Nachhaltig durch das Kirchenjahr

Materialien für Andachten und Gottesdienste zu den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030

Empfang bei der Kommune – Nachhaltigkeitsziel 11

Ansprache zum Thema: Nachhaltige Entwicklung unserer Städte

Ansprache/Meditation

Der folgende Text versucht, Jer 29,7 und SDG 11 ins Gespräch zu bringen. Der Text ist als eine Sammlung von Gedanken gedacht, aus der sich jeder das nehmen kann, was er möchte.

Suchet der Stadt Bestes, 
dahin ich euch habe wegführen lassen,
und betet für sie zum Herrn, 
denn wenn’s ihr wohl geht, so geht‘s euch auch wohl. Jer 29,7

Einer der meist zitierten Sätze bei öffentlichen Anlässen von Politikern in gleicher Weise wie von Pfarrerinnen und Pfarrern, vielleicht auch passend für eine Reflexion auf SDG 11.

Es geht um die nachhaltige Entwicklung unserer Städte. In ihnen konzentrieren sich die Herausforderungen und Grenzüberschreitungen, die zu unserem Jahrhundert gehören. CO2-Emissionen, Ressourcenverbräuche, Gesundheitsschädigungen durch Autoabgase, Wildwuchs von Stadträndern in vielen Kontinenten – und zugleich Hoffnung und Sehnsuchtsort von Millionen, dort wird es mir besser geben, dort bekomme ich Arbeit, dort bekomme ich ein neues Zuhause, dort werde ich leben. Hoffnungsort und Orte des Elends zugleich … 

Wir stehen weltweit vor großen Transformationsprozessen. In unseren Städten in Europa und in den Megastädten dieser Welt muss sich nachhaltige Entwicklung bewähren. In Städten und Kommunen wird konkret – muss konkret werden, wie die SDGs umgesetzt werden (können). Wenn es nicht dort gelingt, wo dann?

Oft wird ja nur der erste Teil von Jer 29,7 zitiert: 

Suchet der Stadt Bestes – das kommt gefällig daher, da stimmen wir schnell mit ein. Das Gute, ja das Beste suchen, wer wollte da nicht dabei sein?

Suchet der Stadt Bestes – dieser eher abstrakten Aufforderung des Propheten Jeremia an die Deportierten in Babylon gehen sehr konkrete Handlungsempfehlungen voraus:

„5 Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen, und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehret euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.“

Ihr müsst euch einstellen – auf die Zeit in Babylon, und ihr werdet nicht so schnell zurückkehren, also arrangiert euch damit und macht das Beste daraus. Es war keine Urlaubsreise in das schöne Zweistromland, es war eine Zeit in Gefangenschaft …

Jeremia schreibt an die Oberschicht der Juden, die aus Jerusalem nach Babylon verschleppt worden waren, sie sind nicht freiwillig hier. Und viele machen sich Gedanken, warum sie jetzt in so einer misslichen Lage sind, ob sie Schuld daran haben? Fern der Heimat, herausgerissen aus dem sozialen Umfeld in einer fremden Welt. 

Die Sehnsucht nach Jerusalem ist groß und die Erinnerung an die Vergangenheit verklärt manches. Wie schön wäre es, wenn das Alte noch unsere Welt wäre. Auch wenn das Bekannte nicht immer gut war, die ungewisse Zukunft hemmt Phantasie und Aktion. Dabei könnte gerade das Unbekannte, das Ungewisse Kräfte und Ideen freisetzen. Nur die Zukunft können wir gestalten! 

Und so ist Neues gewachsen, dort im Zweistromland, ein Land mit einer fremden und zugleich höchst entwickelten Kultur. In der Auseinandersetzung sind neue Ideen – neue Weltbilder entstanden: 

Die Urgeschichte im Buch Genesis hat wichtige Impulse aus dieser Zeit aufgenommen, die Auseinandersetzung zweier Kulturen wird verarbeitet: Der 1. Schöpfungsbericht, der Streit zwischen Kain, dem Städter, und Abel, dem Landmann, der Turmbau zu Babel, Hybris der Städter.

Warum nur kommt die Stadtkultur so schlecht weg?

Dann die Deutung der sintflutartigen Überschwemmungsgeschichten dort im Zweistromland. Ein Gott, der den Regenbogen als Hoffnungszeichen für Mensch und Tier, ja für die ganze Welt an den Himmel zeichnet.

In diesen wenigen Kapiteln am Anfang der Bibel finden wir Urgeschichten der Menschheit, die uns zeitlos bis heute herausfordern und Orientierung geben können. Schöpfung bebauen und bewahren; Maßhalten gegen den Größenwahn; Gewaltanwendung aus der menschlichen Natur heraus eindämmen durch eine Kultur, die nach dem Leben fragt. 

Ein geistiger Aufbruch dort in Babylon, 

Raum geben für Neues – neue Gedanken.

Die Ambivalenz der Städte wird sichtbar: 

Hoffnungsort und Ort von Gewalt gegen Menschen und Natur. 

Wo finden wir Anknüpfungspunkte für unsere Zeit?

Wo fühlen wir uns gefangen in unserer Welt?

Wo fühlen wir uns fremd und wo halten wir am Alten fest? 

Wo doch das Neue sich schon längst zeigt?

Und wo und wie sollten wir uns mit den Umständen arrangieren und nicht weiter blockieren? 

Ich denke an die lauten und geschäftigen Großstädte in unserem Land. Viele leiden unter der schlechten Luft und ersticken fast täglich in der Flut des motorisierten Individualverkehrs. Viele leiden darunter und viele sind zugleich daran beteiligt, dass es so ist. 

Auch wenn die Abgase der Autos heute weniger schlecht sind als noch vor 10 oder 20 Jahren, so hat der Autoverkehr in der gleichen Zeit deutlich zugenommen (Rebound-Effekt).

