wird. Einrichtungen, die etwa nicht bedarfsgerecht den Wünschen der Eltern entsprechen, würden nicht mehr nachgefragt und daher auch nicht mehr finanziert.

Eine Finanzierung nach dem sogenannten sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis verpflichtet den öffentlichen Träger zur vollen Kostenübernahme bei der Erfüllung des Rechtsanspruchs. Für die freien Träger bedeutet dies, dass sie grundsätzlich einen von den Kindern bzw. deren Eltern abgeleiteten Anspruch auf die Erstattung der vollen Gesamtbetriebskosten eines Kindergartenplatzes haben, jedenfalls soweit er dem Rechtsanspruch unterliegt. Dies heißt freilich nicht, dass die freien Träger sich insgesamt in einem solchen System besser stellen. Neben dem höheren Betriebs- und Finanzierungsrisiko bleibt auch die Frage nach Investitionskosten (Baukosten und Bauunterhaltung) offen. Erste Entwicklungen in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg zeigen, dass in solchen Modellen die Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Rechtsanspruch zum Beispiel auf vier oder fünf Stunden pro Tag reduzieren und Eltern die ergänzenden Stunden kostendeckend zu bezahlen haben bzw. ein Berechtigungsschein für ein erweitertes Betreuungsangebot über das Jugendamt in Anspruch genommen werden kann. Dies steht jedoch im Widerspruch zu der derzeitigen bundesweiten Diskussion um eine Stärkung des Kindergartens als Bildungsort und zu der Einsicht, dass gerade Ganztagsangebote im Blick auf vergleichbare Bildungschancen ausgebaut werden müssten.

Die EKD hält es vor dem Hintergrund des bestehenden Rechtsanspruchs für perspektivisch richtig, dass der Staat die Kosten für die Rechtsanspruchsplätze in Kindergärten im Hinblick auf eine Mindeststundenzahl (bis zu 5 Stunden/Wochentag) übernimmt, soweit dies finanzierbar erscheint, und unterstützt daher grundsätzlich die Forderung nach einer Beitragsfreiheit für diese Plätze.

Neben der Diskussion um eine Finanzierung von Kindertageseinrichtungen nach Entgelt- und Leistungsvereinbarungen zeichnet sich in mehreren Bundesländern ein Trend zur Übertragung der Finanzverantwortung auf die Kommunen ab. Teilweise sind entsprechende Kindergartengesetze in den Bundesländern bereits in Kraft getreten oder in Vorbereitung. In solchen Modellen wird die Finanzierungs- und Planungsverantwortung für Kindertageseinrichtungen auf kommunaler Ebene zusammengeführt. Für die Kirchengemeinden und die übrigen freien Träger kommt es in einem solchen Finanzierungssystem darauf an, dass klare rechtliche Grundlagen für Förderansprüche gegenüber den Kommunen festgelegt werden und die freien Träger angemessen und rechtzeitig in die örtliche Bedarfsplanung einbezogen werden. Wiederum in anderen Bundesländern wird derzeit eine nicht mehr an Gruppen und Einrichtungen, sondern an Kinderzahlen orientierte Förderung freier Träger diskutiert. Hier ergeben sich möglicherweise Mischformen mit einer personen- und leistungsorientierten Finanzierung, wie sie oben geschildert wurden.

Neue Finanzierungsgrundlagen für kirchliche Kindertageseinrichtungen werfen – zumal im Blick auf die sich abzeichnende dramatische demographische Entwicklung mit weiterhin zurückgehenden Kinderzahlen – auch die Frage nach neuen Trägerstrukturen auf. In platzbezogenen Finanzierungssystemen können Belegungsschwankungen etwa durch Trägerverbünde und Trägerzusammenschlüsse besser abgefangen werden. Auch die vermehrten Aufgaben freier Träger etwa bei der Mitwirkung in der örtlichen Bedarfsplanung, bei Maßnahmen der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung und bei der Ausdifferenzierung der Angebotsformen in den Einrichtungen legen solche Überlegungen nahe.

Die nach wie vor hohe Zahl kirchlicher Kindertageseinrichtungen in Deutschland entspricht den Prinzipien der Trägervielfalt und Subsidiarität. Auch bei zurückgehenden Kinderzahlen und beim notwendigen Ausbau neuer Angebotsformen etwa im Ganztagsbereich oder bei Angeboten für unter dreijährige Kinder sollten diese Prinzipien beachtet werden. Bei Entwicklungen hin zu einer Finanzierung von Kindertageseinrichtungen nach Entgeltund Leistungsvereinbarungen bedarf es seitens der kirchlichen Träger besonderer Anstrengungen zum Erhalt der Trägervielfalt.

Konsequenzen:

  • Die EKD bittet die Landeskirchen, die Veränderungen in den Angebots- und Finanzierungsstrukturen von Kindertagesstätten zu berücksichtigen und die Träger bei der Umstellung auf neue Finanzierungsformen zu unterstützen.
  • Bei einer Übertragung der Finanzierungsverantwortung für die Tageseinrichtungen müssen durch Landesrecht verlässliche Förderansprüche für freie Träger festgelegt werden, damit die Mitwirkung freier Träger nicht von kommunalpolitischen Entscheidungen abhängig wird.
  • Bei neuen gesetzlichen Regelungen hin zu einer personen- und leistungsorientierten Finanzierung ist darauf zu achten, dass die Gesamtbetriebskosten der Plätze der Finanzierung zugrundegelegt werden.
  • Die EKD bittet die Landeskirchen und die landeskirchlichen Diakonischen Werke, Träger und Mitarbeiterinnen durch geeignete Qualifizierungs- und Beratungsangebote auf Veränderungen der Finanzierungsstrukturen vorzubereiten.
  • Als Reaktion auf die sich verändernden Finanzstrukturen kann die Bildung von Trägerzusammenschlüssen und –verbünden sinnvoll sein. Diese können die einzelnen Träger bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben in den Bereichen Personal- und Organisationsentwicklung entlasten.
  • Insgesamt sollte die hohe Zahl kirchlicher Kindertageseinrichtungen erhalten bleiben. Auch beim Umbau der Angebotslandschaft und der Einrichtung neuer Angebotsformen sollten die Prinzipien der Trägervielfalt und Subsidiarität beachtet werden.

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