Nachhaltig durch das Kirchenjahr

Materialien für Andachten und Gottesdienste zu den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030

Tag der Menschenrechte 10. Dezember – Nachhaltigkeitsziel 16

Andacht zum Thema: Die Gleichheit aller vor dem Gesetz

Andachtsentwurf

Die folgende Andacht erinnert an die „Levellers“ – die „Gleichmacher“ aus dem 17. Jahrhundert, die ihrer Zeit weit voraus waren, weil sie die Einteilung der Menschen in Sklaven und Freie mit dem Glauben an die Erschaffung aller Menschen als Ebenbilder Gottes in Frage stellten. Sie gehörten zu denen, die schon sehr früh der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte den Boden bereiteten.

Liebe Gemeinde,

im Jahr 1647 erschien in England ein bemerkenswertes Pamphlet: „Eine Übereinkunft des Volkes für einen dauerhaften Frieden auf der Grundlage des Allgemeinen Rechts“ (An Agreement of the People for a firm and present peace upon grounds of common right). Es enthielt Verfassungsvorschläge, die sofort im ganzen Land aufgenommen und diskutiert wurden, vor allem von den antimonarchistischen Heeresgruppen des Oliver Cromwell. Die „Übereinkunft“ verlangte Religionsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, allgemeine politische Teilhabe und das Ende der überaus harten und entwürdigenden Strafen für Schuldner, allen voran die Verbannung nach Nordamerika und die Sklaverei.

Die Männer und Frauen, die diese Anliegen mit großem Ernst vertraten, wurden als „Leveller“, „Gleichmacher, verspottet und nahmen den Namen schließlich auch selbst an. Ihre Gedanken stützten sich auf die Forderungen und Erfahrungen der unabhängigen religiösen Bewegungen, die sich als Quäker, Baptisten oder Kongregationalisten formieren sollten. Unter ihnen stachen Frauen und Schwarze hervor, die in den religiösen Basisgemeinschaften Gleichheit praktizierten und als Gleiche anerkannt wurden. Der Respekt vor der Gleichheit aller wurzelte im biblischen Glauben dieser meist einfachen Menschen, die sich wünschten, dass „nicht einer über den anderen herrsche, sondern jeder den anderen als gleich geschaffen betrachte. So soll unser Schöpfer durch das Werk seiner Hände gepriesen werden, dass jeder sehe, dass er nicht jemand ist, der die Person ansieht, sondern seine ganze Schöpfung gleichermaßen liebt“ (The True Leveller´s Standard Advanced, 1649). Ein gewisser Richard Saltonstall, tief bedrückt durch das Schicksal der frommen schwarzen Dienstmagd „Dinah“, verfasste in diesen Jahren den ersten formalen Protest gegen Sklaverei im anglophonen Amerika.

Eine juristische Trennung zwischen „schwarzer“ und weißer“ Sklaverei war in diesen Jahren der englischen Revolution noch nicht eingeführt. Als Cromwell 1649-1653 Irland eroberte, wurden Abertausende von Iren in die Zuckerplantagen Westindiens verschleppt. Schätzungsweise jeder sechste Ire wurde versklavt. Um 1670 wurden allein auf Barbados 8.000 irische Sklaven gezählt. Weil es in den Kolonien zu Revolten kam, in denen schwarze und weiße Zwangsarbeiter gemeinsam aufbegehrten, und weil es nicht abreißende gemeinsame Absetzbewegungen dieser bemitleidenswerten Menschen in die Waldgebiete der englischen Kolonien gab, verständigten sich die Pflanzer in Neuengland und auf den Antillen darauf, zwischen schwarzen „Sklaven“ und weißen „Dienern“ mit unterschiedlichen Rechten zu unterscheiden. Auf diese Weise trieben sie einen Keil zwischen die Ausgebeuteten und begründeten die moderne Form des Rassismus, die Schwarzen grundsätzlich einen minderen Status zuerkannte.

Bei den Marginalisierten aber, ob schwarz oder weiß, lebten Gedanken der Gleichheit wie die in der „Übereinkunft des Volkes“ fort. In England und den nordamerikanischen Kolonien hielten die dissidenten protestantischen Gruppen den Grundsatz der Gleichheit aller vor Gott und vor dem Gesetz fest. Ihre Glaubenshaltung wurde zu einem der Gedankenströme, die in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte mündeten.

Am heutigen Tag der Menschenrechte geben uns die Herrnhuter Losungen als Lehrtext 1. Timotheus 2,1 vor: „Ich bitte euch nun, vor Gott in Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung einzutreten für alle Menschen“; fortgelassen wird: „und für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit“. Genau in dieser Kombination aber erhält der Satz seine politische und menschenrechtliche Kraft. Wir beten für alle Menschen und sind im Gebet mit den Dinahs von heute solidarisch, die als Wanderarbeiterinnen aus den Philippinen oft recht- und schutzlos am Arabischen Golf als Hausmädchen sklavenähnliche Arbeitsbedingungen haben; oder die als Migrantinnen aus Afrika oder dem Mittleren Osten in Europa herumgeschubst werden. Für sie beten wir darum, dass „alle Obrigkeit“ dafür Sorge trage, dass auch sie ein „ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit“ – die Regierungen in der EU, in den arabischen Staaten und den Ländern südlich der Sahara. Im Gebet nehmen wir die Regierungen in Anspruch, die noch lange nicht alles tun und getan haben, um das „ruhige und stille Leben“ der Dinahs von heute zu ermöglichen.

Als Paulus an Timotheus schrieb, wusste er noch nichts von den Menschenrechten. Aber er hat vorformuliert, dass es von der „Obrigkeit“ abhängt, wie es „allen Menschen“ geht. Das ist die Kraft, die den modernen Menschenrechten innewohnt: Sie beinhalten Ansprüche, die jeder und jede einzelne hat – das Recht auf Nahrung, auf Wohnung, auf freie Meinungsäußerung. Weil unsere Vorväter und Vormütter im Glauben seit dem 17. Jahrhundert daran mitgewirkt haben, dass demokratische Gesellschaften entstanden sind, können wir heute über das Gebet hinaus politisch mitgestalten. Es gibt keinen Grund, warum wir hinter die englischen „Levellers“ des 17. Jahrhunderts zurückfallen sollten. Amen.

Gebet

Herr, wir beten heute für die vielen Menschen, denen grundlegende Rechte, zu denen sich die Regierungen bekennen, vorenthalten werden:

- Für die Millionen von Wanderarbeitern und -arbeiterinnen, die in ihren Ländern oder in der Fremde schutzlos sind und die kaum Möglichkeiten haben, ihre Rechte durchzusetzen,
- für die Menschen, die diskriminiert werden, weil sie eine andere Sprache sprechen oder eine andere Religion ausüben als die Mehrheit der Bevölkerung,
- für alle, die sich dafür einsetzen, dass sie offen reden dürfen, und Gefängnis fürchten müssen, wenn sie es tun,
- für diejenigen, die unter grausamen Strafen und Folter leiden, die eingesetzt werden, um sie zu brechen,
- für uns alle, weil wir an unseren Kleidungsstücken, unseren Nahrungsmitteln und den Rohstoffen, die wir verbrauchen, bis heute die Spur der Missachtung der Rechte von Menschen zurückverfolgen können.


Autor
Pfarrer Jürgen Reichel, viele Jahre in entwicklungspolitischen und ökumenischen Arbeitsfeldern tätig, heute Pfarrer in Würzburg.

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