Es gibt viele Ursachen: Eine Stadtplanung nach dem Zweiten Weltkrieg, die noch mehr aus dem Weg räumte, als der Krieg schon zerstört hatte, um den großen Einfallsstraßen, oft Bundesstraßen Platz zu machen. So hatte man das damals gedacht.

Die Menschen müssen mit den Autos in die Stadt kommen können, zum Arbeiten und zum Einkaufen. Eine konsequente Raumplanung, in der die vier Grundfunktionen unseres Lebens getrennt wurden: hier Wohnen, dort Arbeiten, hier Einkaufen, dort Freizeit.

Diese Funktionstrennung unserer Lebensvollzüge führte zu gewaltigem Straßenbau – Stadträume für Menschen wurden zu Räumen für Autos. Der Ausstieg aus dem Sozialen Wohnungsbau vor über 20 Jahren führt zu Wohnungspreisen, die für viele unerschwinglich sind. Oft gibt es in den großen Städten zu viele Flächen für Büros und Einkaufszentren und zu wenig stadtnahen Wohnraum. Und manche können es sich leisten, über das Maß gehende Wohnflächen für sich zu beanspruchen, die anderen fehlen.

Und kaum jemand hat wirklich Ideen wie sich das ändern könnte. Das Land Baden-Württemberg will jetzt vier Ziele bis 2030 umsetzen:

Verdopplung des öffentlichen Verkehrs

Jedes dritte Auto fährt klimaneutral.

Ein Drittel weniger Kfz-Verkehr in den Städten.

Jeder zweite Weg selbstaktiv zu Fuß oder mit dem Rad.

Im ländlichen Raum ist die Problemlage deutlich anders, dort braucht es andere Lösungen für die Mobilität der Zukunft als in der Stadt.

Aber sehen wir auf die Stadt:

Suchet der Stadt Bestes heißt für mich heute vor allem Innehalten und Räume im Kopf schaffen für neue Gedanken und Visionen.

Versuchen Sie einmal für einen Moment innezuhalten:

Wenn ich ganz frei wäre, was für eine Stadt würde ich mir wünschen, wie würde ich sie mir vorstellen? Tausende Autos an den Straßenrändern müssen nicht sein. Wir haben in Deutschland weit über 100 Millionen Stellplätze.

Eher sehe ich vor mir Freiräume für Begegnung, Orte zum Verweilen, Räume zum Spiel für Kinder und Alte, genügend Wege für Zweiradfahrer, auf denen sie sicher von A nach B gelangen können.

Suchet der Stadt Bestes heißt für mich dann auch: Ehrlich sein zu uns selbst und zu den anderen. Wir finden uns vor in Lebenszusammenhängen, die hochkomplex sind, und oft sind wir mit unseren Lebensgewohnheiten und unserem Lebensstil Verursacher und Leidtragende zugleich.

Suchet der Stadt Bestes heißt für mich dann aber auch: Ich werde mich mit den schlechten Bedingungen nicht abfinden, sondern nun das Besserer suchen und gestalten.

Suchen, es liegt nicht schon offen da, und vielleicht macht es uns richtig Mühe. Und wir werden auch die Zielkonflikte bearbeiten müssen, die Kraft kosten. Wir werden nicht alle Arten der Mobilität in gleicher Weise fördern können.

Wenn wir eine umweltfreundlichere und enkeltauglichere Mobilität wollen, dann müssen wir den motorisierten Individualverkehr zurückdrängen und mehr Raum für öffentlichen Verkehr und Zweiräder schaffen und auch die öffentlichen Gelder dafür einsetzen.

Und wenn sich die Mobilität wandelt – weg von der Individualmobilität hin zu einer Mobilität, in der wir mehr mit anderen Menschen und vermutlich auch in anderen Verkehrsmitteln unterwegs sein werden, dann brauchen wir weniger Autos. Für Mobilität braucht es nicht über 100 Millionen Sitzplätze in Autos, die nicht besetzt sind.

Das bedeutet auch weniger Arbeitsplätze in der Automobilwirtschaft. Das ist kein leichter Weg und auf diesem Weg wird es Verlierer geben, auch dies gehört zur Ehrlichkeit.

Wenn wir aber diesen Weg nicht gehen werden, dann wird es noch viel mehr Verlierer geben in unseren großen Städten und in unserem Land, auf der ganzen Welt.

Deshalb suchet der Stadt Bestes:

Ich kann mir andere Städte vorstellen, in denen die Luft besser ist, in denen Kinder spielen und Alte sich ungefährdet bewegen können, in denen  Menschen aus verschiedenen sozialen und kulturellen Herkünften bezahlbare Wohnungen finden und in guten Nachbarschaften leben können.

Und erzählen wir uns Hoffnungsgeschichten:

Im Jahr 2017 wurden weit über 700.000 E-Bikes in Deutschland verkauft. Lastenfahrräder gehören schon in manchen Innenstädten zu den neuen CO2-freien Transportfahrzeugen. Manche Logistiker und Städte überlegen, wie sie die letzte Meile abgasfrei für die Innenstädte organisieren können. Radfahrer organisieren sich zu Tausenden, um mehr Raum für eine andere Mobilität in den Städten zu bekommen. (Die Critical-Mass-Bewegung gibt es in vielen Städten der Welt). 

Suchet der Stadt Bestes heißt deshalb für mich: 

Die Zeit der autogerechten Städte muss zu Ende gehen – gestalten wir Städte für Menschen. Amen.


Autor
Romeo Edel ist Wirtschafts- und Sozialpfarrer in der Prälatur Stuttgart und zugleich Studienleiter an der Evangelischen Akademie Bad Boll.

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