Wo Glauben wächst und Leben sich entfaltet. Der Auftrag evangelischer Kindertageseinrichtungen

Eine Erklärung des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland. Hrsg. Gütersloher Verlagshaus, 2004. ISBN 3-579-02379-9

8. Stärkung von Elternkompetenz

These: Die vorrangige Verantwortung für Erziehung und Bildung liegt bei den Eltern. Die derzeitigen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen sowie der nicht erst seit der PISA-Studie bekannte Wandel zur Wissensgesellschaft konfrontieren Eltern mit hohen Ansprüchen an ihre Erziehungsaufgaben, ohne dass sie mit Selbstverständlichkeit auf ein entsprechendes Erziehungskonzept zurückgreifen können. Eltern muss es möglich und selbstverständlich sein, sich durch Informations- und Bildungsangebote eine größere Erziehungskompetenz zu erwerben. Evangelische Kindertageseinrichtungen sind für Eltern Institutionen, deren Nutzung nahe liegt, und haben damit niedrigschwelligen Zugangscharakter. Sie sind ideale Orte für Angebote zur Eltern- und Familienbildung. Evangelische Kindertageseinrichtungen bieten Eltern Raum zur Mitwirkung und Beteiligung und sind auf deren Partizipation angewiesen.

Begründung und Erläuterungen

Kompetenz in den Bereichen der Bildung und Erziehung ergibt sich nicht selbstverständlich aus der Tradition, sondern muss individuell entwickelt und auf die jeweilige Lebenssituation abgestimmt werden. Erziehung ist ein anspruchsvolles Geschäft, in dem alle Beteiligten auf ein gedeihliches Miteinander angewiesen sind. Viele Eltern fühlen sich unsicher und desorientiert und leiden unter dem allgemeinen Trend zur Beliebigkeit. Der Lebensalltag ist komplizierter und in der Bewältigung aufwändiger geworden. Vor diesem Hintergrund fühlen Eltern sich häufig damit überfordert, Beruf und Familie zu vereinbaren, Krisen und Brüche zu integrieren und Konflikte in Partnerschaften konstruktiv zu bewältigen. Eltern benötigen daher Unterstützung, Übung und Stärkung, um sich durch kompetente Elternschaft mit verlässlichen Bindungs- und Beziehungsstrukturen, die Halt und Orientierung bieten, auszuzeichnen.

Die Beziehung zum Kind zeichnet sich durch Wertschätzung und Empathie aus. Kompetente Eltern nehmen ihre Elternrolle und ihre Erwachsenenrolle an und vertreten sie gegenüber dem Kind. Sie verstehen sich dem Kind gegenüber als Autoritäten, die ihre Verantwortung für das Aufwachsen von Kindern annehmen.

Der gewandelte Erziehungsstil erfordert wesentlich mehr Aufwand als der früher oft praktizierte autoritäre Stil. Eltern müssen Kinder von der Richtigkeit ihrer Entscheidungen überzeugen; dies verbindet sich mit einem wachsenden zeitlichen und mentalen Aufwand.

Ethische und religiöse Erziehung gehören zur Elternaufgabe, da sie Kindern und Eltern helfen, sich in einer von Pluralisierung gekennzeichneten Welt zu orientieren. Aber viele Eltern haben oft keine Antworten auf die Fragen der Kinder.

Rollenfindung und Rollengestaltung als Väter und Mütter sind wichtige Grundlagen für eine glückliche Elternschaft. Darüber müssen Eltern sich austauschen und verständigen können.

Entsprechende Konzepte und Angebote verstehen sich als Beiträge zu allgemeiner Bildung und Förderung und nicht als Defizitbearbeitung. Erziehen lernen ist ein Prozess, der vorhandene Ressourcen aufgreift und stärkt.

Evangelische Kindertagesstätten erproben zur Zeit in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bremen und Sachsen Konzepte zur Stärkung von Elternkompetenz. Die Ergebnisse dieser Modellprojekte können sicherlich zu einer Verbreitung dieser Arbeitsansätze in weiteren Regionen beitragen. Außer der Förderung der Kompetenz ist aber auch die Frage einer angemessenen Beteiligung von Eltern am Erziehungs- und Bildungshandeln der Einrichtungen wichtig. Diese Beteiligung muss mit den Freiheitsspielräumen übereinstimmen, die ein evangelisches Profil eröffnet.

In diesem Zusammenhang ist auch die Zusammenarbeit mit Eltern in Kindertagesstätten neu zu beschreiben. Wenn sie ihr Kind in eine Kindertagesstätte bringen, ist dies für Eltern ein wichtiger und oft nicht leichter Schritt. Sie übergeben ihr Kind nun auch anderen Personen und gewinnen damit Partner, die sich gemeinsam mit ihnen um das Wohl und die Entwicklung des Kindes bemühen.

Damit diese Erziehungspartnerschaft gelebt werden kann, ist es notwendig, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen und Kinder aus der Blickrichtung des jeweils anderen zu sehen. Dazu sind Gespräche erforderlich, in denen die eigene Haltung begründet und die Haltung des anderen ernst genommen wird. Verständnis für unterschiedliche Standpunkte wird entwickelt mit dem Ziel, zu gemeinsamen Vereinbarungen zu kommen. Dabei müssen die Lebenswirklichkeiten der Familien wahrgenommen und beachtet werden.

Für Kindertagesstätten bedeutet dies die Orientierung an einem Umgangsstil, der von Achtung und Respekt geprägt ist. Darin liegt auch die Chance, Eltern den Zugang zur evangelischen Kirchengemeinde zu eröffnen, weil sie auf diese Grundhaltung vertrauen können [12].

Konsequenzen:

  • Evangelische Kindertageseinrichtungen sind als Orte für Elternbildung und Zentren für Familien qualitativ und quantitativ weiterzuentwickeln und auszubauen.
  • Die Elternkompetenz ist nachdrücklich zu stärken, ebenso die Möglichkeit der Beteiligung von Eltern an den Erziehungs- und Bildungsprozessen der Einrichtungen auf der Grundlage eines evangelischen Profils.
  • Erzieher/innen werden für diese Arbeit qualifiziert und erweitern evangelische Kindertageseinrichtungen zu Zentren für Familien.
  • Evangelische Träger nehmen vor Ort Einfluss auf die Jugendhilfeplanung, um die in § 16 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes festgelegte Aufgabe der Familienbildung auch auf kommunalpolitischer Ebene finanziell auszustatten und Eltern von (zu) hohen Teilnahmegebühren zu befreien.

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