Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen

Eine Denkschrift des Rates der EKD, 2007

1.2 Staatsversagen und Zerfall politischer Gemeinschaften

  1. Trotz Globalisierung, Multilateralisierung und Ökonomisierung internationaler Beziehungen mit jeweils wichtiger gewordenen außerstaatlichen Akteuren bleiben die Staaten die Hauptverantwortlichen für die Lösung der existenziellen Probleme ihrer Bevölkerungen sowie für die Bewahrung des Friedens. Doch viele von ihnen werden ihren Aufgaben nicht gerecht. Erfahrungen in Bosnien, im Kosovo, in Afghanistan und insbesondere zurzeit im Irak zeigen, dass gutes Regieren (good governance) oder gar westliche Demokratie nicht einfach »übergestülpt« und auch nicht mit Gewalt eingeführt werden können.
  2. Schlechte Regierungsführung (bad governance) hat einen großen Anteil am Elend in den Entwicklungsländern, was zum Teil mit der Geschichte des Kolonialismus und Neokolonialismus zusammenhängt. Von versagender Staatlichkeit (failing states) und Gewaltanwendung durch nichtstaatliche Akteure (sog. »privatisierte Gewalt«) gehen auch Friedensgefährdungen für andere Staaten und für die Weltgemeinschaft insgesamt aus.
  3. Menschenrechtsverletzungen bis hin zu massenhafter Grausamkeit und Völkermord haben auch in willkürlichen Grenzziehungen durch die Kolonialmächte einen Ursprung. Sezessionsbestrebungen sind eine Folge. Der vermeintliche »Rückweg« zu ethnisch homogenen Staatswesen ist jedoch – trotz gegenläufiger Versuche – versperrt. »Ethnische Säuberungen« darf es nicht geben. Sie müssen geächtet und wo immer möglich verhindert werden. Doch in vielen Ländern fehlt es den Minderheiten an Schutz, Gleichberechtigung und Recht auf Entfaltung sowie auf Sprach- und Kulturpflege. Den UN-Menschenrechtskonventionen, der Konvention gegen den Völkermord und der Konzeption einer internationalen Schutzverantwortung (responsibility to protect) ist die Staatengemeinschaft bisher nur äußerst unzureichend gerecht geworden. Und während noch ihr Versagen angesichts des Völkermords in Ruanda im Jahr 1994 beklagt wird, steht sie angesichts massenhafter Vertreibungen und Tötungen in der Sudan-Provinz Darfur und Gewalt im Kongo erneut vor großen Herausforderungen.
  4. Nach inneren Gewaltkonflikten, Bürgerkriegen und militärischen Interventionen von außen dauert es lange, bis Friede einkehrt. Die Macht von Geschichtsdeutungen und unversöhnten Erinnerungen, das Gefühl, als Opfer nicht mit den Tätern erneut zusammenleben zu können, der Ruf nach Vergeltung, die fortwährende Gewaltbereitschaft sind Keime neuen Unfriedens, der dann oft in Krisensituationen virulent wird.
  5. In allen politischen Entwicklungen ist die Bedeutung der Medien immens gewachsen, für die Entwicklung eines Klimas von Vertrauen, aber auch von Hass; für weltweites Bewusstsein von Problemen und Krisen, aber auch für Propaganda; für Abgrenzung, jedoch auch für Solidarität. Dabei gilt, dass die umfassende mediale Präsenz von Krieg und Gewalt auch das Bild einer friedlosen Welt erzeugt, weil Medien Wirklichkeit immer auch konstruieren. Im nationalen wie im internationalen Maßstab ist im Zusammenhang mit solchen Fragen, aber auch mit Problemlösungsstrategien für sozioökonomische Probleme, der zivilgesellschaftliche Dialog von großer Bedeutung. Ein grundlegendes Überdenken, was verantwortlicher Journalismus im digitalen Zeitalter dazu beitragen kann, ist vonnöten.
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