Der Bevollmächtigte des Rates - Büro Brüssel Europa - Informationen Nr. 155

Kohäsionspolitik: Mit wehenden Fahnen – Parlament positioniert sich zur Kohäsionspolitik

Ulrike Truderung (Referentin für EU-Förderpolitik / -projekte)

Am 13. Juni hat das Europäische Parlament (EP) den Initiativbericht „Bausteine für die Kohäsionspolitik der EU in der Zeit nach 2020“ unter der Federführung von Kerstin Westphal, MdEP (S&D/SPD) verabschiedet. Darin legt das EP seine Positionen zur zukünftigen Ausgestaltung der Kohäsionspolitik fest und spricht sich ausdrücklich für eine weitestgehende Beibehaltung der derzeitigen Kohäsionspolitik aus. Eine klare Absage erteilen die Parlamentarier jenen von der Europäischen Kommission im „Weißbuch zur Zukunft Europas“ vorgeschlagenen Szenarien, in denen eine starke Einschränkung oder gar die Abschaffung der Kohäsionspolitik suggeriert wird.
Unter keinen Umständen – auch nicht im Hinblick auf die drohende Finanzlücke durch den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (Brexit) – dürfe die Kohäsionspolitik politisch oder finanziell geschwächt werden, indem die für sie zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel abgezogen und anderweitig verwendet würden, so die Parlamentarier.


Die Kohäsionspolitik wird vom Parlament als Ausdruck der Europäischen Solidarität beschrieben. Die Politik sei „auf europäischer Ebene sehr effizient“ und stelle „ein dringend notwendiges politisches Instrument“ dar. Insgesamt sei es wichtig, dass im Bereich der Kohäsionspolitik nach 2020 nicht das Rad neu erfunden werde.  Um für Kontinuität, Konsolidierung und Rechtssicherheit zu sorgen, sollten nach Wunsch des Parlaments die Regeln für die Kohäsionspolitik nach 2020 so wenig wie möglich geändert werden. Die im Vorlauf der aktuellen Förderperiode durchgeführten Reformen, die unter anderem zu einer thematischen Straffung, einer verstärkten Ergebnisorientierung und der Anwendung von Prinzipien wie dem Partnerschaftsprinzip und ortsbezogenen, sprich integrierten Konzepten geführt haben, werden insgesamt als erfolgreich bewertet. Das Partnerschaftsprinzip, d.h. unter anderem die Einbeziehung der Zivilgesellschaft in die Formulierung und Umsetzung der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF), soll nach Wunsch des Parlaments weiter gestärkt werden.


Aus kirchlicher Sicht zu begrüßen sind die Schwerpunktthemen, die das EP für die zukünftige Kohäsionspolitik fordert. So fordert der Bericht unter anderem, dass „die Anstrengungen fortgesetzt werden sollten, für die Schwachen und Marginalisierten zu sorgen, die wachsende Ungleichheit zu bekämpfen und die Solidarität zu fördern“, und dass „die soziale Eingliederung, einschließlich der Ausgaben für den Europäischen Sozialfonds (ESF), die in diesem Bereich durch EFRE-Investitionen ergänzt werden, beibehalten werden muss“. Die Aufnahme und Integration von Flüchtlingen und Migranten wird ebenfalls als ein Bereich gesehen, in dem die Kohäsionspolitik mit in der Pflicht steht. Ferner werden auch die Verpflichtung der EU zum Pariser Abkommen zum Klimawandel sowie die Bedeutung der EU-Städteagenda (vgl. Europa-Informationen 149, 150) sowie der in der laufenden Förderperiode neu eingeführten bzw. erweiterten Instrumente der integrierten territorialen Investitionen (ITI) und der von der lokalen Bevölkerung betriebenen Maßnahmen zur lokalen Entwicklung (CLLD) bekräftigt.


