Nachhaltig durch das Kirchenjahr

Materialien für Andachten und Gottesdienste zu den Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030

Internationaler Frauentag 8.3. – Nachhaltigkeitsziel 5

Gottesdienst zum Thema: Gewalt gegen Frauen überwinden

Gottesdienstentwurf

Votum
Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen Gottes.
Denn Gottes Hauch weckt uns zum Leben.
Jesu Mut ist heute noch ansteckend.
Gottes Geist lässt uns aufbrechen
aus den Sachzwängen in Gottes Zukunft.

Herzlich willkommen zu diesem Gottesdienst am 8. März, am Internationalen Frauentag (oder: … am Sonntag nach dem Internationalen Frauentag). Es gibt diesen Tag seit 1911, er wurde zunächst am 19. März gefeiert, seit 1921 liegt er auf dem 8. März. Er ist von Anfang verbunden mit dem Kampf um gleiche Rechte für Frauen, im damaligen Kontext das Frauenwahlrecht, aber auch andere Rechte (z. B. Zulassung zum Studium, Berufstätigkeit u. a.). In einigen Ländern ist dieser Tag ein gesetzlicher Feiertag, so in Angola, Georgien und Vietnam. In Berlin ist er seit 2019 Feiertag. In Deutschland finden am Internationalen Frauentag an vielen Orten Demonstrationen und öffentliche Aktionen statt, es wird benannt, was in Sachen Gleichberechtigung noch nicht erreicht ist, zum Beispiel gleiche Bezahlung oder gleiche Beteiligung in Führungspositionen, und es wird gefeiert, was schon erreicht ist. Vor allem junge Frauen erleben, dass sie in Sachen Bildung gleiche Möglichkeiten haben, allerdings wird es häufig schwierig, wenn sie in den Beruf gehen oder Familien gründen. Auch das Problem der sexualisierten Gewalt gegen Frauen ist nicht überwunden, weder in Deutschland noch weltweit. Die Überwindung von sexualisierter Gewalt ist eines der 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Es soll im Mittelpunkt unseres Gottesdienstes stehen.

Eingangslied 
Sonne der Gerechtigkeit, EG 263, 1-5

Psalm 
Auszüge aus Psalm 55 (ein Klagepsalm, der als Stimme einer Frau, die Gewalt erfahren hat, gelesen werden kann,  in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache):

Gib meinem Gebet, Gott, ein Ohr! Verbirg dich nicht vor meinem Flehen! 
Hör mir zu! Antworte mir! Ich irre umher in meiner Verzweiflung, bin verwirrt.
Die Gewalttäter schreien laut, die Unrecht tun, bedrängen mich, Unheil lassen sie auf mich herabfallen, beschuldigen mich wutschnaubend.
Mein Herz bebt in meiner Mitte, Todesschrecken sind auf mich gefallen, Angst und Zittern kommen zu mir, Schrecken bedecken mich.
Ich spreche: Hätte ich Flügel gleich der Taube – fliegen wollte ich und Ruhe finden. Weit, weit weg möchte ich flüchten, in der Wüste übernachten, zu meinem Zufluchtsort eilen, fort vom reißenden Wind, vom Sturm.
Verwirre, Gott, mächtig über alle, spalte ihre Zunge! Ich – zu Gott schreie ich. Ha-Makom  wird mich befreien!
Abends und morgens und mittags klage ich und stöhne. Meine Stimme wird Gott hören. Gott wird meine Kehle heilsam entschnüren aus dem Angriff gegen mich. Viele bedrängten mich.
Gott wird hören, wird sie demütigen, Gott thronend seit Urzeit an.
Wirf auf Ha-Makom, was dich belastet. Gott wird dich aufrecht halten, lässt auf Dauer nicht zu, dass die Gerechten den Halt verlieren.

Eingangsgebet
Du Quelle des Lebens,
du hast uns Würde gegeben.
Manchmal spüren wir, dass wir dein Ebenbild sind. 
Du willst, dass wir Leben in großer Fülle haben.
Lass uns erfahren, wie die Begegnung mit dir lebendig machen kann.
Dies bitten wir durch Jesus Christus. Amen.

(aus: Heide Rosenstock / Hanne Köhler, Du Gott, Freundin der Menschen. Neue Texte und Lieder für Andacht und Gottesdienst, Stuttgart. 
Kreuz Verlag 1991, 85)

Lied 
Wir strecken uns nach dir; 

Durch Hohes und Tiefes, 333, 1-3

Predigt

„Der erste Junge, der meine Hand hielt, sagte: ,Jungs wollen nichts von blutenden Vaginas hören.‘ Mein junges Ich konnte den Frauenhass riechen, Vaginas sind nur zum Ficken da, Brüste nur zum Saugen und Münder nur zum Blasen. Die Wahrheit ist, meine Taille ist dazu da, mit einer Sanduhr verglichen zu werden, meine Stimme dazu, zu sagen: Ja, bitte mach schnell! Und doch werde ich zum Schweigen gebracht, auf sexuelle Interaktion reduziert. Nicht nur ich, meine Mutter, meine Schwester, alle meine Freunde, sie alle gehen schneller, wenn es abends dunkel wird …“

Mit diesen drastischen Worten beschreibt die 20-jährige Inderin Aranya Johar in dem Videoclip „A Brown Girls’s Guide to Gender”  die Situation von Frauen in Indien. Sie gilt in ihrem Heimatland als Ikone einer neuen Bewegung für die Gleichheit der Geschlechter. Mit ihren Poetry-Slam-Beiträgen erreicht sie Millionen Menschen über Youtube und Instagram. Sie spricht vielen indischen Frauen und Mädchen aus dem Herzen. Sexualisierte Gewalt gehört dort zum Alltag. Indische Frauen und Mädchen sind von häuslicher Gewalt betroffen, aber auch von Vergewaltigungen in der Öffentlichkeit (zum Beispiel in ländlichen Gegenden, wo es häufig keine Toiletten für Frauen gibt und sie gezwungen sind, ihre Notdurft im Gebüsch zu verrichten, wo sie leicht angreifbar sind). Es gibt Mitgiftmorde, weil die Eltern der Braut angeblich keine oder eine zu geringe Mitgift bezahlen, und Ehrenmorde, weil eine Frau angeblich die Familienehre beschmutzt hat. Eine Frau, die es wagt, ihren Mann zu verlassen, muss mit einer Säureattacke aus Rache rechnen. Das Töten weiblicher Föten oder neugeborener Mädchen, weil Mädchen vermeintlich weniger wert sind und außerdem durch die zu zahlende Mitgift höhere Kosten verursachen, ist weit verbreitet, ebenso das Verbrennen von Frauen, das häufig als Unfall mit dem Kerosinofen getarnt wird. 

Für große mediale Aufmerksamkeit sorgte der Fall einer 23-jährigen Inderin 2012, die in einem öffentlichen Bus vergewaltigt und getötet wurde. Seit damals regt sich verstärkt öffentlicher Protest gegen Frauenfeindlichkeit, die die Grundlage der gewaltvollen Übergriffe ist. Ministerpräsident Narendra Modi hatte bei seinem Amtsantritt versprochen, die Situation für Frauen zu verbessern. Die Gesetze zur Bestrafung sexualisierter Gewalt wurden verschärft, aber immer noch wird Frauen nicht geglaubt, wenn sie eine Vergewaltigung anzeigen oder die Sache wird heruntergespielt („Das waren doch bloß Jungs, Jungs sind nun mal so …“, „Bei der aufreizenden Kleidung, die sie trägt, braucht sie sich doch nicht zu wundern …“). Laut einer Befragung aus dem Jahr 2016 durch die NGO Action Aid UK gab es 2014 in Indien 337.922 Fälle von Gewalt gegen Frauen. Frauen sind Menschen zweiter Klasse und besonders schlimm trifft es diejenigen, die noch weitere „Fehler“ mitbringen, wie zum Beispiel Kastenlose.

Das ist, was die junge Aranya Johar klar erkannt hat und so gut auf den Punkt bringt. Es muss sich etwas in den Köpfen ändern. Frauenrechte sind Menschenrechte: „Wir sind Mädchen, Frauen, Menschen, keine Last …“, sagt sie.