Während Finanzierungsinstrumente wie Kredite, Darlehen und revolvierende Fonds grundsätzlich nicht abgelehnt werden, soll nach Wunsch des Parlaments die EU-Förderung aus Mitteln der Kohäsionspolitik auch weiterhin primär in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen, also der „klassischen“ Projektförderung, geschehen. Damit stellt sich das Parlament deutlich gegen eine Tendenz innerhalb der Europäischen Kommission, in Zeiten knapper Kassen Finanzierungsinstrumente zunehmend als mögliche Alternative zu klassischen Projektzuschüssen zu sehen (vgl. Europa-Informationen 148, 150, 154, diese Ausgabe). Der Einsatz von Finanzierungsinstrumenten wird vom Parlament demnach zwar nicht rundweg abgelehnt, soll jedoch mit Vorsicht und nur dann geschehen, „wenn die betreffenden Finanzierungsinstrumente nachweislich einen Mehrwert mit sich bringen und mit einem Hebeleffekt einhergehen könnten“. Ausdrücklich gewarnt wird vor einer Aushöhlung der ESIF durch den Europäischen Fonds für Strategische Investitionen (EFSI), oftmals als „Juncker-Plan“ bezeichnet (vgl. Europa-Informationen 148). Der EFSI, so der Bericht, dürfe keinesfalls die Ziele der Kohäsionspolitik „untergraben“ und keine Konkurrenz zu den Finanzhilfen der Kohäsionspolitik darstellen. Auch dürften keine ESIF-Mittel für den EFSI abgezogen werden. Vielmehr dürfe der EFSI nur zusätzlich zu Mitteln der Kohäsionspolitik eingesetzt werden. Zuvor hatte im Zuge der laufenden Verhandlungen zur Omnibus-Verordnung (vgl. Europa-Informationen 154) ein Vorschlag der Kommission, es Mitgliedstaaten freizustellen, Teile der ihnen zugeteilten ESIF für den EFSI bereitzustellen, für Aufmerksamkeit gesorgt.


Eine Absage erteilt der Bericht auch den gegenwärtigen Überlegungen, den Bezug eines Mitgliedstaates von europäischen Fördergeldern aus den ESIF an die Umsetzung von wirtschaftlichen Reformen auf nationaler Ebene zu koppeln (makroökonomische Konditionalitäten). Damit bezieht das Parlament klar Stellung gegen Stimmen in der Europäischen Kommission und im Rat der Europäischen Union – wie beispielsweise auch die deutsche Bundesregierung – die offen mit der Einführung dieses Konzepts liebäugeln. Von Vertretern der Regionen und nun also auch offiziell dem Parlament wird die Einführung von makroökonomischen Konditionalitäten jedoch als unfair angesehen, da so die Regionen für nationale Politik bestraft werden würden, auf die sie selbst keinen Einfluss hätten. Favorisiert wird hingegen die Stärkung von administrativen und institutionellen Kapazitäten der Mitgliedstaaten und Regionen zur Planung und Umsetzung der ESIF. In der laufenden Förderperiode gab es erhebliche Probleme bei der Abrufung der Gelder aus der Kohäsionspolitik, insbesondere in einigen neuen EU-Mitgliedstaaten , da es an institutionellen Kapazitäten mangelte, um die europäischen Gelder zu verwalten beziehungsweise abzurufen.


Ferner fordert das Parlament eine größere Flexibilität im EU-Haushalt, um auf unvorhergesehene Ereignisse während des laufenden Programmzeitraums besser und schneller reagieren zu können. Zu diesem Zweck wird die Schaffung einer finanziellen Reserve, also eines bestimmten Betrags im EU-Haushalt, der zunächst ungebunden bleibt, favorisiert. Um eine grundsätzliche Planungssicherheit sicherzustellen, spricht sich der Bericht für eine Beibehaltung des bestehenden Systems eines siebenjährigen Mehrjährigen Finanzrahmens aus – oder aber für die Einführung eines „5+5-Systems“, bei dem ein Programmplanungszeitraum grundsätzlich auf zehn Jahre festgelegt würde, jedoch einer verpflichtenden, gründlichen Überprüfung und Revision nach fünf Jahren unterliegen würde. Dieses „5+5-System“ scheint sich insgesamt in den europäischen Institutionen wachsender Beliebtheit zu erfreuen (siehe nachfolgender Artikel).


Aus kirchlicher Sicht sind die Standpunkte des Parlaments sehr positiv zu bewerten: Viele von evangelischer Seite vertretene Positionen finden sich im Text wieder, wie die Bewahrung der Kohäsionspolitik und ihrer sozialen Komponente sowie die Ablehnung einer Verdrängung von Projektzuschüssen durch rückzahlbare Finanzinstrumente. In Bezug auf die Ausgestaltung der Kohäsionspolitik nach 2020 gibt dies Anlass zum Optimismus. In die heiße Phase wird das Tauziehen um die europäischen Gelder allerdings erst gehen, sobald belastbare Schätzungen zum tatsächlichen finanziellen Umfang des EU-Haushalts nach dem Brexit vorliegen – und das wird nicht vor 2018 der Fall sein.


Den Bericht „Die Bausteine für die Kohäsionspolitik der EU in der Zeit nach 2020“ finden Sie hier: http://ekd.be/bausteine_fuer_die_kohäsionspolitik_der_eu

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