Vielen Männern fehlt häufig das Unrechtsbewusstsein, und die Wurzeln dafür sind in der Erziehung von Jungen zu suchen. Die Frauenrechtlerin Urvashi Butalia kritisiert, dass Jungen in Indien wie Prinzen erzogen werden, sie genießen alle Privilegien und werden gleichzeitig in emotionaler Abhängigkeit gehalten, sie werden nie richtig erwachsen. Das ist keine gute Voraussetzung für gleichberechtigte Partnerschaften. Hier kommen auch Frauen als Mütter in den Blick, die die Verantwortung und das Potenzial haben, ihre Söhne anders zu erziehen. Denn auch viele Frauen unterstützen das patriarchale Gesellschaftssystem in Indien bzw. hinterfragen es nicht.

Gleichzeitig modernisiert sich die indische Gesellschaft im Zuge der Globalisierung rasend schnell und junge, gut ausgebildete Frauen, die ihr eigenes Geld verdienen, sind in den Metropolen keine Ausnahmen. Aber sie sind dort eben auch sexualisierter Gewalt ausgesetzt, vor allem bei Jobs mit Schichtarbeit und langen nächtlichen Heimwegen. Gewalt erscheint wie eine Waffe gegen die Modernisierung. Männer sind zum Teil Verlierer dieser Entwicklung und reagieren auf die Konkurrenz mit Aggression. 

Und gleichzeitig gibt es auch Männer, die Frauen und Mädchen respektieren und sie im Kampf gegen Gewalt unterstützen, das sagt Aranya Johar auch: „Danke, ich sehe Männer in diesem Raum, sie bieten Hilfe an, nehmen den Fluch der Gebärmutter weg, Rettung geschieht durch gesunden Verstand, wir alle zusammen wollen Dich erreichen und Dir helfen.“ Es geht nicht darum, in den Frauen nur Opfer zu sehen, es geht nicht um Männerhass oder um eine Umkehrung der Dominanzverhältnisse, nein, es geht um die Gleichheit und dieselbe Würde, die jedem einzelnen Menschenkind zugesprochen ist. Junge Frauen wie Aranya Johar stehen auf, schweigen nicht länger, fordern selbstbewusst ihre Rechte ein. Sie brauchen dabei Unterstützung von allen, von ihren Müttern, Vätern, Brüdern, Schwestern und Freund*innen.

„Frauenrechte sind Menschenrechte, alle Geschlechter haben als Geschöpfe dieselbe unantastbare Würde, Männer und Frauen sind als Ebenbild Gottes geschaffen worden.“ Das betonte auch die indische Pastorin Nivedita Gorda aus der Jeypore Lutheran Church, die im Rahmen des Partnerschaftsprojekts „Women on the Move“ in diesem Jahr in der Nordkirche zu Gast war. Sie kennt die oben beschriebenen Verhältnisse sehr gut. Sie kämpft für die Überwindung der Ungleichheit der Geschlechter und der Gewalt gegen Frauen. Strukturelle Gewalt gegen Frauen ist auch in den christlichen Kirchen in Indien zu finden. So gibt es zwar schon lange die Ordination von Frauen in der Jeypore Lutheran Church, aber es sind immer noch wenige, die diesen steinigen Weg gehen. Pastorinnen werden häufig von Gemeinden mit dem Argument abgelehnt, dass Frauen durch ihre Menstruation unrein würden und deshalb nicht auf die Kanzel steigen könnten. Das ist eine sehr eigenwillige und eigennützige Interpretation der Regelungen zu kultischer Reinheit/Unreinheit im Ersten Testament. Pastorinnen werden häufig in sehr entlegenen Dörfern eingesetzt und sind auf den langen, einsamen Wegen Gefahren ausgesetzt, die für ihre männlichen Kollegen nicht in dieser Weise bestehen. Laiinnen, die sich für Ämter in den Kirchengremien bewerben, werden behindert und bedroht. Dies alles dürfte nicht sein, wenn der Text vom Anfang der Bibel ernst genommen würde. Gott spricht Männern und Frauen die Ebenbildlichkeit zu und beauftragt beide Geschlechter damit, sich um die Schöpfung zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen.

Trotz der Widrigkeiten lassen sich Nivedita und ihre Kolleginnen nicht entmutigen. Ich habe selten eine solch klare Entschlossenheit und solchen Mut erlebt, sich den Schwierigkeiten zu stellen und gegen sie anzugehen. „I have decided to follow Jesus“ ist ein Lied, das sie seinerzeit von den Missionaren gelernt haben und es nun auf ihre eigene Weise füllen. Jesus zu folgen heißt eben auch, sich für die Würde und Gleichheit von Frauen einzusetzen. „Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzigeinig im Messias Jesus“ (Gal 3,28 BigS). Diese urchristliche Taufformel, auf die sich Paulus im Brief an die Galater*innen bezieht, ist ein wichtiger Baustein in der Bildungsarbeit mit den Frauen und Mädchen an der Basis. Nivedita und ihre Kolleginnen gehen in die Dörfer und gründen dort Frauengruppen, um Frauen über ihre Rechte aufzuklären und ihnen einen Glauben zu vermitteln, der sie stärkt und aufrichtet. Für viele Frauen dort ist es erstmals die Gelegenheit, sich mit anderen Frauen in einem geschützten Raum auszutauschen, die Erfahrung zu machen, dass sie nicht alleine sind mit ihren Problemen. „Du bist eine Tochter Gottes, steh auf!“ Dieser Satz, den Jesus zu der gekrümmten Frau sagt, die er heilt (Lk 13,10-17), ist ein solch stärkender Satz. Die Frauen spielen die Szene in einem Bibliodrama nach und sprechen sich diesen Satz gegenseitig zu. Die indischen Frauen fragten auch uns deutsche Frauen, wie es sich anfühlt, diesen Satz zu hören, und wir konnten bestätigen, dass er auch uns aufrichtet und stärkt. Das ist der erste Schritt, alte verinnerlichte Denkmuster zu überwinden und in diesem Bewusstsein von Stärke loszugehen.

Und das geschieht dann auch, es gibt ermutigende Beispiele aus Indien. In einer Gemeinde wurde eine Frau regelmäßig von ihrem Mann geschlagen, wenn er betrunken war. Als sie in der Frauengruppe davon erzählte, ging die ganze Gruppe geschlossen zu dem Mann hin und stellte ihn zur Rede. Er hörte daraufhin auf, seine Frau zu schlagen. Es klingt fast wie eine biblische Wundergeschichte und zeigt, was möglich ist, wenn Frauen sich solidarisch zusammentun.

Wenn wir die sexualisierte Gewalt heute endlich überwinden wollen, können wir das nur gemeinsam tun, Männer und Frauen, alle Geschlechter. Wir können den Betroffenen eine Stimme geben, ihnen zuhören, Gewalt öffentlich machen und skandalisieren, ohne in rassistische Denkmuster abzugleiten.

Der Internationale Frauentag ist ein Tag, an dem sich Frauen dieser Kraft aus Solidarität miteinander bewusst werden können, er ist ein Tag, an dem wir uns mit Frauen aus aller Welt verbinden können, mit den Frauen in Indien und anderswo. Er ist ein Tag, an dem wir an all das erinnern können, was noch nicht erreicht ist in Sachen Gleichberechtigung und gleicher Würde.

Lassen wir die Vision von Paulus und den ersten Christ*innen unser Leitbild sein: „Da ist nicht jüdisch noch griechisch, da ist nicht versklavt noch frei, da ist nicht männlich und weiblich: denn alle seid ihr einzigeinig im Messias Jesus“. Amen.

Lied 

Brot und Rosen  

Gebet
Schaffe in mir gott ein neues herz
das alte gehorcht der gewohnheit
schaff mir neue augen
die alten sind behext vom erfolg
schaff mir neue ohren
die alten registrieren nur unglück
und eine neue liebe zu den bäumen
statt der voller trauer
eine neue zunge gib mir
statt der von der angst geknebelten
eine neue sprache gib mir
statt er gewaltverseuchten
die ich gut beherrsche
mein herz erstockt an der ohnmacht
aller die deine fremdlinge lieben
schaffe in mir gott ein neues herz
Und gib mir einen neuen geist
daß ich dich loben kann
ohne zu lügen
mit tränen in den augen
wenns denn sein muss
aber ohne zu lügen
Dorothee Sölle  
(Aus: Loben ohne lügen, Gedichte, Wolfgang Fietkau Verlag 2000)
Vaterunser
Segen
Der Segen des Gottes von Abraham, Sara und 
Hagar,
der Segen des Sohnes, von Maria geboren,
und der Segen des Heiligen Geistes, der über uns wacht wie eine Mutter über ihre Kinder, sei mit uns allen. 
Amen.


Autorin
Irene Pabst, seit 2009 Referentin für interkulturelle Frauenarbeit und Mutter-Kind-Kuren beim Frauenwerk der Nordkirche in Hamburg.

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